Täuferreich

Täuferreich
Lambertikirche in Münster

Eine Sonderrolle innerhalb des Täufertums spielten die Münsterschen Täufer. Sie herrschten in den 1530er Jahren in Münster (Westfalen), dem von ihnen so benannten Neuen Jerusalem.

Inhaltsverzeichnis

Ursprünge

Die münsterschen Täufer gehörten zur radikalen niederdeutschen beziehungsweise niederländischen Bewegung der Melchioriten. Dieser Name leitet sich ab von Melchior Hofmann, der als indirekter theologischer Wegbereiter des münsterschen Täuferreichs gilt. Die apokalyptisch-chiliastische Botschaft seiner Schriften fiel hier zum Teil auf fruchtbaren Boden. Deren sozialökonomische Lage sowie härteste Verfolgungen,[1] die sie von allen Seiten zu erdulden hatten, öffneten sie zusätzlich für endzeitliche Anschauungen.

Geschichte

„Blick in die Vergangenheit“ –  Erinnerungen vor den Häusern der Bürgermeister Bernd Knipperdolling und Bernd Krechting am Prinzipalmarkt Nr. 29 und 41.

Dass ausgerechnet die Stadt Münster zum Schauplatz des Täuferreichs wurde, hing unter anderem mit den innerstädtischen Auseinandersetzungen zwischen Handwerkern und römisch-katholischem Klerus zusammen, die im Aufstand von 1525 ihren ersten Höhepunkt fanden.

Ab 1531 verbanden sich die Handwerkergilden mit der noch jungen evangelischen Bewegung, die in Münster vor allem von Bernd Rothmann vertreten wurde. Rothmann wurde vom münsterschen Domkapitel mehrfach mit Predigtverbot belegt und schließlich des Landes verwiesen. Rothmanns inzwischen umfangreich gewordene Anhängerschaft, darunter auch wohlhabende Bürger, verhinderten dies aber. Bis zum Sommer 1532 setzte ein 70-köpfiger Ausschuss der städtischen Gildenversammlung evangelische Prediger an sämtlichen Stadtkirchen durch. Dieser Ausschuss, der in Münster ein Mitbestimmungsrecht gegenüber dem gewählten Stadtrat besaß, bestimmte bis 1533, als auch der Stadtrat evangelisch wurde, die Politik Münsters.

Die münstersche Reformationsbewegung verweigerte sich der 1530 formulierten Confessio Augustana, weshalb sie wenig Unterstützung durch bereits reformierte Territorien erhielt. Die Bewegung konnte sich aber durchsetzen, da das Amt des Bischofs von Münster und Osnabrück und damit des Landesherren kurz hintereinander dreimal neu besetzt wurde. Franz von Waldeck setzte sich erst im Frühsommer 1532 auf Dauer durch und konnte erst ab diesem Zeitpunkt gegen Münster vorgehen. Zunächst verhängte Waldeck ein Handelsverbot gegen die Stadt und ließ Vieh von münsterschen Bürgern beschlagnahmen. Im Gegenzug überfielen Münsteraner am 25. Dezember 1532 bischöfliche Berater, die in Telgte weitere Maßnahmen gegen die Stadt berieten, und brachten sie als Geiseln nach Münster. In dieser Lage wurde unter Vermittlung von Philipp von Hessen ein Kompromiss geschlossen: Der Fürstbischof akzeptierte die evangelischen Prediger in der Stadt, die Kirchen und Klöster mussten beim katholischen Ritus bleiben.

In dieser Zeit bildete sich der Stadtrat um. Einzelne katholische Mitglieder waren bereits 1532 zurückgetreten, bei den Wahlen im März 1533 wurde das Gremium komplett evangelisch. Als eine der ersten Entscheidungen beauftragte der Rat Bernd Rothmann mit dem Ausarbeiten einer neuen Gottesdienstordnung. Rothmann hatte sich inzwischen radikalisiert und der Täuferbewegung angeschlossen. Über Rothmanns Forderung der Erwachsenentaufe spaltete sich die evangelische Bewegung in der Stadt. Der Rat trat gegen diese Forderung ein, schloss sämtliche Kirchen und versuchte eine lutheranische Predigerschaft aufzubauen. Dafür hatte er keine Mehrheit in der Bevölkerung, die Bernd Rothmanns Position unterstützte. Ein Rekatholisierungsversuch der katholisch gebliebenen Bevölkerung im Herbst 1533 blieb erfolglos.

Zu diesem Zeitpunkt kamen bereits Protestanten aus der näheren und weiteren Umgebung in die Stadt, darunter auch viele Täufer aus den Niederlanden. Im Sommer 1533 befand sich der 23-jährige Jan van Leiden, der spätere „König“ von Münster, erstmals für zwei Monate in der Stadt. Darauf kehrte er in die Niederlande zurück und ließ sich dort von Jan Mathys, dem wichtigsten „Propheten“ der niederländischen Täuferbewegung, als Erwachsener erneut taufen. Mathys bekam auch zunehmend Einfluss auf die Täufer-Sympathisanten in Münster. Im Januar 1534 schickte er Jan van Leiden als seinen Gesandten in die Stadt, gleichzeitig begannen die Erwachsenentaufen in der Stadt.

Jan van Leiden bei der Taufe eines Mädchens. Direkt hinter ihm die beiden anderen Anführer der Täufer, links Stadtschreiber Bernd Krechting, rechts der Scharfrichter und spätere Statthalter Bernd Knipperdolling. Im Hintergrund in der Mitte des Bildes der Turm der Ludgerikirche. (Historisierendes Bild, Franz Bähr, 1840)

Die Erwachsenentaufe widersprach dem Reichsgesetz, was Fürstbischof Franz von Waldeck die Möglichkeit zum erneuten Vorgehen gegen die Stadt gab. Seine Aufforderung an den Stadtrat, die Täufer auszuliefern, wurde von diesem jedoch abgelehnt. Allerdings weigerte sich das Gremium auch, die Täufer offiziell zu unterstützen. Damit hatte der Stadtrat sowohl die Legitimation durch den Landesherren als auch die Unterstützung der Einwohnerschaft verloren. Zudem erschien im Februar 1534 Jan Mathys in der Stadt und setzte sich an die Spitze der Täuferbewegung. Am 23. Februar 1534 setzten sich bei der turnusmäßigen Ratswahl die Täufer durch, die damit Münster beherrschten. Bereits einige Wochen zuvor hatten die meisten verbleibenden Katholiken sowie viele nicht-täuferische Protestanten die Stadt verlassen. Die verbliebenen Einwohner dieser beiden Glaubensrichtungen wurden nach der Wahl entweder wiedergetauft oder aus Münster vertrieben.

In den folgenden Wochen setzte ein radikaler Umbau der Strukturen in der Stadt ein. Die Täufer führten unter anderem die Gütergemeinschaft ein und ließen das Stadtarchiv verbrennen. Diese Radikalität führte zu erneuten Auseinandersetzungen. Vor allem der zunehmende Endzeitwahn der Propheten stieß auf Ablehnung. Für Ostern 1534 verkündete Jan Mathys sogar das Erscheinen Jesu Christi in der Stadt. Während dieser Entwicklungen hatte Franz von Waldeck einen Belagerungsring um die Stadt geschlossen. Als das Erscheinen Christi ausblieb, zog Jan Mathys mit einigen Getreuen vor die Stadt und wurde dort am Ostertag getötet.

Angriff auf Münster durch die Truppen von Fürstbischof Franz von Waldeck an Pfingsten 1534.

Ab diesem Zeitpunkt war Jan van Leiden Kopf der münsterschen Täufer, unter dem sich die Bewegung weiter radikalisierte. Zwar schaffte er die Folter vor Vollstreckung eines Todesurteils ab, vollstreckte aber die Todesurteile nicht selten persönlich. In der Stadt wurde im Sommer 1534 auf Grund des erheblichen Frauenüberschusses – unter den münsterschen Täufern gab es fast dreimal so viele Frauen wie Männer – die Polygynie eingeführt, Jan van Leiden selbst nahm im Verlauf des Täuferreiches 16 Ehefrauen. Im September wehrte die Stadt einen Sturmversuch der Belagerer ab, worauf Jan van Leiden zum „König Johannes I.“ ernannt wurde. Diese grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen waren auch angesichts der Bedrohung von außen umstritten unter der Bevölkerung, oppositionelle Auffassungen wurden aber von van Leiden und seinen Unterstützern massiv unterdrückt. Ebenfalls im September wurden „Missionare“ in benachbarte Städte geschickt. Diese wurden jedoch entweder von bischöflichen Truppen abgefangen oder in ihren Zielstädten aufgegriffen. Diejenigen, die predigen konnten, hatten geringen Erfolg. Lediglich in Warendorf übernahmen die Täufer für eine Woche die Kontrolle der Stadt, wurden aber schnell von bischöflichen Soldaten geschlagen. Im Oktober 1534 scheiterte auch ein Hilfegesuch an die niederländische Täuferbewegung, die sich dort ebenfalls unter massivem Druck befand.

Folgen

Historische Darstellung der Hinrichtung der Täufer auf dem Prinzipalmarkt. Im Hintergrund die Lambertikirche mit dem alten Kirchturm und den bereits installierten Körben.

Die Militanz der münsterschen Täufer folgte unter anderem aus der militärisch ausweglosen Situation innerhalb der Stadtmauern. Die Belagerung führte bald zur Hungersnot. Die weiße Kalkfarbe der Kirchen soll abgekratzt, in Wasser aufgelöst und als Milch verteilt worden sein. Nach anderthalb Jahren wurde Münster am 24. Juni 1535 eingenommen. Ein Blutbad beendete das Täuferreich. Rund 650 Verteidiger wurden getötet, die Frauen aus der Stadt vertrieben. Hauptprediger Bernd Rothmann und „Reichskanzler“ Heinrich Krechting konnten entkommen. Die übrigen obersten Täufer wurden jedoch für ihre Abtrünnigkeit zu Tode gefoltert: Am 22. Januar 1536 wurden Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling auf dem Prinzipalmarkt mit glühenden Zangen gerissen und schließlich erdolcht. Ihre Leichen wurden in eigens angefertigten eisernen Körben an den Turm der Lambertikirche gehängt.

Die Täuferkörbe am Lambertiturm

Die Körbe am Turm von St. Lamberti.

Die Körbe fertigte 1535 Meister Berthold Schmied von Lüdinghausen bei Dortmund an. Ursprünglich sollten sie zum Transport von Gefangenen dienen. Beim Abbruch des baufälligen Kirchturms im Jahre 1887 wurden sie abgenommen, fotografiert und 1898 wieder am Neubau angebracht. Nach einer Restaurierung 1927 überstanden sie auch die Kriegsschäden am Turm 1944/45. Drei Nachbildungen, die 1888 angefertigt worden waren, erwarb Hermann Landois (1835-1926, Zoologieprofessor) für seine pseudo-historische Sammlung in der Tuckesburg im alten Zoo. Sie hängen heute im Stadtmuseum Münster. Die Originale hängen nach wie vor an der Lambertikirche.

Bühne und Film

Literatur

Quellen

  • Richard van Dülmen (Hrsg.): Das Täuferreich zu Münster 1534–1535. Berichte und Dokumente. Dt. Taschenbuch-Verl., München 1974, ISBN 3-423-04150-1.

Darstellungen

  • Thorsten Albrecht, Barbara Rommé (Hrsg.): Das Königreich der Täufer. Bd. 1: Reformation und Herrschaft der Täufer in Münster. Bd. 2: Die münsterischen Täufer im Spiegel der Nachwelt. Stadtmuseum, Münster 2000 (Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Münster, 17. September 2000 bis 4. März 2001).
  • Pierre Barret, Jean Noël Gurgand: Der König der letzten Tage. Die grauenvolle und exemplarische Geschichte der Wiedertäufer zu Münster 1534–1535. Dt. von Michèle Schönfeldt. Kabel, Hamburg 1982, ISBN 3-921909-41-4
  • Claus Bernet: Gebaute Apokalypse. Die Utopie des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit, Zabern, Mainz 2007, ISBN ISBN 978-3-8053-3706-9
  • Richard van Dülmen: Reformation als Revolution. Soziale Bewegung und religiöser Radikalismus in der deutschen Reformation. Dt. Taschenbuch-Verl., München 1977, ISBN 3-423-04273-7
  • Hans-Jürgen Goertz: Die Täufer – Geschichte und Deutung. C.H. Beck, München 1980, 2. Aufl. 1988, ISBN 3-406-31660-3
  • Horst Karasek: Die Kommune der Wiedertäufer. Bericht aus der befreiten und belagerten Stadt Münster 1534. Wagenbach, Berlin 1977, ISBN 3-8031-2016-0
  • Karl-Heinz Kirchhoff: Die Täufer in Münster 1534/35. Untersuchungen zum Umfang und zur Sozialstruktur der Bewegung. Aschendorff, Münster 1973, ISBN 3-402-05220-2
  • Karl-Heinz Kirchhoff: Das Phänomen des Täuferreichs zu Münster 1534/35. In: Franz Petri u.a. (Hrsg.): Der Raum Westfalen. Bd. 6, Lf. 1. Aschendorff, Münster 1989, S. 278–413.
  • Ralf Klötzer: Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung. Aschendorf, Münster 1992, ISBN 3-402-03779-3 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte. Bd. 131).
  • Hubertus Lutterbach: Der Weg in das Täuferreich von Münster. Ein Ringen um die heilige Stadt. Dialogverlag, Münster 2006, ISBN 3-933144-08-6 (Geschichte des Bistums Münster. Bd. 3).
  • Thomas Seifert: Die Täufer zu Münster. agenda Verlag, Münster 1993, ISBN 3-929440-18-0

Belletristik

  • Luther Blissett (Autor), Ulrich Hartmann (Autor): Q Piper; Auflage: 3., Aufl. (November 2003), Ein historischer Roman über die Reformation und die Wiedertäuferbewegung in Deutschland im 16. Jhd.
  • Antonio Orejudo: Feuertäufer, Roman, aus dem Spanischen übersetzt von Christian Hansen, München (Knaus Verlag) 2006; Originaltitel: Reconstrucción, Barcelona (Tusquets Ed.) 2005.
  • Robert Schneider: Kristus, Roman. Aufbau-Verlag 2004, ISBN 3-35103-013-4
  • Norbert Johannimloh (Autor): Die zweite Judith Roman. Haffmans Verlag Zürich, 2000; Drei Frauen aus der Zeit der Täufer
  • Rosemarie Schuder Die Erleuchteten oder Das Bild des armen Lazarus zu Münster in Westfalen, von wenig Furchtsamen auch der Terror der Liebe genannt, Berlin (DDR) 1968

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Richard van Dülmen, aaO, S. 7

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