Vollständigkeit (Logik)

Vollständigkeit (Logik)

Man bezeichnet ganz unterschiedliche Eigenschaften formaler Systeme bzw. Kalküle mit dem Begriff Vollständigkeit. Zur Unterscheidung werden die Begriffe

  • Vollständigkeit von Theorien
  • Vollständigkeit von Sequenzenkalkülen

verwendet. Daneben wird dieser Begriff auch im Sinne der

  • funktionalen Vollständigkeit von Junktorenmengen

benutzt.

Inhaltsverzeichnis

Vollständigkeit von Theorien

Definition

Unter einer Theorie versteht man eine echte Teilmenge T von Sätzen einer Sprache L_I^S der Prädikatenlogik erster Stufe, die bezüglich der Folgerungsrelation \vDash abgeschlossen ist, das heißt, aus T\vDash \alpha folgt bereits \alpha \in T für alle Sätze α der Sprache. Ist \mathcal A ein Modell, so ist offenbar T = Th(\mathcal{A}) := \{\alpha;\, \mathcal{A}\vDash\alpha\} eine Theorie. Man nennt eine Theorie vollständig, wenn sie für jeden Satz α entweder diesen oder seine Negation \neg\alpha enthält. In diesem Sinne lässt eine vollständige Theorie keine Fragen der Form „gilt α oder \neg\alpha in der Theorie T?“ offen.

Charakterisierung

Folgende Aussagen über einer Theorie T\varsubsetneq L_I^S sind äquivalent[1]:

  • T ist vollständig, das heißt für alle Sätze α gilt T\vDash \alpha oder T\vDash \neg\alpha
  • T ist maximal, das heißt für alle Theorien T1 mit T\subset T_1 \varsubsetneq L_I^S gilt T = T1.
  • Für jedes Modell \mathcal{A} von T gilt T=Th(\mathcal{A})
  • Je zwei Modelle von T sind elementar äquivalent.

Beispiele

Es sei DO die Theorie der dichten Ordnungen, das heißt die Signatur ist S = { < } und DO ist die Menge aller Sätze aus L_I^S, die aus folgenden vier Sätzen (Axiomen der dichten Ordnung) hergeleitet werden können.

  • \forall x\,(x<x) (Irreflexivität)
  • \forall x\,y\,z\,(x<y \land y<z \rightarrow x<z) (Transitivität)
  • \forall x\,y\,(x=y \lor x<y \lor y<x) (Linearität der Ordnung)
  • \forall x\,y\,z\,(x<y \rightarrow \exists z\,(x<z \land z<y)) (Dichtheit)

Diese Theorie ist nicht vollständig, denn die Frage, ob es kleinste oder größte Elemente gibt, bleibt offen. Erweitert man DO zur Theorie DO00 aller Sätze, die aus obigen vier und den zwei Sätzen

  • \forall x\,\exists y\,(y<x) (es gibt kein kleinstes Element)
  • \forall x\,\exists y\,(x<y) (es gibt kein größtes Element),

so erhält man eine vollständige Theorie, denn mit Hilfe des Satzes von Fraïssé kann man die elementare Äquivalenz von je zwei Modellen nachweisen, wie dort ausgeführt ist. Dies hätte man auch leicht mit dem Kriterium von Vaught nachweisen können; dieses liefert weitere dort behandelte Beispiele wie die Theorie der algebraisch abgeschlossenen Körper. Die Quantorenelimination ist ein weiteres Verfahren, mit dem man Vollständigkeitsbeweise führen kann.

Entscheidbarkeit

Vollständige Theorien mit abzählbarer Signatur sind entscheidbar. Um dies einzusehen, setze man eine Aufzählung sämtlicher Sätze der vorgegebenen Theorie in Gang, indem man systematisch alle Beweise erzeugt. Ist α ein Satz, so erscheint in dieser Aufzählung irgendwann α oder \neg\alpha, denn die Theorie ist ja vollständig. Dann breche man die Aufzählung ab und antworte \alpha\in T, falls α in der Aufzählung erschienen ist, anderenfalls antworte man \alpha\notin T. Diese Algorithmus entscheidet offenbar die Frage, ob \alpha\in T.

Vollständigkeit von Sequenzenkalkülen

Umgangssprachlich ausgedrückt heißt ein formales System (ein Kalkül) semantisch vollständig, wenn jedes richtige Theorem auch abgeleitet werden kann. Präziser kann man das wie folgt beschreiben. Sei \vdash die Ableitungsrelation; sie wird rein syntaktisch mit Hilfe der Regeln des formalen Systems definiert, im Falle der Prädikatenlogik z.B. durch den Sequenzenkalkül. Hierbei handelt es sich um Regeln für die Zeichenmanipulation.

Dazu gibt es die Ebene der Semantik und des in diesen Bereich gehörenden Begriffs der logischen Folgerung, ausgedrückt durch das Symbol \models, das z.B. in der Semantik der Aussagenlogik oder der Semantik der Prädikatenlogik erklärt wird. Die formale Semantik ist Gegenstand der auf Alfred Tarski zurückgehenden Modelltheorie.

Von zentralem Interesse in der formalen Logik ist nun das Verhältnis zwischen (syntaktischer) Ableitung \vdash und (semantischer) Folgerung \models: Semantische Vollständigkeit bedeutet, dass aus \Sigma \models \psi stets \Sigma \vdash \psi folgt.

Die Umkehrung, dass also aus \Sigma \vdash \psi stets \Sigma \models \psi folgt, bezeichnet man als Korrektheit (auch semantische Korrektheit) eines formalen Systems.

Für konkrete formale Systeme ist die Korrektheit meist einfach zu beweisen, denn man achtet schon bei der Konstruktion des formalen Systems darauf, dass jede einzelne Regel in diesem Sinne korrekt ist. Ein Vollständigkeitsbeweis erfordert meist tiefliegendere Untersuchungen. Der Vollständigkeitssatz für die Prädikatenlogik erster Stufe wurde 1928 von Kurt Gödel bewiesen (Gödelscher Vollständigkeitssatz). Eine wichtige Beweismethode stammt von Leon Henkin aus dem Jahre 1949, siehe Satz von Henkin.

Funktionale Vollständigkeit von Junktorenmengen

Mit funktionaler Vollständigkeit bezeichnet man die Eigenschaft einer Menge von Junktoren eines logischen Systems, alle Junktoren des Systems darstellen zu können. In der klassischen Aussagenlogik ist zum Beispiel die Junktorenmenge \{\and, \neg\} funktional vollständig, d. h. es lassen sich alle denkbaren Junktoren alleine aus Konjunktion und Negation ausdrücken[2].

Ein weiteres vollständiges System von Junktoren besteht allein aus dem Shefferschen Strich.

Quellen

  • H.D. Ebbinghaus, J. Flum, W. Thomas: Einführung in die mathematische Logik. Mannheim-Leipzig-Wien-Zürich; BI-Wiss. Verlag, 1992, ISBN 3-411-15603-1
  • Hans-Peter Tuschik, Helmut Wolter: Mathematische Logik - kurzgefasst. Grundlagen, Modelltheorie, Entscheidbarkeit, Mengenlehre. Mannheim-Leipzig-Wien-Zürich; BI-Wiss. Verlag, 1994, ISBN 3-411-16731-9

Hinweise

  1. Wolfgang Rautenberg: Einführung in die Mathematische Logik. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-8348-0578-2., Satz 5.2.1
  2. Wolfgang Rautenberg: Einführung in die mathematische Logik, Friedr. Vieweg & Sohn 2002, ISBN 3-528-16754-8, Kapitel 1, Korollar 2.2.

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