Tribunicia potestas

Tribunicia potestas

Der Begriff Tribunizische Gewalt (lateinisch tribunicia potestas) bezeichnet die Amtsbefugnisse der Volkstribunen im antiken Rom.

Das Volkstribunat und die damit verbundenen Befugnisse wurde von den Plebejern in den sog. Ständekämpfen geschaffen. Zunächst standen diese Befugnisse neben den offiziellen staatlichen Ämtern bzw. diesen sogar entgegen. Es waren Befugnisse der obersten Behörde eines „Staates im Staate“. Später, nach dem Sieg der plebs, wurde das Volkstribunat in das System der römischen Magistrate eingegliedert, obwohl es immer eine Sonderrolle spielte.

Wesentliche Bestandteile der tribunicia potestas waren ursprünglich die Führung der plebs, das Recht auf Antragstellung vor der Volksversammlung (concilium plebis) und das Zu-Gericht-Sitzen (gemeinsam mit der plebs) über politische Gegner. Weiterhin gehörte das sog. „Dazwischentreten“ (intercedere) zwischen den Magistrat und den betroffenen Plebejer zu der Amtsgewalt, was zunächst (nur) einem faktischen Verbot (der Maßnahme des Magistrates) gleichkam, aus dem sich später das ius intercessionis (allen anderen, auch höheren Amtsgewalten gegenüber) entwickelte. Dieses Machtinstrument ergab sich aus der Pflicht des Volkstribunen, Plebejern bei Übergriffen von Magistraten (also ursprünglich der Patrizier) zu Hilfe zu eilen (auxilium ferre). Der unsicheren Rechtsstellung der Volkstribune und ihrer angemaßten Gewalten wegen wurde die Person des Volkstribunen mit einem religiösen Tabu belegt - er war sakrosankt („unverletzlich“ bzw. „hochheilig“, „geheiligt“, „unantastbar“). Per Eid war die plebs verpflichtet, jeden Angriff auf einen Tribun zu verhindern oder zu rächen. Wer einen Volkstribun angriff, konnte als Volksverräter hingerichtet werden.

Später, nach der Eingliederung des Tribunats in die offiziellen römischen Magistrate, wurden die einst ursurpierten Gewalten legalisiert. Durch die lex Hortensia (287 v. Chr.) wurde die Versammlung der plebs als Volksversammlung anerkannt. Die Tribunen erhielten die Vollmacht, von dieser Versammlung auf ihren Antrag hin für das ganze Volk bindende Gesetze beschließen zu lassen (ius cum plebe agendi), den Senat einzuberufen und ihm vorzusitzen (ius senatus habendi) und jede Amtshandlungen auch der höchsten Magistrate zu verbieten (ius intercessionis der maior potestas). Mit dieser Machtfülle war das Volkstribunat die (zumindest formal) oberste "Behörde" Roms. In der klassischen und späten Republik gab es 10 Volkstribunen; damit war die Macht des einzelnen Amtsinhabers deutlich beschnitten, denn - wie sich etwa in Zusammenhang mit den Reformversuchen des Tiberius Gracchus 133 v. Chr. zeigte - es war eigentlich immer möglich, mindestens einen anderen Tribun gegen seinen Kollegen in Stellung zu bringen. Auch der Umstand, dass Volkstribunen in der Regel zuvor höchstens die Quaestur bekleidet und ihre eigentliche Senatskarriere also noch vor sich hatten, sorgte für eine faktische Kontrolle ihres Verhaltens: Ein Tribun, der sich währendseines Amtsjahres unangemessen verhielt, nahm das Ende seiner Laufbahn in Kauf. Erst während der Bürgerkriegszeit am Ende der Republik spielte das Volkstribunat daher angesichts der Uneinigkeit der Nobilität eine wichtige Rolle und wurde insbesondere von popularen Politikern zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzt.

Im Zuge der Gründung des Prinzipats durch den ersten römischen Kaiser Augustus kam es zu einer Trennung von Amt und Amtsgewalt des Volkstribunen. Augustus/Oktavian war seit seiner Adoption durch Gaius Iulius Caesar ein Patrizier und konnte daher das Amt des Tribuns nicht bekleiden. Nach der Erringung der Alleinherrschaft bekleidete er zunächst Jahr für Jahr das Consulat, bevor er dies 22 v. Chr. aufgab und sich stattdessen die Vollmachten eines Tribuns übertragen ließ (er griff hier teilweise Vollmachten auf, die schon sein Adoptivvater innegehabt hatte). Damit wurde die tribunicia potestas neben dem imperium proconsulare eine der beiden formalen Grundlagen seiner Macht. Mit diesem Vorgehen verschleierte Augustus die faktische Umwandlung des römischen Staatswesens in eine Monarchie, die er selbst als „Wiederherstellung der Republik“ darstellte. Er ließ das Amt des Volkstribuns dem Namen nach bestehen, eignete sich aber dessen Machtbefugnisse an und machte es damit zu einer leeren Titelbezeichnung. Sehr bald fanden sich daher kaum noch Bewerber für das Tribunat, das seinen Reiz verloren hatte. Auch für Augustus' Nachfolger gehörte die tribunicia potestas fortan über Jahrhunderte zum Kernbereich ihrer kaiserlichen Macht. Um die Fiktion der Annuität zu wahren, wurde die Vollmacht jährlich (allerdings automatisch) erneuert – oft wie beim regulären Tribunat am 10. Dezember –, so dass man die Angaben "TRI POT" oder "TR P" (o. ä.) auf Münzen und in Inschriften zur Datierung verwenden kann.

Literatur

  • Jochen Bleicken: Die Verfassung der Römischen Republik. 3. Auflage. Schöningh, Paderborn 1982, ISBN 3-506-99173-6, S. 86–88.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Potestas — Monarchie romaine 753 – 509 av. J. C. République romaine 509 – 27 av. J. C. Empire romain 27 av. J. C. – 476 Empire byzantin …   Wikipédia en Français

  • Potestas — Unter Potestas (lateinisch „Macht“, „Vollmacht“, „Möglichkeit“) verstanden die Römer eine rechtliche Verfügungsgewalt und Handlungsvollmacht. Die genaue Definition von potestas war bereits in der Antike unklar, vor allem war die Abgrenzung von… …   Deutsch Wikipedia

  • Tribunizische Gewalt — Der Begriff Tribunizische Gewalt (lateinisch tribunicia potestas) bezeichnet die Amtsbefugnisse der Volkstribunen im antiken Rom. Das Volkstribunat und die damit verbundenen Befugnisse wurde von den Plebejern in den Ständekämpfen errungen.… …   Deutsch Wikipedia

  • Emperador romano — Saltar a navegación, búsqueda Emperador romano es el término utilizado por los historiadores para referirse a los gobernantes del Imperio Romano tras el final de la República romana. En la antigua Roma no existía el título de Emperador Romano,… …   Wikipedia Español

  • Gobierno de Roma Antigua — Saltar a navegación, búsqueda El gobierno de Roma antigua comprende el conjunto de las instituciones a través de las cuales los antiguos romanos organizaron el ejercicio del poder político, primero en su ciudad y luego en su imperio. La historia… …   Wikipedia Español

  • Gobierno de la Antigua Roma — Se ha sugerido que este artículo o sección sea fusionado con Historia de las instituciones en la Antigua Roma (discusión). Una vez que hayas realizado la fusión de artículos, pide la fusión de historiales aquí …   Wikipedia Español

  • Römische Revolution —   Schon länger war es einsichtigen Politikern klar geworden, dass der Großgrundbesitz zunahm, dass die Eigentumsverhältnisse auf dem Lande in Unordnung geraten waren, dass die Anzahl der freien Bauern immer mehr zurückging, und dass infolgedessen …   Universal-Lexikon

  • Tiberius — Portraitskulptur des Tiberius (Museum Ny Carlsberg Glyptotek) Tiberius Iulius Caesar Augustus[1] (vor der Adoption durch Augustus: Tiberius Claudius Nero; * 16. November 42 v. Chr. in Rom …   Deutsch Wikipedia

  • Tiberius Caesar Augustus — Tiberius Ny Carlsberg Glyptotek Tiberius Iulius Caesar Augustus[1] (vor der Adoption durch Augustus: Tiberius Claudius Nero; * 16. November 42 v. Chr. in Rom; † 16. März 37 n. Chr. am Kap Misenum) w …   Deutsch Wikipedia

  • Volkstribun — Volkstribun, lateinisch tribunus plebis, war ein Magistrat, das heißt ein gewählter politischer Amtsträger in der Römischen Republik. Welche Stellung das Amt im cursus honorum hatte und ab wann es überhaupt dazu gezählt werden kann, ist… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”