Villa Reitzenstein

Villa Reitzenstein
Die Ostseite der Villa
Der Haupteingang zum Parkgelände mit dem Nordflügel der Villa im Hintergrund
Die Westseite der Villa liegt verborgen hinter hohen Bäumen des Parks
Villa-Reitzenstein - Blick von Stuttgart City

Die Villa Reitzenstein in Stuttgart ist der Amtssitz des Staatsministeriums Baden-Württemberg und des amtierenden Ministerpräsidenten. Sie befindet sich im Stadtbezirk Stuttgart-Ost und liegt auf halber Höhe auf einem Hügel am Hang des Bopser südöstlich über dem Stuttgarter Talkessel.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Villa Reitzenstein wurde zwischen 1910 und 1913 für Baronin Helene von Reitzenstein erbaut. Sie war die zweite Tochter von Eduard Hallberger, einem Stuttgarter Verleger (ihre Schwester Gabriele verstarb bereits früh).

Die Architekten der Villa waren Hugo Schlösser und Johann Weirether. Die Bauherrin sandte beide im Vorfeld der Arbeiten auf eine Reise nach Frankreich (Paris und Loire-Schlösser) und Italien, um dort Anregungen für die Außen- und Innenarchitektur der Villa zu sammeln. Der Bau wurde in Anlehnung an den französischen Barockstil als zweigeschossige Dreiflügelanlage aus Maulbronner Sandstein errichtet und mit einem Mansarddach versehen. Er wurde bereits mit einer Warmwasser-Zentralheizung ausgestattet, was damals noch nicht verbreitet war. Aufgrund der beruflichen Herkunft der Besitzerfamilie wurde auf die innenarchitektonische Ausgestaltung der Bibliothek der Villa besonderer Wert gelegt. Die gesamten Baukosten der Villa samt Park betrugen 2,8 Millionen Goldmark, für die damalige Zeit eine außerordentlich hohe Summe.

Um die Villa wurde auf dem zweieinhalb Hektar großen Grundstück ein Park nach dem Entwurf des Gartengestalters Karl Eitel teils im französisch-regelmäßigen Stil, teils im englischen Stil angelegt, mit Solitärbäumen, einem Rosengarten, mehreren Teichen und einem Amor gewidmeten Tempietto. Zu der umfriedeten Gesamtanlage gehören diverse Nebengebäude. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ein Wohngebäude des amerikanischen Militärs und ein Verwaltungsgebäude im Park errichtet, so dass heute von dem Park nur noch knapp ein Hektar erhaltengeblieben ist.

Die Bauherrin bewohnte ihre Villa lediglich neun Jahre lang. Im Ersten Weltkrieg verließ die Baronin Stuttgart, der Bau wurde dann zeitweise als Reservelazarett für Offiziere verwendet. Als die adelige Besitzerin in der Weimarer Republik nach Darching in Bayern zog, erwarb 1922 Staatspräsident Johannes von Hieber die Villa inflationsbedingt günstig für 5,5 Millionen Papiermark (ca. 400.000 Goldmark) in den Besitz des Landes. Die Regierung hatte beabsichtigt, nach Gründung der Weimarer Republik das Reichsverwaltungsgericht nach Stuttgart zu holen und dort unterzubringen, was jedoch nicht gelang, da es Karlsruhe zugesprochen wurde. Die Villa wurde umgebaut und diente seit 1925 als Sitz des württembergischen Staatspräsidenten. Als Erster wohnte Staatspräsident Wilhelm Bazille dort. Er ist der bisher einzige Regierungschef, der dort nicht nur den Dienst- sondern auch seinen privaten Wohnsitz hatte. Ihm folgte 1928 Eugen Bolz, der in der Zeit des Nationalsozialismus abgesetzt und 1945 hingerichtet wurde. Die Villa Reitzenstein war zwölf Jahre Sitz der Stuttgarter NSDAP-Parteileitung unter dem Gauleiter und späteren Reichsstatthalter Wilhelm Murr. Aus dieser Zeit stammt auch ein - heute zugemauerter - Stollen unter dem eigentlichen Keller der Villa, der für Murr erbaut wurde. Bei seiner Errichtung wurden auch Häftlinge und Fremdarbeiter eingesetzt. Die von Murr gemäß dem Nerobefehl vorbereitete Zerstörung der Villa verhinderte nach Murrs Flucht aus Stuttgart am 20. April 1945 ein Ministerialrat namens Karl Benz.

Am 22. April übergab der Oberbürgermeister die Stadt französischen Truppen. Diese nahmen kurzzeitig Besitz von der Villa, nach Kriegsende hatte der US-amerikanische Militärgouverneur, General Lucius D. Clay dort seinen Sitz. Auch der von Clay einberufene Länderrat (bestehend aus den Ministerpräsidenten der US-amerikanisch besetzten Bundesländer) tagte im Gobelinsaal. Ab 1948 war die Villa Amtssitz des Ministerpräsidenten von Württemberg-Baden, Reinhold Maier, seit 1952 ist sie Dienstsitz der Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Am 19. Juni 1983 wurde im sogenannten Eckzimmer des Hauses der Stuttgarter Vertrag, eine feierliche Erklärung im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte, vom damaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und seinem italienischen Amtskollegen Emilio Colombo ausgearbeitet. In diesem Vertrag verpflichten sich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft die Fortschritte auf dem Gebiet der interinstitutionellen Beziehungen, Zuständigkeiten der Gemeinschaft und politischen Zusammenarbeit zu überprüfen und sie gegebenenfalls in einen neuen Vertrag zur Europäischen Gemeinschaft aufzunehmen.

Namensgebung

Benannt ist die Villa nach dem verstorbenen Ehemann der Baronin, Carl Friedrich Sigmund Felix Freiherr von Reitzenstein, aus dem fränkischen Adelsgeschlecht der Reitzenstein. Er war der Sohn eines Generals, der die württembergischen Truppen im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 geführt hatte und Kammerherr der württembergischen Königin Charlotte. Baron von Reitzenstein war dem Glücksspiel zugetan und verstarb am Roulettetisch. Aus dem 1848 durch Eduard von Hallberger gegründeten Verlag und der bereits 1831 von dessen Vater Louis Hallberger gegründeten Hallberger'schen Verlagshandlung entstand durch Fusion 1881 die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), an der 1920 der Industrielle Robert Bosch die Mehrheit erwarb.

Literatur

  • Gerhard Konzelmann: Villa Reitzenstein: Geschichte des Regierungssitzes von Baden-Württemberg. Hohenheim Verlag, Stuttgart u. Leipzig 2004, ISBN 3-89850-104-3.
  • Kleine Geschichte der Villa Reitzenstein. DRW-Verlag Weinbrenner, Leinfelden-Echterdingen 2003, ISBN 3-87181-534-9.

Weblinks

 Commons: Villa Reitzenstein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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