Übermensch

Übermensch

Übermensch (lat. homo superior) ist ein Begriff aus dem philosophischen Denken. Als Übermensch wird ein „Idealmensch“ bezeichnet, der über das gewöhnliche Leben eines als normal und meist negativ bewerteten Menschen hinausgewachsen ist oder hinausstrebt.

Die früheste Prägung des Wortes Übermensch ist als „hyperanthropos“ bekannt und wurde schon im 1. Jahrhundert v. Chr. von Dionysios von Halikarnassos benutzt. Lukian verwendete im 2. Jahrhundert n. Chr. den Begriff, allerdings zum Spott auf die großen Herren der Welt, die im Totenreich auf ihre natürliche Größe zurechtgestutzt würden. In deutscher Sprache tauchte der Übermensch erstmals bei Hermann Rab, Provinzial der sächsischen Dominikanerprovinz, 1527 in einem Brief auf, wo er so etwas wie ein Schimpfwort für „Lutheraner“ ist.

Vom Übermenschen sprachen, jeweils mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt, unter anderem der Theologe Heinrich Müller in dem Werk Geistliche Erquickungsstunden (1664),[1] Johann Gottfried von Herder und der indische Philosoph Sri Aurobindo. Goethe gebrauchte den Ausdruck, wiederum in spöttischem Sinn, in seiner Tragödie Faust I („Welch erbärmlich Grauen fasst Übermenschen dich!“) und in seinem Gedicht Zueignung (1787).

Am weitaus bekanntesten ist aber die Übermensch-Konzeption von Friedrich Nietzsche.

Inhaltsverzeichnis

Der Übermensch bei Nietzsche

Nietzsche verwendet den Begriff Übermensch das erste Mal in seinen Jugendschriften in Bezug auf Lord Byron. In systematischer Weise taucht der Begriff des Übermenschen zuerst in seinem Werk Also sprach Zarathustra (1883–85) auf, auch wenn sein Konzept des Übermenschen schon in seinem Werk Menschliches, Allzumenschliches (1878) teilweise entwickelt ist. Nietzsche übernahm den Terminus vom französischen Philosophen Claude Adrien Helvétius, der vom „homme supérieur“ geschrieben hatte.

Aus Sicht Nietzsches ist es die Aufgabe des Menschen, einen Typus hervorzubringen, der höher entwickelt ist als er selbst. Diesen dem Menschen überlegenen Menschen nennt Nietzsche den Übermenschen, ein Begriff, welcher bei Nietzsche sowohl eine geistige als auch eine biologische Bedeutung hat.

Ewige Wiederkunft, Wille zur Macht und Nihilismus

Nietzsche verbindet vorerst den Gedanken des Willens zur Macht mit seiner Idee der Ewigen Wiederkunft. Der Gedanke der Ewigen Wiederkunft besagt, dass sich alle Ereignisse im Universum auf ewig wiederholen werden, da es nur endlich viele Zustände, jedoch eine unendlich lange Zeit gibt. Damit wurde alles, was der Mensch erlebt, von diesem schon unendlich oft erlebt und wird ebenso unendlich oft wieder durchlebt werden. Diesen Gedanken zu denken, ist für Nietzsche das Schwerste. Erst wer fähig ist, ihn zu ertragen, d.h. in die Interpretation des eigenen Lebens zu integrieren, der beweist sich als Übermensch und überwindet somit den Nihilismus der Ewigen Wiederkunft. In einem Akt der gänzlichen Einverleibung identifiziert sich der Übermensch mit der Ewigen Wiederkunft.

Darüber hinaus besitzt der Übermensch auch einen Überschuss an Lebenskraft und Willen zur Macht, was ihn zu besonderer Selbstbeherrschung und Selbstentfaltung befähigt. Er stellt somit eine radikale Lebensbejahung als Gegenentwurf zum Nihilismus dar. Der Übermensch gilt deshalb als Überwinder des Nihilismus. Er ist der Schöpfer neuer Werte, die er aus sich selbst bezieht und die anstelle der durch den Nihilismus zuvor zerstörten bzw. verneinten transzendenten Werte (Gott, Religion, ewige und unbezweifelbare moralische und erkenntnistheoretische Dogmen) nunmehr eine immanente, dem Leben zugewandte und dem Leben dienliche Entsprechung finden.

Aus dieser Perspektive wäre der Übermensch somit nicht eine neue Gattung, welche auf den von Nietzsche sogenannten „Letzten Menschen“ folgt, sondern er geht aus dem einzelnen Menschen hervor, der sich selbst überwunden hat. Trotzdem hat Nietzsches Übermensch auch noch eine andere, nämlich immoralistische und evolutionistisch-biologistische Seite.

Immoralismus und Biologismus

Das Ziel der Menschheit liegt nach Nietzsche nicht in der Zukunft oder im allgemeinen Wohlergehen der derzeit bestehenden Gattung, sondern in den immer wieder auftretenden „höchsten Exemplaren”, eben den Übermenschen. Aus dieser philosophischen Position resultiert seine Ablehnung der „idealistischen“ Interpretation des Übermenschen und die positive Einschätzung gerade von immoralistischen und nach Größe strebenden Machtmenschen wie Alkibiades, Julius Cäsar, Cesare Borgia oder Napoléon Bonaparte. So schrieb er in Ecce homo (1888):

„Das Wort »Übermensch« zur Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgeratenheit, im Gegensatz zu »modernen« Menschen, zu »guten« Menschen, zu Christen und andren Nihilisten – ein Wort, das im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkliches Wort wird – ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werte verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustras zur Erscheinung gebracht worden ist: will sagen als »idealistischer« Typus einer höheren Art Mensch, halb »Heiliger«, halb »Genie«... Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdächtigt; selbst der von mir so boshaft abgelehnte »Heroen-Kultus« jenes großen Falschmünzers wider Wissen und Willen, Carlyles, ist darin wiedererkannt worden. Wem ich ins Ohr flüsterte, er solle sich eher nach einem Cesare Borgia als nach einem Parsifal umsehn, der traute seinen Ohren nicht.“

Neben dem Idealismus weist Nietzsche hier auch den Zusammenhang mit dem Darwinismus zurück. Wie jedoch beispielsweise Rüdiger Safranski argumentiert, finden sich in Nietzsches Schriften durchaus darwinistisch-biologistische Ansätze, oft verbunden mit Gedanken zur Eugenik. Bereits im Zarathustra vergleicht Nietzsche die Entwicklung vom Affen zum Menschen mit der Entwicklung vom Menschen zum Übermenschen. In einem Notizbuch von 1884 schrieb Nietzsche, dass man durch Züchtung und der Vernichtung Millionen „Missratener“ den „zukünftigen Menschen“ gestalten soll. In der Genealogie der Moral (1887) findet sich der Gedanke, dass die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer einzelnen stärkeren Species Mensch geopfert werden könnte. Ziel sei es, eine Herrenkaste zu züchten, welche zur Herrschaft über Europa berufen sei. Schließlich spricht er in Ecce homo von der „Partei des Lebens“, welche die Höherzüchtung des Menschen und die Vernichtung alles „Entartenden“ und „Parasitischen“ in die Hand nimmt. Safranski schließt:

„Nietzsches Bild vom Übermenschen ist ambivalent, und es verbirgt sich darin ein existenzielles Drama. Der Übermensch repräsentiert einen höheren biologischen Typus, er könnte das Produkt einer zielstrebigen Züchtung sein; er ist aber auch ein Ideal für jeden, der Macht über sich selbst gewinnen und seine Tugenden pflegen und entfalten will, der schöpferisch ist und auf der ganzen Klaviatur des menschlichen Denkvermögens, der Phantasie und Einbildungskraft zu spielen weiß. Der Übermensch realisiert das Vollbild des Menschenmöglichen, und darum ist Nietzsches Übermensch auch eine Antwort auf den Tod Gottes.“

Nationalsozialismus

Die biologistische und immoralistische Seite von Nietzsches Übermenschen-Konzeption bot dem Nationalsozialismus die Möglichkeit, seine Lehre mit der „Herrenmenschen-Ideologie“ im Sinne des nationalsozialistischen Gesellschaftsmodells gleichzusetzen. Nietzsches Ablehnung des Nationalismus wurde von den Nazis nicht berücksichtigt. Maßgeblichen Anteil an dieser Interpretation hatte vor allem Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, die, im Gegensatz zu Nietzsche selbst, in einem Naheverhältnis zu national-völkischen Kreisen stand.

Der Übermensch in der Fiktion

→ Hauptartikel: Superheld, Bösewicht

In der Fantasy und der Science-Fiction spielt der Übermensch häufig eine bedeutende Rolle, was sich gerade im Bereich der Comicliteratur zeigt. Ursachen für das Auftreten von Personen mit besonderen Fähigkeiten sind dabei meist außerirdische Herkunft (z. B. Superman), medizinische Versuche (z. B. der Grüne Kobold), Unfälle (z. B. The Flash), Einwirkung von Göttern (z. B. Wonder Woman) oder Mutation (z. B. die X-Men; als Homo Sapiens Superior bilden sie eine eigene Art der Gattung Homo).

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Übermensch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

  • Rüdiger Safranski: Nietzsche. Biographie seines Denkens. Carl Hanser, München/Wien 2000, ISBN 3-446-19938-1, S. 267ff.
  • Wilfried Huchzermeyer: Der Übermensch bei Friedrich Nietzsche und Sri Aurobindo. Hinder + Deelmann, Gladenbach 1986, ISBN 3-87348-123-5.
  • Pierre Kynast: Friedrich Nietzsches Übermensch. Eine philosophische Einlassung. Projekte Verlag 188, Halle (Saale) 2006, ISBN 3-86634-158-X.

Einzelnachweise

  1. Walter Kaufmann: Nietzsche. Philosoph, Psychologe, Antichrist. Übersetzt von Jörg Salaquarda. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1982, ISBN 3-534-08769-0, S. 359.

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