Urchristentum

Urchristentum

Als Urchristentum bezeichnet man die Anfangszeit des Christentums, die vom Tod des Jesus von Nazaret um 30 oder 33 bis zur Abfassung der letzten urchristlichen Schriften, die später in das Neue Testament (NT) aufgenommen wurden, reicht. In der Regel werden die Entstehung des Evangelium nach Johannes (etwa 90–100)[1] bzw. die Trennung vom Judentum (um 135) als ungefähre Epochengrenze angesehen.[2]

Diese Entstehungsphase umfasst in etwa jenen Zeitraum, den auch die Apostelgeschichte des Lukas – die erste Darstellung des Urchristentums mit historischem Anspruch – beschreibt. Sie befasst sich unter anderem mit der Jerusalemer Urgemeinde, die die Geschichte des Urchristentums maßgeblich bestimmte. Dieses verstand sich nicht als eigene Religion, sondern als ein Teil des Judentums. Es wurde auch von anderen jüdischen Gruppen und im Römischen Reich zunächst als jüdische Gruppe wahrgenommen.

Jedoch stimmten die Urchristen seit dem Apostelkonzil (etwa 48) mehrheitlich für die Völkermission. Ihre Verkündigung war nun auf weltweite Ausdehnung angelegt. Das Urchristentum umfasste daher bald nicht nur die Gemeinden in Judäa, sondern auch im gesamten östlichen Mittelmeerraum bis hin zu Rom. Mit dem Ende der Urgemeinde um 135 war auch seine Trennung vom Judentum besiegelt.

Kritik an Fehlentwicklungen der Christentumsgeschichte griff meist auf das Urchristentum und seine im NT gesammelten, als normatives Wort Gottes aufgefassten Schriften zurück. Viele christliche Konfessionen und Sekten beanspruchen die Kenntnis des Urchristentums für sich, um so ihren Wahrheitsanspruch gegenüber anderen christlichen Richtungen zu legitimieren.

Inhaltsverzeichnis

Quellen

Das Wissen über das Urchristentum stammt vor allem aus nicht neutralen Quellen. Nur aus Schriften des nachfolgenden Christentums, vor allem aus den Paulusbriefen, den drei synoptischen Evangelien und der Apostelgeschichte, sind uns Glaubensberichte und Erzählungen christlicher Schriftsteller überliefert. Die frühkatholischen Briefe, das später entstandene Johannesevangelium und die Offenbarung des Johannes spiegeln bereits ein späteres Stadium der Christentumsgeschichte, als der römische Staat das Christentum als Teil des beherrschten Judentums und andere verfolgte (siehe Christenverfolgungen im Römischen Reich).

Das NT wurde durch die Kanonbildung im zweiten Jahrhundert zur Urkunde des Urchristentums festgelegt. Es beansprucht und behielt bis heute normativen Charakter für die meisten christlichen Richtungen der Folgezeit. Jedoch sind von keiner NT-Schrift außer den echten Paulusbriefen Autor und Umstände der Abfassung zweifelsfrei bekannt. Die historischen Daten lassen sich meist nur indirekt aus diesen Schriften selber vermuten.

Hinzu kommen wenige außerbiblische frühchristliche Schriften, darunter die Apokryphen. Gemeinsam geben sie Aufschluss über die innere und äußere Entwicklung dieser neuen Religion in der Spätantike. Zu den urchristlichen Schriften außerhalb des NT gehören die Werke der „Apostolischen Väter“, die fließend in die Patristik übergehen:

Weitere Quellen sind auch die Notizen des Hegesippus (ca. 180), die nur durch Zitate bei Eusebius von Caesarea bekannt sind, sowie Notizen über die Entstehung der Evangelien bei Papias von Hierapolis (um 150), die jedoch heute weitgehend als unhistorisch eingestuft werden.

Zeitrahmen und Datierungen

Das NT zeigt – anders als andere zeitgenössische Quellen – kein Interesse an exakten Zeitangaben. Als einziges Fixdatum nennt es das 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius, in dem Johannes der Täufer auftrat, nach außerbiblischen Angaben das Jahr 28 (Lk 3,1 EU). Der Todestag Jesu war laut NT der Vortag eines Sabbat während eines Pessachfestes: für die Synoptiker am Hauptfesttag nach dem Sederabend, also dem 15. Nisan im jüdischen Kalender, für das Johannesevangelium dagegen am Freitag vor dem Sabbatfest, am 14. Nisan. Nach kalendarischen und astronomischen Berechnungen fiel der 15. Nisan in den Jahren 31 und 34, der 14. Nisan dagegen 30 und 33 auf einen Freitag. Viele Forscher halten die johanneische Chronologie heute für „historisch glaubwürdiger“.[3] Die meisten Theologen halten 30 für das passendere Todesjahr, weil Paulus von Tarsus zwischen 32 und 35 Christ wurde, womit sich 33 überschnitte.[4] Demnach gingen der Bildung der Urgemeinde zwei bis fünf Jahre einer Wanderschaft Jesu mit seinen Jüngern in Galiläa und Judäa voraus.

Diese kurze irdische Wirksamkeit Jesu zählt man gewöhnlich noch nicht zum Urchristentum, sondern zu seinen Entstehungsbedingungen.

Seine folgende Geschichte fällt in die Regierungszeit der römischen Kaiser Tiberius und Claudius sowie ihrer Statthalter Felix und Festus in Judäa und des Prokonsuls Gallio in Korinth, die das NT nennt. Anhand dieser und weiterer Hinweise lassen sich einige Daten ungefähr bestimmen:

  • Um 32 wurde der hellenistische Christ Stephanus in Jerusalem hingerichtet und ein Teil der Urgemeinde nach Samaria vertrieben.
  • Zwischen 32 und 35 erfuhr Paulus seine Berufung. Zwei volle Jahre später besuchte er erstmals die Jerusalemer Urgemeinde (Gal 1,11–18 EU).
  • Um 44 ließ Herodes Agrippa I. den Zebedaiden Jakobus hinrichten (Apg 12,2 EU).
  • Zwischen 44 und 48 fand das Apostelkonzil statt (Gal 2,1 EU; Apg 15 EU).
  • Um 49 vertrieb Kaiser Claudius mit den Juden auch eine christliche Gemeinde aus Rom (Suetonnotiz in Verbindung mit Apg 18,2).
  • Danach bereiste Paulus seine Gemeinden in Griechenland und hielt sich ab 50 in Korinth auf, wo er um 52 dem Prokonsul Gallio vorgeführt wurde (Apg 18,12 EU).
  • Zwischen 52 und 56 befand er sich in Ephesus.
  • Um 56 wurde er in Jerusalem gefangengenommen, für zwei Jahre in Cäsarea Philippi, danach in Rom nochmals zwei Jahre inhaftiert (um 60).

Hinzu kommen außerbiblische Datenangaben:

Der Ursprung: Die Auferstehungserfahrungen

Hauptartikel: Auferstehung Jesu Christi

Ein exaktes Entstehungsdatum des Christentums lässt sich nicht angeben. Für manche Neutestamentler begann es mit der ersten Jüngerberufung Jesu am See Genezareth, für viele beim ersten Mal, als ein Jünger Jesus den „Messias“ (griechisch „Christos“) nannte (Mk 8,29 EU). Andere weisen darauf hin, dass Simon Petrus dieses Messiasbekenntnis noch ganz wie die damaligen Zeloten als irdische Befreiung von Fremdherrschaft aufgefasst habe (Lk 24,21 EU). Das Christentum habe erst nachösterlich mit der Gründung der Urgemeinde begonnen. Früher wurde seine Entstehung noch später, nämlich mit dem Apostelkonzil angesetzt, das die Völkermission des Paulus von Tarsus genehmigte und damit erst die Trennung einer innerjüdischen Christussekte vom Judentum einleitete und ermöglichte.

Die Entwicklung zwischen diesen Einzelstationen war fließend. Die entscheidende Zäsur waren die beiden Grunddaten des urchristlichen Glaubens, die die ältesten Credoformeln des NT stets zusammen nennen und die die vier kanonischen Evangelien erzählerisch breit ausführen: Tod[5] und Auferweckung Jesu.

Seine Kreuzigung war für seine ersten Nachfolger, die sich von ihm eine innergeschichtliche Befreiung erhofft hatten (Lk 24,21 EU), eine Katastrophe. Denn sie waren allesamt Juden, für die diese Todesart ein Gottesurteil über Jesu Anspruch, Gottes Reich zu bringen, bedeutete: Ein toter Messias ohne messianisches Zeitalter universellen Friedens galt als endgültig gescheiterter Messias, seine Gegner hatten demnach Recht behalten. Dies wie auch die Gefahr, als Anhänger eines vermeintlichen Zelotenführers mit ihm hingerichtet zu werden, macht ihre Flucht bei Jesu Festnahme plausibel (Mk 14,50 EU). Obwohl die Texte dies nicht ausdrücklich feststellen, ist ihre Rückkehr in ihre Heimat Galiläa spätestens nach Jesu Grablegung wahrscheinlich. Damit war die Gemeinschaft, die Jesus unter ihnen gestiftet hatte, beendet.

Bald darauf kam es dennoch in der Hauptstadt Judäas, die als Tempelstadt zugleich Kultzentrum des gesamten Judentums war, zur Verkündigung durch die Anhänger, Jesus sei der von Gott zur Rettung aller Menschen auferweckte Kyrios Christus (Apg 2,36). Urchristen glaubten nach dem NT, dass Jesus selbst diesen Glauben an ihn bewirkte, indem er sich seinen Jüngern nach seinem Tod als (von Gott) „Auferweckter“ offenbart habe. Darauf beziehen sich die ältesten Credoformeln des NT, die nur diese eine Aussage variabel formulieren:

„Er ist auferstanden am dritten Tag nach der Schrift …“ (1 Kor 15,4 EU)
„Der Kyrios ist wirklich auferstanden und dem Simon erschienen …“ (Lk 24,34 EU)
„Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ (Mk 6,6 EU)

Auferstehung“ bzw. „Auferweckung“ meint im jüdischen Kontext kein geistiges Weiterleben nach dem Tod, sondern eine radikale, leibhafte Neuschöpfung des Toten; zudem macht ihnen ihre strikt monotheistische Religion es unmöglich einen Menschen oder Messias als Gott zu verehren; die ganze Torah handelt von diesem Hauptthema.

Eine leibhafte Begegnung mit Jesus nach dessen Tod hätten nach urchristlichen Erzählungen auch Jakobus, Jesu Bruder, der ihm zu Lebzeiten nicht gefolgt war, und erbitterte Gegner der Urchristen wie Paulus, der weder sein Auftreten noch seinen Tod erlebt hatte, gehabt. Zudem erstrecken sich Berichte über Visionen vom auferstandenen Jesus über einen längeren Zeitraum: Paulus berichtet von „500 Brüdern“, die eine Kollektivvision erfahren hätten und teilweise noch lebten, so dass er sie den Korinthern um 55 als befragbare Augenzeugen präsentierte (1 Kor 15,6 EU).

Solche Visionen hatten nur spätere Christen. Daher vermuten auch nichtchristliche Historiker meist subjektive Erfahrungen bei einigen Urchristen. Wem der auferstandene Jesus erschienen sei, ist nach den NT-Berichten jedoch nicht eindeutig. Nach einer Erzählung späterer Schriftsteller von einer Augenzeugenliste der Urgemeinde sei er zuerst dem Simon Petrus, danach den versammelten zwölf Jüngern (1 Kor 15,5–6 EU) erschienen. Nach Joh 20,11–18 EU erschien er zuerst der Maria Magdalena; nach Lk 24,13–35 EU zwei unbekannten Jüngern. Keines der später entstandenen Evangelien kennt die genannte frühere Kollektivvision des Paulus. Der als spätere Redaktion angesehene Schluss des Markusevangeliums (Mk 16,9–20 EU) bringt die vorliegenden Visionsberichte in eine Abfolge, die der Zeugenliste widerspricht.

In jedem Fall spielten Petrus und einige der Frauen aus Galiläa eine wichtige Rolle dabei, die übrigen Anhänger wieder zusammenzurufen und nach Jerusalem zurückzuholen, um dort eine neuchristliche Gemeinde zu gründen. Deren Leiter sollen nach der lukanischen Darstellung mit dem Kreis der zwölf Erstberufenen identisch gewesen sein. Ihre Autorität führen alle Evangelien auf eine gemeinsame Vision des Auferstandenen zurück, bei der sie ihren universalen Missionsauftrag erhalten haben sollen. Wo diese Vision stattfand, ist ebenfalls widersprüchlich überliefert (Mt/Mk: in Galiläa; Lk/Jh: in Jerusalem).

Der Passionsbericht

Die Auferstehungserfahrung war der Kern- und Ausgangspunkt der apostolischen Botschaft von Jesus Christus: Sie konfrontierte Jesu Anhänger zunächst mit der Frage nach dem Sinn seines gewaltsamen Todes und eröffnete ihnen eine neue Perspektive, diesen zu deuten. Mithilfe der Erinnerung an Jesu Eigenverkündigung wurde seine Kreuzigung als stellvertretender Sühnetod, als ultimative Übernahme des Endgerichts Gottes und gnädige Einladung zur Umkehr gedeutet. Deshalb sind Kreuz und Auferstehung (Auferweckung) in allen urchristlichen Glaubensbekenntnissen eng miteinander verbunden. Sie bilden den gemeinsamen Hauptinhalt der nachösterlichen Verkündigung.

Von diesem Kristallisationskern aus wurde offenbar bald auch das vorherige Leben Jesu auf die zentralen Heilsdaten, seinen Tod und seine Auferstehung, hin nacherzählt. So entstand wohl schon im ersten Jahrzehnt der vormarkinische Passionsbericht in Jerusalem, den der erste Evangelist in sein Markusevangelium einbaute. Es gilt als das älteste der vier Evangelien des NT, das ihnen ihre Grundstruktur vorgab.

Urchristliche Gemeinden in Galiläa und Syrien

Parallel dazu müssen in Galiläa ebenfalls sehr früh christliche Gemeinden entstanden sein. So fand man in Kafarnaum eine frühchristliche Pilgerstätte. Sie wird mit dem ehemaligen Wohnhaus des Petrus identifiziert, wo die ersten Jesusanhänger sich trafen. Nach Mk 16,7 EU fanden Jüngerbegegnungen mit dem Auferweckten in Galiläa statt; dies bestätigt Mt 28,16–20 EU und Joh 21 EU.

Galiläische Jesusanhänger sammelten auch Reden, Streitgespräche und Gleichnisse, die Jesu zugeschrieben wurden. Diese Sammlung wurde erst mündlich, dann schriftlich tradiert und später als gemeinsame Logienquelle in das Matthäus- und Lukasevangelium aufgenommen.

In Damaskus existierte nach Gal 1,17 EU und Apg 9,2 ff. EU bereits vor der Berufung des Paulus (um 32–35) eine christliche Gemeinde. Angenommen wird, dass diese wahrscheinlich von in Jerusalem verfolgten Anhängern des Urchristen Stephanus gegründet worden war. Aus Syrien stammt wahrscheinlich auch das etwa gleichzeitig mit der schriftlichen Logienquelle entstandene apokryphe Thomasevangelium (um 50).

Der Missionsauftrag

Die Aufgabe der Jünger und Apostel war es nun, nicht nur die Lehren des Wanderpredigers aus Nazaret, sondern auch die „frohe Botschaft“ (Evangelium) von seiner Auferstehung zu verkünden. Die erste Gemeinde, die sich diesem Auftrag zur Mission verpflichtet sah, war jene Jerusalemer Urgemeinde. Hier bildeten die so genannten „Säulen“ Petrus, Jakobus und Johannes (Gal 2,9 EU; Mk 5,37 EU u. a.) das Zentrum der jüdischen Bewegung. Ihr erster Sprecher wurde Petrus, der später vermutlich von Jakobus abgelöst wurde. Petrus könnte dann über Syrien nach Kleinasien gelangt sein, wo in Antiochia eine weitere große Gemeinde entstanden war, und schließlich nach Rom, wo vermutlich schon in den 40er Jahren eine Urchristengemeinde entstanden war, an die auch Paulus seinen Römerbrief adressierte.

Der Missionsauftrag wurde zunächst unter den Juden ausgeführt und später auf die Heiden ausgeweitet.

Sowohl in der Jerusalemer Urgemeinde als auch den hinzukommenden Gemeinden und Zirkeln war die Erwartung der Wiederkunft (Parusie) Jesu als Messias bestimmend, die jedoch keine Grundlage in der jüdischen Schrift hat, da seine Anhänger ihn immer noch als christlichen Messias sahen. Auch bestanden alle frühen Gemeinden aus Judenchristen und qualifiziert konvertierten, d.h. beschnittenen Nichtjuden und waren Teil des Judentums, wie die Beachtung der Gebote und der Tempeldienst der Jerusalemer Urchristen veranschaulichen. Daneben gab es aber auch griechisch sprechende Urchristen, die sogenannten Hellenisten, die sich kritisch zum Tempel äußerten, und wohl nicht zuletzt deshalb von den jüdischen Machthabern verfolgt wurden. Selbst innerhalb der urchristlichen Gemeinde bekamen sie wirtschaftliche Probleme, da sie keinen Zugang hatten zur Armenversorgung des Tempels: Dies war der Hintergrund der Wahl der sieben Diakone (Apg 6 EU).

Das Apostelkonzil

Gegen den anfänglichen Widerstand konservativer judenchristlicher Kreise in der Jerusalemer Urgemeinde wurde im Verlauf eines Apostelkonzils (zwischen 44 und 49) vereinbart, dass die von der antiochenischen Gemeinde ausgehende Heidenmission als Konsens des Urchristentums akzeptiert wurde. Beginnend mit der Bekehrung von Diaspora-Juden (Gal 2,9 EU) und römisch-griechischen Heiden gewannen überwiegend heidenchristliche Gemeinden außerhalb Palästinas wie Antiochia in der urchristlichen Sekte an Zahl und Bedeutung. Paulus und seine Helfer prägten die Theologie dieser neuen Gemeinden. Die neue paulinische Theologie wurde im gesamten Mittelmeerraum verbreitet. Im Rückblick ist so die Entstehung einer neuen Weltreligion eingeleitet worden. Eine totale Loslösung der urchristlichen Sekte aus dem Judentum und die Abwendung des neutestamentlichen Glaubens von den religiösen Traditionen und Lehren des Judentums – die jetzt vollzogen war – hatte der hellenisierte Jude und römische Bürger Paulus, als Hauptvertreter der Heidenmission und Stifter des Auferstehungsmythus Jesu, anfänglich jedoch ausgeschlossen (Röm 9–11 EU).

Das Ende der Urgemeinde

Schon 62 mit dem Tod des Jakobus des Gerechten und nur rund 30 Jahre nach Jesu Tod, verlor die judenchristlich geprägte Jerusalemer Urgemeinde ihre Führungsrolle im Urchristentum. Am jüdischen Aufstand von 66 verweigerten auch die Jerusalemer Christen die Beteiligung. Bei dem weiteren Aufstand Simon Bar Kochbas (132) musste die Urgemeinde deshalb in das ostjordanische Pella fliehen. Mit dem Scheitern dieses letzten jüdischen Aufstandsversuchs 135 war auch ihre Existenz beendet. Die von ihr beeinflussten Gemeinden in Syrien und im Ostjordanland galten einigen der maßgebenden Kirchenväter im 2. Jahrhundert bereits als „Häresie“ des Christentums. Spätestens mit der Entstehung des Islams gingen die letzten Reste des nahöstlichen Judenchristentums unter.

Herausbildung kirchlicher Ämter

Um so sichtbarer wurden die kleinen (heiden)christlichen Gemeinden. Von ihren Problemen und Streitigkeiten berichten die kanonisierten wie auch die nicht kanonisierten Briefe der ersten Christen. Paulus selbst schrieb mit die ersten dieser Briefe, die schon auf die Zeit von 50 bis 64 datieren. Bischof Klemens von Rom, der 99 den Märtyrertod starb, schrieb mit die ersten Briefe, die nicht mehr in das Neue Testament aufgenommen wurden. Innerhalb dieser Zeitspanne verschwanden dann auch zunehmend die Apostel, Propheten und Evangelisten (1. Clem 37,3) als Würdenträger und Autoritäten. Und auch, wenn Clemens noch forderte: „Haltet euch an die Heiligen“ (1. Clem 46,2), wurde bereits von Paulus vor so genannten „falschen Heiligen“ gewarnt (vgl. Eph 7,1 EU; Apg 15,1 EU).

Die Praxis der brüderlichen Belehrung (Mt 18,15–18 EU) verschob sich so auf die „Erstlinge“, die Erstgetauften einer Gemeinde, und schließlich die ersten sich herausbildenden Ämter: Episkopen (= Vorsteher, Bischöfe) (vgl. Eph 4,1 EU), Presbyter und Diakone ersetzten die charismatischen Ämter und konsoldierten die weiterhin autonomen Gemeinden. Dabei war in dem Versuch, die Einmaligkeit Jesu in der irdischen Hierarchie abzubilden, jeweils nur ein Bischof vorzufinden. Diesem monarchanischen Bischof unterstanden zur Hilfe bei der Liturgie die (oft an der Zahl der Apostel orientierten: zwölf) Presbyter. Presbyter war hier noch ein Ehrenamt und wurde erst später mit eigenen pfarrähnlichen Verpflichtungen versehen. Die praktischen Arbeiten oblagen dann den Diakonen, von denen eine bestimmte Anzahl nicht bezeugt ist.

Die Herausarbeitung von Hierarchie und Gemeindestruktur erwies sich als um so notwendiger, da sich die Erwartung vom nahen Ende der Welt und der Wiederkunft Christi (Parusie), von denen die Jünger noch geprägt schienen, nicht erfüllte. Die Phase der sog. „Parusieverzögerung“ wurde nun aber nicht als Ende der eschatologischen Perspektive gesehen, sondern als eine verlängerte Zeit für die Vorbereitungen verstanden. Die gepflegten Werte sollten dies in „Tat und Wahrheit“ belegen (1 Joh 3,18 EU): Der Dienst an der und für die Gemeinde wurde hervorgehoben wie auch die Gastfreundschaft, das Beten und Fasten. Das Liebesmahl (Joh 13,34 EU) und der Liebesdienst (Agape) gewann so erweiterte Bedeutung.

Gerade in dieser Kombination von asketischen Vorschriften, die sich auf die Christen selbst bezogen und auch vor deren eigenem Tod (Martyrium) nicht brachen, und der praktischen Nächstenliebe, die sich am Dienst an den Armen, Kranken und Verlassenen, den Witwen und Waisen und den Sklaven vollzog, bereiteten sich nicht nur die Anhänger der neuen Religion auf das nahe Ende vor, sondern gewann diese Gemeinschaft auch nach außen ihre enorme Anziehungskraft. Schon Paulus hatte dies im Ansatz erkannt und daher für die Anfänge einer lokalen Mission nicht die größeren Städte selbst, sondern deren arme Vororte bevorzugt.

Als die Christenverfolgungen unter Domitian (81–96) die Mission erschwerten, konnte sich die organisierte Kirche insgesamt behaupten, ihren Zusammenhalt festigen und ihre Mitgliedschaft sogar vergrößern. Die verfolgten und getöteten Christen wurden als Märtyrer (Blutzeugen) Christi anerkannt und verehrt, deren Bekennertod ihnen Rettung im Endgericht versprach. Dies erhöhte die Attraktivität des jungen Christentums.

Spätestens mit dem Abschluss des Johannesevangeliums (um 130) endete das Urchristentum. Dessen Autor hatte den logos in die christliche Lehre eingeführt und so für die kommende Christologie und für die Akzeptanz des (mittleren) Platonismus in der christlichen Theologie den Boden bereitet. Die Nachapostolische Zeit des 2. Jahrhunderts wird zur Alten Kirche gezählt. Sie wurde durch Fragen nach der Stellung des Sohnes Gottes, von der Auseinandersetzung mit dem Gnostizismus, mit Marcion und dem Montanismus bestimmt, die die Bildung kirchlicher Leitungsämter und vereinheitlichter Dogmen förderte.

Literatur

Weblinks

Einzelbelege

  1. Hans Conzelmann, Andreas Lindemann: Arbeitsbuch zum Neuen Testament; Stuttgart 2004, 14. Auflage; S. 373.
  2. Hans Conzelmann: Geschichte des Urchristentums, Göttingen 1978; S. 7
  3. Michael Theobald: Das Herrenmahl im Neuen Testament, in: Theologische Quartalsschrift 183/2003, S. 261: verweist u.a. auf Johannes P. Meier, Jürgen Becker, Gerd Theißen/Anette Merz, Wolfgang Schrage, Martin Dibelius
  4. Gerd Theißen, Anette Merz: Der historische Jesus, S. 152ff.
  5. "Zur Zeit des Kaisers Augustus predigte in Judäa, im heutigen Israel, Jesus von Nazareth. Für die jüdischen Priester war sein Evangelium (=frohe Botschaft) eine Gotteslästerung. Sie sorgten dafür, dass Jesus zum Tode verurteilt wurde." Dr. Hagen Schneider in: Das Römische Weltreich - Christentum S. 62; 'Entdecken und Verstehen - Arbeitshefte - Heft 1 - Von der Urgeschichte bis zum Frühen Mittelalter', Cornelsen Verlag, 2007. Arbeitsheft zu: 'Entdecken und Verstehen - Grundschule Berlin und Brandenburg: 5./6. Schuljahr - Von der Urgeschichte bis zum Beginn des Mittelalters: Schülerbuch: Geschichtsbuch für Grundschulen', ebenda 2004.

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