Totgeburt

Totgeburt
Klassifikation nach ICD-10
P95 Fetaltod nicht näher bezeichneter Ursache

Totgeburt

036.4 Betreuung der Mutter bei intrauterinem Fruchttod
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Eine Totgeburt liegt laut deutschem Personenstandsgesetz vor, wenn nach der Geburt eines mindestens 500 g schweren Kindes kein erkennbares Lebenszeichen nachzuweisen ist, also weder das Herz geschlagen, noch die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat.[1] Die Schwangerschaftsdauer ist hierbei unerheblich. Ergänzend zu den in Deutschland festgelegten Kriterien wird nach dem Hebammengesetz in Österreich die willkürliche Muskelbewegung des Kindes als weiteres Lebenszeichen gewertet.[2] Ist das Kind während der zweiten Schwangerschaftshälfte im Mutterleib verstorben, lautet die medizinische Diagnose Intrauteriner Fruchttod oder Infans mortuus. Wurde das Kind tot geboren und beträgt sein Gewicht weniger als 500 g, spricht man von einer Fehlgeburt.

Inhaltsverzeichnis

Recht

Eine Totgeburt ist meldepflichtig. Die Eltern erhalten für ihr totgeborenes Kind eine Geburtsurkunde und einen Totenschein. Sie haben das Recht, dem Kind einen Namen zu geben; ob es sich dabei um den Familiennamen der Mutter oder des Kindsvaters handelt, ist unerheblich. Ein totgeborenes Kind unterliegt in allen deutschen Bundesländern der Bestattungspflicht. Die Mutter hat Anspruch auf gesetzlich festgelegte Hebammenhilfe, die neben der Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung auch die Betreuung im Wochenbett umfasst. Darüber hinaus steht ihr nach § 6 des Mutterschutzgesetzes das Recht auf Mutterschutz zu. Die Wöchnerin darf demnach acht bzw. zwölf Wochen nach der Geburt des toten Kindes nicht beschäftigt werden. Eine Ausnahme ist nur auf ausdrückliches Verlangen der Mutter und mit ärztlichem Zeugnis möglich. Das Beschäftigungsverbot beträgt in diesem Fall mindestens zwei Wochen. Der Mutter steht es frei, ihre Erklärung jederzeit zu widerrufen.[3]

Häufigkeit

Die geringste Totgeburten-Quote haben Singapur und Finnland mit 0,2%. Deutschland liegt bei 0,24%, Frankreich bei 0,39%. Die höchsten Quoten haben Nigeria mit 4,2% und Pakistan mit 4,7 %.[4] Es wurden hierbei als Totgeburten jene Babys gezählt, die in oder nach der 28 Schwangerschaftswoche tot zur Welt kommen.

Ursachen

Kindliche Ursachen

Ein intrauteriner Fruchttod kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden, darunter Fehlbildungen lebenswichtiger Organe, Chromosomenbesonderheiten wie Trisomie 13 oder Trisomie 18, schwerwiegende fetale Erkrankungen wie Morbus haemolyticus fetalis, Sauerstoffmangelversorgung durch eine unzureichende Funktion des Mutterkuchens oder dessen vorzeitige Ablösung sowie durch Nabelschnurkomplikationen, wie Nabelschnurknoten, Nabelschnurvorfall und straffe Nabelschnurumschlingung.

Mütterliche Ursachen

Zu weiteren möglichen Ursachen für einen Kindstod im Mutterleib gehören Infektionen wie Listeriose, Toxoplasmose und Zytomegalie, Erkrankungen wie Eklampsie, HELLP-Syndrom und Diabetes mellitus, Drogen- und Alkoholmissbrauch, Fehlbildungen der Gebärmutter, seltene Komplikationen wie der Gebärmutterriss und die Fruchtwasserembolie, sowie psychosozialer Stress, wie er durch Krieg, Flucht oder Vertreibung ausgelöst werden kann. Ein Kaiserschnitt bei einer vorhergehenden Schwangerschaft verdoppelt das Risiko einer Totgeburt in einer späteren Schwangerschaft.[5]

Von allen Ursachen abzugrenzen ist der Fetozid, bei dem im Rahmen einer Spätabtreibung der Tod eines lebensfähigen Kindes durch die Injektion von Kaliumchlorid in das fetale Herz oder Unterbindung der Nabelschnur künstlich herbeigeführt wird.

Symptome und Diagnose

Die betroffene Mutter stellt zunächst fehlende Kindsbewegungen fest, der Stand des Gebärmutterfundus und der Leibesumfang nehmen ab. Bedingt durch das Auslaugen des kindlichen Blutfarbstoffs geht bei einem Blasensprung fleischwasserfarbenes bis braunes Fruchtwasser ab.

Bei Verdacht auf einen intrauterinen Fruchttod wird zunächst mithilfe des CTG versucht, eine kindliche Herzaktion nachzuweisen. Die endgültige Diagnose erfolgt jedoch durch eine Ultraschalluntersuchung, im Rahmen derer der Herzstillstand und der zum Erliegen gekommene Blutstrom in der Nabelschnur gesichert werden. Darüber hinaus zeigen sich je nach Todeszeitpunkt eine abnorme Krümmung oder Knickung der kindlichen Wirbelsäule sowie sogenannte Schädelzeichen wie die Stufenbildung der Scheitelbeine.

Die Angst vor einer Vergiftung der Mutter ist bei intakter Fruchtblase unbegründet. Ist das Kind im Mutterleib verstorben, beginnt eine aseptische Selbstauflösung, die eine Erweichung und einen Zerfall des Gewebes bewirkt und als Mazeration bezeichnet wird. Die Mazeration wird in drei Grade unterteilt, lässt jedoch keinen sicheren Rückschluss auf den genauen Todeszeitpunkt zu, da sie unterschiedlich schnell eintritt. Sie ist nicht zu verwechseln mit der bakteriellen Verwesung.

Komplikationen

Wird der intrauterine Fruchttod verspätet diagnostiziert und sind während der fortgeschrittenen Mazeration Autolysestoffe in die mütterliche Blutbahn gelangt, erhöht sich etwa vier bis fünf Wochen nach dem Tod das Risiko eines Verbrauchs an Fibrinogen. Dieser Fibrinogenmangel kann zu einer verstärkten Blutungsneigung mit daraus resultierender lebensbedrohlicher Verbrauchskoagulopathie führen. Eine solche durch den Fruchttod ausgelöste Gerinnungsstörung wird auch als Dead-fetus-Syndrom bezeichnet und tritt nur in seltenen Fällen auf.

Klinisches Vorgehen

Wurde die Diagnose des intrauterinen Kindstods gesichert, wird die Geburt in der Regel künstlich eingeleitet und mithilfe der Periduralanästhesie eine regionale Schmerzausschaltung vorgenommen. Nach der Geburt wird die Mutter medikamentös abgestillt. Es besteht die Möglichkeit, das Kind obduzieren und den Mutterkuchen histologisch untersuchen zu lassen.

Psychosoziale Betreuung

Körbchen für fehl- und totgeborene Kinder

Während es bis in die 1980er Jahre Routine war, die Mutter bei zu erwartender Totgeburt zu sedieren und das Kind aus dem Kreißsaal zu entfernen, ohne es ihr gezeigt zu haben, wurde durch das Engagement von Betroffenen, Hebammen und Psychologen Ende der 1980er Jahre zunehmend bekannt, dass der Trauerprozess nach einer Totgeburt nicht unmaßgeblich von der Betreuung vor, während und nach der Entbindung sowie von der Art des Umgangs mit dem Kind abhängt. Basierend auf den Empfehlungen der Autorin Hannah Lothrop, die 1991 mit der Veröffentlichung des Buchs Gute Hoffnung – jähes Ende ein neues Kapitel in der Begleitung von Eltern mit Totgeburten aufschlug, erfolgte in vielen geburtshilflichen Einrichtungen ein Paradigmenwechsel.[6]

Gräberfeld auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe

Die heutigen Konzepte umfassen demnach unter anderem die auf die individuellen Wünsche der Betroffenen eingehende Begleitung durch die Hebamme und den Gynäkologen sowie die Unterstützung durch Psychologen oder Seelsorger, den Verzicht auf die routinemäßige Gabe von Beruhigungsmitteln sowie die den Eltern gebotene Möglichkeit, das Kind nach der Geburt zu sehen, zu berühren und anzukleiden. Neben Daten zur Geburt und Angaben zu Name, Größe und Gewicht des Kindes werden auf einer dafür vorgesehenen Karte Fuß- und Handabdrücke, eine Haarlocke, ein Namensbändchen und Erinnerungsbilder festgehalten. Seit dem Frühling 2009 versorgt der Verein Frauenworte e.V. mit seinem Unterprojekt Initiative Schmetterlingskinder die deutschen Entbindungskliniken mit sogenannten Klinikboxen für den würdevollen Abschied vom still geborenen Kind. Diese enthalten unter anderem von ehrenamtlichen HelferInnen gefertigte Kleidung für die Kinder, aber auch Sargbeigaben, Abschiedskerzen, Moseskörbchen und wichtige Informationsmaterialien für Eltern als auch Pflegepersonal, die Hilfe für die schwierige Verlustsituation vermitteln und aufzeigen, wie das Kind würdevoll verabschiedet werden kann. [7] [8] [9] Nachdem die Deutsche Krankenhausgesellschaft 1999 die würdige Bestattung von verstorbenen Embryonen und Feten forderte, unterbreiten inzwischen zahlreiche Kliniken die Option der Sammelbestattung, die in der Regel mit einer Trauerfeier für die betroffenen Eltern verbunden ist.[10]

Überregional tätige Vereine wie die Initiative Regenbogen „Glücklose Schwangerschaft“ und der Bundesverband Verwaister Eltern e.V. bieten darüber hinaus Unterstützung durch Selbsthilfegruppen an. Von diesen Selbsthilfegruppen und betroffenen Eltern werden totgeborene Kinder euphemistisch auch als Sternen-, Engels-, Schmetterlings- oder Wolkenkinder bezeichnet. Der neusprachliche Ausdruck Stillgeburt fasst Fehl- und Totgeburten zusammen und ist angelehnt an die englische Bezeichnung stillbirth.

Siehe auch

Literatur

  • Hannah Lothrop: Gute Hoffnung - jähes Ende. Kösel-Verlag, 1998, ISBN 978-3466343898.
  • Schmidt-Matthiesen, H.: Gynäkologie und Geburtshilfe. Stuttgart New York 1992, S. 186ff, ISBN 3-7945-1470-X.
  • Christine Mändle und Sonja Opitz-Kreuter: Das Hebammenbuch: Lehrbuch der praktischen Geburtshilfe. Schattauer Verlag, 2007, ISBN 978-3794524020.
  • Heike Wolter: Meine Folgeschwangerschaft. Begleitbuch für Schwangere, ihre Partner und Fachpersonen nach Fehlgeburt, stiller Geburt oder Neugeborenentod. edition riedenburg, 2010, ISBN 978-3-902647-36-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. § 31 Personenstandgesetz: Definition der Totgeburt in Deutschland
  2. § 8 Hebammengesetz: Definition der Totgeburt in Österreich
  3. § 6 Mutterschutzgesetz: Beschäftigungsverbot nach der Entbindung
  4. Weltweite Studie - 7000 Totgeburten - jeden Tag. In: sueddeutsche.de. 14. April 2011, abgerufen am 14. April 2011.
  5. Britische Studie: Kaiserschnitt verdoppelt Totgeburt-Risiko, Spiegel-Online 2003
  6. Treffpunkt Ethik: Umgang mit Fehl- und Totgeburten, siehe PDF Datei
  7. Bunte Kleidung für „Sternenkinder“ Chiemgau Zeitung, OVB online, 2. April 2010
  8. Warm gekleidet in schöner Erinnerung Südhessen Morgen, 15. April 2010
  9. Klinikaktion Schmetterlingskinder
  10. So bestatten Kliniken Medical Tribune, Ausgabe 21, 27. Mai 2005
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