Tur Abdin

Tur Abdin

Das Kalksteingebirge Tur 'Abdîn (syrisch-aramäisch ܛܘܪ ܥܒܕܝܢ, Ğabal Tur oder Tur, übersetzt „Berg der Knechte [Gottes]“) liegt am Oberlauf des Tigris im Südosten der Türkei.

Karte des Tur Abdin, angefertigt von Deutschen Soldaten im Jahre 1917 (Einige Ortschaften sind vertauscht).

Inhaltsverzeichnis

Lage

Im Süden, bei Mardin, fällt der Gebirgsstock steil ab. Im Südosten liegt der Vulkankegel des Elim Dağ. Der Tigrisdurchbruch bildet die östliche Grenze. Im Norden grenzt der Tur Abdin an die Ebene von Diyarbakır. Die Westgrenze ist schlecht definiert und wird durch das Vulkanmassiv des Karacadağ gebildet.

Der Tur Abdin ist eher hügelig denn als eigentliches Gebirge ausgebildet. Eine Ausnahme bildet der Steilabfall bei Mardin. Er wird von einigen fruchtbaren Tälern durchzogen, etwa das Tal von Gercüş. Das Gebirge war früher dicht bewaldet.

Name

Der akkadische Name des Tur Abdin lautete vermutlich Nawar. In assyrischer Zeit hieß es Ka(š)šiari (KURka-ši-a-ri, ḪUR.SAG ka-ši-ya-ra, ḪUR.SAG ga-ši-ya-ar-ri) und bildete eine eigene Provinz. Versuche, den Namen auf den Stamm der Kaška zurückzuführen,[1] werden allgemein abgelehnt.[2] Der Name Kaschiari scheint auch das Gebiet westlich des eigentlichen Gebirges, also die Gegend von Harran umfasst zu haben, zumindest zur Zeit Adad-nirari II. Das Gebiet um Mardin hieß auch Iṣalla, der Begriff bezeichnete jedoch vermutlich vor allem den Karaça Dağ. Unter Assurnasirpal war ein Teil des Gebirges als KURNerebu bekannt, seine genaue Lage ist jedoch umstritten.

Der lateinische Name lautete Masius (Strabo, Geographika 16,1,23), vermutlich von aramäisch Masch. Das Gebiet gehörte zu Mygdonien. Strabo zählt folgende Städte auf, die am Fuße des Masius lagen: Tigranocerta, Carrhae, Nikephorum, Chordiraza und Sinnaka. Das Gebiet um Mardin trug in römischer und byzantinischer Zeit den Namen Izala, vermutlich abgeleitet von der assyrischen Landschaft Iṣalla, deren Zentrum jedoch weiter westlich lag.

Geschichte

Akkadier und Assyrer

Vermutlich überschritt bereits der akkadische Herrscher Naram-Sin das Gebirge. Es wird auch angenommen, dass die altassyrischen Handelsrouten nach Anatolien über das Gebirge führten. Die älteste Erwähnung des Tur Abdin findet sich in einer Keilschrifturkunde aus Boğazköy, die von dem Verlust eines silbernen Gefäßes (a-ga-nu KÙ.Babbar) im Kaschiarigebirge handelt. Der Vertrag zwischen dem hethitischen Großkönig Šuppiluliuma I. und Tette von Nuhašše erwähnt das Gebirge (KBo I 4). Als Bewohner des Tur Abdin werden seit dem 14. Jahrhundert v. Chr. die Aramäer erwähnt (assyrische Keilinschrifttexte). Das Gebirge wurde erstmals von Adad-nirari I. und Šulmanu-ašared I. erobert. Das Gebirge war für die Assyrer vor allem von militärischer Bedeutung, da seine Kontrolle den Zugang zu den Kupfervorkommen von Ergani und der fruchtbaren Ebene von Diyarbakir sicherte.

Feldzugsberichte von Tukulti-Ninurta I., Tiglat-Pilesar I., Assur-bel-kala, Tukulti-Ninurta II., Adad-nirari II., Assurnasirpal II. und Šulmanu-ašared II. erwähnen eine Überschreitung. Angaben zur genauen Route fehlen meist. Tiglat-Pilesar I. berichtet aus seinem 3. palu:[3] „Ich betete zu Assur und den großen Göttern, meine Herren. Ich bestieg den Berg Kašiari.“ Assur-nasirpal I. beschreibt auf der Seite D des weißen Obelisken, wie er einen Aufstand bestraft: „Ich erhob eine Fackel, ich marschierte rasch in die Kašiariberge und zog gegen jene Städte. Während der Nacht umzingelte ich sie und bei Sonnenaufgang kämpfte ich gegen zahlreiche Streitwagen und Fußtruppen und fügte ihnen schwere Verluste zu… Ich eroberte die Stadt Amlattu, die Stadt Saburam, die Stadt Ruzidak, die Stadt Bugu, die Stadt Ustu, aufrührerische Städte im Land der Dannuna, ich zündete sie an…“[4]

In der Zeit Assurbanipals gab es im Tur Abdin Weinanbau,[5] Wein gehörte zum Tribut an Assyrien und wurde hier noch im 19. Jahrhundert angebaut.

Römisches Reich und Byzanz

Die Bewohner des Tur Abdin sollen laut späterer Legenden bereits im 1. Jahrhundert von den Aposteln Thomas und Thaddäus zum Christentum bekehrt worden sein.

Vom 4. bis 7. Jahrhundert bildete der Tur Abdin die Grenze zwischen Byzanz und dem Reich der Sassaniden. Während die Eroberung durch die Araber nach 640 zunächst das Ende der Verfolgung durch die byzantinischen Reichskirche bedeutete, verschlechterte sich die Lage der Christen nach dem Sieg der Seldschuken in der Schlacht von Manzikert 1071. Der Tur Abdin wurde von Timur Lenk um 1400 massiv geplündert und Siedlungen zerstört.

Neuzeit

Kirche in Midyat

Besonders im 19. und 20. Jahrhundert kam es zu Massakern an Aramäern, durch die osmanisch-türkische Armee und kurdische Banden, verstärkt im Jahr des Schwertes 1915, als viele aramäische Dörfer durch Vertreibung und Ermordung der Bewohner entvölkert wurden.

Noch um 1970 lebten dennoch zahlreiche aramäische Christen im Tur Abdin. Während der letzten Jahrzehnte fand aber ein massiver Exodus der Christen nach Syrien, in den Libanon, in den Irak, nach Nordamerika, Australien und insbesondere Europa (Deutschland, Niederlande, Schweiz) statt. Heute leben im Tur Abdin darum nur noch etwa 4000 syrisch-orthodoxe, also aramäische Christen, die vielfach der sozialen Elite angehören und zum Beispiel als Silberschmiede und Ärzte tätig sind. Ausgewanderte Glaubensbrüder unterstützen die Daheimgebliebenen inzwischen massiv finanziell, so dass in den letzten Jahren viele Kirchen und Klöster aufwendig restauriert werden konnten.

Gegenwart

Die Aramäer im Tur Abdin sprechen einen nord-westlichen aramäischen Dialekt, der Turoyo (Bergsprache) genannt wird. Die Aramäer bewahrten ihre Sprache. Die Eigenbezeichnung der heutigen Aramäer, „Syrer“ (Syroi, Suryoye, Suryaye), stammt aus der Zeit des Hellenismus.

Die folgenden Orte werden noch zum Teil von syrisch-orthodoxen Christen bewohnt:

Assyrisch/Aramäische Reitertruppe

Kirchen

Kloster Mor Hananyo

Zu den ältesten noch heute bestehenden Klöstern gehört Mor Gabriel (Qartmin), eine Gründung aus dem 4. Jahrhundert, sowie das Ananiaskloster („Dayr Za'faran“) mit einer Kirche aus dem 6. Jahrhundert, das für Jahrhunderte auch Sitz des Patriarchen bzw. Gegenpatriarchen der Jakobiten war. Beide Klöster sind bis heute Bischofssitze der Syrisch-orthodoxen Kirche. Auch bedeutend ist das heute noch bewohnte St. Jakob Kloster in Salah, dass von 1364 bis 1839 Sitz des Gegenpatriarchen im Turabdin war.

Der Bischofssitz der ersten Diözese vom Tur Abdin war Hah, damals die Metropole vom Tur Abdin und Königsstadt. .

Im Kloster Mor Gabriel residiert Mor Timotheus Samuel Aktas, der Metropolit der Syrisch-Orthodoxen Diözese von Tur Abdin und im Ananiaskloster (Dayr Za'faran) residiert Mor Philuxinus Saliba Özmen, der Metropolit von Mardin. Weitere noch genutzte Klöster sind Mor Malke, Mor Yakob in Salah, Mutter-Gottes in Hah und Mor Hananyo.

Trotz aller Massaker und Zerstörungen blieben einige wertvolle Handschriften erhalten, die sich zum Teil in west- und mitteleuropäischen Bibliotheken befinden. Der Mar-Gabriel-Verein in Reinbek und die Initiative Christlicher Orient (ICO) bemühen sich um die Erhaltung der letzten christlichen Dörfer und Klöster in der heutigen Türkei.

Siehe auch

Literatur

  • Helga Anschütz: Die syrischen Christen vom TurʿAbdin. Eine altchristliche Bevölkerungsgruppe zwischen Beharrung, Stagnation und Auflösung. Augustinus-Verlag, Würzburg 1984, ISBN 3-7613-0128-6 (Das östliche Christentum. NF 34).
  • Sébastien de Courtois: The forgotten Genocide. Eastern Christians. Gorgias Press, Piscataway NJ 2004, ISBN 1-593-33077-4.
  • Sébastien de Courtois: Les derniers Araméens. Le peuple oublié de Jésus. Photographies de Douchan Novakovic. La Table ronde, Paris 2004, ISBN 2-7103-2717-1.
  • Louis Dillemann: Haute Mésopotamie orientale et pays adjacents. Contribution a la géographie historique de la région, du Ve s. avant l'ére chrétienneau VIe s. de cette ére. Geuthner, Paris 1962 (Bibliothéque Archéologique et Historique 72, ISSN 0768-2506).
  • Hans Hollerweger: Lebendiges Kulturerbe, living cultural heritage, canlı kültür mirası – Turabdin. Wo die Sprache Jesu gesprochen wird. Freunde des Tur Abdin, Linz 1999, ISBN 3-9501039-0-2.
  • Karlheinz Kessler: Untersuchungen zur historischen Topographie Nordmesopotamiens nach keilschriftlichen Quellen des 1. Jahrtausends v. Chr. Reichert in Komm., Wiesbaden 1980, ISBN 3-88226-023-8 (Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients. Reihe B: Geisteswissenschaften 26), (Zugleich: Tübingen, Univ., Diss., 1978).
  • Andrew Palmer: Monk and Mason on the Tigris Frontier. The Early History of Ṭur ʿAbdin. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1990, ISBN 0-521-36026-9 (University of Cambridge Oriental Publications 39).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Einar von Schuler: Die Kaškäer. de Gruyter, Berlin 1965.
  2. Karlheinz Kessler: Untersuchungen zur historischen Topographie Nordmesopotamiens. Reichert, Wiesbaden 1980, ISBN 3-88226-023-8, S. 23.
  3. New Palace Inscription 1, ITN, no. 1, iii 37-iv 24
  4. Julian E. Reade: Assurnasirpal I and the White Obelisk. Iraq 37, 1975, S. 129–150.
  5. Karlheinz Kessler: Untersuchungen zur historischen Topographie Nordmesopotamiens. S. 24.
37.4050741.495361200

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