Bernd Senf

Bernd Senf

Bernd Willfried Senf (* 1944 in Bad Brambach-Schönberg[1]) war von 1973 bis 2009 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.

Senf setzt sich für eine strukturelle Reform des Geldsystems ein. Dazu prägte er den Begriff der „Monetative“, die neben Legislative, Exekutive und Judikative als vierte Staatsgewalt eingeführt werden soll, um die unkontrollierte Geldschöpfung der Kreditinstitute zu unterbinden, die er – wie Joseph Huber u.a. – für die Hauptursache der gegenwärtigen Finanzkrise hält. Dabei bezieht sich Senf auf Arbeiten von Irving Fisher und Frederick Soddy zur Geldtheorie und vertritt die Thesen von Jeremy Rifkin zur Arbeitsmarktpolitik. Darüber hinaus vertritt er einzelne Positionen der Freiwirtschaft, die allerdings in den Wirtschaftswissenschaften nur in geringem Umfang diskutiert werden.

Neben seiner professionellen Tätigkeit setzt sich Senf seit etwa 1980 für die Vermittlung der Lehren des Psychoanalytikers und „Orgonomen“ Wilhelm Reich ein.

Inhaltsverzeichnis

Werdegang

Bernd Senf studierte Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin und promovierte 1972 mit einer Dissertation über das Thema Wirtschaftliche Rationalität – gesellschaftliche Irrationalität. Die „Verdrängung“ gesellschaftlicher Aspekte durch die bürgerliche Ökonomie. Im Jahr darauf wurde er Dozent, später Professor, an der 1971 gegründeten Berliner „Fachhochschule für Wirtschaft“, heute Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. 2009 wurde er pensioniert.

Schon der (Unter-)Titel seiner Dissertation deutet darauf hin, dass Senf die Psychoanalyse für eine wichtige Ergänzung einer – damals von ihm weitgehend von Marx übernommenen – umfassenden Gesellschaftstheorie hielt. Er befasste sich deswegen vornehmlich mit den Lehren Wilhelm Reichs, der in den Jahren um 1930 der wichtigste Freudomarxist war und „1968“ wiederentdeckt worden ist. Senf war damals einer der wenigen, die die Entwicklung von Wilhelm Reich – nachdem Reich 1933 aus der KPD und 1934 aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen worden war – zu der vom Mainstream weit entfernten Orgonforschung ernst nahmen. Senf publizierte dazu affirmativ 1976 in den von Bernd A. Laska herausgegebenen Wilhelm-Reich-Blättern, der Zeitschrift einer informellen Studiengruppe, [2] verteidigte aber auch den frühen, marxistischen Reich (bzw. Marx selbst als Ökonomen) gegen Laskas Vorschlag, die Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells für eine reichianische Ökonomie in Betracht zu ziehen. [3] Gut ein Jahrzehnt später begann Senf, die Theorie Gesells zu studieren und hochzuschätzen. — Nach der Kontroverse mit Laska gründete Senf 1979 in Berlin eine „Wilhelm-Reich-Initiative“ sowie deren ab 1980 in Jahrbuchform erscheinende Zeitschrift emotion und hielt seitdem in jedem Semester in den Räumen der „Hochschule für Wirtschaft und Recht“ eine Vorlesungsreihe über das Werk von Wilhelm Reich. [4]

Über ökonomische und reichianische Themen referiert Senf auch außerhalb des universitären Rahmens. [5]

Werk

Senf kritisiert neben dem bestehenden Finanz-, Banken- und Geldsystems insbesondere die „zerstörerische Kraft des Zinses“. Er hält zwar die Geldversorgung – bezogen auf einen einzelnen Kredit – für sinnvoll, gesamtwirtschaftlich werfe das durch Schulden geschöpfte Geld (Geldschöpfung) jedoch grundsätzliche Fragen auf. So bezweifelt er die grundsätzliche Funktionsfähigkeit unseres Geldsystems, weil für den Rückfluss des Geldes aus dem Wirtschaftskreislauf mehr Geld von den Geschäftsbanken und Zentralbanken gefordert werde (Zins und Tilgung), als zu Beginn in ihn eingeflossen seien. Das führe zu einem gewissen Wachstumszwang. Demnach bewirke oder verstärke der Zins verschiedene Krisentendenzen in folgenden Bereichen:

Wirtschaft
Dem Anwachsen der Geldvermögen müsse eine entsprechend wachsende Produktion gegenüberstehen. Die Produktion könne aber auf Dauer nicht entsprechend mitwachsen, weil exponentielles Wachstum der Begrenztheit der Ressourcen widerspricht. Wenn sich das Wirtschaftswachstum gegenüber den anfänglichen Wachstumsraten abschwäche, dann gehe die Rechnung der verschuldeten Unternehmen nicht auf, und sie gerieten in die Schuldenklemme.
Umwelt
Durch den Wachstumszwang bliebe immer weniger Geld für Umweltschutz übrig.
Gesellschaft
Durch die von den Geschäftsbanken betriebene Geldschöpfung und aufgrund der Tatsache, dass alles vorhandene Geld irgendwo als Schuld in gleicher Höhe existiert, leide auch derjenige in der Gesellschaft unter dem Zins, der gar nicht verschuldet ist, weil auch er indirekt Zinsen zahlen muss [6]. Das liege daran, dass jedes Unternehmen die Belastung durch aufgenommene Kredite in der Preiskalkulation seiner Waren und Dienstleistungen berücksichtigen muss. Der Anteil des Zinses in den Preisen von Waren und Dienstleistungen mache bis zu 40 % aus.
Staat
Infolge der wachsenden Belastung der Staatshaushalte durch die zu zahlenden Zinsen komme unter anderem der Sozialstaat immer mehr in Finanzierungsnöte. Im Extremfall wird sogar eine Neuverschuldung erzwungen, um die Zinsen für die bisherigen Schulden zahlen zu können.
Im Zuge einer Finanzkrise sei der Staat gezwungen sich zu verschulden, damit andere Banken und die Wirtschaft finanziell unterstützt werden können. Gleichzeitig habe nicht der Staat, sondern die Zentralbank und die Geschäftsbanken das Monopol Geld zu schöpfen. Dadurch sei der Staat derzeit gezwungen, zur Rettung der Banken und der Wirtschaft sich neu zu verschulden und dafür Zinsen zu bezahlen, wodurch wiederum die Steuerlast der Bürger steigt. Deshalb fordert neben Joseph Huber auch Bernd Senf die Einführung von „Vollgeld“ (eines zu 100% gedeckten Geldes). Dadurch müsste seiner Meinung die dreigliedrigen Gewaltenteilung erweitert und neben Legislative, Exekutive und Judikative eine weitere Instanz zur Steuerung der Geldströme eingerichtet werden, damit die Seigniorage dem Staat und nicht den Banken als Einnahmen zufließt und das Geld für staatliche Investitionen schuldenfrei in Umlauf kommt. Diese neu zu bildende Instanz bezeichnet er als „Monetative“.
Entwicklungsländer und Schwellenländer
Durch die Kolonisierung der Entwicklungsländer seien oft Monokulturen etabliert worden, sodass diese Länder oft nur einige wenige Produkte am Weltmarkt anbieten konnten. Dadurch wurden diese in zunehmenden Maße vom Import abhängig. Nach der Unabhängigkeit sanken die Erlöse aus dem Export immer mehr und die Kosten für den Import stiegen immer weiter an. Die dabei entstandene Lücke musste durch Kredite geschlossen werden, und diese Länder wurden so in die Verschuldung getrieben.

Die angesprochenen Probleme würden nach Meinung von Senf zwar nicht allein durch den Zins verursacht, aber zumindest wesentlich verstärkt. Seiner Überzeugung nach würde alleine die Dynamik des Zinses und des Zinssystems ausreichen, um diese Krisen hervorzurufen. Insofern sei es wichtig, den Einfluss des Zinses in seiner Problematik erkannt zu haben.

Darüber hinaus sei die Überwindung des Zinssystems in seiner heutigen Form für Senf zwar sehr wichtig, aber die Vorstellung, dass dann alles sich selbst reguliert, hält er für ein zu einfaches Muster. Insbesondere weil dabei übersehen würde, dass sich dabei nichts Grundsätzliches an der Situation der Überschwemmung der Arbeitsmärkte und die technologisch bedingte Freisetzung der Arbeitskraft ändere. Lediglich der Druck zur Rationalisierung würde sich etwas abschwächen. Den Glauben an die Selbstregulierung der Arbeitsmärkte selbst unter Wegfall des Zinses, hält er für illusionär.

Senf argumentiert des Weiteren, es gäbe Parallelen zwischen der Struktur und Dynamik der Schizophrenie eines einzelnen Menschen und den Geschehnissen an den Finanzmärkten. Nach Wilhelm Reich ist die Schizophrenie Folge und Ausdruck einer bestimmten Struktur und Dynamik emotionaler und körperlicher Panzerung. Dies glaubt Senf, im übertragenen Sinne auch bei dem derzeitigen Finanzsystem beobachten zu können. Anstatt dass das Geld kontinuierlich durch den sozialen Organismus einer Wirtschaft ströme - und in der Realgütersphäre als Tauschmittel den Absatz der produzierten Waren ermöglicht und die Existenzgrundlage der Warenproduzenten sichern hilft, ströme es immer mehr in die internationalen Finanzmärkte, die immer mehr von der Realität abheben [7].

Unter Bezugnahme auf die post-autistische Ökonomie weist er darauf hin, dass häufig jede Kritik am Finanz- und Bankensystem tabuisiert werde und die Argumentation der Kritiker des Finanzsystems vorschnell verurteilt würden. Dadurch würden Berührungsängste erzeugt und eine aus seiner Sicht dringend notwendige öffentliche Diskussion des Finanzsystems unterbunden [8].

In seinem Buch „Die Blinden Flecken der Ökonomie“ erklärt Senf den Feudalismus, den Liberalismus, den Marxismus, die Neoklassik, die Freiwirtschaftslehre, den Keynesianismus und den Monetarismus/Neoliberalismus, zieht Parallelen und zeigt die jeweiligen Stärken und Schwächen auf.

Einige seiner Veröffentlichungen erschienen auch in der Zeitschrift für Sozialökonomie.

Monetative

Senf verwendet für ein ordnungspolitisches Konzept den Begriff „Monetative“[9], das als neu zu schaffende vierte Ebene der staatlichen Gewaltenteilung neben den bisherigen Ebenen der Legislative, der Exekutive und der Judikative eingeführt werden soll. Ziel ist es, durch diese Institution das ursprünglich staatliche Vorrecht der Giralgeldschöpfung wieder auf eine staatliche Institution zu verlagern, die aber dennoch unabhängig von der Regierung ist. Bislang wird die Giralgeldschöpfung praktisch ausschließlich von den Geschäftsbanken betrieben.

Diese Forderung geht unter anderem auf David Ricardo und Robert Torrens zurück, wurde von Irving Fisher unter dem Begriff „100%-Money“ vertreten, später von James Robertson und Joseph Huber unter dem Begriff Vollgeld veröffentlicht[10] und von Hans Christoph Binswanger, dem Doktorvater von Josef Ackermann, propagiert.

Werke

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ulrike Henning-Hellmich & Markus Henning: „Ohne eine Verbindung mit anderen emanzipatorischen Bewegungen hat die Ausbreitung der freiwirtschaftlichen Gedanken keine Chance“. Interview mit Bernd Senf am 13. März 2008 in Berlin (PDF)
  2. Vgl. etwa seine Artikel Orgonenergie - energetische Basis der Akupunktur und Erfahrungen mit der Bestrahlung durch den Orgon-Akkumulator.
  3. Senf forderte, dass das vorgeschlagene Projekt zu einer reichianischen Ökonomie „in dieser metaphysischen, unmaterialistischen Konzeption gestrichen werden muss.“
  4. Vgl. Veranstaltungsreihe mit Bernd Senf
  5. z. B. Bündnis 90/Die Grünen, Kreisverband Lauenburg: Bernd Senf referiert über Zinswirtschaft und Armut. 13. Februar 2008; Wachsende Armut: Welche Rolle spielen die Zinsen?. 28. Februar 2008;
    Teilnahme am Wilhelm-Reich-Symposium 2007
  6. Staatsgeheimnis Staatsschulden?, Plusminus, 2009
  7. Der Wahnsinn des durchdrehenden Kapitalismus – Analogien zwischen individuellem und kollektivem Wahn (1998) (PDF)
  8. Denunzieren statt Argumentieren - Die irrationale Abwehr der Zinskritik (2008) (PDF)
  9. Siehe Seite 64 in Bernd Senf: Der Tanz um den Gewinn. Von der Besinnungslosigkeit zur Besinnung der Ökonomie. Gauke Verlag für Sozialökonomie, Lütjenburg bei Kiel 2004, ISBN 3-87998-448-4, oder Bankgeheimnis Geldschöpfung (PDF)
  10. Geldschöpfung in öffentlicher Hand - Weg zu einer gerechten Geldordnung im Informationszeitalter, mit [[James Robertson (Autor)|]], Gauke Verlag, Kiel 2008; ISBN 978-3-87998-454-1
    überarbeitete dt. Ausgabe von Creating New Money. A monetary reform for the information age

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