Vinschgau

Vinschgau
Südtirol mit markiertem Vinschgau
Der obere Vinschgau

Unter dem Begriff Vinschgau ['fɪnʃɡau̯] (ursprünglich Vintschgau, it. Val Venosta) versteht man den westlichen Teil von Südtirol beziehungsweise den obersten Teil des Etschtals. Man unterscheidet hier meistens zwischen der geographischen Grenze, welche von Nauders (Österreich) bis zur Töll verläuft, und dem politischen Bezirk vom Reschen bis kurz vor die Ortschaft Naturns (bei Meran). Der Vinschgau wird auch meist in Ober- und Untervinschgau eingeteilt, der Obervinschgau läuft somit von Reschen bis einschließlich Laas. Der Untervinschgau geht von Schlanders bis nach Staben (kurz vor Naturns).

Inhaltsverzeichnis

Etymologie

Der deutsche Name Vinschgau (alte Schreibweise: Vintschgau) und dessen italienische Entsprechung Val Venosta stammen ursprünglich vom Stamm der Venostes ab, die auf dem Tropaeum Alpium neben vielen anderen besiegten Alpenvölkern angeführt werden. Im Frankenreich (772 n. Chr.) bildete der Vinschgau eine Verwaltungseinheit, daraus leitet sich der Namenszusatz “Gau“ ab. Die erste mittelalterliche Erwähnung wird in einer Schenkungsurkunde vom 13. Juni 1077 in Nürnberg gemacht, mit der Heinrich IV. dem Bischof von Brixen Güter in Schlanders in pago Finsgowe übergibt. Vinsgowe, Uenusta Ualle, Valle Venusta sind weitere Versionen des Namens, die in zeitlich später entstandenen Dokumenten aufscheinen.[1]

Geographie

Lage

Oberer Vinschgau mit Blick in Richtung Reschensee

Der Vinschgau ist geografisch gesehen ein Talsystem, das nordwärts über den Stillebach in den Inn entwässert wird und südwärts vom Reschenpass (1504 m) den Talbogen bis zur Töll (520 m) bildet, der von der Etsch durchflossen wird. Mit dem Namen Vinschgau wird vielfach nur der von der Etsch durchflossene Teil des oberen Etschtales gemeint, im weiteren Sinne rechnet man den von der Finstermünz-Schlucht vom Inntal abgeschnürte Talkessel von Nauders geografisch dem Vinschgau zu. Der Obervinschgau verläuft von Reschen bis Laas, er trägt auch den historischen Namen Untercalven (der Name stammt von der Calven, welche das Val Müstair vom Vinschgau trennt).

Die steilen Talflanken des Vinschgaus gehören mehreren Gebirgsgruppen an: im Norden sind es die mächtigen Ausläufer der Ötztaler Alpen, deren Hänge zumeist direkt nach Süden ausgerichtet sind und von Mals bis Partschins durchgehend den Namen Sonnenberg tragen. Nach der Mündungsschlucht des Schnalstales in Richtung Osten nennt man diese Südausläufer Texelgruppe. Im Westen hat der Vinschgau Anteil an der Sesvennagruppe, im Mittelteil gipfeln die Südhänge, die ab Schlanders Richtung Osten Nördersberg heißen, im hohen Vorbau der Ortlergruppe und östlich des Martelltales bilden die Ultner Berge die Barriere Richtung Süden.

Von der Staatsgrenze am Reschenpass bis zur Töll sind es 71,4 Straßenkilometer.

Geologie

Betrachtet man die umliegenden Bergzüge vom Talgrund des Vinschgaus aus, geben diese ein ziemlich einheitliches Bild ab. Nur an einigen Stellen erblickt man schroffer aufragende Felskomplexe. Es überwiegen eher abgeflachte, teils gerundete Kammreliefs, die auf den altkristallinen Deckentypus zurückzuführen sind. Die Decken gehören geologisch dem großen Komplex des austroalpinen Kristallins an, von dem es mehrere Untergruppen gibt, die lithologisch und von der Metamorphosegeschichte her gesehen unterscheidbar sind. Von Norden einfallend wurde der Ötztal Kristallin einst auf den Scarl-Campo Kristallin aufgeschoben. Die Grenze bildet die Schliniglinie, die westlich von Schluderns als echte Störungslinie ausgeprägt ist, östlich davon den Sonnenberg als eine bis zu 2 km breit gefächerte Verwerfungs- oder Scherzone durchzieht und deshalb auch Vinschgauer Scherzone genannt wird. In dieser ebenfalls „Vinschgauer Schieferzone“ genannten Zerrüttungsschicht sind die Komponenten beider Deckensysteme, tektonisch stark deformierte Paragneise, Glimmerschiefer und Phyllite, ineinander zerrieben und verschweißt worden.

Endkopf von Süden

Der Campo-Kristallin der Südhänge des Vinschgaus besteht aus biotitführenden Paragneisen und mylonitischen Glimmerschiefern, die Granat- und Staurolitheinschlüsse enthalten können. Eingelagert sind hier häufig nahezu rein weiße Marmore (Laaser Marmor), biotitführende Pegmatitgneise und Amphibolite. Diese Gesteinsserie wird auch Laaser Einheit genannt und weist große Ähnlichkeiten mit dem marmordurchsetzten Schneeberger Zug auf, der nördlich des Texelkomplexes einen weiten Bogen in Richtung Sterzing beschreibt. Im Martelltal sind hinter dem Ortsteil Gand bis zum Stausee an beiden Talseiten Granitvorkommen aus dem Zeitalter des Perm aufgeschlossen. Im Ortlergebiet besteht der Campo-Kristallin aus Glimmerschiefern mit Amphiboliteinschlüssen, aus Orthogneisen (Angelus) und eher seltener aus gelblichen oder grauen Marmoren. Das aus metamorph überprägten Kalksedimenten aus der Obertrias bestehende Ortlermassiv ist der Quarzphyllitunterlage der Zebru-Schuppenzone aufgelagert, die ins hintere Martelltal hinüberreicht. Eine auffällige artfremde geologische Scholle mitten im Ötztal Kristallin stellt der aus triassischen Kalksedimenten geformte Endkopf – auch Jaggl genannt – östlich des Reschensees dar.[2] [3]

Morphologie

Die Seitenhänge des Vinschgaus sind meist sehr steil und weisen zudem die überhaupt höchsten Reliefenergien in den Alpen auf: die pro Flächeneinheit gemessenen Höhenunterschiede erreichen im Gebiet der Tschenglser Hochwand bis zu 2.500 m auf 5 km Horizontaldistanz, in Naturns 2.700 m s.l.m. zur Texelgruppe hin. An einigen Stellen gehen die Hänge in einer Höhe von etwa 1000 bis 1200 m in flachere Hangterrassen über, wo sich einzelne Höfe angesiedelt haben oder wo Streusiedlungen entstanden sind. An den Hängen des Sonnenberges zeigen diese Hangterrassen den Verlauf der Schliniglinie an.

Der von quartären Schuttablagerungen bedeckte Talboden nimmt eine Fläche von 122 km² ein. Es gibt nur zwei hügelartige Erhebungen, die der Gewalt der Gletscher widerstanden haben und heute aus dem Talboden in die Höhe ragen. Beiden wird in früherer Zeit wegen dieses Umstandes eine besondere Aura zugeschrieben worden sein. Denn auf beiden haben sich sehr alte romanische Kirchlein erhalten: das ist einmal der kleine Hügel neben der Ortschaft Laas (Südtirol), auf dem das Sisiniuskirchlein steht. Im oberen Vinschgau ist es der Tartscher Bühel bei der Ortschaft Tartsch.

Ein sehr auffälliges landschaftsgestaltendes Merkmal sind die mächtigen Schwemmkegel, die etwa 70% des Talbodens ausmachen und in einigen Fällen die Ursache für Talstufenbildungen waren. Die 13,25 km² umfassende Malser Haide ist die größte Murenhalde und bildet sozusagen die Verkleidung der höchsten Talstufe des Vinschgaus zwischen der 1450 m hohen Passtalniederung und den bei Glurns (900 m) in die Talebene mündenden Ausfächerungen. Das Idealbild eines Murkegels gibt die riesige Gadriamure zwischen Laas und Schlanders ab. Mit 10,68 km² nimmt sie flächenmäßig den zweiten Platz ein. Sie hat die Etsch an den rechten Talhang gedrängt und diese immer wieder gestaut, so dass sich talaufwärts eine Aufschüttungsebene bilden konnte, während sich talabwärts eine etwa 200 m hohe Talstufe gebildet hat, die auch klimatische Auswirkungen hat. Der drittgrößte Murkegel ist jener von Tarsch-Latsch mit 9 km², der ebenfalls die Ursache für eine Talstufenbildung war. Weitere Murkegel kleineren Ausmaßes sind jene von Tabland und Partschins. Es fällt auch auf, dass sich diese großen Murkegel in der Regel an der Mündung ganz kleiner und steiler Seitentäler gebildet haben, während die Bäche größerer Seitentäler an ihrer Mündung ins Haupttal kaum Schwemmfächer aufweisen. Entstanden sind diese Murkegel in der Nacheiszeit, in der es auch Perioden mit viel stärkerer Niederschlagstätigkeit gegeben hat (Altatlantikum).

Seitentäler

Die Etsch wird von zahlreichen Bächen gespeist. Diese kommen aus Tälern, die sich tief in die umliegenden Gebirgszüge eingegraben haben und bis in die Gletscherregionen der Hauptkämme vorstoßen. Die Mehrzahl dieser Seitentäler hat sehr enge, vereinzelt sogar schluchtartige Mündungsöffnungen. Erst weiter im Talinnern wird der Talgrund breiter und bietet Platz für bescheidene Siedlungsräume.

Ausgehend vom Reschenpass trifft man auf der orografisch rechten Talseite des Vinschgaus auf fünf größere Seitentäler, die ganzjährig besiedelte Ortschaften aufweisen:

  • Bei der Ortschaft Reschen zweigt das Rojental ab, das vom Pitzbach entwässert wird und in das man über eine gut ausgebaute Bergstraße gelangen kann.
  • Bei Schleis mündet der Metzbach aus dem Schlinigtal in die Etsch. Das Schlinigtal ist verkehrsmäßig aber über Burgeis über eine gut ausgebaute Bergstraße erreichbar.
  • Aus dem danach folgenden Münstertal kommt der Rambach. Es ist von diesen Tälern das einzige, das sich mit einer breiten Talmündung öffnet. Ausgehend von Glurns erreicht man nach etwa 9 km die Schweizer Grenze.
  • Bei Prad am Stilfserjoch hat der Suldenbach aus dem Suldental eine breite, flache Schwemmebene, die Pradersand, geschaffen. Durch das Suldental führt eine als Militärstraße konzipierte Bergstraße auf das Stilfser Joch und in die Lombardei.
  • Das Martelltal mündet bei Morter in den Vinschgau. Es wird von einem Gewässer weiblichen Geschlechts entwässert, von der Plima.
  • Ein kleineres Seitental ist das Laasertal bei der Ortschaft Laas, das aber wegen seiner Marmorvorkommen Bedeutung erlangt hat.

Auf der linken Talseite sind es fünf größere Täler, die in die Ötztaler Alpen hineinschneiden:

  • Aus dem Langtauferertal, in das ab Graun eine sehr gut ausgebaute Straße bis Melag führt, fließt der Karlinbach direkt in den Reschensee
  • Aus dem engen Planeiltal, in dessen Mündungsbereich sich die einzige Siedlung des Tales befindet, kommt der Punibach.
  • bei Tartsch zweigt die gut ausgebaute Straße in das Matschertal ab, aus dessen Mündungsschlucht der Saldurbach aber bei Schluderns in das Haupttal gelangt
  • Westlich von Naturns verlässt der Schnalserbach die felsige Eingangsschlucht des Schnalstales, das über eine hervorragend ausgebaute und mit großzügigen Tunnels ausgestattete Straße erreichbar ist.
  • Ein hoch gelegenes lang gestrecktes Almtal ist das bei Schlanders schluchtartig ins Haupttal mündende Schlandrauntal.

Klima

Der Vinschgau liegt an ganz zentraler Stelle in den Alpen. Hier erreichen sie die größte Breite (250 km) und nehmen das Tal genau in ihre Mitte. Zudem ist der Vinschgau von sehr hohen Bergkämmen umgeben, die durchwegs die 3000 m überschreiten. Das hat eine ausgesprochene Insellage zur Folge, so dass das Tal klimatisch als eine der geschlossensten Landschaften der Ostalpen gelten kann. Sowohl die vom Norden bzw. vom Atlantik kommenden Einflüsse als auch die aus dem Süden heraufschwappenden Wettererscheinungen werden gleichermaßen abgemildert. Eine der für die Landwirtschaft ungünstigsten Auswirkungen ist die Niederschlagsarmut, die gepaart mit der hohen Sonnenscheindauer den Vinschgau zu einem der trockensten Täler der Alpen macht. In mancher Hinsicht hat sich ein eigenständiger Klimatyp herausgebildet: geringe Bewölkung, niedrige Luftfeuchtigkeit, lange Sonnenscheindauer (Kortsch übertrifft mit 71% Orte wie Meran, Arco oder Riva bei weitem), hohe mittlere Jahrestemperaturen, in Schlanders 9,6°, hohe Verdunstung, hohe Temperaturschwankungen im Tages- und Jahresverlauf, starke Fallwinde (Vinschger Wind), abgemilderte Kältespitzen im Winter.[4]

Temperaturmittel Januar Juli Jahr
Schlanders (706 m) -0,9 19,2 9,6
Reschen (1.494 m) -6,2 14,0 4,5

Der Jahresschnitt der Niederschläge beträgt in Schlanders lediglich 481 mm (Messzeitraum 1921 – 2000), nicht mehr als die Niederschlagsmenge von Teilen Siziliens. In Reschen sind es 663 mm.

Die West-Ost Ausrichtung des Tales bringt es mit sich, dass es einen krassen Unterschied zwischen den südexponierten Nordhängen des Sonnenberges und den schattigeren Südhängen des Nördersberges gibt. Der Sonnenberg ist trocken, hohe Sonneneinstrahlung, seichte und trockene Böden, früher durch extremen Weideverbiss der Erosion schutzlos ausgesetzt, durchfurcht von Murengräben und –kanälen, es wurden jahrzehntelange aufwändige künstliche Aufforstungen durchgeführt. Die Hänge des Nördersberges sind schattiger und weisen den üblichen alpinen Bewuchs auf.

Die Niederschlagsarmut macht die künstliche Bewässerung der Wiesen und Felder zur agrarwirtschaftlichen Notwendigkeit. Früher wurden von den Dorfgemeinschaften zum Teil sehr lange künstliche Wasserkanäle, sogenannte Waale angelegt, in denen das Wasser aus den meist wasserreichen Seitentälern in die Hangwiesen des Haupttales geleitet wurde. Ein ca. 600 km langes Hauptwaalnetz durchzog den Vinschgau einst, das praktisch flächendeckend die Wiesen und Felder versorgte. Heute – im Zeitalter der viel praktischeren Eisen- und Plastikrohre – haben die Waale ihre Bedeutung weitgehend eingebüßt. Viele dieser Kanäle sind heute verfallen und werden nicht mehr genutzt. Manche jedoch werden liebevoll instand gehalten und dienen wegen der sie begleitenden Waalwege als touristische Infrastruktur.[5]

Flora

Biologisch gesehen hat der Vinschgauer Sonnenberg durch diese besonderen klimatischen Gegebenheiten eine einzigartige Vegetation hervorgebracht, die man so auch in weiter südlich gelegenen vergleichbaren alpinen Quertälern nicht vorfindet. Zu beobachten ist diese überraschend artenreiche Pflanzenwelt auf den kahlen, grauen Hangbereichen, den Leiten. Diese Stellen wurden bei Aufforstungen, die viele Jahre in Anspruch genommen haben, ausgespart. Den größten Teil des ehemaligen Steppengürtels des Vinschgauer Sonnenberges nehmen heute Schwarzföhrenbestände ein.

Am Hangfuß des Sonnenberges wird bis in die Schlanderser Gegend Wein angebaut, und es gedeiht bis dorthin auch die Edelkastanie. Der Talgrund, der früher vorwiegend dem Kornanbau gedient hat (der Vinschgau war die Kornkammer Tirols), wurde seit dem Ersten Weltkrieg ebenfalls bis in den Schlanderser Raum allmählich vom Obstbau (Äpfel) in Beschlag genommen. Seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts macht der fühlbare Klimawandel den Vorstoß der Apfelkulturen weiter nach Westen bis in die Gegend von Mals möglich. Die schattigeren Hänge des Nördersberges sind im untersten Streifen teilweise mit Mischwald bewachsen. In den anschließenden höheren Lagen überwiegen die Fichten, die sich an der Baumgrenze mit den Zirben mischen.

Flächennutzung

Im politischen Bezirk Vinschgau leben auf dem 1.441 km² großen Einzugsgebiet 34.260 Einwohner (Volkszählung 2001), die sich einen 134,9 km² großen Dauersiedlungsraum teilen. Die bebauten Flächen machen 0,6 % des Territoriums aus, die Ackerflächen 0,5 %. Dauerkulturen, also Flächen, die mit Obstbäumen und Wein bepflanzt sind, machen 2,2 % der Fläche aus. Wiesen und Weiden in niederen und mittleren Lagen, wo intensiv Grünlandwirtschaft betrieben wird, sind mit 8,3 % flächenmäßig die bedeutendste Nutzfläche. Aus Wald besteht 33,0 % der Fläche und 16,8 % nimmt das natürliche Grünland ein. Mit 32,1 % nehmen Ödland und Felsen eine relativ große Fläche ein. 5,9 % werden von Gletschern bedeckt und die Gewässer tragen mit 0,6 % zur Flächennutzung bei.[6]

Landwirtschaftliche Nutzung (Landwirtschaftszählung 2000):[7]

Kulturart in Hektar in Prozent
Wein 35 0,1
Obst 3.677 7,0
Acker 599 1,1
Wiesen 14.012 26,8
Weiden 33.985 65,0
Sonstige 1 0,0

Geschichte

Bunker im Vinschgau, erbaut vor dem Ersten Weltkrieg

Der italienische Begriff Venosta und der deutsche Name Vinschgau (früher Venostengau) gehen auf das rätische Volk der Venosten zurück, die im Laufe der römischen Herrschaft romanisiert wurden.[8] Aus dem Vulgärlateinischen entstand hier die ladinische Sprache. Bis ins Frühmittelalter war der Vinschgau nur dünn besiedelt und größtenteils mit Wald bedeckt, obwohl in römischer Zeit die Via Claudia zum Reschenpass durch die Talschaft verlief. Ab dem 10. Jahrhundert wurden Siedlungen und Wirtschaftsflächen vornehmlich durch romanische Bauern ausgebaut. Ab dem 12. Jahrhundert förderte das Kloster Marienberg den Landesausbau auch durch deutschsprachige Siedler. Im Frühmittelalter gehörte der Vinschgau zu Churrätien und bildete mit dem Unterengadin eine Grafschaft. Kirchenrechtlich gehörte der Vinschgau deshalb zum Bistum Chur (bis 1816).[9]

Kaiser Konrad II. verlieh 1027 die Grafschaft Vinschgau-Unterengadin dem Bischof von Trient, kirchenrechtlich blieb das Gebiet aber bei Chur. Die Bischöfe von Chur verfügten auch weiter über ihre Rechte, Güter und Leibeigenen im Gebiet, die sich vor allem im oberen Vinschgau konzentrierte. Zentrum der Verwaltung der Churer Besitzungen war das bischöfliche Gericht in Mals und zuerst die Churburg, dann die Fürstenburg, wo ein bischöflicher Hauptmann residierte. Die Vogtei über den Vinschgau hielten im Hochmittelalter die Herren von Matsch.

Die Konflikte zwischen den sich überlagernden Herrschaftsrechte des Bischofs von Chur und den gräflichen Rechten im Vinschgau und Unterengadin blieben auch nach dem Übergang dieser Gebiete an die Grafschaft Tirol bestehen. Die Zivilgerichte Unter- und Obercalven schlossen sich wie die anderen bischöflichen Gerichte dem Gotteshausbund innerhalb der Drei Bünde an. Die Erzherzöge von Österreich konnten jedoch in Untercalven 1499 endgültig ihre Landesherrschaft gegenüber dem Bischof von Chur durchsetzen. 1608 ging das Gericht in Untercalven in Mals endgültig ein, womit die letzten bündnerischen bzw. bischöflichen Einflussmöglichkeiten verschwanden. Das Gericht Obercalven bzw. das Münstertal verblieb jedoch im Gotteshausbund. Verschiedene Versuche Habsburgs, auch dieses zu erwerben scheiterten. Im Rahmen eines längeren Rechtsstreits um das Münstertal zwischen 1734 und 1762 kam auch noch das Dorf Taufers ganz an Österreich.

Bis ins 17. Jahrhundert wurde im Vinschgau wie auch in Nauders fast ausschließlich Rätoromanisch gesprochen. So war es im 14. und 15. Jahrhundert in Glurns die einzige bei Gericht verwendete Sprache. Im Zuge der Reformation, die in Tirol jedoch nur kurz währte, fand es ebenfalls Verwendung. Dies führte zu seiner Ächtung als Sprache der Reformierten. Das Kloster Marienberg bekämpfte deshalb die Verwendung des Rätomanischen, womit auch die Beziehungen zum romanischsprachigen aber reformierten Engadin erschwert wurden. Am längsten hielt sich das Rätoromanische im Oberen Vinschgau, und Taufers im Münstertal ging erst Anfang des 19. Jahrhunderts zum Deutschen über. In Müstair (Münster) auf Schweizer Seite ist es bis heute die vorherrschende Sprache (siehe auch Unterengadinische Sprache).[9]

Heute sprechen trotz über achtzigjähriger Zugehörigkeit zu Italien fast 97 % der ortsansässigen Vinschger Bevölkerung Deutsch und nur 3 % Italienisch als Muttersprache.

Verkehr

Die Vinschgerbahn

Die Vinschgerbahn Meran - Mals hat am 6. Mai 2005 nach 15 Jahren Stilllegung und einer umfassenden Modernisierung wieder den Betrieb im Personenverkehr aufgenommen. Einige Züge fahren bis Bozen.

Eine Schweizer Postauto-Linie (Mals - Zernez) verbindet den Vinschgau mit dem Engadin und schließt die Vinschgerbahn an das Netz der Rhätischen Bahn und schließlich der SBB an. Vor über 100 Jahren bestanden mit dem Projekt der Ofenbergbahn bereits Ideen zur Verknüpfung dieser Bahnen. Durch den Erfolg der Vinschgerbahn wird auch eine Neuauflage dieses Projekts diskutiert.

Die Bezirksgemeinschaft Vinschgau

Die Bezirkgemeinschaft Vinschgau (italienisch: Comunità comprensoriale Val Venosta) wurde 1962 gegründet. Die 13 angeschlossenen Gemeinden umfassen zusammen ein Gebiet von 1.442 km² mit ca. 34.200 Einwohnern. Hauptort ist Schlanders. Die Gemeinden Naturns, Plaus und Partschins liegen zwar geographisch noch im Vinschgau, gehören politisch jedoch schon zum Burggrafenamt.

Die Gemeinden der Bezirksgemeinschaft Vinschgaus sind Graun, Mals, Prad, Stilfs, Schluderns, Glurns, Schlanders, Taufers, Martell, Kastelbell-Tschars, Latsch, Laas und Schnals.

Einzelnachweise

  1. Monumenta Boica
  2. Bernd Lammerer: Wege durch Jahrmillionen, Geologische Wanderungen zwischen Brenner und Gardasee, Tappeiner Verlag, Bozen 1990
  3. Eine auch für populärgeologisches Niveau geeignete Abfassung
  4. Klimadaten
  5. Gianni Bodini, Wege am Wasser, Tappeiner Verlag 1993
  6. Tirolatlas 1
  7. Tirolatlas 2
  8. Die Besiedlungsgeschichte von Tirol
  9. a b Martin Bundi: „Vinschgau“, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineausgabe, 2006.

Weblinks

 Commons: Vinschgau – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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