Treulose Tomate

Treulose Tomate

Eine treulose Tomate sein ist eine sprichwörtliche Redensart, die einen wortbrüchigen oder unzuverlässigen Menschen bezeichnet, der Verabredungen oder Zusagen nicht einhält. Es kann auch gemeint sein, dass dieser Mensch einen Brief nicht beantwortet hat oder lange nicht mehr mit dem Sprecher durch Besuche oder ähnliches in Kontakt trat.

Herkunft der Redensart

Nachzuweisen ist diese Redensart seit den 1920er Jahren [1]. Die Tomate kam unter dem Namen Tomatl oder Tumatl Americanorum im 16. Jahrhundert aus Mexiko nach Europa, wurde sehr lange für giftig gehalten und daher vor allem in süddeutschen Gärten nur als Zier-, nicht als Nutzpflanze angebaut [2]. Damals trug die Tomate noch Namen wie „Goldapfel“, „Liebesapfel“ oder „Paradiesapfel“; letzteres hat sich in dem noch heute in Österreich gebräuchlichen Namen „Paradeiser“ erhalten.

Die Académie française akzeptierte erst im Jahr 1835 das Wort „Tomate“, vorher hieß das Nachtschattengewächs pomme d'amour [3]; diese Anerkennung des Namens trug auch zu seiner Verbreitung in Deutschland bei [2].

Hintergrund der Redensart

Eine Erklärung für die Redensart könnte der Tomatenanbau selbst sein, der ab dem letzten Drittel oder Ende des 19. Jahrhunderts durch viele Fehlschläge gekennzeichnet und daher eine unsichere Sache war.

Wahrscheinlicher jedoch dürfte der Erste Weltkrieg als Ursprung der Redensart in Frage kommen [1]: Der Staat Italien, zunächst mit Deutschland verbündet, hielt sich aus den kriegerischen Auseinandersetzungen heraus und erklärte sich 1915 für die Gegenpartei und so galten die Italiener als wortbrüchig und unzuverlässig. Da der Tomatenanbau in Italien weit verbreitet war, setzte man möglicherweise die treuebrüchigen, Tomaten essenden Italiener mit den so unzuverlässigen, weil noch nicht ohne Rückschläge kultivierbaren, Tomaten gleich. Eine ähnliche Bildung durch Identifizierung der Italiener mit einem Nahrungsmittel liegt bei dem in dieser Zeit noch verbreiteten Schmähwort der Italiener als „Treubruchnudeln“ vor [1].

Eine weitere mögliche Erklärung bietet Küpper [4]: Es könnte sich um eine getarnte Übernahme des aus dem Jahr 1793 stammenden Ausdrucks „perfides Albion“ für die angebliche Hinterhältigkeit der britischen Außenpolitik gehandelt haben. Da die Bezeichnung des britischen Soldaten seit dem Boxeraufstand des Jahres 1900/1901 als „Tommy“ auch in Deutschland geläufig war und „Albion“ für England/Großbritannien stand, hätte man umgangssprachlich den „Tommy“ als Repräsentanten Großbritanniens zur Tomate gemacht.

Die Assoziation der Tomate mit der Liebe (wie in „Liebesapfel“) und dem Gift der Nachtschattengewächse dürfte wohl zu dem Adjektiv „treulos“ in der Redensart geführt haben [1].

Belege

  1. a b c d Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, 5 Bände, Freiburg i. Br. 1991, Band 5, Seite 1630; Lemma: „Tomate“
  2. a b Klaus Müller: Lexikon der Redensarten. Herkunft und Bedeutung deutscher Redewendungen, München 2005; Seite 613, Lemma „eine treulose Tomate
  3. bei Müller ist der französische Name mit „ümme d'amour“[sic!] wiedergegeben
  4. Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, 1. Auflage, 6. Nachdruck Stuttgart, München, Düsseldorf, Leipzig 1997; Seite 839, Lemma „Tomate

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