Zeitroman

Zeitroman

Der Zeitroman ist eine Form des Romans, mit der versucht wird, die Gegenwart vollständig und nachvollziehbar darzustellen. Der Zeitroman analysiert die Gesellschaft bzw. die vorherrschenden Lebensbedingungen sowie deren Auswirkungen auf das Individuum. Da viele Autoren von Zeitromanen ihre Epoche als Krise oder Umbruch empfinden, können die als Analysen geschriebenen Romane häufig auch als „Zeitkritik“ bezeichnet werden.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsprägung

Achim von Arnim
Carl Leberecht Immermann, Stich von Franz Xaver Stöber, nach einer Zeichnung von Carl Friedrich Lessing
Günter Grass, 2004
Siegfried Lenz, 1969

Geprägt wurde der Begriff Zeitroman 1810 von Clemens Brentano für Achim von Arnims Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores.[1] Damit bezeichnete er eine erweiterte Form des Gesellschaftsromans, „die jedoch über die alleinige Darstellung der Gesellschaften oder eine ihrer Schichten hinausgreift. Es ist eine Romanform, die durch Darstellungen der Menschen und der Gesellschaft einer Zeit die betreffende Zeit selbst und die Epoche darstellt.[2] Der Zeitroman bemüht sich dabei meistens, wirklichkeitsgetreue Nachzeichnungen und Analysen der Gesellschaft zu einem objektiven Zeitbild zu verbinden und ist daher ein (..) Sondertyp des Historischen Romans.“[3]

Charakteristik

Charakteristisch ist sein sozial-politisches Engagement, das ihn nahe der Tendenzliteratur bringt, seine querschnitthafte Simultantechnik und das Nebeneinander von Zeitebenen.

Beispiele und Entwicklung

Der Zeitroman ist wesentlich für das 19. Jahrhundert. Als Begründer gilt Karl Leberecht Immermann (Epigonen, 1836; Münchhausen, 1838f.) – auch wenn Joseph von Eichendorff bereits mit Ahnung und Gegenwart 1815 einen Zeitroman veröffentlichte. Weitere Beispiele im Jungen Deutschland sind Heinrich Laube (Das junge Europa, 1833), Ludwig Tieck (Der junge Tischlermeister, 1836) Karl Gutzkow (Die Ritter vom Geiste, 1850) und Jeremias Gotthelf (Zeitgeist und Berner Geist, 1851) sowie Theodor Mundt. Später kann man Theodor Fontanes Der Stechlin (1892),[4] Gustav Freytags Soll und Haben (1855) und Werke Friedrich Spielhagens dazu zählen.

Beispiele aus dem 20. Jahrhundert sind Thomas Manns Der Zauberberg (1924),[5] Franz Werfels Barbara oder die Frömmigkeit (1929) oder Robert Musils Mann ohne Eigenschaften (1930). Überhaupt spielt das Genre eine wichtige Rolle in der Literatur der Weimarer Republik. Prominente Beispiele aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind Günter Grass' Die Blechtrommel (1959)[6], ebenso wie später die Werke von Heinrich Böll (Der Engel schwieg, 1949/50, postum 1992 veröffentlicht, Die verlorene Ehre der Katharina Blum, 1974), Siegfried Lenz (Deutschstunde, 1968) oder Martin Walser (Ehen in Philippsburg, 1957).

Weitere Beispiele für einen Zeitroman

Literatur

  • Peter Hasubek: Karl Gutzkows Romane "Die Ritter vom Geiste" und "Der Zauberer von Rom". Studien zur Typologie des deutschen Zeitromans im 19. Jahrhundert. Diss. Hamburg 1964
  • Peter Hasubek: Der Zeitroman. Ein Romantypus des 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 87, 1968; S. 218-245
  • Gabriele Henkel: Geräuschwelten im deutschen Zeitroman. Epische Darstellung und poetologische Bedeutung von der Romantik bis zum Naturalismus. Wiesbaden, Harrassowitz Verlag 1996, ISBN: 978-3447038270
  • Joachim Worthmann: Probleme des Zeitromans. Studien zur Geschichte des deutschen Romans im 19. Jahrhundert. Heidelberg 1974
  • Peter Mettenleiter, Stephan Knöbl (Hrsg.): Blickfeld Deutsch, Schöningh Verlag, 2003, S. 368.

Einzelnachweise

  1. Hildegard Emmel: Geschichte des deutschen Romans. Band I. Francke Verlag, Bern/München 1972.
  2. Vgl. Osman Durrani, Julian Preece: Reisende durch Zeit und Raum: der deutschsprachige historische Roman, Band 51. Rodopi 2001, S. 210. ISBN 9789042014053.
  3. Silke Müller, Susanne Wess: Studienbuch neuere deutsche Literaturwissenschaft, 1720-1848: Basiswissen. Lern-und Arbeitshilfen für Schule und Universität, Königshausen & Neumann 1999 S. 97. ISBN 978-3826017131
  4. Peter Hasubek: ... wer am meisten redet, ist der reinste Mensch, Band 152 von Philologische Studien und Quellen, Erich Schmidt Verlag 1998, S. 19.
  5. Hermann Kurzke: Thomas Mann: Epoche, Werk, Wirkung. Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte, C. H. Beck, München 1997, S. 210.
  6. Michael Lützeler: "Die Europa-Asien-Diskussion in Thomas Manns Zauberberg, in: Moderne begreifen: zur Paradoxie eines sozio-ästhetischen Deutungsmusters, hrsg. von Christine Magerski, Robert Ian Savage, Christiane Weller: , DUV 2007, S. 193. ISBN 978-3835060715.

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