Trägheitsfusion

Trägheitsfusion
Stationen des Zündens einer Trägheitsfusionsreaktion:
1. Der Laserstrahl oder die indirekt produzierte Röntgenstrahlung heizen das Fusionstarget und erzeugen ein Plasma.
2. Das Fusionsmaterial wird durch den nach Innen gerichteten Implosionsdruck komprimiert.
3. Das Fusionstarget erreicht kritische Bedingungen, die das Lawson-Kriterium erfüllen.
4. Kernfusionsprozesse finden statt, es wird ein Vielfaches der eingesetzten Energie freigesetzt.
Anm.: Blaue Pfeile stehen für nach innen gerichtete Strahlungsprozesse, orange für nach außen gerichtete; violette stellen die zur Kompression dienende resultierende thermische Energie (Schockwelle) dar

Die Trägheitsfusion ist ein Verfahren zur Auslösung einer kettenreaktionsartig ablaufenden Kernfusion von Deuterium und Tritium.

Inhaltsverzeichnis

Prinzip

Anders als beim magnetischen Einschluss des Fusionsplasmas (siehe Kernfusionsreaktor und Fusion mittels magnetischen Einschlusses) wird beim „Trägheitseinschluss“ das Lawson-Kriterium dadurch erfüllt, dass der Brennstoff durch sehr schnelle Energiezufuhr extrem verdichtet und aufgeheizt wird. Die nötige Einschlussdauer beträgt dann nur Nanosekunden. Während dieser kurzen Zeit genügt die Massenträgheit des Plasmas selbst, um es zusammenzuhalten; daher die Bezeichnung Trägheitsfusion. Die Trägheitsfusion kann für sich in Anspruch nehmen, dass ihr Funktionieren mit Energiegewinn bereits praktisch nachgewiesen ist, denn die Wasserstoffbombe arbeitet nach diesem Prinzip. Die Arbeiten zur Trägheitsfusion am Lawrence Livermore National Laboratory entstanden denn auch aus Bemühungen, Wasserstoffbomben zu miniaturisieren. Erstmals öffentlich dargelegt wurden Überlegungen zur Trägheitsfusion mit Lasern 1972 in einem Nature-Artikel von John Nuckolls und Kollegen.[1]

Verfahren

Durch hochenergetische, genügend fein fokussierbare Licht- oder Teilchenstrahlen (siehe Treiber) kann eine kleine Menge Fusionsbrennstoff innerhalb eines Reaktorgefäßes sehr schnell aufgeheizt werden. Diese Strahlen – mindestens zwei Strahlen aus entgegengesetzten Richtungen, in den meisten Konzepten aber weit mehr – treffen das Target, einen Hohlkörper von einigen Millimetern Größe. In dessen Innerem befindet sich eine kleine Kugel aus einigen Milligramm Fusionsbrennstoff in fester Form, etwa gefrorenes Deuterium-Tritium-Gemisch. Durch die Erhitzung bildet sich im Hohlkörper ein Röntgenstrahlungsfeld (siehe Hohlraumstrahlung). Dieses bringt eine äußere Schicht des Brennstoffs zum Verdampfen, wodurch der restliche Brennstoff konzentrisch zusammengedrückt, in den Plasmazustand gebracht und die Fusions-Kettenreaktion ausgelöst wird.

Ursprüngliche Hoffnungen, man könne die mit dünnem Glas oder Metall umhüllte Brennstoffkugel ohne Zwischenschaltung des Strahlungshohlkörpers direkt mittels der als Treiber dienenden Strahlen genügend gleichmäßig komprimieren, haben sich als unrealistisch erwiesen.

Nutzen

Experimentelle Beobachtungen des Brennvorganges in einem Fusionsplasma extrem hoher Dichte sind bei einer Wasserstoffbombe nicht möglich, denn deren Energieausstoß ist durch die zur Zündung notwendige Kernspaltungs-Explosion nach unten begrenzt – eine Reaktionskammer und Sensoren würden dabei stets zerstört. Mit der Trägheitsfusion ist es durch die Reduzierung der Zündenergie und die geringe Energie der Fusion, die durch die Targetgröße gesteuert wird, möglich, eine Reaktionskammer einzusetzen. Damit können nun bisher unzugängliche Details des Fusionsprozesses untersucht werden.

Diese Untersuchungen sind – als Ersatz für die früher von den Nuklearmächten durchgeführten Kernwaffentests – vor allem von militärischem Interesse. Die Versuchsanlagen NIF in den USA und LMJ in Frankreich (siehe unten) werden zu diesem Zweck gebaut und im Wesentlichen aus militärischen Budgets finanziert. Die im Bau befindlichen Anlagen sind somit nicht auf die Entwicklung von Trägheitsfusions-Kraftwerken ausgerichtet. Als Motive für die hohen Investitionen wird teils auch die „Soziologie der Waffenlabore“ angeführt, da diese nach dem Zurückfahren der atomaren Aufrüstung neue Projekte bräuchten, um junge Wissenschaftler anzuziehen.[2]

Die Erzielung eines Netto-Energiegewinns scheitert aktuell auch am Wirkungsgrad der Treiber.

Treiber

Theoretisch untersucht werden Konzepte mit Laser-, Leichtionen- und Schwerionenstrahlen. Experimentell ist bisher nur die Lasertechnik nennenswert weit entwickelt worden.

Lasergetriebene Versuchsanlagen

Das NIF (National Ignition Facility) befindet sich am Lawrence Livermore National Laboratory im kalifornischen Livermore. Auf einer Fläche von 20.000 m² wurden 192 Hochleistungslaser installiert, deren Strahlen in einer kugelförmigen Reaktionskammer von 10 Metern Durchmesser zusammenlaufen. In der Mitte der Kammer wird der wenige Millimeter große Hohlkörper angebracht. Die Anlage hat 2009 den vollen Betrieb aufgenommen. Am 25. Oktober 2010 wurde erstmals die Zündung einer Fusionskettenreaktion erreicht.[3]

Das französische LMJ (Laser Mégajoule) wird seit 1994 in der Nähe von Bordeaux entwickelt und seit 2004 aufgebaut. Aktuell ist mit dem LIL (ligne d'intégration laser) eine erste Anlage zur Erprobung der Techniken im Betrieb. Hier werden auf einer Fläche von 10.000 m² 360 Blitzlampen eingesetzt, die 15 MJ (Megajoule) gespeicherte elektrische Energie umsetzen. Die geplante LMJ-Anlage soll auf 40.000 m² 10.800 Blitzlampen und 440 MJ einsetzen.[4] Projektträger ist das CEA2 (Commissariat à l'énergie atomique et aux énergies alternatives), die französische Atomenergiebehörde, die auch für militärische Forschung zuständig ist.

Ionenstrahltreiber

Für Kraftwerkszwecke, also eine Netto-Energiegewinnung, sind Hochleistungs-Lasertreiber nicht geeignet, weil der Wirkungsgrad und auch die mögliche Blitz-Folgefrequenz zu gering sind.

Schwerionenstrahlen[5] haben eine sehr viel höhere Energiedichte als Laserstrahlen und könnten – mit im Wesentlichen bekannter Technologie – mit viel besserem Wirkungsgrad erzeugt werden. Auch Leichtionenstrahlen (beispielsweise Lithiumionen, siehe Weblink 2 unten) haben physikalisch und beschleunigertechnisch verschiedene Argumente für sich.

Jedoch wird die ionengetriebene Fusion derzeit (2009) nicht als erfolgversprechend zur Energiegewinnung betrachtet und nirgends mit ernsthaftem Aufwand weiter erforscht - im Vergleich zur lasergetriebenen Fusion oder gar zur Fusion mittels magnetischem Plasma-Einschluss.

Einzelnachweise

  1. Nuckolls, Lowell Wood, A. Thiessen, G. Zimmerman: Laser compression of matter to superhigh densities: thermonuclear applications. Nature, Band 239, 1972, S.139−142
  2. H. Darnbeck: US-Militär will Kernfusion im Kleinformat erforschen. In: Spiegel-Online vom 25. März 2008
  3. photonics.com: 1st Successful Ignition Experiment at NIF, 25. Oktober 2010, Zugriff am 24. März 2011
  4. cea.fr: Le prototype de la LIL. eingesehen am 30. März 2009 (franz.)
  5. Trägheitsfusion mit Schwerionenstrahlen. (PDF; nur nach Akzeptieren eines Sicherheitszertifikates zugänglich)

Weblinks


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