Ward Churchill

Ward Churchill
Ward Churchill bei einer Rede auf der „Bay Area Anarchist Book Fair“ im Mai 2005

Ward LeRoy Churchill (* 2. Oktober 1947 in Urbana, Illinois, USA) ist ein US-amerikanischer Professor, Schriftsteller und politischer Aktivist für die Rechte der indianischen Bevölkerung. Er war Professor für Ethnic Studies an der University of Colorado in Boulder.

Inhaltsverzeichnis

Leben vor 2005

Churchill engagiert sich seit Jahrzehnten als Aktivist und hat zahlreiche Bücher geschrieben. Nach seiner Geburt in Urbana (Illinois) wuchs er in Elmwood (Illinois) auf. Er wurde 1966 in die United States Army eingezogen und diente unter anderem im Vietnamkrieg. Er erhielt seinen Master-Abschluss 1975 an der University of Illinois at Springfield (damals Sangamon State University). Danach arbeitete er an der University of Colorado at Boulder. Als Außerordentlicher Professor (Associate Professor) ohne Doktortitel wurde er 1990 in Colorado eingestellt. 1992 erhielt er von der Alfred University für seine Geschichtsvorlesung einen Ehrendoktor. 1997 erhielt er in Colorado eine Vollprofessur.

Seit 1984 ist er Vize-Direktor im American Indian Movement of Colorado. Er leitet in Denver dabei den jährlichen Protest gegen Kolumbus-Tag (aufgrund der Kolonialtaten von Kolumbus). Von der Oberorganisation American Indian Movement ist die Organisation in Colorado getrennt, die Leitung des nationalen AIM kritisierte Churchill und andere unter anderem dafür die Miskitos trotz ihrer Zusammenarbeit mit Contra-Paramilitärs in Nicaragua in den 1980ern unterstützt zu haben und warf ihnen enge Zusammenarbeit mit den US-Behörden gegen AIM-Interessen vor.[1]

Essay-Kontroverse 2005

Einer breiten Öffentlichkeit wurde er durch die Kontroverse um seinen im Januar 2005 veröffentlichten Essay Some People Push Back bekannt. Darin bezeichnete er die Beschäftigten im World Trade Center als „Little Eichmanns“ (kleine Eichmänner) und Angehörige eines „technokratischen Korps im Herzen des globalen amerikanischen Finanzimperiums“.[2] Die Anschläge vom 11. September 2001 seien deswegen ein unausweichliches Ergebnis der US-Außenpolitik gewesen. Churchill erweiterte seinen Essay im Jahr 2003 zu einem Buch. Unter dem Titel On the Justice of Roosting Chickens führt er dabei eine kommentierte Liste der Auslandsinterventionen der Vereinigten Staaten nebst umfangreichem Fußnotenapparat auf.

Das Essay wurde sehr kontrovers aufgenommen und unter anderem der Kanzler von Colorados Universität, Phil DiStefano, kritisierte ihn. Unter anderem der Gouverneur von Colorado, Bill Owens, und Parlamentsabgeordnete forderten Churchills Entlassung. Die teils heftigen Angriffe führte zum Rücktritt der Präsidentin der Universität, die vor einer Neubelebung des McCarthyismus warnte.[3] Kurz darauf trat Churchill als Dekan des Fachbereichs Ethnic Studies mit der Begründung zurück, im momentanen politischen Klima den Fachbereich nicht mehr präsentieren zu können.[4]

Untersuchung gegen ihn und Entlassungsprozess

Im März 2005 wurde von der Universität eine Untersuchung gegen Churchill eingeleitet. Im Untersuchungsbericht des „Standing Committee on Research Misconduct“ der Universität wurde eingestanden, dass er in seiner Forschung sehr aktiv gewesen sei („atypical but impressive record“), man kam aber zu dem Ergebnis, dass es verschiedenes Wissenschaftliches Fehlverhalten („several forms of academic misconduct“) gegeben habe, insgesamt wurden sieben Fälle solches Verhaltens vorgeworfen.[5] Darüber inwiefern Sanktionen erfolgen sollten bestand keine Einigung. Am 26. Juni 2006 erklärte der Interim Chancellor Phil DiStefano die Absicht, Churchill seines Postens an der University of Colorado zu entheben.[6] Eine Kommission der Universität (Privilege and Tenure Committee) zu den Anschuldigungen wies zwei der Fälle als ungenügend zurück und empfahl mehrheitlich Churchill in eine geringe Position als eine Vollprofessur zu degradieren. Im Juli 2007 wurde Churchill dann von der Universität entlassen.[7] Einige Beobachter sind der Ansicht, dass diese Untersuchung als Vergeltung für Churchills kontroverse Aussagen über die Attacken auf das World Trade Center erfolgten und sehen es als Verletzung der akademischen Freiheit.[8][9]

Churchill hat gegen seine Entlassung Rechtsmittel eingelegt. Im April 2009 wurde vom Gericht entschieden, dass die Entlassung rechtswidrig war, da nach Gerichtsansicht seine politischen Ansichten wesentlich zur Entlassung beigetreten haben. Damit wurde auch seine Wiedereinsetzung angeordnet.[10][11] Ein Amtsrichter in Denver urteilte im Juli 2009, dass die Universität rechtliche Immunität genieße und die Entlassung deswegen nicht aufgehoben werden muss. Churchill hat gegen diese Entscheidung wiederum Rechtsmittel eingelegt.[12]

Ethnischer Hintergrund

Churchill berichtete, väterlicherseits von den Muscogee und Creekindianern sowie mütterlicherseits von den Cherokee abzustammen[13], er gab ein Achtel Creek und ein Sechzehntel Cherokeeabstammung an.[14] Er ist außerdem Stammesmitglied der Keetoowah Band of Cherokee Indians, eine Ehrenmitgliedschaft, die nicht von Indianervorfahren abhängig ist.

Laut einer Zusammenfassung von Churchills Herkunft durch die Rocky Mountain News von 2005 nach seinem Essay handelt es sich bei der Indianerabstammung hingegen um eine fehlerhafte Familienlegende, die Churchill von seiner Mutter fälschlich berichtet wurde. Es gebe keine Hinweise auf einen indianischen Vorfahren. Churchill selbst sieht sich unabhängig davon als Indianer, da er ohne Abstammung u.a. durch das Leben in indianischer Gesellschaft noch drei von vier Kriterien erfülle um als Indianer anerkannt zu werden.[15][16]

Die Betrachtung war insoweit Gegenstand einer öffentlichen Auseinandersetzung als Churchill seine Universitätsanstellung im Rahmen einer "special opportunity position" erhielt und somit vorgeworfen wurde, er erhielte die Stellung wegen einer angeblichen indianischen Abstammung. Die Universität erklärte, dass man jedoch keine Person aufgrund einer ethnischen Abstammung einstelle und verfolgte den Fall hinsichtlich einer falschen oder vorgetäuschten Ethnizität nicht weiter.[17]

Werke

Bücher

  • Ward Churchill: Marxism and Native Americans. South End Press, Boulder (Colorado, USA) 1984, ISBN 978-0-89608-178-9.
    • dt. Das indigene Amerika und die marxistische Tradition : eine kontroverse Debatte über Kultur, Industrialismus und Eurozentrismus hrsg. von Ward Churchill, übersetzt von Regine Geraedts und Ilse Utz, Agipa-Press, Bremen 1993, ISBN 3-926529-03-2
  • Ward Churchill: Culture versus Economism: Essays on Marxism in the Multicultural Arena. Indigena Press, 1984.
  • Ward Churchill, Jim Vander Wall: Agents of Repression: The FBI's Secret Wars Against the Black Panther Party and the American Indian Movement. South End Press, Boulder (Colorado, USA) 1988, ISBN 978-0-89608-294-6.
  • Ward Churchill, Jim Vander Wall: The COINTELPRO Papers: Documents from the FBI's Secret War Against Domestic Dissent. South End Press, Boulder (Colorado, USA) 1990, ISBN 978-0-89608-359-2.
  • Ward Churchill: Fantasies of the Master Race: Literature, Cinema, and the Colonization of American Indians. Common Courage Press, 1992, ISBN 978-0-87286-348-4.
  • Ward Churchill and Jim Vander Wall (Hrsg.): Cages of Steel: The Politics of Imprisonment in America, Activism, Politics, Culture, Theory, Vol. 4, Maisonneuve Press 1992, ISBN 978-0-944624-17-3 Re-released as Ward Churchill and Jim Vander Wall (Hrsg.): Politics of Imprisonment in the United States. AK Press 2004, ISBN 978-1-904859-12-3
  • Ward Churchill: Struggle for the Land: Indigenous Resistance to Genocide, Ecocide and Expropriation in Contemporary North America. Common Courage Press 1993, ISBN 978-1-56751-000-3 (hardcover: ISBN 978-1-56751-001-0) Released in a revised and expanded edition as Ward Churchill: Struggle for the Land: Native North American Resistance to Genocide, Ecocide and Colonization. San Francisco CA: City Lights Publishers 2002, ISBN 978-0-87286-414-6 (hardcover: ISBN 978-0-87286-415-3) (One essay in this book has been accused of containing a plagiarized paragraph).
  • Ward Churchill: Indians Are Us?: Culture and Genocide in Native North America. Common Courage Press, 1994, ISBN 978-1-56751-020-1 (gebunden: ISBN 978-1-56751-021-8).
  • Ward Churchill: Since Predator Came: Notes from the Struggle for American Indian Liberation. Aigis Press, 1995, ISBN 978-1-883930-03-5.
  • Ward Churchill: From a Native Son: Selected Essays on Indigenism 1985-1995. South End Press, Boulder, Colorado 1996, ISBN 978-0-89608-553-4.
  • Ward Churchill: Islands in Captivity: The International Tribunal on the Rights of Indigenous Hawaiians. Boulder CO: South End Press 1997, ISBN 978-0-89608-567-1 (hardcover: ISBN 978-0-89608-568-8) Re-released as Ward Churchill, Sharon Venne (co-editor): Islands in Captivity: The International Tribunal on the Rights of Indigenous Hawaiians. Boulder CO: South End Press 2005, ISBN 978-0-89608-738-5)
  • Ward Churchill, Mike Ryan: Pacifism as Pathology: Notes on an American Pseudopraxis. Pacifism as Pathology: Reflections on the Role of Armed Struggle in North America. Arbeiter Ring, 1998, ISBN 978-1-894037-07-5 (Einleitung von Ed Mead).
  • Ward Churchill: A Little Matter Of Genocide: Holocaust And Denial In The Americas 1492 To The Present. City Lights Books, San Francisco 1998, ISBN 978-0-87286-323-1 (gebunden: ISBN 978-0-87286-343-9).
  • Ward Churchill: Draconian Measures: The History of FBI Political Repression. Common Courage Press, 2000, ISBN 978-1-56751-058-4 (gebunden: ISBN 978-1-56751-059-1).
  • Ward Churchill: Acts Of Rebellion: The Ward Churchill Reader. Routledge, 2002, ISBN 978-0-415-93156-4 („library binding“: ISBN 978-0-415-93155-7).
  • Ward Churchill: Perversions of Justice: Indigenous Peoples and Angloamerican Law. City Lights Books, San Francisco 2002, ISBN 978-0-87286-411-5 (gebunden: ISBN 978-0-87286-416-0).
  • Ward Churchill: On the Justice of Roosting Chickens: Reflections on the Consequences of U.S. Imperial Arrogance and Criminality. AK Press, 2003, ISBN 978-1-902593-79-1.
  • Ward Churchill: Kill the Indian, Save the Man: The Genocidal Impact of American Indian Residential Schools. City Lights Publishers, San Francisco 2004, ISBN 978-0-87286-434-4.
  • Ward Churchill: Speaking Truth in the Teeth of Power: Lectures on Globalization, Colonialism, and Native North America. AK Press, 2004, ISBN 978-1-904859-04-8.
  • Ward Churchill: To Disrupt, Discredit And Destroy: The FBI's Secret War Against The Black Panther Party. Routledge, 2005, ISBN 978-0-415-92958-5 (gebunden: ISBN 978-0-415-92957-8).
  • Ward Churchill, Natsu Saito: Confronting The Crime Of Silence: Evidence Of U.S. War Crimes In Indochina. AK Press, 2006, ISBN 978-1-904859-21-5.

Artikel

Audio und Video

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bellecourt, Vernon. United States Government War Against the American Indian Movement, AIM Council on Security and Intelligence, November 3, 1999.
  2. Essay Some People Push Back
  3. Der Spiegel: Uni-Präsidentin tritt zurück, 9. März 2005
  4. Ward Churchill Resigns Administrative Post, University of Colorado at Boulder, 31. Januar, 2005
  5. Report of the Investigative Committee of the Standing Committee on Research Misconduct at the University of Colorado at Boulder concerning Allegations of Academic Misconduct against Professor Ward Churchill S. 6, 94 (pdf), University of Colorado at Boulder May 9 2006
  6. Denver TV channel report on the recommendation to dismiss Churchill
  7. Jefferson Dodge: Regents dismiss Ward Churchill. In: Silver & Gold Record, 26. Juli 2007. Abgerufen am 8. Januar 2008. 
  8. Mike Littwin: Witch hunt apparently pays off at CU. In: Rocky Mountain News. 18. Mai 2006, S. 7A.
  9. Tom Mayer: The Report On Ward Churchill. In: Swans Commentatary (19. Juni 2006). Abgerufen am 21. Juli 2010.
  10. Johnson, Kirk & Seelye, Katharine Q.: Jury Says Professor Wrongly Fired, N.Y. Times. 3. April 2009. Abgerufen am 2. April 2009. 
  11. Juror Bethany Newill talks about the Ward Churchill trial. Michael Roberts, Denver Westword Blogs, 3. April 2009
  12. Ward Churchill begins appeal of decision The Daily Camera; February 19, 2010
  13. Ward Churchill, An American Holocaust? The Structure of Denial, in Socialism and Democracy 2003 Bd. 17 Nr. 2, S. 25–76
  14. Federal Indian Identification Policy: A Usurpation of Indigenous Sovereignty in North America, The State of Native America: Genocide, Colonization and Resistance, in M. Annette Jaimes | editor = Jaimes, M. Annette (ed.), South End Press Boston 1992, ISBN 089608424-8, S. 123–138
  15. Kevin Flynn, The Churchill files; Are Ward Churchill's claims of American Indian ancestry valid? [1] Rocky Mountain News 9. Juni 2005
  16. Faith Attaguile, Colorado American Indian Movement: Why do you think we call it struggle?, 2005
  17. Charlie Brennan, Stuart Steers: Red-flagged career: Churchill's tenure at CU marked by warnings of trouble. In: Rocky Mountain News, 17. Februar 2005. 

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