1. Sinfonie (Mahler)

1. Sinfonie (Mahler)

Die Sinfonie Nr. 1 in D-Dur von Gustav Mahler ist eine Sinfonie in vier Sätzen für großes Orchester. Mahler gab dem Werk zeitweilig den Beinamen Titan (nach dem Roman von Jean Paul), zog diesen Titel aber später wieder zurück.

Inhaltsverzeichnis

Daten zum Werk

Die Sinfonie entstand (nach Vorarbeiten, die bis ins Jahr 1884 zurückreichen) in der Zeit von Januar bis März 1888 in Leipzig. Die Uraufführung fand am 20. November 1889 unter der Leitung des Komponisten in Budapest statt, wo Mahler zu dieser Zeit als Direktor der Königlich-Ungarischen Oper wirkte.

Die Erstausgabe der Partitur erschien 1899 im Verlag Weinberger, Wien. Eine zweite, revidierte Fassung der Partitur erschien 1906 im Verlag Universal Edition, Wien. Die Aufführungsdauer beträgt ca. 50 Minuten.

Besetzung: 4 Flöten (2 auch Piccolo), 4 Oboen (1 auch Englischhorn), 4 Klarinetten (3. auch Es- und Bassklarinette, 4. auch Es-Klarinette), 3 Fagotte (1 auch Kontrafagott), 7 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, 1 Basstuba, Pauken (2 Spieler), Harfe, Schlagwerk, Streicher

Entstehungsgeschichte

Es ist aufschlussreich, die Programme der ersten Aufführungen zwischen 1889 und 1899 miteinander zu vergleichen. Mahler war sich anfangs offenbar unschlüssig, ob er das Werk als Sinfonische Dichtung oder als Sinfonie betrachten sollte. Die ursprünglich vorgesehene Großgliederung der Sätze in zwei Teile fiel im Lauf der Zeit ebenso weg wie ein ursprünglich an 2. Stelle stehender zusätzlicher Satz (er wird unter der Bezeichnung „Blumine“ gelegentlich noch aufgeführt). Bei den ersten Aufführungen versuchte Mahler auch, dem Publikum den Zugang zu dem Werk durch Werk- und Satztitel zu erleichtern, die z. T. literarische Bezüge enthalten. Der zeitweise beigegebene Titel Titan bezieht sich auf den gleichnamigen Roman von Jean Paul, der einer der Lieblingsschriftsteller Mahlers in dessen Jugendzeit war. Der Trauermarsch trug kurzfristig den Beinamen Ein Totenmarsch in Callots Manier, eine Anspielung auf E. T. A. Hoffmanns Fantasiestücke in Callots Manier. Allerdings kannte Mahler dieses Werk zur Entstehungszeit der Sinfonie noch gar nicht, der Titel ging auf den Vorschlag seines Freundes Ferdinand Pfohl zurück. Nach eigenem Bekunden soll Mahler zu diesem Satz auch von einer Zeichnung beeinflusst worden sein, auf der die Tiere des Waldes den erschossenen Jäger zu Grabe tragen.

Zur Hamburger Aufführung 1893 verfasste Mahler gar ein vollständig ausgearbeitetes Programm. Auf die Beigabe des Titels und der programmatischen Satzüberschriften und Erklärungen verzichtete Mahler später wieder, „weil ich es erlebt habe, auf welch falsche Wege hiedurch [sic!] das Publikum geriet“. [1] Erst mit der Drucklegung im Jahr 1899 erhielt die Sinfonie ihre endgültige, bis heute bekannte viersätzige Form und die Bezeichnung „Sinfonie Nr. 1“.

Übersicht: Entstehung der 1. Sinfonie – Aufführungen bis zum Erstdruck
Budapest
20. November 1889
Hamburg
27. Oktober 1893
Weimar
3. Juni 1894
Berlin
16. März 1896
Druck
1899
Symphonische Dichtung
in zwei Teilen
„Titan“, eine Tondichtung
in Symphonieform
(unbekannt) Symphonie in D-Dur
für großes Orchester
Symphonie Nr. 1 in D-Dur
1. Teil
(kein Teiltitel)
1. Teil
„Aus den Tagen der Jugend“, Blumen-, Frucht- und Dornstücke
1. Teil
„Aus den Tagen der Jugend“, Blumen-, Frucht- und Dornstücke
(keine Gliederung in Teile) (keine Gliederung in Teile)
1. Satz
Introduktion und Allegro comodo
1. Satz
„Frühling und kein Ende“ (Einleitung und Allegro comodo). Die Einleitung stellt das Erwachen der Natur aus langem Winterschlafe dar
1. Satz
„Frühling und kein Ende“ (Einleitung und Allegro comodo). Die Einleitung schildert das Erwachen der Natur am frühesten Morgen
1. Satz
Einleitung und Allegro comodo
1. Satz
Langsam. Schleppend. Wie ein Naturlaut. Später: Im Anfang sehr gemächlich
2. Satz
Andante
2. Satz
„Blumine“ (Andante)
2. Satz
„Bluminenkapitel“
(fehlt) (fehlt)
3. Satz
Scherzo
3. Satz
„Mit vollen Segeln“ (Scherzo)
3. Satz
„Mit vollen Segeln“ (Scherzo)
2. Satz
Scherzo
2. Satz
Kräftig bewegt, doch nicht zu schnell
2. Teil
(kein Teiltitel)
2. Teil
„Commedia humana“
2. Teil
„Commedia humana“
4. Satz
A la pompes funèbres; attaca
4. Satz
„Gestrandet!“
(ein Todtenmarsch in „Callots Manier“)
4. Satz
„Gestrandet!“
Des Jägers Leichenbegängnis
3. Satz
„Alla Marcia funebre“
3. Satz
Feierlich und gemessen, ohne zu schleppen
5. Satz
Molto appassionato
5. Satz
„Dall’ Inferno“ (Allegro furioso) folgt, als der plötzliche Ausbruch der Verzweiflung eines im Tiefsten verwundeten Herzens
5. Satz
„Dall’ Inferno al Paradiso“ (Allegro furioso …)
4. Satz
Allegro furioso
4. Satz
Stürmisch bewegt

Aufbau und Analyse

Die 1. Sinfonie trägt bereits viele Elemente der Mahlerschen Musiksprache in sich, so etwa die volkstümlichen Melodien (vor allem im ersten und zweiten Satz), die ironische Verfremdung, die collagenartige Schichtung von Motiven , und die teilweise schroffe Verarbeitung der Themen. Mahler hat die Anregung der Sinfonie und viel des thematischen Stoffs den Liedern eines fahrenden Gesellen entnommen. [2]

Erster Satz: Langsam. Schleppend. Wie ein Naturlaut – Im Anfang sehr gemächlich

Der erste Satz in D-Dur ist in der Form eines variierten Sonatenhauptsatzes gehalten. Die Einleitung zeichnet sich durch ein A als Liegeton in sieben Oktaven aus, worüber verschiedene Naturlaute wie beispielsweise die abfallende Quarte erscheinen. Nach dieser ausgedehnten, langsamen Einleitung setzt die Exposition ein, die entgegen den Regeln für die Anlage des Sonatenhauptsatzes nur ein einziges Thema behandelt, das Mahler seinem Lied Ging heut morgen übers Feld aus dem Zyklus der Lieder eines fahrenden Gesellen entlehnt hat. Die sich anschließende Durchführung bietet sich ebenso wenig regelgerecht dar, und verarbeitet eher Motive der Einleitung als der Exposition. Eine verkürzte Reprise beschließt den Satz.

Zweiter Satz: Kräftig bewegt, doch nicht zu schnell

Der zweite Satz in A-Dur stellt sich in A-B-A-Form dar, wobei der A-Teil ein etwas derber Ländler ist, welcher Elemente österreichischer Volksmusik aufgreift. Der B-Teil in der Mitte dieses Satzes ist ein Trio, welches im Kontrast zum Ländler lyrisches Material darbietet. Gegen Ende dieses Trios findet sich thematisches Material aus dem ersten Satz. Der Satz schließt mit einer Wiederholung des Ländlers, in knapperer Form und etwas „schwererer“ Orchestrierung.

Dritter Satz: Feierlich und gemessen, ohne zu schleppen

Moritz von Schwind: Wie die Tiere den Jäger begraben. Der Holzschnitt lieferte Mahler vermutlich eine der Anregungen zur Komposition des 3. Satzes

Der dritte Satz (d-Moll) beginnt mit einer zum Trauermarsch verfremdeten Bearbeitung des Volksliedes „Bruder Martin“ (sic!, Mahler zitiert den Titel in dieser wenig gebräuchlichen Form), eine in Moll verkehrte Variante des KanonsFrère Jacques“. Entgegen landläufiger Meinung ist die Moll-Fassung aber keine Erfindung Mahlers; vielmehr wurde der Kanon im 19. und frühen 20. Jahrhundert in bestimmten Regionen Österreichs bereits in Moll gesungen. Mahler dürfte diese Fassung gekannt haben. Der Satz enthält jedoch auch aus der jüdischen Musikwelt entlehnte klezmerartige Szenen. Der lyrische Mittelteil zitiert wiederum die „Lindenbaum“-Passage aus Mahlers eigenem Lied Die zwei blauen Augen von meinem Schatz aus den Liedern eines fahrenden Gesellen.

Vierter Satz: Stürmisch bewegt

Auch im Finalsatz liegt eine stark variierte Sonatenhauptsatzform vor. Während Mahlers Musik im Kopfsatz vom „Hinausgehen“ in die Natur geprägt ist (naturalistische Motive, Vogelimitation, Trompetenfanfaren hinter der Bühne) und im weitesten Sinne das Werden der Musik thematisiert, beschreibt der vierte und letzte Satz (f-Moll/D-Dur) eher das Gegenteil. Die Motive klingen gehetzt und aggressiv, zum Ende hin türmt sich die Musik auf, um in einem vorweggenommenen Schluss regelrecht zusammenzubrechen. Noch einmal „schiebt“ Mahler dann den Apparat an, um zu einem mächtigen Finale überzuleiten, das jedoch alle Züge einer gewaltsam herbeigeführten Apotheose trägt. In den meisten sinfonischen Aufführungen spielen hierbei die Hornisten das Schlussthema stehend, um das ohnehin spätromantisch-groß besetzte Sinfonieorchester noch zu übertönen.

Quellen

  1. Brief an Max Marschalk, 20. März 1896. Zitiert nach: Herta Blaukopf (Hrsg.): Gustav Mahler. Briefe. Zsolnay, Wien 1996, S. 169, ISBN 3-552-04810-3
  2. Heinrich Kralik und Friedrich Heller: Gustav Mahler, Band 14 der Reihe Österreichische Komponisten des 20. Jahrhunderts, Verlag Lafite, 1968, Seite 32

Hörproben

Computer-generierte Aufnahmen des Virtual Philharmonic Orchestra (Reinhold Behringer), erstellt mittels digitaler Instrumental-Samples.

Literatur

  • Hellmut Kühn, Georg Quander (Hrsg.): Gustav Mahler. Ein Lesebuch mit Bildern. Orell Füssli, Zürich 1982, ISBN 3-280-01377-1.
  • Hanheide, Stefan: "Mahlers Visionen vom Untergang." Osnabrück: epOs-Music 2004, ISBN 978-3-923486-60-1
  • Mathias Hansen: Reclams Musikführer Gustav Mahler. Reclam, Stuttgart 1996, ISBN 3-15-010425-4.
  • Alphons Silbermann: Lübbes Mahler Lexikon. Lübbe, Bergisch Gladbach 1986, ISBN 3-404-61271-X.
  • Renate Ulm (Hrsg.): Gustav Mahlers Symphonien. Entstehung – Deutung – Wirkung. Bärenreiter, Kassel 2001, ISBN 3-423-30827-3.
  • Ute Jung-Kaiser: Die wahren Bilder und Chiffren „tragischer Ironie“ in Mahlers „Erster“. In: Günther Weiß (Hrsg.): Neue Mahleriana: essays in honour of Henry-Louis de LaGrange on his seventieth birthday. Lang, Berne etc. 1997, ISBN 3-906756-95-5, S. 101–152.
  • Ferdinand Pfohl: Gustav Mahler, Eindrücke und Erinnerungen aus den Hamburger Jahren. Hrsg. von Knud Martner. Karl Dieter Wagner, Hamburg 1973, S. 64–67.
  • Reinhold Weyer: Gustav Mahler: 1. Sinfonie. In: S. Helm, H. Hopf (Hrsg.): Werkanalyse in Beispielen. Gustav Bosse, Regensburg 1986, ISBN 3-7649-2276-1, S. 245–265.
  • Gerd Indorf: Mahlers Sinfonien. Rombach, Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2010, ISBN 978-3-7930-9622-1.

Weblinks



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