Vexations

Vexations

Vexations (frz. etwa: Quälereien) ist ein Klavierstück des französischen Komponisten Erik Satie. Es handelt sich um eines der ersten Beispiele für ein repetitives Arrangement sowie für Atonalität in der Kunstmusik und wird allgemein als eines der längsten Stücke der Musikgeschichte überhaupt angesehen, obwohl die Partitur nur aus einer Seite besteht. Vermutlich gehört Vexations zu Saties Werkreihe Pages Mystique, auch wenn dies nicht sicher ist.

Das Stück, das wahrscheinlich 1893 komponiert wurde, besteht aus einem Thema und zwei Variationen, die 840 Mal wiederholt werden sollen. Da kaum Hinweise auf die Entstehungsgeschichte des Werks existieren und Satie es auch nie in seinen (erhaltenen) Briefen erwähnte, ist die musikalische Einordnung bis heute umstritten, es wird bisweilen auch als musikalischer Scherz des Komponisten bezeichnet. Dennoch zählt es wegen der Ungewöhnlichkeit zu den bekanntesten Werken Saties.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau und Besonderheiten

Das Thema des Stücks ist eine einstimmige, einfache Melodie, die nur Viertel- und Achtelnoten enthält. Harmonisch sind in der nur 13 Zählzeiten langen Melodie zahlreiche Sprünge zwischen verschiedenen Tonarten enthalten. Es gibt keine tonale Melodieführung, so gibt es etwa keinen klaren Grundton, auch wenn man die Melodie in vier verschiedene kurze Abschnitte mit eigener Tonart einteilen kann. Taktstriche oder genaue Tempoangaben sind nicht vorhanden, lediglich eine Anweisung Très lent (frz.: sehr langsam). Auch das Musikinstrument ist nicht angegeben, es gilt jedoch als sicher, dass das Stück für Klavier oder Harmonium geschrieben wurde.

Die beiden Variationen bestehen aus jeweils zwei Stimmen, die in gleichen Notenwerten als doppelter Kontrapunkt zum Thema hinzugefügt werden (Homophonie). Auf diese Weise wird auf jeder Note ein Akkord aufgebaut. Satie wählte dabei für den Abstand zwischen den beiden Oberstimmen mit einer Ausnahme (erste Achtelnote der zweiten Zählzeit) übermäßige Quarten (Tritonus).

Satie verwendet zahlreiche enharmonische Verwechslungen in der Notation von Vexations, so werden etwa bestimmte Töne in mehrfacher Art durch verschiedene Versetzungszeichen dargestellt. Dies weist nach Angaben des Musikwissenschaftlers Robert Orledge, der das Stück analysierte, auf das Vorhandensein einer Grundtonleiter hin, die ebenfalls in einem im selben Jahr geschriebenen kurzen Stück namens Bonjour, Biqui, Bonjour auftaucht, das Satie als Geschenk für seine damalige Geliebte komponiert hatte. Satie verwendete derartige Tonleitern vor allem in seiner späteren Schaffensperiode nach 1917.

Die Anweisung, das Stück 840 Mal zu wiederholen, findet sich in einem kurzen Einleitungstext auf der Partitur. Dieser besagt sinngemäß, dass man, wenn man dieses Stück 840 Mal zu wiederholen beabsichtigt, sich vorher in Stille und Unbeweglichkeit darauf vorbereiten solle. Es ist daher ungewiss, ob die Zahl der Wiederholungen obligatorisch ist, auch wenn dies in den Aufführungen des Stücks immer vorausgesetzt wird. Laut einiger Analysen, die von Vexations existieren, ist vielmehr der Effekt einer scheinbar endlosen Wiederholung der Akkordreihe Sinn dieser Anweisung.

Veröffentlichung, Aufführungen und Rezeption

Vexations wurde erst 1949 in Druckform veröffentlicht, also lange nach dem Tod des Komponisten. Die Bekanntheit des Stücks ist weitgehend dem Interesse von John Cage an ihm zu verdanken, der ähnliche Experimente in Bezug auf ungewöhnliche Arrangementstrukturen Mitte des 20. Jahrhunderts verfolgte. Auch in der Szene rund um die Serielle Musik wurde Vexations beachtet, zum Teil wird es wegen seiner Tonreihen als Vorläufer dieser Bewegung angesehen.

Am 9. September 1963 wurde das Werk von einem Team von mehreren Pianisten, darunter Cage selbst, uraufgeführt. Nur eine einzige Person war von Anfang bis Ende des Stücks, das 18 Stunden und 40 Minuten (von 18 Uhr bis 12:40 Uhr am Tag danach) dauerte, anwesend.

Nach der Uraufführung versuchten sich zahlreiche weitere Pianisten an der Herausforderung durch Vexations. Die Aufführungsdauer betrug je nach Interpretation der Anweisungen Saties zwischen 12 und 28 Stunden. Einzelnen Spielern gelang dabei auch eine komplette Darbietung im Alleingang.

Seit den 1970er Jahren fanden die Aufführungen des Stückes Beachtung in der musikpsychologischen Forschung, insbesondere in der Sparte der Performanceforschung. Insbesondere lag das Augenmerk dabei auf den Auswirkungen der extremen Belastung durch die lange Interpretationsdauer und das langsame Tempo für die Pianisten selbst. E. Clarke konstruierte 1982 eigens einen speziellen Computerflügel, um das Timing beim Spiel des Stückes genau messen zu können. Der Musikpsychologe Reinhard Kopiez befasste sich im Jahr 2003 in einem Forschungsprojekt mit dem Stück anlässlich einer 28-stündigen Performance des Pianisten Armin Fuchs.

Literatur

  • Reinhard Kopiez, Marc Bangert und Eckart Altenmüller: Tempo and loudness analysis of a continuous 28-hour performance of Erik Satie's composition 'Vexations'. Journal of New Music Research, 2003, 32(3), 243-258. ISSN 0929-8215
  • Christine Kohlmetz, Reinhard Kopiez und Eckart Altenmüller: Stability of motor programs during a state of meditation: electrocortical activity in a pianist playing 'Vexations' by Erik Satie continuously for 28 hours. Psychology of Music, 2003, 31(2), 173-186. ISSN 0305-7356
  • Reinhard Kopiez: Die Performance von Erik Saties 'Vexations' aus Pianistensicht. In: Reinhard Kopiez u.a. (Hrsg.), Musikwissenschaft zwischen Kunst, Ästhetik und Experiment. (Festschrift für Helga de la Motte-Haber zum 60. Geburtstag) (S. 303-311). Würzburg, Königshausen & Neumann. ISBN 3-8260-1524-X

Einfluss auf andere Musik

  • Der Komponist Moritz Eggert bezieht sich in zwei Stücken auf die "Vexations" von Satie: "Vexations" für Kammerorchester (1993) und "Vexations II" für 2 Klaviere (2001)
  • Das zweite Album der Band Get Well Soon heißt Vexations und nimmt direkt Bezug auf Saties Werk

Weblinks


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