Walter Freeman

Walter Freeman

Walter Jackson Freeman (* 14. November 1895; † 31. Mai 1972) war ein amerikanischer Psychiater. Er stammte aus einer Familie mit gutem Ruf und studierte in Yale. Als 29-Jähriger übernahm er die Leitung der Psychiatrischen Klinik in Washington D.C.. 1936, als bereits angesehener Neurologe führte er in der Klinik der George Washington University in der Hauptstadt die erste frontale Lobotomie durch.

Inhaltsverzeichnis

Psychiatrie Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA

In den psychiatrischen Kliniken herrschten menschenunwürdige Bedingungen. Die verwahrlosten Patienten wurden in überfüllten, verdreckten Zimmern zusammengepfercht und mit Elektroschocks behandelt, wenn überhaupt irgendeine Art von Therapie durchgeführt wurde. 1946 zeigte die Zeitschrift „Life“ dem breiten Publikum mit schockierenden Bildern die unvorstellbaren Zustände in den Kliniken, was die Öffentlichkeit zutiefst erschütterte. Der Traum von der Heilung Geisteskranker war aktuell wie noch nie.

Methode der Wahl: die Lobotomie

Auf der Suche nach einer Therapie für Manisch-Depressive oder einfach Auffällige stieß Freeman auf eine Arbeit des Portugiesen Egas Moniz. Moniz war der Meinung, dass man mit Durchtrennung von Nerven, die vom Stirnlappen zum Thalamus verlaufen, seelische Krankheiten heilen könne. Studien über die Wirksamkeit existierten nicht, für Freeman war die von Moniz so genannte Leukotomie dennoch die Methode der Wahl. Moniz erhielt für diese „Innovation“ 1949 den Nobelpreis. Nachfahren von lobotomierten Patienten setzen sich heute dafür ein, dass ihm dieser posthum aberkannt wird. Freeman verfeinerte zusammen mit dem Neurochirurgen James W. Watts das Verfahren und nannte es von nun an Lobotomie.

Entwicklung der eigenen Operationsmethode: der transorbitale Zugang

Freeman stellte 1937 auf der Tagung der American Medical Association seine Erfahrungen mit den ersten 20 Patienten vor und propagierte die „Befreiung“ der Operierten aus überbelegten, schlechtbeleumundeten Nervenheilanstalten. Zwar standen seine Kollegen auf und beschimpften die Methode als barbarisch; das Skalpell wurde ihm dennoch nicht verwehrt.

Freeman entwickelte eine schonendere Methode: Den Patienten musste nicht mehr der Kopf geschoren werden, auch die große Narbe blieb ihnen erspart. Stattdessen verwendete er anfangs einen Eispickel aus der eigenen Eiskammer (daraus resultiert eine andere Bezeichnung des Verfahrens: „Eispickel-Methode“). Das „Instrument“ wurde durch die Orbita nach Durchbruch des dünnen Knochens am Orbitadach in das Schädelinnere getrieben und durch rotierende Bewegungen der „erkrankte“ Teil des Gehirns zerstört. Beim Patienten blieben – außer einem Bluterguss („Veilchen“) am Auge – keine äußeren Schäden zurück. Die Operationsmethode ist so einfach, dass diese nur von einer einzigen Person durchgeführt werden konnte, die zudem nicht einmal eine neurochirurgische Qualifikation brauchte - was auch auf Walter Freeman selbst zutraf.

Freeman und die Medien: der „Lobotomist“ wird geboren

Für rund ein Jahrzehnt, von den frühen 1940er- bis in die Mitte der 1950er-Jahre hinein kündeten die Schlagzeilen der Zeitungen von den Wunderheilungen des W. J. Freeman. Bei seinen Demonstrationen saßen Psychiater, Neurologen und einfache Ärzte oder auch Familienangehörige atemlos, viele waren begeistert. Diejenigen, die ihn ablehnten, pfiffen ihn aus, ihn in der Öffentlichkeit anzugreifen wagte durch viele Jahre niemand. Freeman war der Hoffnungsträger für unzählige Familien mit psychisch Kranken Angehörigen und Liebling der Presse. Er wurde der „Lobotomist“. Sein Werbeslogan war: „Lobotomie bringt sie nach Hause.“ Er operierte auch vor laufenden Fernsehkameras, in Spitzenzeiten operierte er bis zu 25 Patienten am Tag. Er fuhr auch mal mit einem Wohnmobil von Klinik zu Klinik, um dort Operationen durchzuführen; er nannte es das "Lobomobil".

Aus heutiger Sicht wirkt es unglaublich, wie lange Freeman seine Methode propagieren konnte und dass die medizinischen Fachgesellschaften keine Anstrengungen unternahmen, ihn an seinen oft jedweden chirurgischen und hygienischen Grundsätzen mangelnden Operationsverfahren zu hindern. Denn Freeman lobotomierte oft in Praxisräumen und Hörsälen, wobei der Patient auf einer Trage lag. Meist trug er keine Handschuhe. In einem Fall rief die Polizei ihn zu einem seiner Patienten, der in seinem Farmhaus randalierte und eine Gefahr für die Öffentlichkeit darzustellen schien. Freeman überredete den Mann, der sich vor den Gesetzeshütern verbarrikadiert hatte, aufzugeben. Der psychisch Labile gehorchte und Freeman lobotomierte ihn direkt auf seiner Terrasse. Seine Tochter nannte ihn den „Henry Ford der Chirurgie“.

Prominente Patienten

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Auch Prominente mit Problemfällen in der Familie blickten erwartungsvoll auf Freeman und hofften auf Heilung oder zumindest auf Sedierung. Der berühmteste Fall war die Tochter eines reichen Geschäftsmannes und Sozialaufsteigers, der kurzfristig Botschafter der USA in Großbritannien war: Joseph P. Kennedy. Rosemary Kennedy war das Antlitz, das im Kreis der immer siegesgewiss lächelnden Kennedys fehlte. In der großen Zeit der Kennedy-Familie und des Senators John F. Kennedy, später in den Tausend Tagen seiner Präsidentschaft, waren die Kennedys der Öffentlichkeit wohl bekannt - bis auf Rosemary Kennedy. Für die Chronisten steht nicht eindeutig fest, ob die 1918 geborene Rosemary wirklich als behindertes Kind zur Welt kam, oder ob sie nur ein nonkonformistisches Mädchen war, das die Lebensmaxime der Kennedys, immer kompetitiv zu sein, immer siegen zu müssen, ablehnte. Wahrscheinlich hat sie an Dyslexie gelitten und möglicherweise Probleme mit ihrer Sexualität gehabt, ein Thema, das für ihre strenggläubige Mutter ein Tabu war. Joseph Kennedy veranlasste 1941 die damals noch präfrontal durchgeführte Lobotomie bei Freeman. Die Operation endete in einer Katastrophe und ließ Rosemary mit dem Intellekt eines Kleinkindes zurück. Mit dem politischen Aufstieg der Familie wurde ihre Existenz geleugnet oder mit Fehlinformationen beschönigt. Als sich die Präsidentschaftskandidatur des JFK andeutete, wurde einem Biografen des Kandidaten der Eindruck vermittelt, Rosemary sei in einen Orden eingetreten und „widme ihr Leben den Kranken und Leidenden“. Rosemary Kennedy, eine Frau abseits des Glanzes der Familie und doch Teil ihrer Tragödien, starb im Januar 2005 im Alter von 86 Jahren.

Kritik aus heutiger Sicht

Folgen der Heilung für die Patienten

Freemans Unbelehrbarkeit und Besessenheit für die Lobotomie endete für seine Patienten oft in einer Katastrophe. Nach aktuellen Schätzungen operierte er 3.500 Patienten. Seine Operationswut war ungebrochen und blieb es sogar nach der Entdeckung wirksamer neuer Medikamente. Als 1952 das erste massenhaft wirksame Psychopharmakon Chlorpromazin auf den Markt kam, pries er weiterhin die Lobotomie als optimale Behandlungsform an, obwohl eine Behandlung mit Medikamenten weitaus schonender für einen Patienten ist als eine Operation. Nur die Verfechter dieser Operationsmethode berichteten von positiven Ergebnissen, jedoch waren die körperlichen und geistigen Schäden, die eine Lobotomie hervorriefen, unübersehbar. Auch waren viele der "Geisteskrankheiten", die damals mit einer Lobotomie "behandelt" wurden, so zum Beispiel Homosexualität oder die Tatsache, dass man Kommunist war, unverzeihliche und absolut falsche "Diagnosen", die nur aus dem kulturellen Klima der 1950er und 1960er Jahre erklärbar sind.

Das Ende einer amerikanischen Tragödie

Trotz der immer lauter werdender Gegenstimmen führte Freeman die letzte Lobotomie erst 1967 durch. Im gleichen Jahr wurde ihm die Zulassung entzogen, weil eine seiner Patientinnen nach der dritten Operation verstarb. Belehren lassen hat er sich nicht, doch Zweifel kamen ihm. In seinen letzten Lebensjahren fuhr er in seinem "Lobomobil" fast rastlos durch das große Land, suchte ehemalige Patienten, die als Beispiele für einen Erfolg dienen konnten. Der Mann, der einst Tausenden von Menschen Heilung versprochen hatte, bedurfte nun selbst der Hilfe durch seine Patienten.

Quelle

  • Ronald D. Gerste: Die Lobotomie. Wie ein Relikt aus finsterer Zeit, In: „Deutsches Ärzteblatt“. 105, 18, 2008

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