Unterer Grindelwaldgletscher

Unterer Grindelwaldgletscher
Der Untere Grindelwaldgletscher mit Gletscherrandsee von der Bäregghütte aus gesehen. In der Bildmitte der Zufluss des Fieschergletschers, links die grüne Bänisegg, im Hintergrund die Fiescherhörner
Panoramaaufnahme des Oberen Eismeers (Bildmitte), des Fieschergletschers und des Kallifirns (ganz rechts)

Der Untere Grindelwaldgletscher ist der westliche der beiden das Tal von Grindelwald speisenden Gletscher, und zwar der (früher) weiter talauswärts ins Tal mündende der beiden. Aus ihm entspringt die Weisse Lütschine (nicht zu verwechseln mit der von Lauterbrunnen).

Gletscherschlucht und untere Schopffelsen. Oben eine Rampe für Bungee-Springer

Inhaltsverzeichnis

Übersicht

Den Namen trägt in erster Linie die zuletzt stark abgeschmolzene Zunge des genannten Gletschers, also der Abschnitt zwischen der sog. Bänisegg und dem Zungenende an der Stieregg. Diese Zunge wird gespeist durch den von Mönch und Fiescherhörnern herunterkommenden Grindelwald-Fieschergletscher, den man im weiteren Sinne zum Unteren Grindelwaldgletscher hinzuzählen kann (Bild rechts oben). Sein bis vor kurzem zweiter grosser Zufluss, das Eismeer („Ischmeer“), das vom Finsteraarjoch herunter kommt (Bild rechts), hat sich in den letzten Jahren an der Bänisegg vom Unteren Grindelwaldgletscher abgetrennt und kann daher nur mit diesem Vorbehalt zum Unteren Grindelwaldgletscher hinzugerechnet werden.

Unterhalb der heutigen Gletscherzunge durchfliesst die Weisse Lütschine die Gletscherschlucht, die von Grindelwald aus gegen Eintritt besichtigt werden kann. Die Gletscherschlucht durchschneidet in ihrem unteren Teil zwei markante Felsabsätze, die sogenannten oberen und unteren Schopffelsen. Diese Absätze sind auf dem ersten Bild zur Geschichte des Gletschers unten im Bild gut erkennbar. Am Fusse des unteren Schopffelsens befindet sich heute der Eingang in die Schlucht (Bild rechts und Gemälde ganz unten).

Der Gletscher zieht sich zur Zeit nicht kontinuierlich zurück, sondern ist im Begriff, in einem Zug etwa 800 Meter seiner Zunge zu verlieren, die noch 1997 bis in den obersten Teil der Gletscherschlucht nordwestlich der Bäregg reichte. Dieser Teil des Gletschers war von jeher durch die Schatten spendenden Felswände besonders gut gegen das Abschmelzen geschützt. Ausserdem wurde es in der Vergangenheit regelmässig durch Sturzeis und Lawinen vom links oberhalb liegenden Kallifirn („Challifirn“) genährt. Weiter oberhalb dagegen, zwischen Bänisegg und Stieregg, ist die Zunge stark eingesunken und versorgt das Zungenende nicht mehr. Oberhalb des Zungenendes hat sich daher eine weiträumige Delle ausgebildet, in der 2006 ein Gletscherrandsee entstanden ist. Dieser wird den Abschmelzprozess beschleunigen, so dass sich das Gletscherende in Kürze bei diesem See befinden wird.

Geschichte

Der Untere Grindelwaldgletscher im 18. Jahrhundert

Oberer und Unterer Grindelwaldgletscher 1774. Gemälde von Caspar Wolf
Gletschereisarbeiter am Unteren Grindelwaldgletscher um 1912

Beginnend mit der Abkühlung am Ende des Mittelalters (1500), der so genannten Kleinen Eiszeit, floss der Untere Grindelwaldgletscher über die Gletscherschlucht hinweg ins Tal von Grindelwald hinunter. Dort musste ein Teil des Dorfes gegen 1600 verlegt werden, weil der Gletscher ein Haus nach dem anderen überfuhr. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts zog er sich wieder über die Schopffelsen zurück (Bild rechts). Um 1740 wurde am rechten Rand der Zunge mit dem Abbau von Marmor begonnen. Um 1770 stiess der Gletscher stark vor und erreichte im Bereich des heutigen Hotels „Gletscherschlucht“ den Talboden. Auch der Marmorbruch wurde vom Gletscher überfahren. Diesen Vorstoss dokumentierte Caspar Wolf in dem Gemälde rechts unten ebenso wie in dem ganz unten ("Kunst") recht wirklichkeitsgetreu. Der mit spektakulären Eistürmen (sog. Séracs) endende Gletscher wurde für Jahrzehnte bis etwa um 1900 touristischer Hauptanziehungspunkt des Grindelwaldtals und eine der Sehenswürdigkeiten der Schweiz überhaupt. Um 1850 stiess der Gletscher noch weiter vor und erreichte 1855 erneut einen Hochstand, ähnlich dem von 1600. Er floss damals vom heutigen Eingang der Gletscherschlucht noch etwa 500 m in Richtung Grindelwald-Grund. 1863 erhielt die Berner Firma Schegg & Böhlen eine Konzession zum kommerziellen Eisabbau. Daraufhin wurde eine Strasse von Grindelwald-Grund her an die Zunge des Gletschers gebaut. Die Eisblöcke wurden nach Interlaken zur Bödelibahn transportiert und bis nach Paris als Kühlmittel exportiert. 1864 wurden beispielsweise 17'473 Zentner Eis abgebaut. Mit den aufkommenden Kühlaggregaten und dem Ersten Weltkrieg endeten 1914 Abbau und Export des Gletschereises.

Der Gletscher war stark zerrissen und erlaubte im Sommer keinen Aufstieg in den Bereich oberhalb von Bäregg und Stieregg, den man als Unteres Eismeer bzw. (im lokalen Dialekt) als Unters Ischmeer bezeichnete. Der Zugang zur Bäregg und den weiter taleinwärts liegenden Almen folgte schon damals der heutigen Trasse. Auf der Bäregg wurde 1823 die erste Schutzhütte des Berner Oberlands errichtet, und 1858 das Hotel Eismeer. Oberhalb der Bäregg war der Gletscher praktisch flach (Eismeer!) und erlaubte einen problemlosen Übergang und sogar Viehtrieb auf die gegenüber liegenden Weiden von Kalli und Zäsenberg jenseits der Einmündung des Fieschergletschers. 1857 wurde auf diesem Weg der Mönch erstmals bestiegen.

Der Gletscher schmolz in den folgenden Jahren stark ab. Um 1864 gab er den früheren Marmorbruch wieder frei, wo Edmund von Fellenberg als erster wieder rosenfarbigen Marmor fand. Hier wurde alsbald der Abbau wieder aufgenommen. 1869 wurde im Bereich des oberen Fieschergletschers die Berglihütte gebaut. Gegen 1870 verliess der Gletscher den Grindelwalder Talboden, und um 1875 gab er den sog. unteren Schopffelsen frei, wo heute eine Brücke über den unteren Teil der Gletscherschlucht führt. Bis 1882 hatte er sich etwa einen Kilometer zurückgezogen, vom Hochstand von 1855 an gerechnet, und zwar bis etwa 150 m südöstlich der heutigen Brücke. Dort blieb die Zunge stationär bis 1897 und zog sich dann ca. 200 m weiter in die Schlucht zurück, wobei sie auch den oberen Schopffelsen freigab. Dort blieb sie erneut in etwa stationär von 1905 bis 1932. Von Nellenbalm wurde links der Schlucht ein Weg auf den oberen Schopffelsen gebaut, desgleichen vom Marmorbruch rechts der Schlucht. So war die Zunge bis in die dreissiger Jahre hinein vom Tal her ohne weiteres zugänglich. Am 25. Juli 1905 eröffnete die Jungfraubahn den Streckenabschnitt bis zum Eismeer. Das ermöglichte einen deutlich erleichterten Zugang zur Berglihütte und für wagemutige Skifahrer die Eismeerabfahrt über die Gletscherzunge nach Grindelwald. 1908 wurde von der Station Eismeer aus die Konkordiahütte errichtet.

Seit Mitte der 30er-Jahre zog sich die Zunge des Gletschers kontinuierlich um weitere gut 800 m bis zum oberen Schluchteingang bei der Bäregg zurück. Der direkte Zugang zum Gletscher vom Tal her wurde dabei nach und nach schwieriger. Gleichzeitig sank das untere Eismeer im Bereich oberhalb der Bäregg um über 130 m (gegenüber 1855) ein und liess steile Moränen zurück. Der Übergang Richtung Kalli und Zäsenberg wurde dadurch immer aufwändiger und gefährlicher. Von etwa 1970 bis 1995 blieb die Gletscherzunge im Wesentlichen stationär unterhalb der Bäregg - mit einem kleinen Intermezzo um 1980, als Sturzeis vom stark vorstossenden Kallifirn die Zunge innerhalb eines Jahres um 125 m in die Schlucht hinein verlängerte). Genaue Messungen konnten an ihr nicht durchgeführt werden, da die Zunge in der Schlucht nicht erreichbar war.

Eingang zum Stollen, der einen Abfluss des Gletscherrandsees ermöglichen soll (im Juli 2009)

Durch das seit etwa 1998 forcierte Abschmelzen des Gletschers ist die Ostflanke des Hörnli am Eiger gegenüber der Bäregg sehr instabil geworden. Deshalb stürzten dort im Juli 2006 insgesamt 2 Millionen Kubikmeter Fels auf den Gletscher und es hat sich ein 250.000 m³ grosser See gebildet. Auf der Seite des Mättenbergs brach die Moräne 2005 bis unmittelbar vor die Stieregghütte ein, die daraufhin aufgegeben und abgebrannt wurde. Sie drohte auf die Toteisreste im Gletscherkessel zu stürzen. Anstelle der Stieregghütte wurde die Bäregghütte gebaut.

Weil sich der See an der Zunge gelegentlich spontan entleert, ist das gesamte Lütschinental bis hinaus an den Brienzersee überflutungsgefährdet. Deshalb wurde 2009 vom Ausgang der Gletscherschlucht ein Stollen erstellt, über den der See kontrolliert abgelassen werden kann. Das Wasser wird rund 800 Meter um den Damm herum geleitet und stürzt dann in einem 140 Meter hohen Wasserfall in die Lütschine.

Eismeer-Abfahrt

1907 fuhr die Jungfraubahn erstmals im Winter - ab Bahnhof Eigergletscher und bis zur damaligen Endstation Eismeer. Von dort eröffneten Skifahrer des Skiclubs Grindelwald die spektakuläre Abfahrt über den Fieschergletscher, den Zäsenberg, den vom Schreckhorn her kommenden Teil des Eismeers und über die damals noch bis fast gegen die oberen Schopffelsen reichende Zunge des Unteren Grindelwaldgletschers hinaus nach Grindelwald. Zum Teil wurde diese Route auch umgekehrt als Skitour begangen, mit Rückfahrt per Jungfraubahn.

Diese Abfahrt erfreute sich bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts grosser Beliebtheit, wurde dann aber immer gefährlicher und nur noch in schneereichen Jahren durchführbar. Heute ist sie nicht mehr möglich, da man von der Gletscherzunge keinen Zugang mehr zu den Bändern hat, die durch oder oberhalb der Gletscherschlucht nach Grindelwald leiten.

Bergwege

Orografisch rechts über der Gletscherschlucht zur Bäregg und entlang dem Unteren Gletscher sowie weiter oberhalb entlang dem Eismeer verläuft der landschaftlich überwältigende Hüttenweg zur Schreckhornhütte des SAC (T 4) bzw. zum Platz der ehemaligen Strahlegghütte (L). Dieser muss wegen der nach und nach einstürzenden Seitenmoränen immer wieder nach oben verlegt werden. Der frühere Direktzugang zur Gletscherzunge links oberhalb der Schlucht wurde in den 1980er Jahren mit Stahlseilen präpariert, ist aber wegen des weiteren Gletscherrückgangs seit vielen Jahren wieder aufgelassen und zudem heute durch die genannten Felsbewegungen lebensgefährlich.

Kunst

Caspar Wolf: Unterer Grindelwaldgletscher (1774)

Gemalt wurde der Gletscher u.a. vom Schweizer Künstler Caspar Wolf 1774 und 1777. Diese Bilder zeigen eine Vorstossphase, die oftmals von einem Zerreissen der Zungenenden in Eistürme (Séracs) geprägt ist. Der Gletscher ist im Begriff, wieder annähernd so gross zu werden wie gegen 1600. Aus der Perspektive dieser Bilder ist der Gletscher seit etwa 1900 nicht mehr zu sehen.

Weblinks

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