Unterkühlung (Medizin)

Unterkühlung (Medizin)
Klassifikation nach ICD-10
T68 Hypothermie (Hypothermie durch Unfall)
T69 Sonstige Schäden durch niedrige Temperatur
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Die Hypothermie, Unterkühlung oder Verklammung ist ein Zustand nach Kälteeinwirkung auf den Körper eines Lebewesens, das heißt die Wärmeproduktion war über längere Zeit geringer als die Wärmeabgabe. Die Unterkühlung kann Gesundheitsschäden oder den Tod herbeiführen. Bei nur lokalen Kälteeinwirkungen kommt es zu Erfrierungen. Bei Unfällen am Wasser oder im Gebirge haben die Helfer in der Wasserrettung und dem Bergrettungsdienst immer auch von einer Unterkühlung des Patienten auszugehen.

In der Medizin wird im Operationssaal oder auf Intensivstationen in speziellen Fällen eine (beabsichtigte) therapeutische milde Hypothermie oder eine therapeutische tiefe Hypothermie durchgeführt.

Inhaltsverzeichnis

Wärmeregulation des Körpers

Der menschliche Körper hat die Fähigkeit, seine Körpertemperatur auch bei Schwankungen der Umgebungstemperatur konstant bei rund 37 °C zu halten, was man als Thermoregulation bezeichnet. Dieser Normalwert unterliegt geringen Schwankungen je nach Tätigkeit und Tageszeit. Hierzu zählen die verstärkte Wärmeabgabe bei körperlicher Anstrengung und die Wärmeproduktion durch Kältezittern, beispielsweise in Form von Schüttelfrost bei beginnendem Fieber.

Stadien und Symptome der Unterkühlung

Folgende Stadien der Hypothermie werden unterschieden:[1]

Stadium Körpertemperatur Symptome
Milde Hypothermie 32°C - 35 °C Muskelzittern, Trennung von Schale/Kern, Tachykardie, Tachypnoe, Vasokonstriktion, nach einiger Zeit: Apathie, Ataxie, Beeinträchtigung des Urteilsvermögens
Mittelgradige Hypothermie 28°C - 32°C Bewusstseinseintrübung, Bradykardie, erweiterte Pupillen, verminderter Würgereflex, Aufhören von Muskelzittern, Hyporeflexie, Hypotonie
Schwere Hypothermie < 28 °C Bewusstlosigkeit, Kreislaufstillstand, verminderte Hirnaktivität im EEG, Lungenödem, starre Pupillen, Herzrhythmusstörungen, Atemstillstand

Milde Hypothermie

Der Körper versucht bei einer Körpertemperatur von 32 bis 35 °C die Körperkerntemperatur konstant zu halten und produziert Wärme durch automatisiertes Muskelzittern. Zusätzlich ziehen sich die Blutgefäße in den Extremitäten zusammen und verringern die Durchblutung der äußeren Körperregionen (Zentralisation). Es entsteht eine Schale, in der das kalte Blut bleibt. Ein Wärmeaustausch zwischen Schale und Körperkern findet dann kaum noch statt.

Mittelgradige Hypothermie

Das Bewusstsein des Patienten trübt immer mehr ein. Diese Bewusstseinsstörung kann soweit gehen, dass man von Kälteidiotie spricht. Es kommt auch zu einer Abschwächung der Reflexe (Hyporeflexie) und das Muskelzittern hört auf.

Schwere Hypothermie

Sinkt die Temperatur auf weniger als 28 °C ab, kommt es zum Verlust des Bewusstseins, einem unregelmäßigen und abgeschwächten Puls, später zu einem Atem- und Kreislaufstillstand infolge von Herzrhythmusstörungen. Lichtstarre Pupillen und Lähmung der Muskulatur kommen hinzu. Bei Körpertemperaturen unter 28 °C ist es nur noch schwer möglich, eindeutig zu bestimmen, ob die unterkühlte Person noch lebt oder bereits tot ist. Die Atmung in diesem Status kann zu abgeflacht, der Puls zu langsam und zu schwach sein, vor allem in den wenig durchbluteten Extremitäten. Einfache Methoden wie Erfühlen des Pulses oder der Atmung sind dann nicht zuverlässig. Gelegentlich wird der Begriff Scheintod in diesem Zustand verwendet.

Ursachen

Neben einer langanhaltend niedrigen Lufttemperatur spielen auch die Wirkung kalten Wassers und des Windes (siehe Windchill) eine Rolle, indem sie die gefühlte Temperatur verringern, also einen Wärmeverlust des Körpers bedingen.

Typische Situationen, bei denen es zu einer Unterkühlung kommt, finden sich:

im Wasser
  • Ertrinkungsunfälle mit starker Abkühlung, wegen der höheren Wärmeleitfähigkeit des Wassers im Vergleich zu Luft.
  • Sturz ins kalte Wasser, beispielsweise Schiffbrüchige oder gekenterte Segler.
  • längerer Aufenthalt im kalten Wasser, beispielsweise bei Wassersportlern, wie Schwimmer, Surfer oder Kanuten. Gefährdet sind insbesondere auch im Sommer badende Kinder.
  • Einbruch ins Eis
im Gebirge
Aufenthalt in kalter Umgebung
  • unzweckmäßige oder nasse Bekleidung
  • Einschlafen im Freien
  • bewusstloses Liegen im Freien
weitere Ursachen
  • Erkrankungen
  • bewegungsarmes Verhalten (auch durch neurologische Defekte erzwungen)
  • körperliche Überanstrengung
  • Schock
  • Alkoholgenuss: Alkohol verstärkt und beschleunigt eine Unterkühlung, da sich hier die Blutgefäße in der Haut erweitern und der Körper umso mehr Wärme an die Umgebung abführt.
  • seltene Krankheiten: Personen, die am Shapiro-Syndrom leiden, zeigen wiederkehrende Defekte in der Thermoregulation durch den Hypothalamus. Es sind aber in jedem Fall zusätzliche Symptome zu beobachten, wie Schwitzen.[2]

Sofortmaßnahmen

Rettung aus dem Gefahrenbereich

Die Rettung aus dem Gefahrenbereich hat schnell zu erfolgen, da der Patient weiter auskühlt.

Grundsätzlich sollte der Patient dabei möglichst nicht bewegt werden. Beispielsweise kann der Patient mit einer Korbtrage oder einem so genannten Spine Board (Wirbelsäulenbrett) waagerecht aus dem Wasser an Bord eines Rettungsbootes gehoben werden.

Ist der Temperaturunterschied zwischen Schale und Körperkern zu groß, kommt es bei der Wiedererwärmung oder bei Bewegung des Patienten zum Temperaturausgleich und die Kerntemperatur kann weiter absinken (Afterdrop). Dies kann zum so genannten Bergungstod führen.

Allgemein

Rettungskette befolgen:

  • Eigenschutz beachten und Unfallstelle absichern
  • Notruf absetzen oder veranlassen
  • Den Patienten schonend aus dem Gefahrenbereich bringen; wenn möglich, in einen Raum mit Zimmertemperatur, mindestens an einen windstillen Ort
  • Den Patienten flach lagern und wenig bewegen oder, wenn möglich, vollständig immobilisieren
  • Wärmeerhalt, d. h. Patienten mit Wolldecken zudecken oder einwickeln. Eine Rettungsdecke nie direkt auf die Haut bringen, diese ist dann wegen fehlender Isolationswirkung nutzlos.
  • Zunächst nur den Körper (entsprechend dem zentralen Kreislauf) mittels Decken etc. aufwärmen. Nicht die Extremitäten, da sonst der Bergungstod (s.u.) droht.
  • Ständige Kontrolle der Vitalfunktionen.
  • Betreuen des Patienten bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes

Abwehrstadium

Befindet sich der Patient noch im Abwehrstadium

  • dann kann die nasse Kleidung des Patienten vorsichtig entfernt werden, solange er zittert.
  • bei erhaltenem Bewusstsein: warme, gezuckerte Getränke verabreichen (kein Alkohol, Kaffee oder Schwarztee).
  • gemächliche Wiedererwärmung, z. B. mit einer Wärmflasche

Erschöpfungsstadium oder Bewusstlosigkeit

Befindet sich der Patient im Erschöpfungs- oder Lähmungsstadium

  • dann darf dieser nicht mehr entkleidet werden.
  • dürfen keine Aufwärmmaßnahmen unternommen werden
  • falls bewusstlos: Stabile Seitenlage
  • falls keine Atmung mehr vorhanden: Herz-Lungen-Wiederbelebung
  • dann obige Punkte befolgen

Folgemaßnahmen durch den Rettungsdienst

  • unbedingte Vermeidung des sog. Bergungstodes: Bei Opfern von Eiseinbrüchen, Lawinen etc. muss unbedingt darauf geachtet werden, die Extremitäten nicht über das Niveau des Rumpfes zu erheben, da das somit zum Herzen zurückflutende Blut einen reflektorischen Herzstillstand hervorrufen kann!
  • Infusion von erwärmter NaCl- oder Ringer-Lösung. Auch Glucosegabe ist nach Konzentrationsmessung möglich (evtl. sogar notwendig!)
  • Sauerstoffgabe und ggf. Intubation
  • Fortführung der Herz-Lungen-Wiederbelebung
  • Transport in ein Krankenhaus der Maximalversorgung mit einem Rettungshubschrauber (wenn verfügbar)

Weitere Behandlung im Krankenhaus

  • Fortführung der Herz-Lungen-Wiederbelebung
  • Erwärmung des Patienten, auch invasiv durch den Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine

Grundsatz

Die Wiederbelebungsmaßnahmen werden beim Transport ins Krankenhaus sowie in der Klinik fortgesetzt. Medikamente, wie beispielsweise Adrenalin, sowie die Defibrillation funktionieren nur ab einer bestimmten Körpertemperatur. Durch die verminderte Temperatur verlangsamt sich auch das Absterben der Hirnzellen.

Daher gilt der Grundsatz: Niemand ist tot, so lange er nicht warm und tot ist.

Therapeutische Kälteeinwirkung

In der Medizin wird bei Großoperationen am Gehirn und am Herzen eine beabsichtigte tiefe Hypothermie (deep hypothermia, auch Hypothermischer Herzstillstand) eingeleitet. Dies geschieht durch Ableitung des venösen Blutes in eine Apparatur, in der das Blut auf 15 bis 16° C heruntergekühlt und wieder dem Blutkreislauf zugeführt wird.

Eine mildere therapeutische Hypothermie wird nach erfolgreicher Wiederbelebung durchgeführt, da dies den Hirnstoffwechsel vermindert und Hirnschäden verringert.[3]

Science Fiction

In der Futurologie wird über die Nutzung des Kälteschlafs auch zur Überbrückung von Epochen diskutiert; Personen werden in den Kälteschlaf versetzt und altern daher wesentlich langsamer. Nach einigen Jahrzehnten wird der Organismus wieder auf volle Leistung aktiviert. Dies ist jedoch bisher nur eine Theorie, in der Praxis scheiterten alle derartigen Versuche.

Tiere

Manche Fische und Säugetiere verharren in Kälteperioden in Winterstarre. Dieser naturgegebene Kälteschlaf wird Hibernation genannt.

Einzelnachweise

  1. McCullough L, Arora S: Diagnosis and treatment of hypothermia. Am Fam Physician. 2004 Dec 15;70(12):2325-32. Review. PMID 15617296
  2. OrphaNet: Periodische spontane Hypothermie
  3. Hypothermia after Cardiac Arrest Study Group: Mild therapeutic hypothermia to improve the neurologic outcome after cardiac arrest. N Engl J Med. 2002 Feb 21;346(8):549-56 PMID 11856793

Literatur

Weblinks

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