Wissenschaftstheoretischer Strukturalismus

Wissenschaftstheoretischer Strukturalismus

Das Strukturalistisches Theorienkonzept oder auch Wissenschaftstheoretischer Strukturalismus (nicht zu verwechseln mit dem "linguistischen" Strukturalismus), ist ein seit Anfang der 1970er Jahre entwickeltes wissenschaftstheoretisches Forschungsprogramm, in dem vom herkömmlichen Theorienbegriff, der Theorien als reine Mengen von Sätzen auffasst, abgegangen wird und stattdessen von einer semantischen Sichtweise ausgegangen. Die Benennung "Strukturalistisches Theorienkonzept" wurde von Yehoshua Bar-Hillel eingeführt.

Inhaltsverzeichnis

Theoriebegriff

Im wissenschaftstheoretischen Strukturalismus wird eine Theorie als ein nicht rein sprachliches Gebilde angesehen, bestehend aus einer den mathematischen Strukturkern festlegenden Modellklasse, den intendierten Anwendungen, einer Datenmenge und einem Approximationsapparat. Der Strukturkern ist als Mathematisches Modell per Definition widerspruchsfrei. Zudem hat der Strukturkern selbst allgemein nur wenig bis gar keinen empirischen Gehalt und ist damit weitgehend immun gegenüber Falsifikation. Empirischen Gehalt erhält eine Theorie im Wesentlichen erst durch Einführung von Spezialgesetzen und Querverbindungen zu anderen Theorien (Theoriennetze). Die Menge der intendierten Anwendungen kann modifiziert werden, wenn sich abgeleitete empirische Sätze (Spezialgesetze) aufgrund der Datenlage als falsch herausstellen.

Als universelle Sprache der empirischen Wissenschaft gilt im Strukturalismus die Mengenlehre.

Geschichte

Obwohl ursprünglich zur wissenschaftstheoretischen Begründung physikalischer Theorien entwickelt, sind bisher auch viele nichtphysikalische Theorien innerhalb des wissenschaftstheoretischen Strukturalismus rekonstruiert worden.

Wesentliche Beiträge lieferten Patrick Suppes, Joseph D. Sneed, Wolfgang Stegmüller, Carlos Ulises Moulines und Wolfgang Balzer. Ähnliche Forschungsprogramme, welche manchmal auch unter wissenschaftstheoretischen Strukturalismus eingeordnet werden, wurden auch von Günther Ludwig und Erhard Scheibe entwickelt.

Anregung für die Entwicklung des strukturalistischen Theorienkonzepts war zum einen die von Thomas Kuhn beschriebene historische Entwicklung der Wissenschaften und zum anderen die Problematik der theoretischen Begriffe.

Literatur

  • J.D. Sneed, The Logical Structure of Mathematical Physics. Reidel, Dordrecht, 1971 (revised edition 1979).
  • Wolfgang Balzer: Die Wissenschaft und ihre Methoden. Grundbegriffe der Wissenschaftstheorie (Alber, 1997), ISBN 3495478531
  • Wolfgang Stegmüller: Die Entwicklung des neuen Strukturalismus seit 1973, 1986
  • Wolfgang Stegmüller: The Structuralists View of Theories, 1979
  • Erhardt Scheibe, Between Rationalism and Empiricism. Selected Papers in the Philosophy of Physics., Brigitte Falkenburg (Editor), Springer, 2001, ISBN 0387985204
  • W. Balzer, C.U. Moulines, J.D. Sneed, An Architectonic for Science: the Structuralist Approach. Reidel, Dordrecht, 1987.
  • Stephan Zelewski: Strukturalistische Produktionstheorie, 1993

Weblinks


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