Werberelevante Zielgruppe

Werberelevante Zielgruppe
Marktanteile der acht großen Sender
im Fernsehjahr 2009/2010 (in %)[1]
Sender „Zielgruppe“ Gesamt
Das Erste 6,8 12,9
ZDF 6,2 12,4
RTL 18,1 13,4
Sat.1 11,0 10,4
ProSieben 12,1 6,7
VOX 7,8 5,7
Kabel eins 6,1 3,9
RTL 2 6,1 3,9

Der aus dem Marketing stammende Begriff Werberelevante Zielgruppe oder Kernzielgruppe bezeichnet die Marktanteile der Fernsehsender bei einer vom Alter her eingegrenzten Zuschauerschaft, die vor allem für die werbefinanzierten Privatfernsehsender von Bedeutung ist. In Deutschland beschreibt die Zielgruppe die 14- bis 49-jährigen. Die Eingrenzung der Zielgruppe variiert von Land zu Land geringfügig, so beschreibt die Zielgruppe in Österreich die 12- bis 49-jährigen und in den USA die 18- bis 49-jährigen. Es handelt sich dabei um den Stamm der Zuschauerschaft, der bei der Berechnung der Preise für Werbeschaltungen im Programm eine Rolle spielt. Begründet wird eine derartige Eingrenzung von Werbewirtschaft und Sendern damit, dass Menschen in diesem Alter sich im Allgemeinen im Berufsleben befinden, somit über Kaufkraft verfügen und in ihrem Kaufverhalten als nicht derart festgelegt angesehen werden wie ältere Konsumenten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

In den USA wurde solch eine Abgrenzung vom Fernsehnetwork American Broadcasting Company (ABC) etwa 1957 geschaffen, um sich von den wesentlich quotenstärkeren Networks CBS und NBC abzugrenzen und im relativen Vergleich besser abzuschneiden. Diese Zielgruppendefinition setzte sich in den 1960er Jahren aufgrund der damaligen demografischen Entwicklung in den USA durch und wurde zur „quantitativen Grundlage für Planungsentscheidungen“ [2]. In Deutschland wurde der Begriff Anfang der 1990er Jahre vom damaligen RTL Television-Programmdirektor Helmut Thoma eingeführt. Anders als in den USA orientierte sich die Zielgruppe in Deutschland nicht an der Altersstruktur der Konsumenten, sondern war von Beginn an eine „Konvention, die in erster Linie als Grundlage für die Abrechnung von Fernsehwerbung dient“.[3]

Kritik

In einem Beitrag des Medienmagazins Zapp des NDR Fernsehens im Jahr 2008 bezeichnete der ehemalige RTL-Vermarktungschef Uli Bellieno die Zielgruppenfestlegung als „wunderbaren Vermarktungstrick“ seines Programmdirektors im Wissen um die größtenteils älteren Zuschauer bei den erheblich quotenstärkeren Konkurrenzsendern und als „Verzweiflungstat“, um kommerziell erfolgreich gegen die anderen Sender zu bestehen. Dieser willkürlich eingeführte Gradmesser für den „Erfolg“ von Fernsehprogrammen habe bei dem damaligen Luxemburger Kleinstsender den Zuschaueranteil künstlich nach oben getrieben. „Es ist eigentlich eine ziemlich unsinnige Zielgruppe“, denn 49 Jahre sei „überhaupt kein richtiger Schnitt“. Schließlich arbeiten und konsumieren die Menschen üblich erheblich länger, sind also ebenfalls werberelevant „und zwischen 14, 25, 36 (Jahren) usw. liegen riesige Welten.“ Im selben Beitrag kommt der Werbeexperte Bernd M. Michael der Werbeagentur Grey zu Wort und nennt die Erschaffung der werberelevanten Zielgruppe eine „willkürliche Abgrenzung zu dem überwiegenden Teil derer, die die Öffentlich-Rechtlichen sehen“, eine „wunderbare Lüge“ und „könnte man nicht seriös begründen“. Durch die Begrenzung auf dieses Zuschaueralter hoffte RTL, die insgesamt stark unterdurchschnittlichen Zuschauerzahlen besser an die Werbebranche vermarkten zu können, da diese junge Zuschauergruppe im Vergleich zum Gesamtpublikum eher das eigene Programm einschaltete und der Sender so in einem eingegrenzten Altersspektrum höhere Marktanteile generieren konnte, als die über Jahrzehnte etablierten öffentlich-rechtlichen Sender.[4] Der zitierte Zapp-Beitrag wurde in der Branche jedoch durchaus kritisch betrachtet und mitunter als einseitig beschrieben.[5]

Bei der Abgrenzung wird absichtlich unter anderem das sehr hohe verfügbare Einkommen der älteren Zuschauer ausgelassen. Eine Umfrage aus den 1990er-Jahren unterstellt, diese Gruppe wäre zu klein und zu wenig zu einem Produktmarkenwechsel bereit, wohingegen andere Umfragen keinerlei Unterschiede ergeben. In der Werbebranche ist die Abgrenzung daher höchst umstritten. Auch, da die Demografie Deutschlands durch den demografischen Wandel einen immer geringeren Anteil an Kindern und einen stark wachsenden Anteil an älteren Menschen ergibt, die Altersstruktur sich also stark zu Gunsten der Älteren verschiebt.[3]

Aufgrund der umstrittenen Definition der Werberelevanz bis 49 Jahre gab es in der Vergangenheit auch Versuche, die im Marketing weitgehend akzeptierte Grenze zu umschreiben. Beispielsweise berichtet die ARD über die Marktanteilsquote einer Fernsehsendung bei VOX: „In der für den Kölner Privatsender wichtigen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen…“[6]

Ansätze zur Neudefinition

Im Hinblick auf die demografische Entwicklung und damit perspektivisch wegfallende Werbeeinnahmen bei den Privatsendern, werden von den Sendern und den Werbevermarktern der Sender Vorschläge für eine Neudefinition der werberelevanten Zielgruppe gemacht. So schlug Martin Kraft, Geschäftsführer von RTL-Vermarkter IP Deutschland, im Gespräch mit dem Branchendienst DWDL.de im April 2009 die 20- bis 59-jährigen als neue Zielgruppe vor.[7] Der Vermarkter der ARD, Sales & Services, weist bereits die Marktanteile bei den 20- bis 59-jährigen aus.[8] Von einer solchen Änderung würden an den Marktanteilen gemessen in erster Linie die öffentlich-rechtlichen Sender profitieren, wohingegen die Privatsender - außer Sat.1 - Marktanteile einbüßen würden.[9] Im Gegensatz dazu ist ProSiebenSat.1 mit ihrem Vermarkter SevenOne Media gegen eine derartige Veränderung. In einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sprach sich der Senderchef von Sat.1, Andreas Bartl, gegen eine Verlagerung der Zielgruppe aus.[10] Diese hätte erhebliche Auswirkungen auf die Marktanteile des Schwestersenders ProSieben, der zur Zeit zweitstärkster Sender in der Zielgruppe ist und durch eine Verlagerung etwa drei Prozentpunkte Marktanteil einbüßen würde und auf Platz 4 hinter Sat.1 und Das Erste zurückfallen würde.[11][9]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Fernsehjahres-Marktanteile der einzelnen Sender auf Quotenmeter.de (abgerufen am 6. August 2010)
  2. Horst Stipp: Media-Planung in den USA: Fernsehwerbung und die über 49-Jährigen. Die Diskussion über Werbung und ältere Zielgruppen. In: Media Perspektiven 10/2004, S. 483–488
  3. a b Dieter K. Müller: Kaufkraft kennt keine Altersgrenze – Ein kritischer Beitrag zur Werberelevanz von Alterszielgruppen (PDF, 182 kB; abgerufen am 5. August 2010)
  4. Sebastian Bellwinkel, Timo Großpietsch: Privatsender - Milliardendeals durch erfundene Zielgruppe, Zapp-Beitrag vom 17. September 2008 auf der Video-Plattform YouTube (abgerufen am 20. August 2010)
  5. Thomas Lückerath: »Zapp«: Gescheiterter Versuch, RTL zu entlarven, 17. September 2008 auf DWDL.de (abgerufen am 20. August 2010)
  6. ARD-Videotext Tafel 411 vom 1. September 2010: Quoten: Guter Abend für die ARD mit einer Erwähnung der überdurchschnittlich erfolgreichen Musikcastingshow X Factor auf VOX
  7. Thomas Lückerath:IP Deutschland für neue werberelevante Zielgruppe, 18. April 2009 auf DWDL.de (abgerufen am 5. August 2010)
  8. Thomas Lückerath: DWDL weist ab sofort auch die Zielgruppe 20-59 aus, 15. Juli 2010 auf DWDL.de (abgerufen am 5. August 2010)
  9. a b Uwe Mantel: Zielgruppe 20-59 Jahre: So sähe der TV-Markt aus, 15. Juli 2010 auf DWDL.de (abgerufen am 5. August 2010)
  10. Michael Hanfeld: ProSiebenSat.1-Vorstand Andreas Bartl – Ist Vierzig wirklich das neue Zwanzig?, 23. Juli 2010 auf faz.net (abgerufen am 5. August 2010)
  11. Timo Niemeier: Bartl: ‚14 bis 49 bleibt unsere Währung‘, 25. Juli 2010 auf Quotenmeter.de (abgerufen am 5. August 2010)

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