Unschuldsvermutung

Unschuldsvermutung

Die auf den französischen Kardinal Jean Lemoine (1250-1330) zurückgehende Unschuldsvermutung ist eines der Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und wird heute von den meisten Ländern der Welt zumindest dem Anspruch nach anerkannt.

Inhaltsverzeichnis

Rechtliche Grundlagen

Seine universellste Anerkennung findet der Grundsatz in Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948:

„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“

In den Ländern des Europarats wird er darüber hinaus gewährleistet aufgrund von Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK):

„Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“

Inhalt der Unschuldsvermutung

Die Unschuldsvermutung erfordert, dass jeder einer Straftat Verdächtigte oder Beschuldigte während der gesamten Dauer des Strafverfahrens als unschuldig behandelt wird und nicht er seine Unschuld, sondern die Strafverfolgungsbehörde seine Schuld beweisen muss.

Zur Durchsetzung der Unschuldsvermutung sind strafrechtliche Verbote (Verfolgung Unschuldiger, falsche Verdächtigung, Verleumdung, üble Nachrede) und je nach Sachlage verschiedene zivilrechtliche Abwehr- und Ausgleichsansprüche (Anspruch auf Gegendarstellung, Widerruf, Richtigstellung, Schadensersatz, Geldentschädigung, Unterlassung) vorgesehen.

Die Vermutung der Unschuld endet mit der Rechtskraft der Verurteilung.

Inwieweit die Unschuldsvermutung über das Strafverfahren hinaus auch eine Ausstrahlungswirkung hat, z. B. für die Massenmedien, die über ein Strafverfahren berichten, ist in den Einzelheiten strittig und wird von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Unschuldsvermutung Ziffer 13 des Pressekodex gewidmet: "Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse."

Unschuldsvermutung im Ermittlungsverfahren

Durch die Unschuldsvermutung werden aber Maßnahmen der Strafverfolgung auf Grund eines bestimmten Verdachts nicht ausgeschlossen. So ist insbesondere die vorläufige Festnahme und die Untersuchungshaft aufgrund dringenden Tatverdachts auch ohne den endgültigen Beweis der Schuld des Beschuldigten möglich.[1] Den Ermittlungsmethoden kommt wegen der Unschuldsvermutung nämlich keine strafende Wirkung zu, obwohl die Untersuchungshaft und die Verbreitung dieser Tatsache über Presse und Bekanntenkreis des Betroffenen eine rufschädigende Vorverurteilung mit sich bringen können, die sich mit rechtlichen Vorgaben nur schwer abwenden oder beseitigen lassen. Die Maßnahmen im Ermittlungsverfahren sind wegen der Unschuldsvermutung aber auch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Ohne Anfangsverdacht darf überhaupt kein Strafverfahren eingeleitet werden.

Bei der öffentlichen Fahndung muss eine Güterabwägung getroffen werden und bei behördlicher Unterstützung der Publikation einer strafrechtlichen Beschuldigung muss Zurückhaltung gewahrt werden.

Unschuldsvermutung im Gefahrenabwehrrecht

Im Gefahrenabwehrrecht findet die Unschuldsvermutung grundsätzlich keine Anwendung. Das Gefahrenabwehrrecht folgt insoweit anderen Maßgaben als das Strafprozessrecht. Maßnahmen der Gefahrenabwehr sind unabhängig von einer „Schuld“ im juristischen Sinne; auch findet hier keine formalisierte Beweisaufnahme statt, und es kommt nicht zu einem Schuldspruch. Eingriffe im Zusammenhang mit Gefahrenabwehrmaßnahmen sind aber grundsätzlich nur möglich bei Vorliegen einer Gefahr im polizeirechtlichen Sinne und dürfen grundsätzlich nur gegen einen Gefährder angewendet werden. Liegt keine Gefahr vor, besteht aber ein Gefahrenverdacht, so sind aufgrund der bestehenden Zweifel aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf der Rechtsfolgenebene lediglich Gefahrerforschungseingriffe zulässig,[2] also Maßnahmen, die nicht auf die Beseitigung des Gefahrenzustands abzielen, sondern der Ermittlung des notwendigen Umfangs der endgültigen Gefahrenabwehrmaßnahmen dienen.[3]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. für das deutsche Recht: Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., Anh 4 MRK Art. 6 Rn. 14
  2. für das deutsche Recht: Erichsen, Jura 1995, 219, 221
  3. für das deutsche Recht: Schoch, JuS 1994, 669

Literatur

  • Carl-Friedrich Stuckenberg: Untersuchungen zur Unschuldsvermutung. Walter de Gruyter, Berlin u. a. 1998, ISBN 3-11-015724-1 (Zugleich: Bonn, Univ., Diss., 1997).
Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Unschuldsvermutung — Ụn|schulds|ver|mu|tung, die (Rechtsspr.): Rechtsgrundsatz, wonach ein Angeklagter bis zum rechtskräftigen Beweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat. * * * Ụn|schulds|ver|mu|tung, die (Rechtsspr.): Rechtsgrundsatz, wonach ein Angeklagter …   Universal-Lexikon

  • Unschuldsvermutung — Nach Art. 6 II Menschenrechtskonvention (MRK) wird bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Folgt auch aus dem Rechtsstaatsprinzip der Art. 20, 28 GG …   Lexikon der Economics

  • Unschuldsvermutung — Ụn|schulds|ver|mu|tung (Rechtssprache) …   Die deutsche Rechtschreibung

  • Unschuldsprinzip — Die Unschuldsvermutung ist eines der Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und wird heute von den meisten Ländern der Welt zumindest dem Anspruch nach anerkannt. Inhaltsverzeichnis 1 Rechtliche Grundlagen 2 Inhalt der… …   Deutsch Wikipedia

  • DNA-Massenscreening — Speicheltest Die DNA Reihenuntersuchung (auch DNS Reihenuntersuchung, Massengentest, genetischer Massentest, Reihengentest, DNA Massenscreening) ist in der Regel die Feststellung von genetischen Fingerabdrücken der Angehörigen einer… …   Deutsch Wikipedia

  • Massengentest — Speicheltest Die DNA Reihenuntersuchung (auch DNS Reihenuntersuchung, Massengentest, genetischer Massentest, Reihengentest, DNA Massenscreening) ist in der Regel die Feststellung von genetischen Fingerabdrücken der Angehörigen einer… …   Deutsch Wikipedia

  • Reihengentest — Speicheltest Die DNA Reihenuntersuchung (auch DNS Reihenuntersuchung, Massengentest, genetischer Massentest, Reihengentest, DNA Massenscreening) ist in der Regel die Feststellung von genetischen Fingerabdrücken der Angehörigen einer… …   Deutsch Wikipedia

  • Speicheltest — Die DNA Reihenuntersuchung (auch DNS Reihenuntersuchung, Massengentest, genetischer Massentest, Reihengentest, DNA Massenscreening) ist in der Regel die Feststellung von genetischen Fingerabdrücken der Angehörigen einer Bevölkerungsgruppe durch… …   Deutsch Wikipedia

  • Benes-Dekrete — In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen: es fehlen u.a.: Erläuterungen zu jenen Dekreten, die nicht die deutsche Bevölkerung betrafen (also 135 von 143), die Bedeutung der Dekrete in der heutigen Tschechischen… …   Deutsch Wikipedia

  • Benesch-Dekrete — In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen: es fehlen u.a.: Erläuterungen zu jenen Dekreten, die nicht die deutsche Bevölkerung betrafen (also 135 von 143), die Bedeutung der Dekrete in der heutigen Tschechischen… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”