Wienerlied

Wienerlied

Das Wienerlied ist ein Lied, das aus Wien stammt und die Stadt Wien zum Thema hat oder etwas charakteristisch Wienerisches besingt (nach Harry Zohn ein Lied „aus, über und für Wien“). Daher ist der Text meist wienerisch. Es verbreitet Gemütlichkeit und Humor (auch schwarzen Humor und Spott), stammt aus der Welt der Kleinkunst in den Singspielhallen und wurde gelegentlich zum Volkslied. Leichtlebigkeit und Vergänglichkeit (Vanitas) werden melancholisch, unbeschwert oder auch satirisch betrachtet. Oft wird im Wienerlied selbstreferentiell das klingende Lied aus Wien besungen.

Am beliebtesten war das Wienerlied vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ursprünge

Das Schrammelquartett um 1890

Kein Wienerlied ist uralt. Der Ausdruck Wienerlied stammt erst aus der Zeit der Urbanisierung der Stadt Wien nach 1850, als man das Volkstümliche und Ursprüngliche zu vermissen begann. Seine moderne Vermarktung stand im Gegensatz zu den vormodernen Inhalten, die es besingt. Als erstes Wienerlied wird oft „Ei, du lieber Augustin!“ genannt. Allerdings ist in der einschlägigen Forschung seit langem bekannt, dass die Melodie schon vor 1800 als böhmisches Walzerlied weit verbreitet war. Ab 1799 war das Lied in Wien populär und erfuhr zahlreiche Bearbeitungen, sei es für das Theater oder als Parodie.

Das Wienerlied hängt eng mit schriftlicher Überlieferung und mit den zunehmenden Musikdrucken nach 1800 zusammen. Daher sind die Autoren meistens bekannt. Es steht in der Tradition der Bänkelsänger, Leiermänner und Harfenisten, deren Darbietungen dadurch aber nicht abgelöst wurden, sondern nebeneinander bestanden. Das Wiener Volksliedwerk kennt mehrere Quellen für das Wienerlied

  • Straßenlied
  • Theatercouplet (z.B. Johann Nestroy, Ferdinand Raimund)
  • Kunstlied (z.B. Franz Schubert)
  • Vorträge professioneller "Volkssänger" (z.B. Johann Baptist Moser, 1799-1863, der anstelle des Absammelns fixe Eintrittspreise einführte und den pädagogischen Anspruch erhob, das Niveau des Wienerliedes zu heben. Klavier oder Streichmusik lösten die Harfe ab)
  • Ländliche Lieder
  • Operette, Varieté, Kabarett (z.B. „Draußen in Sievering“ von Johann Strauss (Sohn), „Ich bin ein Wienerkind“ von Franz Lehár oder „Im Prater blüh'n wieder die Bäume“ von Robert Stolz).

Blütezeit

1852 regelte die k.u.k. Nö Statthalterei das Volkssängerwesen. Zur Erlangung einer - nur einjährigen - Lizenz waren Unbescholtenheit, musikalische und sonstige Bildung Voraussetzung. Das Mindestalter für den Leiter eines Ensembles war 30, für Mitglieder 20 Jahre. Es durften nicht mehr als vier Personen und (offiziell bis 1871) keine Frauen mitwirken. Texte und Benehmen wurden behördlich überprüft. Populäre Interpreten traten in Lokalen und Singspielhallen auf, wie Johann Fürst, Edmund Guschelbauer, Carl Lorens oder Josef Matras. Volkssängerinnen wie die "Fiaker-Milli" Emilie Turecek-Pemer, Antonie Mannsfeld oder Fanny Hornischer waren beim Publikum äußerst beliebt. Auch Opernsänger und Schauspieler wie Alexander Girardi oder Hermann Leopoldi widmeten sich dem Wienerlied.

Bekannte Autoren waren Wilhelm Wiesberg („Das hat ka Göthe gschriebn“) oder Carl Lorens („Die Weana Gemütlichkeit stirbt niemals aus“), Gustav Pick mit seinem Fiakerlied ("I führ zwa harbe Rappen", 1885).

In der Zwischenkriegszeit, speziell zur Zeit der Weltwirtschaftskrise manifestierte sich auch im Wienerlied die sentimentale Sehnsucht nach der Belle Epoque vor 1914 ("Herr Doktor, erinnern Sie sich noch ans Zwölferjahr?", oder Robert Katschers: "der Dr. Lueger hat mir die Hand gereicht" aus Essig und Öl).

Nach dem Anschluss Österreichs 1938 wurden Wienerlieder von jüdischen Textdichtern und/oder Komponisten verboten, so u.a. das erwähnte und überaus populäre Fiakerlied, "Im Prater blühn wieder die Bäume" (der Textdichter, Kurt Robitschek, war Jude) oder die Kompositionen von Hermann Leopoldi.

Vom „Wienerlied“ gibt es zahlreiche Parodien und Persiflagen. Gerhard Bronner („Die alte Engelmacherin“), Peter Wehle („Steh auf, liebes Wien“), Helmut Qualtinger, Hermann Leopoldi und Georg Kreisler („Der Tod muss ein Wiener sein“, „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“) verwendeten die Stilform des Wienerlieds auch als Kabarettlied.

Roland Neuwirth beim Heurigen Bamkraxler (2000)
Ernst Molden, Willi Resetarits und Walther Soyka (2009)

Aktualisierungen

In den 1970er-Jahren erfolgte die Wiedererweckung des Wienerliedes in unterschiedlichen Richtungen. Der Jurist und ausgebildete Sänger Eberhard Kummer nahm bereits 1973 beim ORF (Radio Wien, Karl Grell) Lieder aus den berühmten Kremser-Alben (1911) auf, 1975 wurden diese auf einer Langspielplatte herausgegeben, 1978 und 1981 folgten CDs .[1] Wie auch bei seinen anderen Produktionen folgt Kummer der historischen Aufführungspraxis und begleitet sich mit Drehleier, Harfe oder Gitarre. Er kannte diese aus seiner Familientradition, während sie von der Allgemeinheit nicht mehr rezipiert wurden. Seither wurden die Lieder in diesen Alben von mehreren anderen Künstlern aufgegriffen und Ende der 1980er gab es eine Gesamteinspielung. [2].

Einen ganz anderen Weg schlugen Künstler wie André Heller, Karl Hodina oder Roland Neuwirth ein, die Traditionelles mit modernen Musikstilen wie Jazz oder Blues vermischen. Weitere bekannte Interpreten neuer Wienerlieder sind der Schriftsteller Ernst Molden, der Knopfharmonika-Spieler Walther Soyka oder der Kammerschauspieler Franz Wyzner.

Seit dem Jahr 2000 versucht das jährlich stattfindende Festival wean hean, das Wienerlied einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Darüber hinaus wurde 2008 erstmals das Festival echt:wien veranstaltet, das neben dem Wienerlied auch Dialekt-Literatur und Wiener Küche auf dem Programm hat.

Instrumentalbegleitung

Die bei Eduard Kremser zitierten typischen Instrumente haben ihren Ursprung bei den Linzer Geigern, die zwei Geigen und eine kleine Bassgeige („Bassettl“) verwendeten. Im Kupferstich Herumziehende Musikanten in Wien von Opitz (Ende des 18. Jh.) sind zwei Geiger, ein Harfenist und ein Fagottist im Quartett gezeichnet.

Um 1850 ersetzte die eben erfundene Kontragitarre die unhandliche Harfe, und der Klarinettist Georg Dänzer im Schrammel-Quartett spielte ab 1884 die hohe G-Klarinette (das „Picksüße Hölzl“) zu dieser und den zwei Geigen. Nach Danzers Tod wechselte man die (mittlerweile unbeliebte) Klarinette gegen die ab 1882 gebaute Schrammelharmonika aus, die in hohen Lagen einen ähnlichen Klang besaß. Daraus entwickelte sich das sogenannte Packl, ein Duo aus Kontragitarre und Schrammelharmonika.

Literatur

Ausgaben

  • Jürgen Hein (Hrsg.): Wienerlieder. Von Raimund bis Georg Kreisler. [Textsammlung], Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 3-15-018211-5
  • Eduard Kremser (Hrsg.): Wiener Lieder und Tänze, 3 Bde. [Klavierauszüge], Gerlach & Wiedling, Wien 1911

Sekundärliteratur

  • Elisabeth Th. Fritz, Helmut Kretschmer (Hrsg.): Wien Musikgeschichte. Teil 1: Volksmusik und Wienerlied. Bd. 6. Lit-Verlag, Wien 2006, ISBN 3-8258-8659-X.
  • Susanne Schedtler (Hg.): Wienerlied und Weanatanz (Beiträge zur Wiener Musik, Bd.1), Löcker Verlag, Wien 2004
  • Walter Deutsch und Helga Maria Wolf: Menschen und Melodien im alten Österreich, Wien 1998.
  • Hans Hauenstein: Interpreten des Wienerliedes. Karner, Wien 1979.
  • Hans Hauenstein: Chronik des Wienerliedes. Jasomirgott-Verlag, Klosterneuburg 1976.
  • Rudolf Sieczyński: Wienerlied, Wiener Wein, Wiener Sprache. Wiener Verlag, 1947.
  • Josef Koller: Das Wiener Volkssängertum in alter und neuer Zeit. Wien 1931.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Alt-Wiener Volkslieder Wien: Preiser und Köln: EMI-Electrola ASD, 1978 (Teil I) bzw. 1981 (Teil II) (Schallplatte); Neuauflage (CD): Wien: Preiser bzw. Naxos Deutschland, 1997
  2. Wienerliededition aus den Kremser Alben, 1989-1996 (15CDs), Walter Berry, Heinz Zednik (und teilw. Angelika Kirchschlager), ORF CD. vermutl. auch viele andere, keine Einspielungen bekannt

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