Besetzung der Hainburger Au

Besetzung der Hainburger Au
Die Hainburger Au

Die Besetzung der Hainburger Au im Dezember 1984 war sowohl von umweltpolitischer als auch von demokratiepolitischer Bedeutung für Österreich.

Die Hainburger Au ist eine naturbelassene Flusslandschaft an der Donau nahe Hainburg in Niederösterreich, östlich von Wien, und seit 1996 Teil des Nationalparks Donau-Auen. Anfang 1983 hatte der WWF Österreich seine Kampagne Rettet die Auen gestartet und mit Hilfe einiger Medien begonnen, die Öffentlichkeit auf die drohende Zerstörung eines Teils der Donauauen bei durch ein dort geplantes Wasserkraftwerk aufmerksam zu machen. Der Verlauf der Demonstration und die Art der Beilegung wurden zu einem Markstein des Demokratieverständnisses, aber auch der Energiepolitik in Österreich.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Österreichische Donaukraftwerke AG erreichte 1983 eine Erklärung des Kraftwerks Hainburg zum bevorzugten Wasserbau durch die oberste Wasserrechtsbehörde. Das im damals gültigen österreichischen Wasserrechtsgesetz vorgesehene Instrument des bevorzugten Wasserbaus war zur behördlichen Handhabung großer Wasserbauvorhaben, die „im besonderen Interesse“ standen, vorgesehen und bedeutete eine Verfahrenskonzentration aller behördlichen Genehmigungen bei der Wasserrechtsbehörde und eine Einschränkung des Instanzenzuges. Nach Ende des behördlichen Verfahrens wurde im Dezember 1984 bei Stopfenreuth (Engelhartstetten) mit den Arbeiten begonnen.

Am 7. Mai 1984 fand im Presseclub Concordia, mit viel Medienecho und Poesie inszeniert, die Pressekonferenz der Tiere statt. Günther Nenning als „roter Auhirsch“ verkleidet, der Wiener Stadtrat Jörg Mauthe als Schwarzstorch, der Chef der FPÖ-Jugend Hubert Gorbach als Blaukehlchen, Peter Turrini als Rotbauchunke, Othmar Karas als Kormoran. Es wurde beschlossen, ein Volksbegehren einzuleiten (unter Federführung von Gerhard Heilingbrunner und Günther Nenning), wobei der populäre Nobelpreisträger Konrad Lorenz als Frontmann gewonnen wurde, daher die Bezeichnung Konrad-Lorenz-Volksbegehren.

Am 8. Dezember 1984 organisierte die Österreichische Hochschülerschaft einen Sternmarsch, an dem ca. 8000 Menschen teilnahmen. Mehrere hundert Personen blieben in der Au und erzwangen die Einstellung der Rodungsarbeiten.

Nachdem die Au zum Sperrgebiet erklärt worden war, kam es am 19. Dezember 1984 zu einem umstrittenen Polizeieinsatz, bei dem unter Schlagstockeinsatz eine Fläche von der Größe von zwei Fußballfeldern mit Absperrungen eingefasst und unter Polizeibewachung gerodet wurde. Bei den Zusammenstößen zwischen 800 Gendarmerie- bzw. Polizeibeamten und etwa 3000 Aubesetzern wurden auf Seiten der Umweltschützer nach offiziellen Angaben 19 Personen, darunter Angehörige eines italienischen Fernsehteams, verletzt. Am Abend desselben Tages demonstrierten in Wien rund 40.000 Menschen gegen das Vorgehen der Regierung und gegen den Kraftwerksbau.[1]

Am 21. Dezember 1984 verhängte die Bundesregierung einen Rodungsstopp. Am 22. Dezember 1984 verkündete Bundeskanzler Fred Sinowatz unter dem Druck der öffentlichen Meinung und einiger einflussreicher Medien (insbesondere der Kronen Zeitung) einen Weihnachtsfrieden. Tausende Menschen verbrachten die folgenden Feiertage in der Au. Der Priester Joop Roeland feierte mit den Aubesetzern den Weihnachtsgottesdienst.

Als das Höchstgericht Anfang Jänner 1985 weitere Rodungen bis zum Abschluss des laufenden Beschwerdeverfahrens verbot, wurde die Besetzung beendet.
Im März 1985 wurde das Konrad-Lorenz-Volksbegehren durchgeführt. Das Begehren wurde von 353.906 Personen unterzeichnet.
Am 1. Juli 1986 hob der Verwaltungsgerichtshof den Wasserrechtsbescheid auf.[2]

Seit 1996 gehört die Hainburger Au zum Nationalpark Donau-Auen.

Demokratiepolitische Folgen

Erstmals trat ziviler Ungehorsam erfolgreich und öffentlichwirksam in Erscheinung, und wurde den Österreichern das Prinzip direkter Demokratie bewusst. Nach der Absage an das Kernkraftwerk Zwentendorf 1978 war Hainburg das zweite Ereignis, in dem Basisdemokratie erfolgreich – und nachhaltig richtungsweisend – umgesetzt wurde.[3] Die Grünen – Die grüne Alternative formierten sich als Partei und erreichten 1986 erstmals den Einzug in den Nationalrat.

Im Unterschied zu zeitgleichen Ereignissen wie etwa Wackersdorf in Deutschland war die öffentliche Meinung bezüglich der Gewaltexzesse durchaus auf Seiten der Demonstranten, und durch das schnelle Einlenken der Regierungen ist auch nicht Feindbilddenken, sondern – bei allen Vorbehalten – gegenseitiger Respekt als „österreichischer Weg“ in Erinnerung geblieben, und Demonstrieren als legitimes demokratisches Mittel „im Notfall“ erkannt worden.[3][4]

Seither wird beinahe jedes größere Bauprojekt von Bürgerinitiativen begleitet. In weiterer Folge wurde beispielsweise 1996 die Au von Lambach zur Verhinderung des Traunkraftwerkes besetzt (Die Besetzung dauerte länger als in der Hainburger Au), 2003 kam es zu einer „symbolischen Lobaubesetzung“ zur Verhinderung der Untertunnelung der Lobau entlang der Wiener Außenring Schnellstraße.[5]

Energie- und umweltpolitische Folgen

Durch die Ereignisse von Hainburg hat sich in Österreich der scharfe Gegensatz zwischen konservativen und grünen Ansichten nie so scharf herausgebildet[6] und der Umweltgedanke hat sich in allen parteipolitischen Programmen festgesetzt, während wirtschaftsliberale Kräfte gegenüber sozialpartnerschaftlichen weitgehend zurückgetreten sind. Aufgekommen ist seinerzeit das Schlagwort von der öko-sozialen Marktwirtschaft, eine ÖVP-naher Begriff, de facto sind heute aber die Parteien Österreichs allesamt ökologie- und sozialbewusst orientiert.

Mit der Besetzung wurde klar, dass die österreichische Bevölkerung den Landschaftswert genauso hoch beurteilt wie die Versorgungssicherheit – der ORF sprach seinerzeit vom „neuen Umweltbewußtsein der Österreicher“.[7] War seit Kaprun, dem Symbol der Wiederaufbaujahre, der Kraftwerksbau „Flaggschiff“ der Wirtschaftspolitik gewesen, brachten die 1980er zwei einschneidende Wendungen: Mit der Nicht-Inbetriebnahme von Zwentendorf, die mit der Katastrophe von Tschernobyl 1986 quasi „bestätigt“ wurde, schwenkte Österreich auf einen Anti-Atom-Kurs ein. Mit Hainburg wurde klar, dass man auch die Resource Wasserkraft nicht vollständig ausreizen kann (Bevorzugter Wasserbau), weil sie mit Interessen des Erholungswerts wie auch des Tourismus in Konflikt kommt. Schon bald nach dem Hainburg-Ereignissen wurden von Handelsminister Norbert Steger die beiden relevanten Gesetze, das Elektrizitätswirtschaftsgesetz und das Energieförderungsgesetz, an die Forderungen des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens angenähert.[7]

Damit waren für Österreich die Weichen in Richtung nachhaltiger Energiewirtschaft schon in den mittleren 1980ern gestellt. Weil Österreich auch sonst arm an Energierohstoffen – oder Platz für extensive Alternativenergie – ist, hat man in den 1990er vollständig von einem in der Zeit des Ölpreisschocks 1973 und 1979/80 gewonnenen Leitbild der Energieautarkie Österreichs Abstand genommen. Heute fokussiert die österreichische Energiepolitik etwa auf europaweite Energienetzwerke, Gasspeicherwirtschaft oder die Veredelung billig aus dem Ausland zugekauften Grundlaststromes zu teurem Spitzenstrom durch landschaftsschonenden Umbau vorhandener Wasserkraftwerke in Pumpspeicherwerke.[8][9] Die Umweltpolitik hat – etwa nach der Erklärung der Stauseen am Unteren Inn zum Europareservat 1979 oder die Einbindung der Kapruner und anderer Kraftwerke in das Umfeld des Nationalpark Hohe Tauern ab 1981 – eine integralere Sichtweise auf den Naturschutz gewonnen, der neben dem Wildnisgedanken auch den Biosphärengedanken von Naturnutzung betrachtet.

Siehe auch

Literatur

  • Gundi Dick, u.a. (Hrsg.): Hainburg. Ein Basisbuch. 276.485 Anschläge gegen den Stau. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1985
  • Ingrid Monjencs, Herbert Rainer (Hrsg.): Hainburg - 5 Jahre danach. Kontrapunkt - Verlag für Wissenswertes, Wien 1989
  • Robert Foltin: Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich. Edition Grundrisse, Wien 2004 (pdf, 2 MB)

Medien

  • Journal-Panorama: 5 Jahre nach Hainburg - Ablauf der Aubesetzung 1984. Fritz Pesata; ORF, 19. Dez. 1989 (audio, MP3, Österreichische Mediathek)

Weblinks

Historische Datenbanken:

Einzelnachweise

  1. Gegner des Wasserkraftwerks Hainburg besetzen die Au um die Rodungen und Bauarbeiten zu verhindern. Zeit im Bild 1 mit Horst Friedrich Mayer vom 19. Dezember 1984. (Ausschnitt, videoplayer, Österreichische Mediathek, V-00032)
  2. Verwaltungsgerichtshof zu Hainburg. Ö1 Journal: Mittagsjournal 16. Oktober 1985, Erich Eichinger; ORF (audio, MP3, Österreichische Mediathek)
  3. a b Bernhard Natter: Die "Bürger" versus die "Mächtigen". Populistischer Protest an den Beispielen Zwentendorf und Hainburg. In: Anton Pelinka (Hrsg.): Populismus in Österreich. Edition Junius, Wien 1987, S. 151–170 (pdf, demokratiezentrum.org).
  4. Freda Meissner-Blau: Hat Hainburg die Republik verändert?. In: Monjencs, Rainer (Hrsg.): Hainburg - 5 Jahre danach. 1989, S. 53–59 (Lit., pdf, demokratiezentrum.org).
  5. Symbolische Lobau-Besetzung – Protestkundgebung gegen Autobahn durch Wiener Nationalpark. In: derStandard. 12. Dezember 2003, abgerufen am 2. Juni 2011.
  6. So hat Oberösterreich etwa seit 2003 eine schwarz-grüne Koalition
  7. a b Energiepolitik nach Hainburg. Ö1 Journal: Mittagsjournal 22. Februar 1985, Wolfgang Fuchs; ORF (audio MP3, Österreichische Mediathek).
  8. Dieter Pesendorfer: Paradigmenwechsel in der Umweltpolitik: von den Anfängen der Umwelt- zu einer Nachhaltigkeitspolitik : Modellfall Österreich?. VS Verlag für Sozialwissenschaften, September 2007, ISBN 978-3531156491.
  9. Waltraud Winkler-Rieder: Energiepolitik. In: Herbert Dachs, u.a (Hrsg.): Handbuch des politischen Systems Österreichs. 3. Aufl. Auflage. Manz, Wien 1997, S. 619-627 (pdf, demokratiezentrum.org).


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