Untersuchungsausschuss

Untersuchungsausschuss
Guillaume-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestag am 6. November 1974

Der Untersuchungsausschuss ist ein parlamentarischer Ausschuss zur Untersuchung von Sachverhalten, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegt.

Inhaltsverzeichnis

Funktion und Organisation

Untersuchungsverfahren haben in der parlamentarischen Demokratie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Durch sie erhalten Parlamente die Möglichkeit, unabhängig und selbständig die Sachverhalte zu prüfen, die sie in Erfüllung ihres Verfassungsauftrages als Vertretung des Volkes für aufklärungsbedürftig halten, insbesondere in den Verantwortungsbereich der Regierung fallende Vorgänge, die auf Missstände hinweisen. Er dient damit der Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle.

Der Untersuchungsausschuss ist ein Ausschuss mit besonderen Rechten und besonderen Verfahren. Er kann die Vorlage von Akten verlangen und Zeugen vernehmen. Anders als in sonstigen Ausschüssen gilt das Mehrheitsprinzip nur eingeschränkt. Die Minderheit hat das Recht, in gleicher Weise wie die Ausschussmehrheit an der Untersuchung mitzuwirken, insbesondere Beweisanträge zu stellen. Daher gilt der Untersuchungsausschuss als „scharfes Schwert der Opposition“.

Deutschland

Untersuchungsausschüsse im Deutschen Bundestag

Der Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag ist ein Bundestagsausschuss, welcher im Wesentlichen der Parlamentarische Kontrolle gegenüber der vollziehenden Gewalt dient. Aufgabe des Untersuchungsausschusses ist es, Sachverhalte, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegt, zu untersuchen und dem Bundestag darüber Bericht zu erstatten.[1]

Die Einsetzung des Untersuchungsausschusses regelt Art. 44 Grundgesetz (GG), allerdings enthält die Norm keine näheren Regelungen zum Gegenstand der Untersuchung, zum Verfahren und zur Beweiserhebung. Daher traten in der Vergangenheit häufiger Rechtsunsicherheiten und Streitigkeiten über die Befugnisse der Untersuchungsausschüsse auf, die insbesondere von dem politischen Spannungsverhältnis zwischen der die Regierung tragenden Parlamentsmehrheit und der Opposition, die als Minderheit einen Untersuchungsausschuss beantragen kann, getragen waren.

Der Gesetzgeber sah sich daher veranlasst ein „Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages“ zu verabschieden. Dieses Untersuchungsausschussgesetz (kurz: PUAG) trat am 26. Juli 2001 in Kraft und enthält einfachgesetzliche Regelungen zu allen wesentlichen Verfahrensfragen, insbesondere zur Einberufung der Sitzungen und über den Zugang der Öffentlichkeit. Auch einzelne Fragen der Beweiserhebung sind dort geregelt, allerdings blieben die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) über die Beweiserhebung weiterhin anwendbar.

Einsetzung und Untersuchungsauftrag

Nach Art. 44 GG kann und muss der Bundestag auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Mit diesem Einsetzungsbeschluss bestimmt der Bundestag den genauen Untersuchungsgegenstand und die Zahl der Ausschussmitglieder, die anschließend von den Fraktionen entsprechend ihrer Stärke benannt werden. Wird der Untersuchungsausschuss von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages (qualifizierte Minderheit) beantragt, so hat der Bundestag diesen Ausschuss unverzüglich einzusetzen. In diesem Fall darf der Bundestag den Untersuchungsgegenstand nicht gegen den Willen der Antragsteller verändern oder erweitern.

Die Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts ergeben sich im Wesentlichen aus dem verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereich des Bundestages:

  • Das Untersuchungsrecht des Bundestages ist auf den Kompetenzbereich des Bundes beschränkt. Die Parlamente der Länder sowie das Europäische Parlament können im Rahmen ihrer Zuständigkeit jeweils eigene Untersuchungsausschüsse einsetzen (die Regelungen finden sich in den Landesverfassungen bzw. bis zum 1. Dezember 2009 in Art. 193 EG-Vertrag und seit dem 1. Dezember 2009 in Art. 226 AEU-Vertrag).
  • Das Untersuchungsrecht des Bundestages ist durch den Grundsatz der Gewaltenteilung begrenzt (Art. 20 Abs. 2 GG). Bei der Regierungs- und Verwaltungskontrolle gibt es einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, der einen nicht vom Parlament ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich mit einschließt. Deshalb erstreckt sich das parlamentarische Untersuchungsrecht in der Regel nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge.

Sonderfall Verteidigungsausschuss

Von der allgemeinen Regelung nach Art. 44 GG abweichend kann der Verteidigungsausschuss nach Art. 45a GG selber eine Untersuchung einleiten und sich damit faktisch zum Untersuchungsausschuss erklären. Die Regelungen des Art. 44 GG finden insofern auf den Bereich der Verteidigung keine Anwendung.

Verfahren

Das Verfahren der Untersuchungsausschüsse im Bundestag ist vor allem durch das Untersuchungsausschussgesetz geregelt. Daneben gelten die Vorschriften der Strafprozessordnung. Der Untersuchungsausschuss erhebt die durch den Untersuchungsauftrag gebotenen Beweise aufgrund von Beweisbeschlüssen. Beweise sind zu erheben, wenn sie von einem Viertel der Ausschussmitglieder beantragt sind, es sei denn, die Beweiserhebung ist unzulässig oder das Beweismittel ist auch nach Anwendung von Zwangsmitteln unerreichbar.

Als Beweismittel kommen insbesondere die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie die Beiziehung von Akten in Betracht. Der Untersuchungsausschuss hat das Recht, das Erscheinen von Zeugen zu erzwingen, im Falle einer ungerechtfertigten Zeugnisverweigerung ein Ordnungsgeld festzusetzen bzw. die Person in Haft nehmen zu lassen. Wie vor einem Gericht sind vor dem Untersuchungsausschuss Falschaussagen mit Strafe bedroht. Bei Streitigkeiten entscheidet weitestgehend der Bundesgerichtshof (vor Inkrafttreten des PUAG wegen der Zuständigkeit nach der StPO das Amtsgericht in Bonn bzw. in Berlin). Werden Organstreitigkeiten geführt oder erscheint die Einsetzung des Ausschusses verfassungswidrig, so ist das Bundesverfassungsgericht zuständig.

Ergebnis

Das Ergebnis der Untersuchungen wird in einem Abschlussbericht zusammengefasst. Kommt der Untersuchungsausschuss nicht zu einem einvernehmlichen Bericht, z.B. weil die Bewertung zwischen den Regierungs- und Oppositionsfraktionen umstritten ist, kann die Minderheit ihre Sicht in einem Sondervotum darstellen, das in den Bericht aufzunehmen ist. Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses haben keine sanktionierende Wirkung. Die Gerichte sind nicht an die Ermittlungsergebnisse gebunden und in der Würdigung des dem Untersuchungsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts frei.

Tatsächlich hat sich der Untersuchungsausschuss selten als "scharfes Schwert" der Opposition oder zur Aufklärung von Sachverhalten erwiesen. Dennoch darf seine Bedeutung nicht gering bewertet werden. Bereits die Drohung mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses hat disziplinierende Wirkung auf die Exekutive. Ohne die Drohung mit einem Ausschuss, der die Vorlage von Regierungsakten verlangen und Ministeriumsmitarbeiter als Zeugen vernehmen kann, wäre das Parlamentarische Fragerecht als wichtigstes Mittel der Kontrolle der Regierung deutlich entwertet. Die Diskussion über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu den Aktivitäten des BND im Irak, den CIA-Flügen und der Vernehmung von möglichen Folteropfern durch Bundesbedienstete veranlasste die Bundesregierung Anfang des Jahres 2006 zu einer beispiellos offenen Berichterstattung gegenüber dem Bundestag und seinen Gremien.

Auf Länderebene bestehen gleichartige Einrichtungen.

Berichterstattung

Die Beweiserhebung findet grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung statt. Damit ist die sog. Saalöffentlichkeit gemeint. Ton- und Filmaufnahmen sowie Ton- und Bildübertragungen sind im Regelfall nicht zulässig. Allerdings kann der Untersuchungsausschuss Ausnahmen zulassen, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder sowie die zu vernehmenden oder anzuhörenden Personen zugestimmt haben. Hiervon hat der 2. Untersuchungsausschuss der 15. Wahlperiode erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestags Gebrauch gemacht.

Im Fernsehen übertragen worden sind unter anderem die Befragungen des damaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer und Staatsminister a.D. Ludger Volmer sowie die Anhörung des damaligen beamteten Staatssekretärs Günter Pleuger (beide 21. April 2005).

Das Parlamentsfernsehen stellte den Fernsehsendern kostenlos die Übertragung zur Verfügung. Der Dokumentationskanal von ARD und ZDF, Phoenix, übertrug die Sitzung durchgehend live, die Nachrichtensender n24 und n-tv zeitweise.

Die Premiere war für die Nachrichten- und Dokumentationskanäle erfolgreich. Bei Phoenix sahen im Schnitt 230.000 Zuschauer die über 14 Stunden dauernde Übertragung, der Dokumentationskanal von ARD und ZDF erreichte mit 1,6 % Marktanteil (Jahresdurchschnitt 0,5 bis 0,6 %) gute Quoten, auch n-tv zeigte sich zufrieden mit 160.000 Zuschauern und 3,0 % Marktanteil (sonst um 0,5 %) in der Zeit der Untersuchungsausschuss-Übertragung, ebenso N24.

Beispiele auf Bundesebene

Beispiele auf Landesebene

Untersuchungsausschüsse im österreichischen Nationalrat

Untersuchungsausschüsse im Nationalrat sind spezielle Ausschüsse, die zur Überprüfung der Arbeit der Regierung eingesetzt werden können. In Österreich können Untersuchungsausschüsse nur von einer Parlamentsmehrheit eingesetzt werden. Die Vorgangsweise eines Untersuchungsausschusses ist in der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-UA) geregelt. Sie ist Teil der Geschäftsordnung des Parlaments.

Bisher gab es 17 Untersuchungsausschüsse. Der erste Untersuchungsausschuss behandelte 1949 einen Bankenskandal. Zwei der bekanntesten Untersuchungsausschüsse waren der Lucona- und der Noricum-Ausschuss. Ein weiterer ist der Milchwirtschaftsausschuss.

Untersuchungsausschüsse seit 1945

  • ERP-Hilfe (1949–1952)
  • Autobahnbau (1966–1968)
  • Spionageaffäre (1968/69)
  • UNO-City (1971/72)
  • Flugzeugbeschaffung des Bundesheeres (1971–1975)
  • Konferenzzentrum Wien (1972–1975)
  • Telefonabhöraffäre (1976/77)
  • Waffenexporte ins Ausland (1977)
  • AKH (1980/1981)
  • Wohnbau Ost (WBO) (1982/83)
  • Lucona (1988/89)
  • Noricum Waffenexporte (1989–1990)
  • Milchwirtschaftsfonds (1989/1990)
  • Euroteam (2000–2002)
  • Beschaffung von Eurofightern (2006–2007)
  • der Rolle der Finanzmarktaufsichtsbehörde in den zurückliegenden Bankenskandalen (BAWAG P.S.K., Hypo Alpe-Adria-Bank und andere Finanzdienstleister (2006–2007)
  • der Rolle des Innenministeriums bei Ermittlungspannen in der Entführung von Natascha Kampusch, Geldern von Bawag an die SPÖ, Postenvergabe nach Parteizugehörigkeit, sowie des Außenministeriums in der Visa-Affäre. (2008)
  • versuchten Einflussnahmen ausländischer Geheimdienste auf aktive und ehemalige Mitglieder des Nationalrates (2009– )[4]

Untersuchungsausschüsse in der Schweiz

So genannte Parlamentarische Untersuchungskommissionen können von der Bundesversammlung, von Kantonsparlamenten oder in gewissen Kantonen auch von den Gemeindeparlamenten gebildet werden.

Einzelnachweise

  1. Bundesverfassungsgericht in: Neue Juristische Wochenschrift 2002, S. 1936 ff.
  2. Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 17. Juni 2009 – 2 BvE 3/07 -. Abgerufen am 23. Juli 2009 (BVerfG, Zweiter Senat).
  3. Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -: Eingeschränkte Erteilung von Aussagegenehmigungen und Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen an BND-Untersuchungsausschuss zum Teil verfassungswidrig. In: Pressemitteilungen (Pressemitteilung Nr. 84/2009). 23. Juli 2009, abgerufen am 23. Juli 2009 (Zum Beschluss vom 17. Juni 2009 mit dem Aktenzeichen 2 BvE 3/07).
  4. derStandard: Spionage-Ausschuss

Literatur

  • Paul J. Glauben, Lars Brocker: Das Recht der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern. Ein Handbuch, 2. Auflage 2011, Carl Heymanns Verlag, ISBN 978-3-452-27421-2

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Untersuchungsausschuss – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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