Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer

Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer

Die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer ist eines der wichtigsten ungelösten Probleme der modernen Mathematik und macht Aussagen zur Zahlentheorie auf elliptischen Kurven.

Inhaltsverzeichnis

Formulierung

Die Vermutung sagt etwas über den Rang elliptischer Kurven aus. Elliptische Kurven sind durch Gleichungen dritten Grades in x und zweiten Grades in y gegeben, deren „Diskriminante“ D nicht verschwindet.[1] Auf diesen Kurven kann man rationale Punkte nach einem von Henri Poincaré 1901 untersuchten[2] „Sekanten-Tangentenverfahren“ so addieren, dass das Ergebnis wieder ein rationaler Punkt der Kurve ist. Diese „Addition“ ist geometrisch so definiert: man lege eine Gerade durch zwei rationale Punkte P und Q. Schneidet die Gerade die Kurve in einem dritten Punkt, so spiegele man diesen an der x-Achse, was wieder einen Punkt auf der Kurve liefert, da diese symmetrisch zur x-Achse ist. Der so erhaltene rationale Punkt der Kurve ist die Summe P+Q. Als neutrales Element „0“ dient der Punkt im Unendlichen (projektive Ebene). Der Spiegelpunkt zu P auf der Kurve ist sein Inverses. Im Fall, dass die Gerade durch P, Q keinen dritten Schnittpunkt auf der Kurve hat, wird dafür der Punkt im Unendlichen genommen, und die Addition lautet: P+0=P. Man kann auch P + P bilden, indem man den Schnittpunkt der Tangente in P als zweiten Punkt in der Additionskonstruktion nimmt. Hinter dieser Konstruktion steht die Tatsache, dass elliptische Kurven Riemannflächen von der Form eines Torus haben (Geschlecht 1)[3], geometrisch also Gitter sind und damit additive Gruppen sind, was sich auch auf ihr Verhalten in den rationalen Zahlen oder endlichen Körpern überträgt. Die Existenz einer solchen merkwürdigen Art von Addition wird auch in den sogenannten „Elliptic-curve“-Primzahltests und „public-key“-Verschlüsselungsverfahren in der Kryptographie ausgenutzt. Dazu braucht man Kurven mit möglichst vielen rationalen Punkten und nutzt die Schwierigkeit aus, die Ausgangsdaten für die additive Erzeugung großer rationaler Punkte der Kurve zu finden. Siehe dazu Elliptische-Kurven-Kryptosysteme.

Wenn man einen rationalen Ausgangspunkt P0 so zu sich selbst addiert, erhält man eine Folge von Punkten:

P1 = P0 + P0
P2 = P0 + P0 + P0
P3 = P0 + P0 + P0 + P0

und so weiter.

Nun können zwei Fälle eintreten – natürlich auch auf derselben Kurve bei verschiedenen rationalen Punkten:

  1. Man bewegt sich in einem Kreis, d.h. irgendein Pn ist wieder identisch dem Anfangspunkt. In diesem Fall bilden die Punkte eine endliche Gruppe. Die entsprechenden Punkte heißen Torsionspunkte, die zugehörige Gruppe Torsionsgruppe.
  2. Man kommt immerfort zu neuen Punkten, die alle auf der Kurve liegen. In diesem Fall wäre die Gruppe isomorph zum r-fachen Produkt der ganzen Zahlen, je nachdem wie viele Startpunkte P0 notwendig sind, um die rationalen Punkte so zu erzeugen. Die Anzahl dieser Startpunkte wird als „Rang“ r der Kurve bezeichnet.

Bei ihrer Vermutung geben Bryan Birch und Peter Swinnerton-Dyer ein Verfahren an, wie man aus der Gleichung der elliptischen Kurve deren Rang bestimmen kann. Er ergibt sich aus der Betrachtung der L-Funktion L(E, s) die abhängig ist von der untersuchten elliptischen Kurve E und einer komplexen Variablen s. Die L-Funktion ist analog zur Riemannschen Zetafunktion definiert, nur geht man jetzt von der Primzahlseite – also vom Eulerprodukt – aus und kodiert zusätzlich in der Reihe die Anzahl der Lösung der elliptischen Kurve modulo einer Primzahl p[4]:

 L(E,s) = \prod_{p} \frac {1}{(1- a_p p^{-s} + p^{(1-2s)})}

mit der Anzahl der Lösungen mod p N(p)=\left( p-a_p \right). L(E,s) hat die Form einer richtigen Zetafunktionsreihe (als Summe über die natürlichen Zahlen), sie konvergiert für Realteile von s ≥3/2. Man kann nun untersuchen, ob sie sich in ganz s analytisch fortsetzen lässt, ob sie eine Funktionalgleichung erfüllt, wo ihre Nullstellen liegen usw. Wie bei der Riemannschen Zetafunktion für die Primzahlen erhält man aus L(E,s) Informationen über die asymptotische Verteilung der Lösungen (mod p, für große p). Birch und Swinnerton-Dyer untersuchten die Lösungen in den 1960er Jahren mit dem Computer und formulierten ihre berühmte Vermutung für die asymptotische Verteilung der Anzahl N(p) der Punkte auf E über endlichen Körpern F(p) also mod p:

\prod_{p<x} \frac{N(p)}{p} \approx \log(x)^r für x \rightarrow \infty.

Sie verbindet also ein Produkt lokaler Dichten (die einzelnen endlichen Körper haben maximal p Elemente) über die Primzahlen mit der asymptotischen logarithmischen Verteilung (mit einem Exponenten r da hier r „natürliche Zahlen“ vorhanden sind). In die Sprache der Zetafunktion L(E,s) übertragen besagt sie, dass die Ordnung der Nullstelle von L(E, s) an der Stelle s=1 – falls die Funktion dort eine hat – gleich dem Rang r der Gruppe der rationalen Punkte ist. Dazu muss natürlich bewiesen werden, dass L bis zu s=1 analytisch fortgesetzt werden kann, so dass L dort in eine Taylorreihe entwickelbar ist. Es gibt auch noch eine detailliertere Version, die den Koeffizienten der Taylorentwicklung an der Stelle s=1 mit arithmetischen Objekten wie der Ordnung der Tate-Shafarevich Gruppe[5], „lokalen Faktoren“, der reellen Periode der Kurve und der Ordnung der Torsionsgruppen in Beziehung setzt.

Status

Die Vermutung wurde bisher nur in Spezialfällen bewiesen:

  1. 1976 bewiesen John Coates und Andrew Wiles, dass wenn E eine elliptische Kurve mit "komplexer Multiplikation" ist und L(E,1) nicht 0 ist, E nur eine endliche Zahl rationaler Punkte hat. Sie bewiesen dies für imaginär quadratische Körper K – aus diesen kommt der Faktor bei der „komplexen Multiplikation“ − mit der Klassenzahl 1, von Nicole Arthaud wurde dies auf alle imaginär quadratischen Zahlkörper erweitert.
  2. 1983 zeigten Benedict Gross und Don Zagier, dass wenn eine modulare elliptische Kurve[6] eine Nullstelle erster Ordnung bei s=1 hat, es einen rationalen Punkt unendlicher Ordnung gibt.
  3. 1990 zeigte Victor Kolyvagin, dass für eine modulare elliptische Kurve, für die L(E,1) eine Nullstelle 1. Ordnung bei s=1 hat, der Rang r=1 ist. Außerdem zeigte er ebenfalls für modulare Kurven, dass r=0 ist, falls L dort keine Nullstelle hat.
  4. 1991 zeigte Karl Rubin, dass für elliptische Kurven E mit komplexer Multiplikation mit Elementen aus einem imaginär-quadratischen Zahlkörper K, sowie mit nicht verschwindender L-Reihe bei s=1, der „p-Anteil“ der Tate-Shafarevich Gruppe die aus der Birch-Swinnerton-Dyer Vermutung folgende Ordnung hat, für alle Primzahlen p > 7.
  5. 1999 zeigten Andrew Wiles, Christophe Breuil, Brian Conrad, Fred Diamond und Richard Taylor, dass alle elliptischen Kurven über den rationalen Zahlen modular sind (Taniyama-Shimura-Vermutung)[7], so dass die Ergebnisse von Kolyvagin und Rubin für alle elliptischen Kurven über den rationalen Zahlen \mathbb{Q} gelten.

Für Kurven mit Gruppen, die einen Rang r>1 haben, wurde bisher nichts bewiesen, es gibt aber starke numerische Argumente für die Korrektheit der Vermutung.

Der Beweis der noch offenen Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer wurde vom Clay Mathematics Institute in ihre Liste der Millennium-Probleme aufgenommen.

Literatur

Allgemein in Zusammenhang mit Elliptischen Kurven über rationalen Zahlen:

  • Serge Lang Faszination Mathematik, Vieweg 1989 (populär)
  • ders. Elliptic curves- diophantine analysis, Springer 1978
  • Neil Koblitz Introduction to elliptic curves and modular forms 1984, Springer
  • Husemoller Elliptic curves, Springer 1987
  • Silverman The arithmetic of elliptic curves, 1986, Springer
  • Silverman, Tate Rational points on elliptic curves 1992, Springer
  • Knapp Elliptic curves, Princeton 1992

Einzelnachweise

  1. Die Diskriminante ist proportional dem Produkt der Quadrate der drei Wurzeldifferenzen. Sind zwei Wurzeln der kubischen Gleichung gleich, so verschwindet D. Diese sogenannten „singulären Stellen“, an denen die partiellen Ableitungen beide verschwinden, will man vermeiden. Sie haben die Form eines Knotens (zwei Tangenten in einem Punkt) oder einer Spitze (Doppeltangente in einem Punkt) auf der x-Achse. Im „Normalfall“ besteht die Kurve aus einer einzigen Kurve mit nur einer Nullstelle („geschlossen“ im Unendlichen) oder aus zwei Kurven mit einer zusätzlichen im Endlichen geschlossenen Kurve mit zwei reellen Nullstellen.
  2. Das Verfahren war schon Isaac Newton bekannt. Auch Poincarés Behandlung wies Lücken auf, z.B. bewies er die Gruppenstruktur nicht. Norbert Schappacher Développement de la loi de groupe sur une cubique, Séminaire de théorie des nombres de Paris 1988–1989, Birkhäuser, 1990, pp. 158–184
  3. Für Kurven mit Geschlecht größer als 1 gibt es nach dem Satz von Faltings/Mordell nur endlich viele rationale Punkte
  4. wobei im Produkt eine Primzahl p auftritt, die die Diskriminante nicht teilt, eine so genannte „gute Primzahl“. Würde sie dies tun („bad prime“), wäre E die elliptische Kurve über dem zugehörigen endlichen Körper „singulär“ und das Vorgehen ist dann komplizierter.
  5. das ist die Gruppe der Äquivalenzklassen „homogener Räume“ der Gruppe von E über lokalen Körpern. Über diese Gruppen ist wenig bekannt, man weiß nicht einmal ob sie für alle elliptischen Kurven endlich sind.
  6. modular heißt, dass sich die Anzahl der Lösungen mod p auch aus den Fourierkoeffizienten einer Modulform ergibt oder besser gesagt, dass sich allein mit diesen Lösungsanzahlen eine Modulform bilden lässt. Modulare elliptische Kurven werden auch „Weil Kurven“ genannt.
  7. Für den Beweis der Fermat-Vermutung hatten Wiles und Taylor das schon vorher für spezielle (semistabile) elliptische Kurven bewiesen

Weblinks


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