Wertphilosophie

Wertphilosophie

Die Axiologie ist die Lehre von den moralischen Werten, ein Unterbereich der Ethik. Sie entwickelte sich laut Oskar Kraus schon in der altgriechischen Philosophie. Die moderne Lehre von den Werten ist die Wertphilosophie (Axiologie, Timologie, Werttheorie, Wertlehre).

Der wertende Mensch stellt zwischen seinen Maßstab (Wertmaßstab) und einem Gegenstand Beziehung her, welche den Wert der Sache darstellt. Der bewertende Mensch fällt somit ein Werturteil, welches seine Bewertung zum Ausdruck bringt.
Beruht der Wertmaßstab auf einem subjektiven Lustgefühl durch Bedürfnisbefriedigung, dann entsteht eine psychologische Werttheorie, so beschäftigt sich u. a. die subjektive Wertethik mit dem Wert an sich als Forschungsobjekt. Die mannigfaltigen Gefühlsarten und Bedürfnisse der Menschen führen auch zu gänzlich differierenden Wertungen, - was der eine hoch erachtet, betrachtet ein anderer wiederum geringschätzig. Ansichten, welche den Werten an sich nur relative Bedeutung und Geltung zugestehen, zählen zum Wertrelativismus als besonderer Form des Relativismus. Der Wertrelativismus erkennt eine Absolutheit der Werte nicht an, sondern knüpft deren Gültigkeit an bestimmte Menschen, Gemeinschaften, Kulturen (Kulturrelativismus) oder Epochen. Die Wertpsychologie untersucht die seelischen Vorgänge der Wertungen.

Als sich die Naturwissenschaften in der Neuzeit von der alma mater Philosophie ablösten, entstanden auch Wertlehren ohne philosophischem Bezug. Darunter fielen unter anderem ökonomiebasierende Werttheorien wie etwa im 17ten Jh. von William Petty, Richard Cantillon, N. Barbon und John Law of Lauriston oder im 18ten Jh. von Adam Smith und David Ricardo. Um ihren ursprünglichen Charakter zu wahren und sich auch terminologisch gegen die anderen Werttheorien abzugrenzen, benannte in der Mitte des 19ten Jh. die Gruppe um Rudolf Hermann Lotze die Axiologie in Wertphilosophie um und erweiterten die bis dahin nur ökonomisch verwendete Begrifflichkeit des Wertes um eine neue Dimension durch die Verknüpfung mit dem Begriff Geltung. Diese Umfirmierung sollte zum Ausdruck bringen, dass der Wertbegriff unmissverständlich und unverrückbar über Metaphysik und Logik herrsche. Die wiederentdeckte Disziplin war Nährboden mehrerer Gedankenansätze einer Theorie der Werte im 19ten Jh. und Anfang des 20ten Jh.

Die prominentesten Theorien waren

  • der Neukantianismus der Badischen Schule von Heinrich Rickert, Rudolf Hermann Lotze und Wilhelm Windelband, welche den Wert rein formal in etwa als Sollen verstehen. Dieses Sollen weist Transzendenz auf und unterscheidet sich damit vom als empirisch erachteten Sein. Die Erklärung der zunächst als wertfrei verstandenen Natur erwächst aus dem Verständnis der zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten im Unterschied zur geschichtlichen Kultur, welche sich durch ihre Leitwerte definiert. Diese Werte bilden ein eigenes Reich und haben unbedingte Geltung, obwohl sie nicht existieren. Die beiden Dimensionen prallen aufeinander in Schopenhauers Weltknoten. Damit bezeichnen die Neukantianer die bewertenden Handlungen der Menschheit, welche sich dann als Werte in der Realität manifestieren und kulturelle Güter erzeugen.
  • die Lebensphilosophie von Friedrich Nietzsche, welcher die Weltanschauung als Ergebnis von Wertschätzungen als "physiologische Forderungen zur Erhaltung einer bestimmten Art von Leben" und Werten definiert. Diese Wertschätzung kommt im Willen zur Macht zum Ausdruck. Deshalb fordert er eine Umwertung aller Werte und entwirft eine verbindliche Wertehierarchie, welche der Übermensch anführt.

Windelband erklärte die Wertephilosophie zur kritischen Wissenschaft von den allgemein gültigen Werten. Darin unterscheide sie sich von den 'exakten' Wissenschaften, welche natürliche Gesetzmäßigkeiten und spezielle Phänomene erforschen und systematisieren. Die Wertephilosophie sei jedoch die differentia specifica und damit das eigentliche Zentrum der philosophischen Bemühungen.
Die Einordnung der Axiologie erfolgt bis heute sehr unterschiedlich. Einige Autoren zählen sie zur Morallehre (Lapie), andere wie Scheler ordnen sie zur Unterscheidung von der Praxeologie (Lehre vom Handeln) als Analogie zur logischen Lehre ein und Ehrenfels sieht darin eine "Psychologie der Wertungen".

Zeitgenössische Beobachter beschreiben die moderne Wertelehre als Fundament der meisten philosophischen Teildisziplinen, da sie den Anspruch erhebt, Logik, Ethik, Erkenntnistheorie, Rechtsphilosophie, Kulturphilosophie, Religionsphilosophie, soziale Philosophie, politische Philosophie, Ökonomie und Ästhetik zu bewerten und zu kritisieren. Des weiteren verlangt sie ihren Platz zwischen theoretischer und praktischer Philosophie und sieht sich folglich als interdisziplinärer Vermittler zwischen Grundlagenforschung und (technischer) Umsetzung des erworbenen Wissens. Aus diesem Anspruch erwächst wiederum die Forderung, zwischen jeder Befruchtung der Kultur durch erforschtes Wissen zu stehen.

Die Gelenkfunktion zwischen Theorie und Praxis formulierte Paul Ricœur als Aufgabe der Axiologie "einen Weg zu suchen zwischen dem Apriorismus der Werte, der den enthüllenden und kreativen Charakter der Freiheit unterschätzt, und dem radikalen Aposteriorismus, der die Werte zu Projektionen der Wahl reduziert".

Wertesysteme sind zum einen komplex und zum anderen sehr sensibel. Werte sind die Fundamente einer Weltanschauung, bestimmen nachhaltig Denken und Handeln der Menschen und wirken sinnstiftend auf den Einzelnen wie auch auf Gruppen, Gemeinschaften und Staaten. Die Vulnerabilität von Wertesystemen offenbart sich in den Identitätskrisen, welche sich aus Krisen der Werte ergeben und allzu oft in Kriege als ultima ratio einer kämpferischen Ideologie ausufern.

Die moderne Axiologie entstand zur Zeit der großen Bewusstseinskrise, in deren Verlauf spekulatives Denken und die großen philosophischen Systeme an Wertung verloren. Spätestens nach den Erfahrungen der beiden Weltkriege und des Holocausts, welche Vernunft, Menschlichkeit und allgemein zugeordnete Werte in Frage stellten, gelangte die Wertephilosophie wieder ins öffentliche Bewusstsein. Dieser Prozess beschleunigte sich während des Widerstreits der beiden großen Wertesysteme im Kalten Krieg, als sich die Axioligie 1958 anlässlich der ideologischen Grabenkämpfe während des zwölften Weltkongresses der Fédération Internationale des Societes de Philosophie (FISP) in eine bürgerliche und eine marxistische Fraktion aufspaltete. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs versöhnten sich die beiden Parteien und erkannten selbstkritisch, dass einseitige Diskurse zu Legitimation eines Wertesystems Erkenntnisse blockieren.
Seit den 1990ern beschäftigt sich die Axiologie vorwiegend mit Fragestellungen die Europäische Gemeinschaft betreffend bezüglich des demokratischen Zusammenlebens und der gemeinsamen "Europäischen Werte". Zentrale Fragestellung ist dabei, ob Europa nun zum (axiologiefreien, da Werte nur prima facie Gültigkeit haben, siehe Anscheinsbeweis ) Rechtssystem mutiert oder aber zu einer altruistisch orientierten Wertegemeinschaft zusammenwächst. (siehe auch "Charta der Europäischen Identität" von 1995 und "Charta der Grundrechte der Union" von 2003)

Begrifflichkeiten

Stehen zwei Werte im Konflikt und lassen sie sich nicht beide realisieren, ohne einen zu gefährden, so spricht die Axiologie von einer Wertantinomie.

Wertblindheit bezeichnet das Fehlen des Gefühls für bestimmte Werte, also der Verlust der axiologischen Wahrnehmung.

Zur Begriffsentwicklung siehe Begriffsklärung Axiologie.

Quellen

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