Tokamak

Tokamak

Tokamak ist ein Konzept für einen Fusionsreaktor, bei dem das heiße Plasma in einem Torus von Magnetfeldspulen eingeschlossen wird.

Das Konzept wurde 1952 von den sowjetischen Physikern Andrei Sacharow und Igor Jewgenjewitsch Tamm am Kurtschatow-Institut[1] in Moskau entwickelt. Bereits in den 1950ern wurden darauf die ersten Tokamak-Experimente in der Sowjetunion durchgeführt.

Das Wort ist eine Transliteration des russischen токамак, eine Abkürzung für „тороидальная камера в магнитных катушках“ ('raidalʲnaia kamʲɛra v magnitnɨx katuʃkax), übersetzt Toroidale Kammer in Magnetspulen. Auch verweist die Silbe ток auf Strom und damit den Stromfluss im Torus, die wesentliche Eigenschaft eines Tokamak.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Hauptartikel: Kernfusionsreaktor

Nach der erfolgreichen Entwicklung der zivilen Kernenergie-Nutzung Ende der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie den wie geplant verlaufenen Testexplosionen von Wasserstoffbomben begannen Physiker in den 1950er-Jahren, Möglichkeiten einer Energiegewinnung aus der kontrollierten Kernfusionsreaktion von Wasserstoff-Isotopen zu erforschen. Die Isotope müssen dazu ein extrem heißes und dichtes Plasma bilden, in dem ab einer bestimmten Temperatur und Teilchendichte (siehe Lawson-Kriterium) die Kernfusionsreaktion kettenreaktionsartig abläuft.

Beim Einschluss des heißen Plasmas in ein klassisches Gefäß würde das Plasma sofort auskühlen. Um einen Abstand von der Gefäßwand herzustellen, ist die Lorentzkraft geeignet, mit der durch magnetische Felder eine Kraft auf bewegte geladene Teilchen ausgeübt werden kann (siehe auch Fusion mittels magnetischen Einschlusses).

Konzept

Tokamak-Felder

Zur Umsetzung dieses Ansatzes schlugen Sacharow und Tamm einen Torus-förmigen Fusionsreaktor vor, dessen Ring von Feldspulen umschlossen ist, deren „toroidales“ Magnetfeld das im Torus rotierende Plasma eingeschlossen hält (obere Abbildung).

Es wurde jedoch auch schon in der Theorie ein Problem erkannt, das sich aus der Magnetohydrodynamik des Plasmas ergibt, wonach die im inneren Bereich des Torus rotierenden Teilchen mit denen des äußeren Bereichs Verwirbelungen bilden. Um dies zu vermeiden, müssen die Teilchenbahnen zusätzlich eine Drehung innerhalb des Torus-Querschnitts durchführen, die magnetischen Feldlinien also spiralförmig verlaufen. Diese Verdrillung der Magnetfeldlinien wird beim Tokamak erreicht, indem man im Plasma selbst einen elektrischen Strom fließen lässt. Der Strom erzeugt ein Magnetfeld mit poloidal verlaufenden Feldlinien (mittlere Abbildung). Dieses überlagert sich dem durch die Spulen erzeugten toroidalen Feld, so dass sich der gewünschte spiralförmige Feldverlauf ergibt (untere Abbildung).

Die Magnetspulen eines Fusionsreaktors (nicht nur beim Tokamak) müssen für eine wirtschaftliche Netto-Energiegewinnung aus Supraleitern bestehen, damit ihr elektrischer Energiebedarf gering bleibt.

Erzeugung des Plasmastroms (Stromtrieb)

Das Plasma kann als Sekundärwicklung eines Transformators wirken. Als Primärwicklung wirkt eine zentrale „Poloidal“-Feldspule im Torus-Zentrum, ergänzt durch weitere, koaxial mit dem Torus gelegene Ringspulen. Dieses Verfahren, den Plasmastrom durch elektrische Induktion zu erzeugen, kann allerdings wie bei jedem Transformator keinen Dauerstrom liefern, da man den Primärstrom nicht ständig steigern kann, der Transformatorhub also begrenzt ist. Von Zeit zu Zeit muss der Primärstrom abgeschaltet werden, der Plasmaeinschluss geht während der Pause verloren, die Kernfusion setzt aus und muss danach neu „gezündet“ werden. Ein solcher Tokamak arbeitet also nicht kontinuierlich, sondern gepulst. Für große Tokamaks wie ITER rechnet man mit Pulsdauern der Größenordnung 15 Minuten. Der Pulsbetrieb wäre technisch nur eine Notlösung, denn die großen Kräfte, die die Feldspulen aufeinander ausüben, würden dabei als Wechsellasten auftreten, die Strukturteile also besonders stark beanspruchen.

Deshalb wird an anderen Techniken zum Erzeugen und Aufrechterhalten des Plasmastroms geforscht. In Frage kommen vor allem die Neutralteilcheninjektion, die unten bei den Plasma-Heizmethoden erwähnt wird, sowie die Einstrahlung elektromagnetischer Wellen der sog. unteren Hybridfrequenz.[2] Man hofft, mit diesen zusätzlichen Stromtriebmethoden einen Dauerbetrieb von Tokamak-Kraftwerksreaktoren zu erreichen.

Aufheizen des Plasmas

Im Fusionsreaktor wird ein Teil der gewonnenen Energie dazu dienen, die Plasmatemperatur beizubehalten und so die Reaktion am „Brennen“ zu halten (Kettenreaktion). Für jeden neuen Puls (s. o.) muss jedoch das Plasma zunächst auf andere Weise auf über 10 keV (über 100 Millionen °C) aufgeheizt werden.

Ohmsche Heizung

Der im Plasma induzierte elektrische Strom, der das Kennzeichen des Tokamak-Konzepts ist, bewirkt zwangsläufig auch eine Erwärmung des Plasmas, die Ohmsche (oder Widerstands-) Heizung. Dabei handelt es sich um die gleiche Art von Aufheizung wie beim Glühdraht einer Glühlampe oder einer Elektroheizung (Fön, Heizlüfter etc.). Die Wärmeleistung hängt vom Widerstand des Plasmas und der Spannung ab. Da die Temperatur steigt, nimmt der elektrische Widerstand des Plasmas ab, und die Ohmsche Heizung wird weniger effektiv. Die durch Ohmsche Heizung erreichbare Maximaltemperatur in einem Tokamak scheint bei etwa 20–30 Millionen °C zu liegen. Um höhere Temperaturen zu erreichen, müssen andere Heizverfahren angewandt werden.

Neutralteilcheninjektion

Neutralteilcheninjektion bedeutet den Einschuss schneller Atome oder Moleküle in das durch Ohmsche Heizung aufgeheizte, magnetisch eingeschlossene Plasma. Auf ihrem Weg durch das Plasma werden die Atome ionisiert und deshalb vom Magnetfeld gefangen. Dann übertragen sie einen Teil ihrer Energie auf die Plasmateilchen, indem sie wiederholt mit ihnen zusammenstoßen und so die Plasmatemperatur erhöhen. Als Neutralteilchen kommen vor allem Deuterium und Tritium in Frage, so dass diese Plasmaheizung zugleich Brennstoffnachfüllung ist.

Magnetische Kompression

Gase können durch plötzliche Erhöhung des Drucks aufgeheizt werden. Auf dieselbe Weise erhöht sich die Temperatur eines Plasmas, wenn das einschließende Magnetfeld stärker wird. In einem Tokamak wird diese Kompression erreicht, indem das Plasma in eine Zone höherer magnetischer Feldstärke verschoben wird (z. B. nach innen). Da Plasmakompression die Ionen einander annähert, hat das Verfahren zusätzlich den Vorteil, dass es die Erzielung der für die Fusion erforderlichen Dichte erleichtert.

Mikrowellenheizung

Hauptartikel: Zyklotron-Resonanzheizung

Hochfrequente elektromagnetische Wellen von geeigneter Frequenz und Polarisation werden durch Oszillatoren (Gyrotrons oder Klystrons) außerhalb des Torus erzeugt. Ihre Energie kann auf die geladenen Teilchen im Plasma übertragen werden, welche wiederum mit anderen Teilchen im Plasma kollidieren und so die Temperatur erhöhen. Es gibt verschiedene Methoden, je nachdem, ob die Energie zunächst auf die Elektronen oder die Ionen des Plasmas übertragen wird.

Alternativkonzept Stellarator

Hauptartikel: Stellarator

Die andere Möglichkeit, auf Basis der Torusform die spiralförmige Verdrillung der Magnetfeldlinien herbeizuführen, wird im Stellarator genutzt. Hier werden Torus und Magnetfeldspulen selbst bereits so verdrillt, anschaulich in Form eines Möbiusbandes, dass auch der poloidale (im Querschnitt des Ringes wirksame) Anteil des Feldes durch die Spulen erzeugt wird, anstatt durch einen im Plasma induzierten Strom wie beim Tokamak.

Ein Stellarator erlaubt damit den Verzicht auf den Erregerstrom und im Unterschied zum gepulsten Betrieb eines Tokamaks einen Dauerstrich-Betrieb, bedingt aber höheren Aufwand bei Konstruktion und Fertigung sowie bei Wartungs- und Reparaturarbeiten. Die optimale Spulengeometrie ist kompliziert und konnte erst in jüngerer Zeit dank leistungsfähiger Computerprogramme hinreichend genau entwickelt sowie fertigungstechnisch umgesetzt werden.

Mit dem Wendelstein 7-X wird im nordostdeutschen Greifswald aktuell erstmals ein großer Stellarator aufgebaut, um diese Technik bis zur großtechnischen Anwendung weiterzuentwickeln. Die Heizung des Plasmas erfolgt hier durch Mikrowellen.

Aktuelle Forschung

Mit Tokamaks konnte bereits vielfach eine kettenreaktionsartig ablaufende Kernfusion erreicht werden, jedoch ist es bisher nicht gelungen und war auch konstruktiv nicht vorgesehen, dabei mehr Energie zu erzeugen, als eingesetzt wurde. Hierzu sind größere Dimensionen erforderlich, und es müssen zudem weitere technische Fragen gelöst werden, darunter die laufende Zufuhr neuen Brennstoffes und die Abführung der „verbrannten“ Fusionsprodukte, die dauerhafte Kühlung der supraleitenden Spulen oder die intermittierenden Zündungen.

Der bis jetzt größte Tokamak ist der Joint European Torus (JET) in Culham nahe Oxford, Großbritannien. 2005 wurde mit ITER der Bau der nächstgrößeren Tokamakanlage im südfranzösischen Cadarache beschlossen. Diese soll erstmals Netto-Energiegewinn demonstrieren, aber noch keine elektrische Energie produzieren. Das erste vollständige Fusionskraftwerk wird nach jetzigen Planungen die Nachfolgeanlage DEMO sein.

In Deutschland wird derzeit an zwei großen Tokamaks geforscht: ASDEX Upgrade am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München und TEXTOR am Forschungszentrum Jülich.

Siehe auch

Quellen

  1. Startschuss für Fusionsreaktor – Artikel bei heise online, vom 22. November 2006
  2. Artikel „Stromtrieb“ bei www.techniklexikon.net

Weblinks

  • EFDA JET – Bilder, Grafiken und Videos des JET Tokamak

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