Barbara Tuchman

Barbara Tuchman

Barbara Wertheim Tuchman (* 30. Januar 1912 in New York City; † 6. Februar 1989 in Greenwich, Connecticut) war eine US-amerikanische Reporterin und Historikerin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Barbara Tuchman war die Enkelin von Henry Morgenthau senior. Sie besuchte bis 1933 das Radcliffe College und studierte dann in Yale sowie an der Columbia University in New York. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst als Forschungsassistentin am Institut für pazifische Beziehungen in New York, bevor sie 1936 zur „Nation“, der ältesten Wochenzeitung der USA, wechselte. Diese wurde von ihrem Vater Maurice Wertheim herausgegeben. Tuchman wurde Auslandskorrespondentin und ging bis 1940 nach Madrid, von wo sie über den Spanischen Bürgerkrieg berichtete. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges arbeitete sie außerdem noch kurzzeitig als Korrespondentin für den „New Statesman“. 1940 kehrte sie nach New York zurück und heiratete den Internisten Lester Reginald Tuchman. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor, darunter Jessica Mathews, seit 1997 Präsidentin des Carnegie Endowment for International Peace.

Mit ihrem Buch „The Guns of August“ (deutscher Titel: "August 1914"), einer Arbeit über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, gewann sie 1963 ihren ersten Pulitzer-Preis. Den zweiten erhielt sie 1972 für „Stilwell and the American Experience in China, 1911–1945“. Einen großen kommerziellen Erfolg feierte sie mit ihrem Werk Der ferne Spiegel, einer Beschreibung des 14. Jahrhunderts in Form einer Biografie des französischen Adeligen Enguerrand VII. de Coucy. Kurz vor ihrem Tod wurde Der erste Salut veröffentlicht. Der Titel der Monographie bezieht sich auf die ersten Salutschüsse von Sint Eustatius vom 16. November 1776, durch die Schiff und Flagge der damals noch abtrünnigen „Vereinigten Staaten von Amerika“ durch den niederländischen Gouverneur Johannes de Graaff erstmals zwischenstaatliche Anerkennung erfuhren.

Barbara Tuchman starb am 6. Februar 1989 an den Folgen eines Schlaganfalls.

Werk

Tuchman wurde durch den Vorabdruck ihres Buches „August 1914“ im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in Deutschland über die Fachkreise hinaus sehr bekannt.

Sie ist keine Schöpferin neuer Ansätze in der Geschichtswissenschaft; selbst neu aufgekommene zeitgenössische Methoden benutzte sie selten und nur teilweise. Sie vertrat eine konventionelle ereignisgeschichtliche[1] Betrachtungsweise und beschrieb das Handeln politischer Akteure und die sich daraus ergebenden Folgen im Einzelfall. Beispielsweise schilderte sie, wie sich Lyndon B. Johnson, der sozial denkende und innenpolitisch gewiefte Präsident der Vereinigten Staaten (1963–1969), im Vietnamkrieg auf seine innenpolitischen Erfahrungen verließ und damit im außenpolitischen Umfeld kläglich und fast unverschuldet Schiffbruch erlitt.[2]

Sie befasste sich weniger mit Strukturen[3], unentrinnbaren Gesetzmäßigkeiten, Epochen, Zyklen[4] und Modellen der Geschichte als mit den Schwächen und Tugenden der Staatslenker in Entscheidungssituationen. Allgegenwärtig sind die Bornierten und die Wunschdenker, aber auch die charakterlichen und geistigen Lichtgestalten. Selbst Bezüge zur immer beliebter gewordenen Alltagsgeschichte stellte Tuchman nur sparsam her. Eine längere Untersuchung widmete sie allerdings der Mentalitäts- und Kulturgeschichte vor dem ersten Weltkrieg. Die Methoden der Politik- und Ereignisgeschichte seien nicht ausreichend, um ein Phänomen von so erschreckender Bösartigkeit zu erklären.[5] Aus Geschichte kann man nach Tuchmans Überzeugung trotz aller Einmaligkeit des jeweils Geschehenen lernen; Politikberatung durch Historiker ist erlaubt und geboten. Auch die Politische Biographie hat ihre Berechtigung als Prisma der Geschichte.

Ihre Themenwahl und Fragestellungen machten ihre große Monographie „Sand gegen den Wind“ über die amerikanische Kriegführung in China, Burma und Indien im Zweiten Weltkrieg zu einem heute noch nützlichen Standardwerk. Gleiches gilt für ihre letzte größere Untersuchung, eine Monographie über die Frühgeschichte der Vereinigten Staaten: „Der erste Salut“. Neben geschickter Heuristik[6] pflegte Tuchman einen abwechslungsreichen und verständlichen Erzählstil, der zum Durchlesen der Bücher in einem Zug animiert und nicht nur zum Nachblättern.

Die scheinbare wissenschaftliche Rückständigkeit von Tuchmans Methoden führte in der von ihr untersuchten Ereignis- und Politikgeschichte zu klaren und lebensnahen Urteilen. Dort werden die Protagonisten trotz aller Strukturen, Modelle und Mechanismen in Gewinner und Verlierer eingeteilt, nicht zuletzt von ihren Neben- und Randfiguren, die Ergebnisse politischen Handelns an Leib und Vermögen oft selbst am deutlichsten zu spüren bekommen.

Bedeutung

John F. Kennedy hatte „August 1914“ ebenfalls gelesen und erinnerte sich hieran, als die Seeblockade gegen Kuba vorbereitet wurde, die er am 22. Oktober 1962 für die Vereinigten Staaten von Amerika erklärte. Kennedy war sich sicher, dass die Sowjetunion wegen Kuba keinen Krieg beginnen würde und fürchtete gleichzeitig, dass Mißverständnisse und falscher Stolz die beiden damaligen Supermächte in einen Krieg verwickeln könnten. Deshalb gab er die Richtlinie, im Falle des Bruchs der Blockade nur auf Steuerruder und Schiffsschrauben der sowjetischen Schiffe zu zielen, und die Priorität auf die Suche nach sowjetischen U-Booten zu legen und nicht auf das Durchsuchen der anzuhaltenden Schiffe.[7]

Einzelnachweise

  1. Lucian Hölscher: Ereignis. In: Stefan Jordan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Reclam, Stuttgart 2001, ISBN 3-15-010503-X.
  2. Barbara Tuchman: Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-596-24438-2, 388ff.
  3. Thomas Welskopp: Strukturgeschichte. In: Stefan Jordan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Reclam, Stuttgart 2001, ISBN 3-15-010503-X.
  4. Jochen Schlobach: Zyklentheorie. In: Stefan Jordan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Reclam, Stuttgart 2001, ISBN 3-15-010503-X.
  5. Barbara W. Tuchman: Der stolze Turm. Ein Porträt der Welt vor dem 1. Weltkrieg 1890–1914. Droemer/Knaur, München u. a. 1969, Vorwort S. 12.
  6. Chris Lorenz: Heuristik. In: Stefan Jordan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Reclam, Stuttgart 2001, ISBN 3-15-010503-X.
  7. Michael R. Beschloss: JFK. Die Kennedy-Jahre 1960 bis 1963. powergame. Econ-Taschenbuch-Verlag, Düsseldorf u. a. 1993, ISBN 3-612-26040-5, S. 472f.

Veröffentlichungen

Weblinks


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