Wolfgang Biermann

Wolfgang Biermann
Wolfgang Biermann erläutert Erich Mielke Arbeitsunterlagen des VEB Kombinat „7.Oktober“ (1970)

Wolfgang Biermann (* 29. November 1927 in Leipzig; † 18. Juli 2001 im Saarland) war von 1975 bis 1989 Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena und in den 1980er Jahren Leiter der Projektgruppe für territoriale Rationalisierung in Jena, welche sich mit der Stadtentwicklung und Sanierung der thüringischen Stadt Jena beschäftigte.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Mit 17 Jahren trat Biermann 1944 in die NSDAP ein.[1] Biermann war 1946 bis 1947 Mitglied der LDPD und wurde 1952 Mitglied der SED und 1976 Mitglied des Zentralkomitees der SED. In seiner Heimatstadt Leipzig absolvierte er eine Maschinenschlosserlehre und ein Fernstudium zum Ingenieur für Maschinenbau. Er war langjährig als Generaldirektor im VEB Werkzeugmaschinenkombinat „7. Oktober“ in Berlin tätig und wurde 1966 mit dem Ehrentitel Held der Arbeit ausgezeichnet.

Übergabe der 1-Megabit-Speicherschaltkreise an Erich Honecker

Um die Rentabilität des Kombinates VEB Carl Zeiss Jena zu erhöhen, wurde er im Oktober 1975 vom ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen Günter Mittag als Generaldirektor eingesetzt. Mehrmals konnte der VEB Kombinat Carl Zeiss Jena technische Entwicklungen präsentieren, die internationalem Niveau entsprachen, u. a. die Entwicklung der Multi-Spektral-Kamera MKF6 – einer Kamera zur Aufnahme der Erdoberfläche in verschiedenen Spektralbereichen aus dem Erdorbit in den 1970er Jahren oder die Präsentation des ersten 1-MBit-Speicherschaltkreises U61000 im Wirtschaftsraum des RGW am 12. September 1988.

Biermann promovierte zweimal und hielt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena gelegentlich Vorlesungen im Bereich Wirtschaftswissenschaften mit einem eigenen Lehrstuhl. Auf die vollständige Nennung seines Namens als Prof. Dr. Dr. Biermann legte er im offiziellen Bereich, etwa im Schriftverkehr, großen Wert.

1989 war gegen ihn ein Gerichtsverfahren wegen Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums anhängig. Er hatte Exponate aus dem Optischen Museum Jena, welches zahlreiche Exponate aus der Produktionsgeschichte der Zeiss-Werke ausstellt, im Wert von 280.000 Mark an offizielle Besucher verschenkt. Ein Haftbefehl der DDR konnte nicht vollstreckt werden, weil Biermann von der Funktion des Generaldirektors zurücktrat und noch vor der deutschen Wiedervereinigung nach Saarbrücken in die Bundesrepublik übersiedelte.

Nach der Wiedervereinigung war Biermann im Saarland und in Köln noch mehrere Jahre als Wirtschaftsberater tätig.

Bereits in den 1980er Jahren erlitt Biermann zweimal einen Herzinfarkt. 2001 verstarb er an den Folgen eines weiteren Infarktes.

Einschätzung

Biermann wird ein charismatischer Charakter und ein absolutistisch-autoritärer Führungsstil sowie ein beleidigender und schikanöser Umgang gegenüber den direkten Untergebenen – den Betriebsdirektoren des Kombinats – nachgesagt. Andererseits war er bekannt für den freundschaftlichen Umgang mit den Arbeitern und Angestellten der Betriebe und den Bürgern der Stadt Jena, deren Interessen er oft persönlich vertrat und deren Sympathien er gewinnen konnte.

Biermann war bekannt für einen Arbeitseinsatz von mehr als 16 Stunden täglich an mehreren Tagen hintereinander (auch an Wochenenden). Regelmäßig soll er täglich mindestens 12 Stunden tätig gewesen sein. Biermann verlangte diese Einsatzbereitschaft unter völliger Zurückstellung privater Interessen auch von seinen unmittelbaren Mitarbeitern und Untergebenen, deren Verständnis er nicht fand und die ihn deshalb oft als Ausbeuter, Sadist und Leuteschinder bezeichneten.

Seinen Führungsstil beschrieb der Zeiss-Boss, der jeden duzte, für sich aber Wert auf die Anrede General legte, vor Mitarbeitern so:

„Bei mir kriegt jeder Leiter een Strick um den Hals, den zieh’ ick langsam zu, und manchmal laß’ ick etwas nach.“[2]

Um Biermann rankten sich im Jenaer Raum bereits zur Zeit seiner Tätigkeit als Generaldirektor viele Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt heute oft nicht mehr nachprüfbar ist. So soll er beispielsweise die Betriebsdirektoren an einem Sonntagmorgen kurzfristig in sein Büro im 14. Stockwerk bestellt haben, stellte aber den Betrieb der Fahrstühle ein und kanzelte die Betreffenden, als sie zum Teil erschöpft und zu spät eintrafen mit dem Argument ab, dass man immer mit technischen Störungen zu rechnen hätte.

Eine andere Geschichte berichtet, dass Biermann in den 1980er Jahren während eines starken Wintereinbruches die Betriebsdirektoren einbestellte und diese persönlich nach Ausgabe entsprechender Gerätschaften zur Schneebeseitigung heranzog und gleichzeitig eine Auswahl Werktätiger auf Kosten des Kombinates in den Betriebskantinen mit warmen Getränken versorgte.

Mit persönlichen Anliegen konnten sich die Jenaer Bürger direkt an Biermann als Leiter der Projektgruppe für territoriale Rationalisierung wenden. Er vertrat deren Interessen, oft auch über die offiziellen ökonomischen und gesetzlichen Möglichkeiten hinaus. Häufig wurde von dieser Möglichkeit bei unaufschiebbaren Sanierungsmaßnahmen von Wohngebäuden Gebrauch gemacht. Bei Schwierigkeiten mit Behörden bewirkte in Jena in den 1980er Jahren allein die Bemerkung "Wir machen eine Eingabe an Prof. Biermann" ein unmittelbares Einlenken: Biermann war seinerzeit in Jena die Autorität schlechthin und überstimmte als Mitglied des Zentralkomitees u. a. auch den Oberbürgermeister und andere Organe des Stadtrates.

Andererseits konnte man unversehens dem Unmut Biermanns ausgeliefert sein: Werktätige berichteten auch über das cholerische und jähzornige Auftreten Biermanns, der großen Wert auf Arbeitsdisziplin legte. So kam es mehrmals vor, dass Biermann zu Schichtbeginn um 7 Uhr persönlich stichprobenartig an einem Werkstor der zahlreichen Teilbetriebe kontrollierte, ob die Werktätigen pünktlich erschienen. Arbeitern, die wenige Minuten zu spät kamen, zerriss er den Betriebsausweis (mit dem sich jeder beim Betreten und Verlassen des Werksgeländes am Werkstor legitimieren musste) mit der sinngemäßen Bemerkung: "Du bist fristlos gefeuert!"

Bekannt war Biermann in Jena auch durch seinen luxuriösen-absolutistischen privaten Lebensstil, mit dem er sich oft über bestehende Gesetze und Vorschriften hinwegsetzte: So wurde in den 70er Jahren ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude – das Wohnhaus des Theologen Karl von Hase – abgerissen, weil dieses ihm von seinem Wohnsitz die Aussicht in die Umgebung von Jena beeinträchtigte.

1988 wurde unter großem Aufwand eine Ausflugsgaststätte auf einem der Jenaer Berge rekonstruiert und zu Repräsentationszwecken (Empfang und Bewirtung offizieller Gäste) von Biermann bereitgehalten. Dieses Objekt wurde zu diesem Zweck allerdings nie genutzt und noch vor der Wiedervereinigung von Biermann in seiner Funktion als Leiter der Projektgruppe für territoriale Rationalisierung der Allgemeinheit als Ausflugsgaststätte unter dem ursprünglichen Namen Wilhelmshöhe zur Verfügung gestellt.

Im Jahr 1987 bekam er den Karl-Marx-Orden und ein Jahr später den Nationalpreis der DDR verliehen.

Einzelnachweise

  1. Dietmar Remy: Kaderauswahl und Karrieredeterminanten beim Kombinat VEB Carl Zeiss Jena. S. 59
  2. Du knallst aufs Pflaster. In: Der Spiegel. Nr. 16, 1990, S. 127-129 (online).

Literatur

Weblinks

 Commons: Wolfgang Biermann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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