Usus fructus

Usus fructus

Der Nießbrauch (eine Lehnübersetzung des lat. usus fructus, „Gebrauch (und) Fruchtgenuss“) ist im deutschen Sachenrecht (§ 1030 § 1089 BGB) das unveräußerliche und unvererbliche absolute Recht, die Nutzungen (§ 100 BGB) einer Sache oder eines Rechts zu ziehen (vgl. den noch gebräuchlichen Ausdruck „Nutznießer“).

In der Schweiz wird für dieses Rechtsinstitut die Bezeichnung Nutzniessung verwendet. Sie ist in Art. 745 ff. ZGB geregelt. In Österreich nennt sich dieses Recht Fruchtgenußrecht und wird mit § 509 ff. des ABGB geregelt.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Definition

Das Eigentum an einer Sache verleiht dem Eigentümer im Wesentlichen drei Rechte: Nutzung, Fruchtziehung und Verfügung (Veräußerung). Durch die Begründung des Nießbrauchs überträgt der Eigentümer einer Sache das Recht zur Nutzung und zur Fruchtziehung (lat. usus fructus, dt. Nutznießung) an einen Dritten und behält nur das Verfügungsrecht (rechtliche Verfügungsgewalt) für sich. Auf diese Weise wird das Eigentum als dingliches Vollrecht, also die rechtliche Herrschaft über eine Sache, sozusagen „aufgespalten“ und es entstehen die Rechtsfiguren des „bloßen Eigentümers“ (lat. nudus dominus, frz. nu propriétaire, span. nudo propietario, Inhaber des nießbrauchbeschwerten Eigentums) und des „Nießbrauchers“. Ersterer behält das „bloße Eigentum“ (nuda proprietas) an der Sache, deren Nutzungsziehung (umfassende Nutzung einschließlich der Fruchtziehung) hingegen beim Nießbrauchsberechtigten („wirtschaftlicher Eigentümer“) liegt. Die Bestellung des Nießbrauchs bedarf regelmäßig derselben Form wie der Eigentumserwerb, in der Mehrzahl der Rechtsordnungen also der Mitwirkung eines Notars und der Eintragung in das entsprechende öffentliche Register (Grundbuch etc.).

Im Folgenden wird der Nießbrauch und seine Behandlung im deutschen Recht dargestellt.

Gesetzlicher Inhalt in Deutschland

Anders als die Grunddienstbarkeit und die beschränkte persönliche Dienstbarkeit gewährt der Nießbrauch dem Nießbraucher nicht nur einzelne Nutzungsrechte, sondern das Recht zur umfassenden Nutzung des belasteten Gegenstands. Darin enthalten ist die Ziehung von „Früchten“ (§ 99 BGB), also der Erzeugnisse und sonstigen Ausbeute des Gegenstandes: Sachfrüchte sind z. B. die Ernte bei einem landwirtschaftlichen Grundstück oder die abgebauten Steine eines Steinbruches, Rechtsfrüchte die Miet- und Pachtzinsforderungen.

Der Nießbrauch ist folglich das dingliche, also absolut wirkende Gegenstück zur schuldrechtlichen Pacht: Der Berechtigte hat nicht nur einen Anspruch auf Nutzungsziehung gegen seinen Vertragspartner, sondern ein Recht auf Nutzungsziehung an dem belasteten Gegenstand, das gegenüber jedermann wirkt. Der Nießbraucher wird daher häufig auch als „wirtschaftlicher Eigentümer“ der Sache bezeichnet.

Der Nießbrauch ist regelmäßig unveräußerlich und unübertragbar (Ausnahme: § 1059a BGB). Seine Ausübung kann aber einem Dritten überlassen werden (§ 1059 BGB). Der Nießbrauch ist daher auch pfändbar.[1]

Bestellung

Die Bestellung des Nießbrauchs hat, soweit spezielle Regelungen fehlen, in den Formen zu erfolgen, die für Verfügungsgeschäfte am jeweiligen Gegenstand vorgeschrieben sind:

  • an unbeweglichen Sachen (Immobilien, Liegenschaften) gemäß § 873 BGB durch Einigung und Eintragung ins Grundbuch;
  • an beweglichen Sachen (Mobilien, Fahrnis) gemäß § 1032 BGB grundsätzlich durch formlose Einigung und Übergabe der Sache (mit Verweis auf Vorschriften über die Übereignung beweglicher Sachen in Satz 2 der Vorschrift);
  • an Rechten, soweit übertragbar, gemäß § 1069 BGB nach den Vorschriften über die Übertragung des jeweiligen Rechts (z. B. bei Forderungen: Abtretung);
  • an Inhaber- und Orderpapieren: vgl. § 1081 BGB;
  • an einem Vermögen (z. B. am Nachlass, Unternehmen usw.) gemäß § 1085 BGB nach den für die einzelnen Vermögensbestandteilen geltenden Regelungen an jedem einzelnen Vermögensgegenstand gesondert.

Ausnahmsweise kann ein Nießbrauch auch kraft Gesetzes entstehen.

Der Nießbrauch kann auch statt am gesamten Eigentum nur an einem Miteigentumsanteil bestellt werden (Bruchteilsnießbrauch) oder sich nur auf einen Teil der Grundstücksnutzungen beziehen (Quotennießbrauch). Der Nießbraucher wird gegen Beeinträchtigungen und Störungen seines Rechts wie der Eigentümer geschützt.

Wie jedes Verfügungsgeschäft ist auch die Bestellung eines Nießbrauches zwar ohne rechtlichen Grund wirksam (Abstraktionsprinzip). Allerdings ergibt sich dann grundsätzlich ein bereicherungsrechtlicher Rückübertragungsanspruch (§§ 812 ff. BGB). Um dauerhaft (kondiktionsfest) zu sein, liegt der Bestellung daher regelmäßig ein von ihr zu trennendes Verpflichtungsgeschäft zu Grunde, das sie erfüllt (Kauf, Schenkung, Vermächtnis usw.).

Steuerliche Behandlung

Bei der steuerlichen Beurteilung der Einräumung eines unentgeltlichen Nießbrauchsrechts z. B. an einem Grundstück ist zwischen Zuwendungs- und Vorbehaltsnießbrauch zu unterscheiden:[2]

Zuwendungsnießbrauch

Beim Zuwendungsnießbrauch bestellt der Eigentümer an seinem Grundstück einen Nießbrauch zugunsten des Berechtigten. Künftig erzielt der Nießbraucher und nicht mehr der Eigentümer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Allerdings kann der Nießbraucher im Fall des Zuwendungsnießbrauchs keine Abschreibungen geltend machen.

Schenkungsteuerlich ist der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs beim Empfänger zu versteuern.

Vorbehaltsnießbrauch

Ein Vorbehaltsnießbrauch liegt vor, wenn bei der Übertragung z. B. eines Grundstücks zugleich ein Nießbrauchsrecht für den bisherigen Eigentümer an dem übertragenen Grundstück bestellt wird. Bei einem Mietwohngrundstück erzielt dann weiterhin der Schenker (z. B. die Eltern) die Vermietungseinkünfte, obwohl das beschenkte Kind als Eigentümer im Grundbuch steht. Der Schenker kann – wie bisher – von den Mieteinnahmen alle von ihm getragenen Grundstücksaufwendungen einschließlich der Gebäude-AfA als Werbungskosten steuermindernd abziehen. Solange der Nießbrauch besteht, erzielt der Beschenkte keine Einkünfte und kann mit dem Grundstück zusammenhängende Aufwendungen nicht steuerlich geltend machen.

Die Nießbrauchsbelastung kann für Zwecke der Schenkungsbesteuerung nicht von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden; die Schenkungsteuer ist jedoch insoweit zu stunden. Der Stundungsbetrag kann mit dem Kapitalwert abgelöst werden.

Rechtsfolgen und praktische Bedeutung

In der Praxis wird der Nießbrauch häufig bei der Vermögensübertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge eingesetzt. Der Übertragende verschafft dem Nachfolger zwar das Eigentum an den Gegenständen, behält sich aber zu seinen Lebzeiten den Nießbrauch vor.

Damit die Früchte gezogen werden können, hat der Nießbraucher gegen den Eigentümer ein Recht zum Besitz. Zwischen dem Eigentümer und dem Nießbraucher besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis, das den Nießbraucher verpflichtet, ordnungsgemäß zu wirtschaften, die Sache zu erhalten und sie zu versichern. Auch hat der Nießbraucher die gewöhnlichen öffentlichen und privatrechtlichen Lasten zu tragen. Verwendungen, die über die gewöhnliche Unterhaltung hinausgehen, kann der Nießbraucher vom Eigentümer ersetzt verlangen, wenn die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen.

Die neuere Interpretation des § 1041 BGB durch das BGH-Grundsatzurteil V ZR 392/02 erlegt dem Nießbraucher nur solche Pflichten bzw. Unterhaltszahlungen auf, die „regelmäßig, und zwar wiederkehrend innerhalb kürzerer Zeitabstände“ fällig werden (Urteil vom 6. Juni 2003). Diese Formel ist seitdem vom BGH angewendet worden, so in AZ VIII ZR 311/04, das außerdem besagt, dass auch ein bei dem Nießbraucher zur Miete wohnender Eigentümer neben der Miete gegebenenfalls die größeren Modernisierungsmaßnahmen selbst zu erbringen hat, wobei der Nießbraucher nicht in Vorleistung gehen muss ("dolo ... petit - Prinzip"). Dies schützt zwar den Nießbraucher, kann aber bedeuten, dass dem Eigentümer beträchtliche Ausgaben entstehen könnten, ohne dass er ein Verfügungsrecht über die Immobilie hat. Ein Urteil des Bundessozialgerichts ( B 14/7b AS 46/06 R) schützt andererseits den Eigentümer einer mit einem Nießbrauch belasteten Immobilie im Falle der Inanspruchnahme von Grundsicherung: Die staatliche Leistung wird als Zuwendung und nicht als Darlehen gewährt.

Hinweise

  1. BGHZ 62, 133.
  2. vgl. den sog. Nießbrauch-Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen vom 24. Juli 1998, BStBl I 1998, S. 914
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