Wolfgang Hildesheimer

Wolfgang Hildesheimer

Wolfgang Hildesheimer (* 9. Dezember 1916 in Hamburg; † 21. August 1991 in Poschiavo, Graubünden, Schweiz) war ein deutsch-jüdischer Schriftsteller und Maler. Er ist vor allem durch seine Hörspiele und Dramen bekannt geworden.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Wolfgang Hildesheimer wurde als Sohn jüdischer Eltern in Hamburg geboren. 1926 besuchte er das Humanistische Gymnasium in Mannheim, zwischen 1930 und 1933 die Odenwaldschule in Ober-Hambach. Danach wechselte er zur Frensham Heights School in Farnham, England. Ab 1934 machte er eine Tischlerlehre in Palästina, wohin seine Eltern emigriert waren. Ab 1937 studierte er Malerei und Bühnenbildnerei in London.[1]

1946 begann er eine Tätigkeit als Simultandolmetscher und Gerichtsschreiber bei den Nürnberger Prozessen. Er arbeitete danach als Schriftsteller und war Mitglied der Gruppe 47. Als Dramatiker feierte er internationale Erfolge. Für Aufsehen sorgte eine Rede, die er 1960 anlässlich der Internationalen Theaterwoche der Studentenbühnen in Erlangen unter dem Titel Über das absurde Theater hielt. 1980 hielt Hildesheimer die Eröffnungsrede der Salzburger Festspiele (Was sagt Musik aus).

Nachdem Hildesheimer in den 1940er Jahren unter anderem ein Gedicht aus Stefan Georges Das Jahr der Seele (1944) und Franz Kafkas Elf Söhne (1946) ins Englische übersetzt hatte, vermittelte er ab den 1950er Jahren vor allem englischsprachige Literatur. Nach allerlei Nebensächlichem übersetzte er Nightwood von Djuna Barnes (Nachtgewächs, 1959), einen Teil Finnegans Wake von James Joyce (Anna Livia Plurabelle, kommentierter Textbeginn 1966, ganzes Kapitel 1970) und ein Prosastück von Samuel Beckett (Wie die Geschichte erzählt wurde, 1973), außerdem übersetzte er zwei Theaterstücke von George Bernard Shaw (Die heilige Johanna, 1966, und Helden, 1970), wie er überhaupt auch als Dramatiker hauptsächlich englische Stücke vermittelte: zweimal Richard Brinsley Sheridan (Die Lästerschule, 1960, und Rivalen, 1961) und einmal William Congreve (Der Lauf der Welt, 1982); daneben allerdings auch ein Stück von Carlo Goldoni (Die Schwiegerväter, 1961). Außerdem übersetzte er die Bildunterschriften von Ronald Searles Which way did he go? (Quo vadis, 1962) und sechs Bildergeschichten von Ronald Searle (ab 1962).

Seine Erzählungen Lieblose Legenden entstanden 1950–1962 (die erste Sammlung in Buchform erschien 1952 mit Illustrationen von Paul Flora), wurden in zahlreiche Anthologien aufgenommen, im Rundfunk gesendet, übersetzt und in Schulbüchern pädagogisch aufbereitet; heute zählen sie zu den Klassikern der deutschen Nachkriegsliteratur. Für das Prosabuch Tynset (1965) erhielt er den Büchnerpreis und den Bremer Literaturpreis. Mozart (1977) wurde zum Bestseller, ist das meistübersetzte Werk Hildesheimers und zählt zu den Wegbereitern des Films Amadeus von Miloš Forman. Marbot. Eine Biographie (1981) ist eine fiktive Biografie und wurde von Zeitgenossen nicht unwidersprochen als Markstein der Postmoderne bezeichnet,[2], und die traurig-komische Prosa Mitteilungen an Max (1983) nannte Hildesheimer selbst das Satyrspiel nach den Tragödien. 1984 erregte er mit der Mitteilung Aufsehen, angesichts der zu erwartenden Umweltkatastrophen habe er das Schreiben eingestellt.

Nachdem er sich in Palästina und bis 1950 auch in Deutschland an einigen Ausstellungen beteiligt hatte, ab 1965 zahlreiche Einzelausstellungen veranstaltet hatte und sich auch wieder an Gemeinschaftsausstellungen beteiligt hatte, kehrte er nach dem Ende des Schreibens zu den Anfängen zurück und beschäftigte sich vor allem mit seiner besonderen Art der Collagen; der erste Sammelband erschien 1984: Endlich allein. Ähnliche, auch thematisch verwandte Doppelbegabungen sind im späten 20. Jahrhundert Peter Weiss, Günter Grass, Ror Wolf und Christoph Meckel.

Auszeichnungen

Werke

  • 1952 Lieblose Legenden. Erzählungen
  • 1953 Paradies der falschen Vögel. Roman
  • 1953 Begegnung im Balkanexpreß. Hörspiel (NWDR 1953)
  • 1954 An den Ufern der Plotinitza. Hörspiel (BR 1954; NDR 1956)
  • 1954 Prinzessin Turandot. Hörspiel [4]
  • 1955 Der Drachenthron. Komödie [5]
  • 1955 Das Opfer Helena. Hörspiel
  • 1958 Pastorale oder Die Zeit für Kakao. Theaterstück
  • 1960 Herrn Walsers Raben. Hörspiel
  • 1960 Über das absurde Theater. Rede
  • 1960 Die Eroberung der Prinzessin Turandot. Theaterstück[6]
  • 1961 Die Verspätung. Theaterstück
  • 1962 Vergebliche Aufzeichnungen. Programmatische Prosa
  • 1965 Tynset (Büchner-Preis, Bremer Literaturpreis)
  • 1970 Mary Stuart. Theaterstück
  • 1971 Zeiten in Cornwall
  • 1973 Masante. Roman
  • 1977 Mozart. Biografie
  • 1981 Marbot. Eine Biographie. [7]
  • 1983 Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge und anderes
  • 1984 Endlich allein. Collagen
  • 1984 Gedichte und Collagen. Hg. Volker Jehle
  • 1986 In Erwartung der Nacht. Collagen
  • 1988 Die Hörspiele. Hg. Volker Jehle
  • 1989 Die Theaterstücke. Hg. Volker Jehle
  • 1989 Signatur, Band 11 der von Hans Theo Rommerskirchen veranstalteten Reihe
  • 1990 Mit dem Bausch dem Bogen. Zehn Glossen mit einer Grafik. Hg. von Volker Jehle
  • 1991 Landschaft mit Phoenix. Collagen
  • 1991 Gesammelte Werke in 7 Bänden. Herausgegeben von Christiaan Lucas Hart Nibbrig und Volker Jehle. Suhrkamp, Frankfurt
  • 1991 Rede an die Jugend. Mit einem Postscriptum für die Eltern und zwei Collagen. Nachwort Christiaan L. Hart Nibbrig

Gespräche

  • Wolfgang Hildesheimer: Ich werde nun schweigen! Gespräch mit Hans Helmut Hillrichs. Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“ Hg. Ingo Hermann. Lamuv, Göttingen 1993[8]

Literatur

  • Dierk Rodewald Hg.: Über Wolfgang Hildesheimer. Suhrkamp (es), Frankfurt 1971
  • Elizabeth Petuchowski: „Emptiness“ and related Images of Wolfgang Hildesheimer’s „Tynset“ and „Masante“. Diss. masch. University of Cincinnati 1975 (DAI 36:6089 H-90 A; Ann Arbor, Michigan University Microfilms 1977 No. 76-5980)
  • Patricia Haas Stanley: Wolfgang Hildesheimers „Tynset“. Hain, Meisenheim 1978 (Hochschulschriften Literaturwissenschaft 38)
  • Burckhard Dücker: Wolfgang Hildesheimer und die Literatur des Absurden. Schäuble, Bensberg-Frankenforst 1976 (Deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft 1)
  • Heinz Puknus: Wolfgang Hildesheimer. Beck, München 1978
  • Volker Jehle: Wolfgang Hildesheimer. Eine Bibliographie. Peter Lang, Frankfurt 1984 (Helicon 3), ISBN 3-8204-5460-8
  • Heinz Ludwig Arnold Hg.: Wolfgang Hildesheimer. Text + Kritik #89-90, München 1986
  • Hans Joachim Beck: Der Selbstmord als eine schöne Kunst begangen. Prolegomena zu Wolfgang Hildesheimers psychoanalytischem Roman „Marbot. Eine Biographie.“ Peter Lang, Frankfurt 1986 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur, 911)
  • Heike Mallad: Komik im Werk von Wolfgang Hildesheimer. Reihe: Helicon 14. Peter Lang, Frankfurt 1994
  • Patricia H. Stanley: The Realm of Possibilities. Wolfgang Hildesheimer's Non-Traditional Non-Fictional Prose. University Press of America, Lanham, New York und London 1988
  • Volker Jehle Hg.: Wolfgang Hildesheimer. Reihe: Suhrkamp Taschenbuch Materialien STM. Suhrkamp, Frankfurt 1989
    • dsb.: Wolfgang Hildesheimer. Werkgeschichte. STM. Suhrkamp, Frankfurt 1990
      • Wolfgang Hildesheimer. Werkgeschichte. 2 Bände. Bautz, Nordhausen 2003 [9]
  • Patricia H. Stanley: Wolfgang Hildesheimer and His Critics. Camden House, Columbia 1993 (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture. Literary Criticism in Perspective)
  • Wolfgang Hirsch: Zwischen Wirklichkeit und erfundener Biographie. Zum Künstlerbild bei Wolfgang Hildesheimer. Lit, Hamburg 1997 (Reihe Schmalkalden 5)
  • Henry A. Lea: Wolfgang Hildesheimers Weg als Jude und Deutscher. Hans-Dieter Heinz, Stuttgart 1997 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 338)
  • Lena Christlova: Die Zeit ist niemals in den Fugen gewesen. Raum-zeitliche Modelle in der poetischen Welt von Wolfgang Hildesheimer. Hartung-Gorre, Konstanz 1999
  • Stephan Braese: Die andere Erinnerung. Jüdische Autoren in der westdeutschen Nachkriegsliteratur. Philo, Berlin 2001 (zugleich Habilitationsschrift), ISBN 386572227x ([10]
  • Franka Köpp, Sabine Wolf: Wolfgang Hildesheimer 1916 – 1991. Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin 2002 (Findbuch-Editionen)
  • Theo Rommerskirchen: Wolfgang Hildesheimer. In: viva signatur si! Remagen-Rolandseck 2005, ISBN 3-926943-85-8
  • Sven Scheer: „Seid lünglich von uns keinem geküßt“. Leben und Werk. Zur Freundschaft von Günter Eich und Wolfgang Hildesheimer. In: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 7, 2005, S. 224–244

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Profil bei Suhrkamp
  2. Hanns-Josef Ortheil: Das Lesen: ein Spiel. Postmoderne Literatur? Die Literatur der Zukunft? In: Die Zeit, 17. April 1987; widersprochen von Reinhard Baumgart: Postmoderne? Fröhliche Wissenschaft? Über eine lange verschleppte, leer gedroschene Frage. ebd. 16. Oktober 1987
  3. Erstsendung NWDR 29. Jan. 1954; mit veränd. Schluss SDR 10. Okt. 1954; Dramafassung: Der Drachenthron 1955, dann 1960 (Druck ohne Jahresangabe) als Drama ohne das "wankelmütige Happy-end". Erstauff. durch die Junge Bühne Heilbronn bereits 1959 nach unten scrollen, nach ca. 1/4 der Seite: ihre Heirat mit dem Prinzen wird jetzt ausgeschlossen. Hörspielfassung (unklar, welche) in NWDR & SDR Hgg.: Hörspielbuch 1955. EVA Frankfurt 1955 S. 81 - 132
  4. Hörspielpreis der Kriegsblinden; siehe "Auszeichnungen"; siehe auch 1960
  5. Die erste Dramafassung der "Prinzessin Turandot"
  6. Hörspielversionen und dramat. Erstfassung als "Drachenthron" siehe 1955. Druck ohne Jahresangabe, 1960 lt. Dt. Nationalbibliographie; s. auch Köpp/Wolf, Lit. ISBN 3831129436, S. 207
  7. Fiktive Biografie
  8. geglätteter Text eines am 8. April 1990 vom ZDF ausgestrahlten Gesprächs
  9. korrigiert, überarbeitet, ergänzt und mit Bibliographie versehen
  10. Hildesheimer ist einer von 3 Autoren, die als Schwerpunkt dargestellt werden

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