Vegetius

Vegetius

Vegetius (Publius Flavius Vegetius Renatus)[1] ist ein bekannter Kriegstheoretiker des ausgehenden 4. Jahrhunderts. Von seinem Leben, seinem Werdegang und über seine militärischen Erfahrungen ist wenig bekannt. In antiken Quellen wird er vir illustris und comes genannt, daher gehörte er dem hohen römischen Reichsadel an. Im Vorwort seines Hauptwerks bezeichnet er sich als Christ.

Inhaltsverzeichnis

Epitoma rei militaris

Vegetius’ Hauptwerk, die Abhandlung Epitoma rei militaris (auch: De Re Militari) entstand am Mailänder Kaiserhof und ist nur so allgemein gewidmet, dass als Adressaten die Kaiser Theodosius I. der Große (regierte 379-395), möglicherweise aber auch dessen Sohn Honorius, sowie Theodosius II. und Valentinian III. in Frage kommen. Die Datierung ist daher nicht ganz sicher. Quellen sind nach Vegetius’ eigenen Angaben Cato, Aulus Cornelius Celsus, Frontinus, Paternus und die kaiserlichen Armeereglemente von Augustus, Trajan und Hadrian (Kaiser).

Das erste der fünf Bücher behandelt Rekrutierung und Ausbildung der Soldaten. Es schildert dabei anschaulich den militärischen Niedergang des spätrömischen Reiches und ist ein Plädoyer für eine grundlegende Reform der Armee seiner Zeit.

Im zweiten Buch beschreibt Vegetius detailliert Aufbau, Ausbildung und Ausrüstung der Legionen früherer Epochen (speziell der frühen Kaiserzeit).

Das dritte Buch über Strategie und Taktik enthält eine Reihe militärischer Maximen, die zur Grundlage militärischen Denkens für europäische Feldherrn von Karl dem Kahlen über Wilhelm von Oranien bis Friedrich dem Großen wurden. Erst mit Ausbruch der französischen Revolution - den unter dem Stichwort einer "nation en armes" („Volk in Waffen“) anders geführten Revolutionskriegen - gerät Vegetius zunehmend in Vergessenheit. Einige seiner Grundsätze mögen die Prinzipien eines Krieges mit begrenzter politischer Zielsetzung verdeutlichen:

  • „Was für den Feind vorteilhaft ist, wird dir selbst zum Nachteil, und was dir hilft schadet dem Feind.“
  • „Der entscheidende Punkt in der Kriegführung ist die Sicherstellung des eigenen Nachschubs und die Vernichtung des Feindes durch Hunger. Hunger ist schlimmer als das Schwert.“
  • „Niemand gehört auf das Schlachtfeld, der nicht erfahren und erprobt ist.“
  • „Es ist besser, dem Feind den Nachschub abzuschneiden, ihn mit Überfällen und Hinterhalten zu bekämpfen, als eine offene Feldschlacht anzunehmen, für deren Ausgang der Zufall häufig eine größere Rolle spielt als die Entschlossenheit“ (frei übersetzt, s. Diskussion).
  • „Wer den Frieden will, bereite den Krieg (vor).“

Dies sind Sentenzen, die die Führer professioneller Armeen in allen Ländern und zu allen Zeiten wie schon die chinesischen Generäle Sun Tsu und Wu vor ihm geachtet haben. Derartige Grundsätze haben Führer von Söldnerheeren während der längsten Zeit der Geschichte befolgt. Seine "sieben üblichen Dispositionen zur Schlacht", einst von europäischen Adepten des Kriegshandwerks verehrt, können durchaus auch auf modernere Verhältnisse übertragen werden.

Sein viertes Buch zur Belagerungstechnik ist wichtig, da es die beste diesbezügliche Beschreibung für die Zeit der Spätantike und des Mittelalters bis in das 10. Jh. hinein enthält. Es beschreibt zum Beispiel detailliert den Onager, eine Maschine, die vor der Entwicklung moderner Kanonen bei Belagerungen zum Einsatz kam.

Das fünfte Buch schließlich ist eine Auflistung von Personal und Materialbestand der römischen Flotte.

Vegetius beklagt primär den Niedergang des römischen Heerwesens seiner Zeit, des späten 4.Jahrhunderts. Um dies zu beleuchten, glorifiziert er die Armee der frühen Kaiserzeit. Er betont vor allem den hohen Standard der Rekruten und die Qualität ihrer Ausbildung sowie des Offizierskorps. Tatsächlich entwirft er hier eher ein Idealbild, als dass er die Realität des 1. nachchristlichen Jahrhunderts korrekt beschreibt.

Artis Mulomedicinae

Eine separate Abhandlung über die Tier-, speziell Pferdeheilkunde, (Artis Mulomedicinae), in welcher er von den „Thüringern“ (Sächsisch-Thüringisches Schweres Warmblut) als einer für den Kriegsdienst besonders tauglichen Pferderasse schreibt, stellt zugleich die früheste Erwähnung dieses Namens dar. Im Gegensatz zu den „Epitoma“ ist dieses Werk jedoch kaum bekannt.

Rezeptionsgeschichte der Epitoma

Einige Auszüge aus dem Werk sind schon für das 7. Jahrhundert nachweisbar und für das 9. Jahrhundert sind fünf Manuskripte nachweisbar. Das dieses Werk sich im Hochmittelalter starker Verbreitung unterzog, sprechen die Exemplare, deren Zahl vom 10. bis 15. Jahrhundert von 25 auf 304 angestiegen war. Die ersten Büchsenmeisterhandschriften, vor allem Konrad Kyesers Bellifortis, scheinen Vegetius vermehrt zu rezepieren. Die Auseinandersetzung mit diesem Sachgebiet scheint die Ingenieurkunst der frühen Neuzeit stark beeinflusst zu haben. Im 13. Jahrhundert wird er ins italienische und französische übersetzt. 1394/95 wurde es unter dem Namen "ler der streit" von Johann Seffner ins deutsche übersetzt. Seit dem ersten Erscheinen erfreuten sich Abschriften der Epitoma außerordentlicher Beliebtheit. Ihre Regeln der Belagerungstechnik wurden bis in das Mittelalter hinein viel beachtet. Das Werk wurde noch vor der Erfindung des Buchdrucks ins Englische, Französische (von Jean de Meung und Christine de Pisan), Italienische (von Bono Giamboni u. a.), Katalanische, Spanische, Tschechische und Jiddische übersetzt.

Die ersten gedruckten Ausgaben erschienen in Utrecht (1473), Köln (1476), Paris (1478), Rom (in Veteres de re mil. scriptores, 1487) und Pisa (1488). Eine deutsche Übersetzung von Ludwig Hohenwang wurde im Jahre 1475 in Ulm gedruckt. Eine frühe englische Version (basierend auf der französischen Fassung) erschien bei Caxton im Jahr 1489. Vegetius' herausragende Position als Autorität auf dem Gebiet des Kriegshandwerks war damit für lange Zeit gesichert. Noch im 18. Jahrhundert bekennt sich der französische Lieutenant général Puysegur zu Vegetius’ Grundsätzen und macht sie explizit zur Grundlage seines eigenen Werks. Charles Joseph de Ligne schrieb 1770: "C'est un livre d'or“.

Die zuverlässigste moderne Ausgabe stammt von Michael D. Reeve (Oxford, 2004). Eine ebenso detaillierte wie kritische Stellungnahme zu Werk und Bedeutung Vegetius' liefert Max Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften, i. 109-125 (München, 1889). In neuerer Zeit weist Rainer Leng im Vortrag der DFG-Forschergruppe „Bild des Krieges“ vom 5. März 1999 darauf hin, dass die Epitoma rei militaris nur in den seltensten Fällen als Lehrschrift für militärisches Handeln galten: „Meist wurden sie als moralisch-aszetische Schrift oder bestenfalls als politisch-ideologischer Entwurf betrachtet und somit mehr Philosophie und den Artes zugerechnet als der Kriegswissenschaft.“ Ungeachtet der Tatsache, dass es sich um das einzige antike kriegswissenschaftliche Dokument handelt, das im Mittelalter und bis in das 18. Jahrhundert weite Verbreitung fand, war seine praktische Bedeutung wohl eher gering.


Literatur

  • P. Vegeti Renati - Digestorum Artis Mulomedicinae, hgg. v. E. Lommatzsch (1903)
  • Vegetius - Abriß des Militärwesens, hgg. u. übers. v. Friedhelm L. Müller, Stuttgart 1997 (Lat./Deutsch).
  • Vegetius. Epitoma rei militaris, hgg. v. L. F. Stelten, New York 1990
  • Vegetius. Epitome of Military Science, hgg. v. N. P. Milner (Translated Texts for Historians 16), Liverpool2 1995
  • Volker Schmidtchen: Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie. Weinheim 1990.

Einzelnachweise

  1. Vegetius wird in manchen - vor allem älteren - Quellen auch Vegez genannt (vgl. ähnlichen Namensgebrauch bei Horaz).

Weblinks



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