Vis vitalis

Vis vitalis

Die Vorstellung einer Lebenskraft wurde als Gesundheits- und Krankheitskonzeption von Christoph Wilhelm Hufeland Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts differenziert beschrieben. Hufeland nahm Elemente aus dem "Animismus" oder Psychodynamismus Georg Ernst Stahls, aus dem Vitalismus Theophil des Bordeus und Paul-Joseph Barthez' und aus der Irritabilitätstheorie Albrecht von Hallers auf. Vom Brownianismus grenzte er sich ausdrücklich ab.

Hufeland sah als Grundursache aller Lebensvorgänge und als Selbsterhaltungsprinzip des Organismus eine allgemeine Lebenskraft mit weiteren Teilkräften:

  • eine erhaltende Kraft,
  • eine regenerierende und neubildende Kraft,
  • eine besondere Lebenskraft des Blutes,
  • eine Nervenkraft,
  • eine Kraft, die eine allgemeine Reizfähigkeit des Körpers bewirke, sowie
  • eine Kraft, die eine spezifische Reizfähigkeit des Körpers bewirke.

Krankheit sei eine Beeinträchtigung der Lebenskraft beziehungsweise der Lebenskräfte durch krankmachende Reize. Sichtbare Zeichen der Krankheit seien Heilreaktionen der Lebenskraft auf solche Krankheitsreize. Die Heilkraft der Natur ("vis medicatrix naturae") und die Lebenskraft seien wesensgleich, wenn nicht identisch. Jedes therapeutische Handeln des Arztes wie auch jede Selbstbehandlung durch den Patienten solle die individuelle Lebenskraft unterstützen. Insgesamt habe sich das ärztliche Handeln am Prinzip des "contraria contrariis" zu orientieren. Dabei empfahl Hufeland neben der vorsichtigen Anwendung von Medikamenten die Beachtung diätetischer Regeln und physikalische Therapien (zum Beispiel als Wasseranwendungen).

Auf Hufelands Konzept gehen Impulse für die Entwicklung der Naturheilkunde im 19. Jahrhundert zurück.

Inhaltsverzeichnis

Lebenskraft in der Homöopathie

Auch Samuel Hahnemann bezog sich in seinem homöopathischen Spätwerk auf einige der Grundthesen Hufelands, gelangte aber zu anderen therapeutischen Konsequenzen. Die von ihm in den letzten Auflagen des "Organon" beschriebene "Verstimmung der Lebenskraft" kann nicht als essentiell für die Homöopathie (siehe z.B. homöopathische Komplexmittel, Schüßler-Salze, etc.) angesehen werden, sondern als Versuch, das Ähnlichkeitsprinzip nach damaligem Stand "wissenschaftlich" zu erklären.[1]
In der Klassischen Homöopathie spielt die Lebenskraft aber auch heutzutage eine zentrale Rolle. In der Lehre der Klassischen Homöopathie kann Heilung nicht durch ein homöopathisches Arzneimittel erreicht werden, sondern nur durch die Korrektur der Lebenskraft. Das ähnliche Arzneimittel soll beim Erkrankten die Lebenskraft, die unsichtbar und nur an ihren Wirkungen zu erkennen ist, wieder in geordneten Bahnen fließen lassen.[2][3]

Lebenskraft in Land- und Forstwirtschaft

Die Einflussfaktoren auf die Vitalität von pflanzlichen und tierischen Nachkommen wurde grundlegend von Caspar Friedrich Wolff untersucht. Die Prüfung der Keimfähigkeit und Pflege von Saatgut fand schon im 18.Jh. in der Agrarforschung Eingang, die Regeln dafür werden international von der ISTA festgelegt und weiterentwickelt. Seit der Einführung der Hybridzucht in der Pflanzen- und Tierzucht ist die Prüfung der Lebenskraft von Nachkommen für die Selektion von Inzuchtlinien und Züchtung erfolgreicher Hybriden obligatorisch.

Begriffsgeschichte

Der Begriff "Lebenskraft" (lat. vis vitalis) war in seiner Entstehungszeit sehr populär und wurde oft auch wenig spezifisch gebraucht, als "weit verbreiteter Platzhalterbegriff für unverstandene körperliche Vorgänge".[4] Sprachlich und inhaltlich standen ihm das "Principium vitalis" mit "forces radicales" und "forces agissantes" oder "agens vitalis" im Vitalismus, das "Sentient principle" (Robert Whytt), die "vital power" (John Hunter), die "Lebenskraft" bei Friedrich Casimir Medicus oder Caspar Friedrich Wolffs "vis essentialis" nahe. Später benutzte Georg Groddeck in seiner Konzeption des "vitalen Es" auch den Ausdruck "Lebenskraft". In jüngerer Zeit wird von "Lebenskraft" oder "Lebensenergie" in vielen Bereichen der Alternativmedizin einschließlich der Homöopathie mit unterschiedlichem, oft auch esoterischem Verständnis gesprochen.

Quellen

  1. Roger Rissel: Welchen Stellenwert hat die "Lebenskraft" in der Homöopathie Hahnemanns?
  2. Norbert Enders, Maria Steinbeck, Eberhard Gottsmann, Homöopathie. Eine Einführung in Bildern, Seite 56 bis 60, Karl F. Haug Verlag, 1996, ISBN 3-7760-1559-4
  3. Edeltraut und Peter Friedrich, Charaktere homöopathischer Arzneimittel Band 3, Seite 9, Traupe-Vertrieb, 1999, ISBN 3-9802834-3-7
  4. Matthias Wischner: Kleine Geschichte der Homöopathie, Forum Homöopathie, KVC Verlag Essen 2004, S. 21

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang Eckart: Geschichte der Medizin. Springer Verlag Berlin, Heidelberg 1990. ISBN 3-540-51982-3
  • H. Haas: Ursprung, Geschichte und Idee der Arzneimittelkunde. B.I. Wissenschaftsverlag, Mannheim, Band 1, 1981

Weblinks


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