Versäumnisurteil

Versäumnisurteil

Das Versäumnisurteil ist nach deutschem Zivilprozessrecht eine gerichtliche Entscheidung, die gegen eine Partei ergeht, die in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist oder die trotz Erscheinens nicht zur Sache verhandelt. Die österreichische Entsprechung ist das Versäumungsurteil. Ist nach dem Dafürhalten des Gerichts eine Partei unverschuldet am Erscheinen verhindert, so ist der Prozess von Amts wegen zu vertagen. Ein Versäumnisurteil kann auch im schriftlichen Vorverfahren erlassen werden, sofern der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft nicht rechtzeitig anzeigt. An Stelle eines Versäumnisurteils kann – wenn schon in einem früheren Termin zur Sache verhandelt worden ist – ein Urteil nach Lage der Akten beantragt werden.

Inhaltsverzeichnis

Säumnis des Beklagten

Erscheint der Beklagte zu einer mündlichen Verhandlung nicht, so gilt dadurch das gesamte Vorbringen des Klägers in seiner Klageschrift und seinen sonstigen Schriftsätzen − mit Ausnahme des Vortrags zur örtlichen Zuständigkeit − als zugestanden (§ 331 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dies gilt auch sofern der Beklagte in einer früheren Verhandlung das Klägervorbringen bestritten hat. Soweit der schriftsätzliche Tatsachenvortrag den Klageantrag rechtfertigt (Schlüssigkeit der Klage), ist nach dem Klageantrag durch Versäumnisurteil zu erkennen. Wegen Behauptungen, die der Kläger erst in der mündlichen Verhandlung, in der der Beklagte säumig ist, aufstellt, ist das Gericht gehindert ein Versäumnisurteil zu erlassen. Hier sind die Parteien zu einem neuen Termin zu laden.

Soweit schon nach dem Tatsachenvortrag des Klägers ein Anspruch im Sinne des Klageantrags nicht gegeben ist (Unschlüssigkeit der Klage), wird die Klage durch ein unechtes Versäumnisurteil zurückgewiesen. Ein unechtes Versäumnisurteil ergeht nur aufgrund der Unschlüssigkeit oder Unzulässigkeit der Klage und gerade nicht wegen der Säumnis (daher: „unecht“). Es kann nur gegen den Kläger ergehen, da der Beklagte weder mit der Unschlüssigkeit noch mit der Unzulässigkeit etwas zu tun hat. Ein unechtes Versäumnisurteil ergeht gegen den Kläger selbst dann, wenn dieser anwesend und der Beklagte säumig ist, denn es handelt sich um ein „normales“ Urteil (bei Unzulässigkeit: ein Prozessurteil; bei Unschlüssigkeit: ein Endurteil).

Säumnis im schriftlichen Vorverfahren

Hat das Gericht das schriftliche Vorverfahren gem. § 276 Abs. 1 ZPO angeordnet, kann auf Antrag des Klägers schon dann (ohne mündliche Verhandlung!) ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergehen, wenn der Beklagte seine Absicht, sich gegen die Klage zu verteidigen, nicht fristgemäß anzeigt (§ 331 Abs. 3 ZPO). Dieser Antrag kann bereits in der Klageschrift gestellt werden, was üblicherweise der Fall ist.

Säumnis des Klägers

Erscheint zur mündlichen Verhandlung der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht oder verhandelt er nicht zur Sache (§ 333 ZPO), so wird seine Klage ohne Sachprüfung abgewiesen.

Sonderfall: Säumnis wegen fehlender Postulationsfähigkeit

Im sog. Anwaltsprozess − eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist hier zwingend vorgeschrieben (vgl. § 78 ZPO) − wird eine Partei auch dann als nicht erschienen behandelt, wenn für sie kein zugelassener Rechtsanwalt auftritt. Der Partei fehlt hier die sog. Postulationsfähigkeit, d. h. es fehlt ihr die Fähigkeit, prozessualem Handeln die rechtserhebliche Erscheinungsform zu geben.

Inhalt des Versäumnisurteils

Das Versäumnisurteil besteht nur aus Rubrum und Tenor. Es bedarf keiner Abfassung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe (§ 313b ZPO). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Vollstreckung voraussichtlich im Ausland zu erfolgen hat. Dann müssen auch Tatbestand und Entscheidungsgründe angefügt werden, weil nicht mit einer Begründung versehene Entscheidungen von den ausländischen Autoritäten sehr häufig nicht als Vollstreckungsgrundlage anerkannt werden.

Das unechte Versäumnisurteil ist dagegen kein Versäumnisurteil in diesem Sinne. Es ergeht gegen den anwesenden Kläger wegen seines unzureichenden Sachvortrags. Es ist daher zu begründen wie jedes andere Urteil auch.

Einspruch

Das (echte) Versäumnisurteil kann mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angegriffen werden (§ 338 ZPO). Der Einspruch ist binnen zwei Wochen (§ 339 ZPO) - im Arbeitsrecht binnen einer Woche - seit Zustellung des Versäumnisurteils schriftlich bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird (sog. iudex a quo), einzulegen. Die Einspruchsschrift hat nach § 340 Abs. 3 ZPO die Einspruchsbegründung zu enthalten. Wird die Einspruchsbegründung erst nach Fristablauf gegeben, so ist der Einsprechende mit seinem Vortrag nicht ohne weiteres ausgeschlossen, sondern ist nur dann präkludiert, wenn der verspätete Vortrag den Rechtsstreit auch verzögern würde (es gilt § 296 Abs. 1, 3, 4 ZPO entsprechend).

Der unzulässige Einspruch wird durch ein Urteil, dem keine weitere mündliche Verhandlung vorausgehen muss, verworfen. Der zulässige Einspruch versetzt den Rechtsstreit in den Stand vor der Säumnis zurück und führt deshalb in aller Regel zur Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung.

Flucht in die Säumnis

Mit der Flucht in die Säumnis wird ein taktisches Verhalten im Zivilprozess beschrieben: Der Beklagte, der auf die Klage nicht fristgerecht erwidert hat, wird häufig vor der Situation stehen, dass er, wenn er in der mündlichen Verhandlung seine Sachargumente vorbringt, mit diesen nicht mehr gehört wird, weil sein Vorbringen verspätet ist. Unterlässt es der Beklagte in diesem Fall, die Abweisung der Klage zu beantragen, verhandelt er also nicht zur Sache, kann, wie dargestellt, zwar ein Versäumnisurteil gegen ihn ergehen, gegen dieses kann er jedoch Einspruch einlegen und mit der Einspruchsbegründung auch das im ersten Termin verspätete Vorbringen zum Gegenstand seiner Rechtsverteidigung machen. Der Nachteil der Flucht in die Säumnis besteht darin, dass derjenige, gegen den das Versäumnisurteil ergeht, auch dann, wenn er nach eingelegtem Einspruch in der Hauptsache obsiegt, die Kosten der Säumnis zu tragen hat (§ 344 ZPO), und dass das Versäumnisurteil ein ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbarer Titel ist § 708 Nr. 2 ZPO. Auf dieses Risiko muss ein beauftragter Anwalt hinweisen. Oftmals wird dieses weniger schwer wiegen als der bei der Zurückweisung des präkludierten, d. h. ausgeschlossenen und daher später nicht zu berücksichtigenden Tatsachenvortrags drohende Verlust des Prozesses.

Mehrfache Säumnis

Erscheint die säumige Partei auch in der auf den Einspruch hin einberaumten weiteren mündlichen Verhandlung nicht oder verhandelt sie dort nicht zur Sache, so wird der Einspruch durch ein technisch zweites Versäumnisurteil verworfen. Gegen dieses Urteil gibt es keinen neuen Einspruch, sondern nur das Rechtsmittel der Berufung, die allein darauf gestützt werden kann, dass eine schuldhafte Versäumung des zweiten Termins nicht vorgelegen habe (§ 345, § 514 Abs. 2 ZPO). Umstritten ist, ob in der Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil geprüft wird, ob das erste Versäumnisurteil zu recht ergangen ist, ob also die Klage tatsächlich schlüssig begründet worden war. Die herrschende Meinung in der Literatur und die Rechtsprechung lehnt das im Umkehrschluss aus § 700 Abs. 6 ZPO ab.

Säumnis in der Rechtsmittelinstanz

Die Säumnis des Berufungsbeklagten hat zur Folge, dass das zulässige tatsächliche Vorbringen des Berufungsklägers als zugestanden anzunehmen ist. Soweit es den Berufungsantrag rechtfertigt, ist nach dem Antrag zu erkennen, soweit dies nicht der Fall ist, muss die Berufung zurückgewiesen werden. Ist der Berufungskläger säumig, so wird seine Berufung ohne Sachprüfung zurückgewiesen. Entsprechendes gilt auch für die Säumnis im Revisionsverfahren.

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