Wahrscheinlichkeit

Wahrscheinlichkeit

Die Wahrscheinlichkeit ist eine Einstufung von Aussagen und Urteilen nach dem Grad der Gewissheit (Sicherheit). Besondere Bedeutung hat dabei die Gewissheit von Vorhersagen. In der Mathematik hat sich mit der Wahrscheinlichkeitstheorie ein eigenes Fachgebiet entwickelt, das die Messung von Wahrscheinlichkeiten untersucht.

Inhaltsverzeichnis

Wahrscheinlichkeitsauffassungen

Man unterscheidet unterschiedliche Auffassungen von Wahrscheinlichkeiten (bzw. Wahrscheinlichkeitsbegriffe).

Symmetrieprinzip – klassische oder Laplacesche Auffassung

Wahrscheinlichkeit ist das Verhältnis der günstigen Ereignisse zur Gesamtmenge der Ereignisse (sogenannte ‚klassische‘ Definition, seit Christiaan Huygens und Jakob I. Bernoulli üblich, von Laplace formuliert). So ist zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit mit einem Sechserwürfel eine ungerade Zahl zu werfen 0,5 (dies entspricht einer relativen Häufigkeit von 50 Prozent), denn es gibt 6 mögliche Ergebnisse, von denen 3 die genannte Eigenschaft besitzen.

Dies ist die sogenannte ‚klassische‘ Definition, wie sie von Christiaan Huygens und Jakob I. Bernoulli entwickelt und von Laplace formuliert wurde. Sie ist die Grundlage der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie. Die Elementarereignisse besitzen gleiche Eintrittswahrscheinlichkeiten. Voraussetzung ist eine endliche Ergebnismenge und Kenntnis der A-priori-Wahrscheinlichkeiten.

Beispiel: Bei einem „fairen“ Würfel (d.h. kein Ergebnis wird durch unsymmetrische Massenverteilung o.Ä. bevorzugt) überlegt man sich, dass jede Zahl die gleiche Chance hat und daher in 1/6 aller Versuche erscheinen wird. Die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses „gerade Zahl“ berechnet man wie folgt: Es gibt drei günstige Ergebnisse (2, 4, 6), aber sechs mögliche Ergebnisse, daher erhält man 3/6 = 0,5 als Resultat.

Häufigkeitsprinzip – Statistische Wahrscheinlichkeitsauffassung

Ein Zufallsexperiment wird so oft wie möglich wiederholt, dann werden die relativen Häufigkeiten der jeweiligen Elementarereignisse berechnet. Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ist nun der Grenzwert seiner relativen Häufigkeit bei (theoretisch) unendlich vielen Wiederholungen. Dies ist die sogenannte ‚Limes-Definition‘ nach von Mises. Das Gesetz der großen Zahlen spielt hier eine zentrale Rolle. Voraussetzung ist die beliebige Wiederholbarkeit des Experiments; die einzelnen Durchgänge müssen voneinander unabhängig sein. Ein anderer Name für dieses Konzept ist Frequentistischer Wahrscheinlichkeitsbegriff. Dieser Wahrscheinlichkeitsbegriff ist z. B. in der Physik bei der Zerfallswahrscheinlichkeit eines Radionuklids gemeint; die Experimente sind hier die einzelnen, voneinander unabhängigen Zerfälle der Atomkerne.

Beispiel: Man würfelt 1000 Mal und erhält folgende Verteilung: die 1 fällt 100 Mal (das entspricht einer relativen Häufigkeit von 10 %), die 2 fällt 150 Mal (15 %), die 3 ebenfalls 150 Mal (15 %), die 4 in 20 %, die 5 in 30 % und die 6 in 10 % der Fälle. Der Verdacht kommt auf, dass der Würfel nicht fair ist. Nach 10.000 Durchgängen haben sich die Zahlen bei den angegebenen Werten stabilisiert, sodass man mit einiger Sicherheit sagen kann, dass zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, eine 3 zu würfeln, bei 15 % liegt.

Quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsauffassung

In der nichtrelativistischen Quantenmechanik wird die Wellenfunktion eines Teilchens als seine fundamentale Beschreibung verwendet. Das Integral des Betragsquadrates der Wellenfunktion über ein Raumgebiet entspricht dort der Wahrscheinlichkeit, das Teilchen darin anzutreffen. Es handelt sich also nicht um eine bloß statistische sondern um eine nicht-determinierte Wahrscheinlichkeit.

Subjektivistische Wahrscheinlichkeitsauffassung

Bei einmaligen Zufalls-Ereignissen kann man deren Eintretenswahrscheinlichkeit nur schätzen, nicht berechnen. Zentrale Gesichtspunkte sind hier Expertenwissen, Erfahrung und Intuition. Daher spricht man von einer subjektivistischen Wahrscheinlichkeitsauffassung, siehe auch Bayesscher Wahrscheinlichkeitsbegriff.

Beispiel: Nachdem jemand verschiedene Autos besessen hat, schätzt er die Wahrscheinlichkeit als hoch ein (zum Beispiel „Ich bin mir zu 80 Prozent sicher“), mit der Marke XY auch beim nächsten Autokauf wieder zufrieden zu sein. Dieser Vorhersagewert kann zum Beispiel durch einen Testbericht nach oben oder unten verändert werden.

Axiomatische Definition der Wahrscheinlichkeit

Stochastik

Hauptartikel: Stochastik
Wahrscheinlichkeit beim deutschen Lotto

Stochastik als ein Teilgebiet der Mathematik ist die Lehre der Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit. Sie ist ein verhältnismäßig junger Teilbereich der Mathematik, zu dem im weiteren Sinne auch die Kombinatorik, die Wahrscheinlichkeitstheorie und die mathematische Statistik gehören.

Häufig wird der mathematische Begriff von Wahrscheinlichkeit benutzt: Die Wahrscheinlichkeitsrechnung oder Wahrscheinlichkeitstheorie (Teilgebiet der Stochastik) kümmert sich um die mathematische Systematisierung von Wahrscheinlichkeiten. Hier werden Wahrscheinlichkeitsverteilung, Wahrscheinlichkeitsfunktion, bedingte Wahrscheinlichkeit und viele andere Begriffe unterschieden.

Wahrscheinlichkeiten sind Zahlen zwischen 0 und 1, wobei Null und Eins zulässige Werte sind. Einem unmöglichen Ereignis wird die Wahrscheinlichkeit 0 zugewiesen, einem sicheren Ereignis die Wahrscheinlichkeit 1. Die Umkehrung davon gilt jedoch nur, wenn die Anzahl aller Ereignisse höchstens abzählbar unendlich ist. In „überabzählbar unendlichen“ Wahrscheinlichkeitsräumen kann ein Ereignis mit Wahrscheinlichkeit 0 eintreten, es heißt dann fast unmöglich, ein Ereignis mit Wahrscheinlichkeit 1 muss nicht eintreten, es heißt dann fast sicher.

Psychologie – Einschätzen von Wahrscheinlichkeiten

Es wird oft behauptet, der Mensch besitze ein schlechtes Gefühl für die Wahrscheinlichkeit, man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Wahrscheinlichkeitsidioten“ (siehe auch Zahlenanalphabetismus). Dazu folgende Beispiele:

  • Das Geburtstagsparadoxon: Auf einem Fußballspielfeld befinden sich 23 Personen (zweimal 11 Spieler und ein Schiedsrichter). Die Wahrscheinlichkeit, dass hierunter mindestens zwei Personen am gleichen Tag Geburtstag haben, ist größer als 50 %.
  • Sie haben an einer Vorsorgeuntersuchung teilgenommen und einen positiven Befund erhalten. Sie wissen zusätzlich, dass Sie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung keine besonderen Risikofaktoren für die diagnostizierte Krankheit aufweisen: Mit den Rechenmethoden der Bedingten Wahrscheinlichkeit kann man das tatsächliche Risiko abschätzen, dass die durch den Test erstellte Diagnose tatsächlich zutrifft. Dabei sind zwei Angaben von besonderer Bedeutung, um das Risiko eines falsch positiven Befundes zu ermitteln: die Zuverlässigkeit (Selektivität und Spezifität) des Tests und die beobachtete Grundhäufigkeit der betreffenden Krankheit in der Gesamtbevölkerung. Dieses tatsächliche Risiko zu kennen kann dabei helfen, den Sinn weitergehender (unter Umständen folgenreicher) Behandlungen abzuwägen. In solchen Fällen ergibt die Darstellung der absoluten Häufigkeit am vollständigen Entscheidungsbaum und ein darauf aufbauendes Beratungsgespräch mit dem Arzt einen besser fasslichen Eindruck als die bloße Interpretation von Prozentzahlen aufgrund des isoliert betrachteten Testergebnisses.

Philosophie – Verständnisse von Wahrscheinlichkeit

Während über den mathematischen Umgang mit Wahrscheinlichkeiten weitgehend Einigkeit herrscht (siehe Wahrscheinlichkeitstheorie), besteht Uneinigkeit darüber, worauf die Rechenregeln der mathematischen Theorie angewendet werden dürfen. Dies führt zur Frage nach der Interpretation des Begriffs „Wahrscheinlichkeit“.

Häufig wird „Wahrscheinlichkeit“ in zwei verschiedenen Zusammenhängen gebraucht:

  1. Aleatorische Wahrscheinlichkeit (auch: ontische/objektive/statistische Wahrscheinlichkeit) beschreibt die relative Häufigkeit zukünftiger Ereignisse, die von einem zufälligen physikalischen Prozess bestimmt werden. Genauer unterscheidet man deterministische physikalische Prozesse, die mit ausreichend genauer Information im Prinzip vorhersagbar wären (Würfelwurf, Wettervorhersage), und nichtdeterministische Prozesse, die prinzipiell nicht vorhersagbar sind (radioaktiver Zerfall).
  2. Epistemische Wahrscheinlichkeit (auch: subjektive/personelle Wahrscheinlichkeit) beschreibt die Unsicherheit über Aussagen, bei denen kausale Zusammenhänge und Hintergründe nur unvollständig bekannt sind. Diese Aussagen können sich auf vergangene oder zukünftige Ereignisse beziehen. Naturgesetzen werden zum Beispiel gelegentlich epistemische Wahrscheinlichkeiten zugeordnet, ebenso Aussagen in Politik („Die Steuersenkung kommt mit 60 % Wahrscheinlichkeit.“), Wirtschaft oder Rechtsprechung.

Aleatorische und epistemische Wahrscheinlichkeit sind lose mit dem frequentistischen und dem bayesschen Wahrscheinlichkeitsbegriff assoziiert.

Es ist eine offene Frage, ob sich aleatorische Wahrscheinlichkeit auf epistemische Wahrscheinlichkeit reduzieren lässt (oder umgekehrt): Erscheint uns die Welt zufällig, weil wir nicht genug über sie wissen, oder gibt es fundamental zufällige Prozesse, wie etwa die objektive Deutung der Quantenmechanik annimmt? Obwohl für beide Standpunkte dieselben mathematischen Regeln zum Umgang mit Wahrscheinlichkeiten gelten, hat die jeweilige Sichtweise wichtige Konsequenzen dafür, welche mathematischen Modelle als gültig angesehen werden.

Siehe auch

Literatur

  • Jacob Rosenthal: Wahrscheinlichkeiten als Tendenzen. Eine Untersuchung objektiver Wahrscheinlichkeitsbegriffe. Mentis, Paderborn 2004. ISBN 3-89785-373-6
    Guter Überblick über die philosophischen Deutungen der Wahrscheinlichkeit, v.a. über die aleatorischen bzw. ontischen Deutungen.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Wahrscheinlichkeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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