Würmeiszeit

Würmeiszeit

Die Würmeiszeit, auch Würmkaltzeit oder Würmglazial, im Fachjargon aber meist nur kurz Würm genannt, ist die bisher jüngste der im Alpenraum aufgetretenen großräumigen Vergletscherungen, die über die Alpen selbst hinausgingen. Sie ist wie die meisten anderen Kaltzeiten des Pleistozäns nach einem Fluss benannt, nämlich der Würm in Bayern, einem Nebenfluss der Amper. Die Würmeiszeit kann auf den Zeitraum von etwa 115.000 bis 10.000 Jahre vor heute datiert werden, wobei die Angaben differieren, je nachdem, wie die langen Übergangsphasen zwischen Glazialen und Interglazialen (Warmzeiten) der einen oder der anderen Periode zugeordnet werden.

Die Vergletscherungen Nord- und Mitteleuropas, die ungefähr im selben Zeitraum wie die Würmeiszeit stattfanden, werden als Weichseleiszeit bezeichnet. Es ist jedoch schwierig, die verschiedenen Gletschervorstöße im Alpenraum zeitlich mit der Ausbreitung des skandinavischen Eisschilds zu korrelieren. Die Gleichsetzung der drei jüngeren Eisvorstöße des Pleistozäns in den Alpen (Mindel-, Riss- und Würmeiszeit) mit den drei großen Vorstößen des skandinavischen Eisschilds ins nördliche Mitteleuropa (Elster-, Saale- und Weichseleiszeit) wird heute von der Wissenschaft nicht mehr unterstützt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Zeitliche Einordnung

Loisachgletscher bei abklingender Eiszeit; Standort ist der südliche Abhang des Heubergs mit Blick nach Südosten auf Fricken, Wettersteingebirge, Kramer und Notkarspitze (v. links n. rechts); Acrylgemälde

Im Gelasium, also zu Beginn des Quartärs vor rund 2,6 Millionen Jahren, begann auf der Erde ein Eiszeitalter, das bis heute anhält. Charakteristisch für ein solches Eiszeitalter ist die Vereisung der Polkappen. Auf das Gelasium folgte das Pleistozän, das eigentliche Eiszeitalter, mit einer zeitlichen Staffelung mehrerer Warm- und Kaltzeiten. Letztere werden oft auch "Eiszeiten" oder "Glaziale" genannt. Die Warmzeiten werden als "Interglaziale" bezeichnet. Wiederholt traten die Gletscher aus den Alpen auf das nördliche Molassevorland aus und hinterließen dort Moränen und Schmelzwasserablagerungen von bis zu mehreren hundert Metern Mächtigkeit. Man teilt das Pleistozän in den Alpen heute in die Phasen des Biber-, Donau-, Günz-, Mindel-, Riß- und Würmglazials. In der Rißeiszeit (vgl. dazu die Saaleeiszeit in Nordeuropa) vollzog sich der weiteste Eisvorstoß in das Alpenvorland. Die jüngste Vorlandvereisung, die Würmkaltzeit, wies keine so weitgehende und geschlossene Front der Vergletscherung auf. Trotzdem ragen ihre Endmoränenzüge als Einzelloben, die den Gletscherzungen entsprechen, weit ins Vorland hinein. Wurden sie im Hochgebirge noch von den Talflanken eingeengt, so konnten sich die fließenden Gletschermassen im Vorland oft zu riesigen Gletschern vereinigen.

Die in der Würmeiszeit gebildeten Moränen und Schotterflächen sind am besten erhalten, da seither keine ähnlichen geologischen Vorgänge mehr folgten. Die eiszeitlichen Spuren wurden nicht durch weitere Gletscher ausgeschürft oder von ihren Sedimenten überlagert. Dadurch ist für die Würmeiszeit eine genauere Datierung möglich als für die vorangegangenen Glazialstadien.

Der Würmeiszeit ging die Eem-Warmzeit voran, die vor rund 126.000 Jahren begann und 11.000 Jahre dauerte. Dann kam es zu einer deutlichen Abkühlung, die jedoch durch fallweise Schwankungen der Durchschnittstemperaturen um mehrere Grad Celsius gekennzeichnet ist. Die verschiedenen Vorstöße und Rückzüge der Gletscher, die mit diesen Temperaturschwankungen verbunden sind, nennt man "Stadiale" mit eher niedrigen Temperaturen und "Interstadiale" mit höheren Temperaturen.

Das Würmglazial endete vor rund 10.000 Jahren mit dem Beginn des Holozäns. Auf die Eiszeit folgte wieder eine Erwärmung, die bis heute andauert und in der sich die Gletscher zurückbilden. Dennoch gab es auch im Holozän Temperaturschwankungen und postglaziale Eisvorstöße wie Steinach, Gschnitz, Daun und Egesen. Das Holozän wird nur als "Interglazial" des Eiszeitalters angesehen, da die Pole und die hohen Gebirgslagen noch immer vergletschert sind.


Zur stratigraphischen Chronologie vergleiche den "Schwester-Artikel" Weichseleiszeit.

Räumliche Ausdehnung

Innerhalb der Würmeiszeit können verschiedene Vorstöße und Rückzüge der Gletscher dokumentiert werden. Dies führte zu einer staffelartigen Anordnung der einzelnen Endmoränenwälle und -kuppen. In den Tallagen sammelten sich Schotter zu Niederterrassen, in die die heutigen Flüsse nur wenig einschnitten.

Der westlichste würmzeitliche Gletscher war der heute noch im Schweizer Kanton Wallis existierende Rhonegletscher. Eine seiner Gletscherzungen bildete die heutigen Seen Bielersee und Neuenburgersee. Der Rhonegletscher bedeckte das gesamte Schweizer Plateau und reichte bis in die Gegend des heutigen Solothurn und nach Aarau. In der Region Bern vereinigte er sich mit dem Aargletscher.

Der aus dem alpinen Rheintal herausragende Rheingletscher erreichte bei seinem äußersten Vorstoß Schaffhausen. In seinem fluvioglazial erodierten Zungenbecken liegt der heutige Bodensee, der deswegen als würmglazial bezeichnet werden kann. Weiter östlich folgten kleinere Loben des Iller- und Lechgletschers. Dessen Niederterrassenschotter weisen eine große Ausdehnung bis an die Donau auf.

Es schloss sich ostwärts der Isar-Loisach-Gletscher an und bildete die Gletscherzungen von Tölz, Wolfratshausen, Starnberg und Ammersee. In dessen Zungenbecken befinden sich heute Ammersee und Starnberger See. Durch das Abschmelzen des Eises wurden die Zungenbecken nach und nach von Norden nach Süden eisfrei und füllten sich mit Schmelzwasser. Somit entstand eine Seenlandschaft. Diese Seenlandschaft wurde sofort wieder mit Seeton und Deltaschotter aufgefüllt. Der Starnberger See hat sich bis heute ohne Zufluss erhalten, während der Ammersee schon zur Hälfte aufgefüllt worden ist. Besonders kurz war die Existenz des Wolfratshausener Sees; er wurde von Isar und Loisach schnell wieder verfüllt. Die Füllung der Becken hängt nicht so sehr von der Größe des es durchströmenenden Gerinnes als von dessen Geschiebe ab. Die Korngrößen (Schwebstoffe) sind von großer Bedeutung. Es wundert aus diesem Grund nicht, dass die meisten noch nicht verlandeten Seebecken in kalkalpinen Gegenden liegen. Obere Flüsse transportieren weniger Schwebstoffe als die aus kristallinen Gebieten. Die äußersten Randlagen der Eisströme seien noch erwähnt:

Die von Süd nach Nord um 300 Meter abfallende und entsprechend an Mächtigkeit verlierende Niederterrasse der Münchener Schotterfläche ist Würmgletschern zuzuordnen. In ihrem Nordteil kam es peri- und postglazial durch Grundwasseraustritte zu großen Quellmoorbildungen wie dem Dachauer Moos und dem Erdinger Moos.

Östlich an weit nach Norden ragende Moränenausläufer des Inngletschers schließen sich kleinere des Chiemseegletschers an. Die Endmoränen des Inn-Gletschers finden sich bei Haag in Oberbayern. Um Rosenheim bildete sich im Spätglazial ein großer Eisstausee, das Rosenheimer Becken mit über 150 Meter mächtigen Sedimenten. Auch der heutige Chiemsee stellt einen im Südteil aufgefüllten Schmelzwasserrestsee dar. Der östlichste der großen würmeiszeitlichen Gletscher, die bis ins Vorland ragten, war der Salzachgletscher mit mehreren Endmoränenstaffeln. Weiter östlich gelegene Gletscher haben das Vorland nicht erreicht, sondern sich auf die Alpen beschränkt.

Florenentwicklung

heutige Tundrenvegetation mit Dryas octopetala auf Spitzbergen

Die Vegetationsentwicklung seit dem Maximum der Würmeiszeit ist von großer Bedeutung. In dieser Phase herrschte im eisfreien nordwestlichen Europa eine subarktische Tundrenvegetation, die aus Ericaceen-armen Zwergstrauchgesellschaften (Betula nana, Salix polaris u.a.) sowie einer arktisch-alpinen Steinschutt- und Rasenvegetation bestand, die wegen der milden Sommertemperaturen einen großen Anteil von Arten aufwies, die heute die polare oder alpine Waldgrenze nicht überschreiten.
Insgesamt sind in diesem Gebiet über 330 Sippen nachgewiesen (Godwin 1975). Den unvergletscherten Raum Mitteleuropas zwischen dem nordischen Inlandeis und den vergletscherten Alpen besiedelte eine baumfreie Tundrenvegetation mit einem höheren Anteil an Steppenpflanzen (Artemisia, Chenopodiaceae, Poaceae), deren Reste vielfach in tonigen Ablagerungen von Seen erhalten geblieben sind. Nach der Hauptart - dem arktisch-alpinen Silberwurz (Dryas octopetala), werden diese fossilen Floren als Dryas-Floren bezeichnet.
Artbestimmungen, v.a. bei der Steppen- und Halbwüstenarten umfassenden Gattung Artemisia, sind noch nicht zahlreich. Die Vegetation in den Mittelgebirgen Europas, des nördlichen Alpenvorlands, auf den Höhen der nur von kleineren Gletschern bedeckten Gebirge und im nordöstlichen Europa bestand aus Schneeboden- und Solifluktions-Gesellschaften.
Südeuropa war während der Zeit der maximalen Eisausdehnung in großen Teilen waldlos, mit weit zerstreuten, voneinander isolierten Gehölzvorkommen an begünstigten Habitaten (Lang 1994). Es dominierten mediterrane und submediterrane Steppen mit zahlreichen Inseln offener Baumhaine (Gliemeroth 1995). Die Pollenwerte von Artemisia, Chenopodiaceaen, Poaceaen und von Ephedra sind relativ hoch. Danach dürften große Teile von Süd- und Südosteuropa, die außerhalb der Permafrostgrenze lagen, von Artemisia-Steppen beherrscht gewesen sein. In höheren Lagen der Gebirge traten vermutlich alpin-aride Gesellschaften auf. Auch in den submontanen Höhenlagen der süd- und südosteuropäischen Gebirge, besonders am Südwest- und Südrand der Alpen, auf dem Balkan, am Südrand der Karpaten und im südlichen Griechenland sowie an feuchten Flussniederungen (Galerie- und Saumwälder) werden voneinander isolierte Waldinseln vermutet. Diese Gebiete waren offensichtlich Überdauerungsgebiete für den Großteil der heutigen europäischen Gehölze (Birks & Line 1993, Lang 1994, Konnert & Bergmann 1995). Bei den Farnpflanzen sind z.B. die ursprünglichen diploiden Asplenium-Arten heute noch auf die kaltzeitlichen Rückzugsgebiete im Mediterran-Becken beschränkt, während die polyploiden Sippen nachkalt(eis)-zeitlich das restliche Europa erobert haben.

Siehe auch

Literatur

  • Roland Walter: Geologie von Mitteleuropa. Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1992, ISBN 3-510-65149-9
  • René Hantke: Eiszeitalter. Band 2: Letzte Warmzeiten, Würm-Eiszeit, Eisabbau und Nacheiszeit der Alpen-Nordseite vom Rhein- zum Rhone-System. Ott, Thun 1980, ISBN 3-7225-6259-7
  • Hans Graul, Ingo Schäfer: Zur Gliederung der Würmeiszeit im Illergebiet. Straub, München 1953. (Geologica Bavarica, 18).
  • Wolfgang Frey, Rainer Lösch: Lehrbuch der Geobotanik, Pflanze und Vegetation in Raum und Zeit. Elsevier Spektrum Akademischer Verlag, ISBN 3-8274-1193-9
  • Dirk van Husen: Die Ostalpen in den Eiszeiten, Aus der Geologischen Geschichte Österreichs, Geologische Bundesanstalt Wien, ISBN 3-900312-583
  • Rolf K. Meyer, Hermann Schmidt-Kaler: Auf den Spuren der Eiszeit südlich von München - östlicher Teil, Wanderungen in die Erdgeschichte, Band 8, ISBN 978-3931516093

Einzelnachweise

  1. „Die Gleichsetzung der drei jüngeren Glaziale ist nicht mehr haltbar, auch wenn dieses Schema immer wieder verwendet wird.“ (Wighart von Koenigswald: Lebendige Eiszeit. Theiss-Verlag, Stuttgart 2002, S. 34, ISBN 3-8062-1734-3)

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