Usus modernus

Usus modernus

Der Begriff usus modernus bezeichnet im engeren und nur auf „Deutschland“ bezogenen Sinne eine Epoche in der deutschen Rechtsentwicklung während des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Name dieser Epoche entstammt dem Titel des Werks Specimen usus moderni pandectarum (1690-92) von Samuel Stryk, einem Hauptvertreter dieser Stilrichtung. Der eigentliche Begriff ist schwer zu übersetzen, „moderner Gebrauch der Pandekten“ trifft es zu wenig, da hier die Bedeutung des Wortes „usus“ zu wenig zum Ausdruck kommt. „Usus“ ist ein Fachbegriff des Römischen Rechts. Er bezeichnet die längere Anwendung einer Regel oder einen andauernden Brauch mit der Folge, dass daraus Gewohnheitsrecht entsteht. War bisher der Corpus Iuris Civilis mangels entgegenstehendem Partikularrecht unwiderlegbar, konnte jetzt die Geltung jedes Textes in Frage gestellt werden. Man musste für jeden Lehrsatz den Nachweis seiner praktischen Rezeption bringen. Dies führte zu einem selbständigen deutschen Rechtsbewusstein und war der Anfang der deutschen Rechtsgeschichte (Franz Wieacker) Es ist aber wenig sachgerecht, eine Begrenzung auf das Gebiet des heutigen Deutschland vorzunehmen, denn der usus modernus war an keine Staatsgrenze gebunden, sondern eine „gesamteuropäische Epoche der Rechtswissenschaft“ (so Franz Wieacker). So las der Niederländer Wesenbeck in „Deutschland“, während der Deutsche Wissenbach in Holland tätig war. Das Werk von Hugo Grotius zum römisch-holländischen Recht, die „Inleidinge tot de Hollandsche rechts-geleerdheid“, wurde auch in Deutschland stark beachtet und über die Zitate im Werk des viel gelesenen Arnold Vinnius auch in Spanien und Südamerika. Einer der bedeutendsten Juristen der Niederlande Johannes Voet begann seine Lehrtätigkeit an der Hohen Schule Herborn. Man wird daher alle jene Juristen als Vertreter des usus modernus ansehen, die eine „theoretisch-praktische“ Vorgehensweise anwendeten und das Römische Recht mit dem einheimischen verbanden.

Im weiteren Sinne ist der „usus modernus“ also die Wissenschaft und Praxis des geltenden römisch-kanonischen Rechts zwischen 1500 und 1800 (so auch: Helmut Coing, Europäische Privatrechtsgeschichte I, Vorb. S. 4).

Soweit Römisches Recht heute noch angewendet wird, wie in Südafrika und Botsuana, spricht man im Gegensatz zu „usus modernus pandectarum“ vom „usus hodiernus pandectarum“.

Zu Beginn dieser Epoche war die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland durch das Wirken der Glossatoren und der Kommentatoren bereits weit fortgeschritten. Der usus modernus knüpfte in Deutschland an diese Phase an. Kennzeichnend für diese Epoche war ein freierer, pragmatischer und fallbezogener Umgang mit den römischen Quellen als in den vorausgehenden Epochen. Im Unterschied zu früheren Epochen wurden nicht nur die Quelltexte des römischen Rechts, sondern auch das Corpus Iuris Canonici sowie Partikularrechte (beim Namensgeber der Epoche Samuel Stryk namentlich der Sachsenspiegel) als Rechtsquellen herangezogen. Je nachdem, wo die Juristen tätig waren, bildete für sie das örtliche Recht den Hintergrund für die Anwendung der Pandekten, für Christoph Besold und Wolfgang Adam Lauterbach in Tübingen das württembergische, für David Mevius in Greifswald das Lübecker Recht.

Das römische Recht wurde, anders als früher, einer kritischen Betrachtung unterzogen. In Einzelfällen kamen die Vertreter des usus modernus zu dem Schluss, dass Regelungen des römischen Rechts nicht auf die modernen Verhältnisse passten und dass statt dessen Regelungen des kanonischen oder des einheimischen Rechts vorzuziehen waren.

Es kam auch zu neuen Kodifikationen im usus modernus, als die bedeutendste Kodifikation kann man den Codex Maximilianeus bavaricus civilis ansehen.

Schließlich fand seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das neu entstehende Naturrecht ebenfalls Berücksichtigung bei der Anwendung der Pandekten, so bei Johann Gottlieb Heineccius und Augustin Leyser.

Bedeutende Vertreter des usus modernus im weiteren Sinne sind Ulrich Zasius (1461–1535), Matthias Wesenbeck (1531–1586), Christoph Besold (1577–1638), Arnold Vinnius (1588–1657), Benedikt Carpzov (1595–1666), Hermann Conring (1606–1681), David Mevius (1609–1670), Wolfgang Adam Lauterbach (1618–1678), Georg Adam Struve (1619–1692), Samuel Stryk (1640–1710), Johannes Voet (1647–1713) und Justus Henning Boehmer (1674-1749).

Literatur

  • Helmut Coing, Europäische Privatrechtsgeschichte I, Vorb. S. 4
  • Klaus-Peter Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, München 1985 (ISBN 3-88709-082-9), insbesondere Kapitel 8 u. 9, S. 85 ff.
  • Reinhard Zimmerman, The law of obligations, der bei Besprechung einzelner Schuldrechtinstitute jeweils auch auf die Lehre im usus modernus bzw. ius commune eingeht.
  • A. Ahsmann, Vinnius, Arnold in: Kleinheyer, Gerd; Schröder, Jan (Hrsg.): Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl. Heidelberg 1996 (ISBN 3-8252-0578-9)
  • Alessandro Hirata, Die Vollendung des usus modernus pandectarum: Christian Friedrich von Glück (1755-1831), Savigny Zeitschrift 123 (2006), 330-342.

Weblinks

Quellen

  • Thesaurus Practicus des Christoph Besold [1]
  • Compendium Juris des Wolfgang Adam Lauterbach [2]

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