Tierrechte

Tierrechte

Der Terminus Tierrechte ist ein zentraler Begriff aus der Tierethik. Er bezeichnet Rechte für (nichtmenschliche) Tiere. Die Art der vorgeschlagenen Rechte und die davon betroffenen Tiere variieren dabei bei verschiedenen Tierrechtsphilosophien.

In der Diskussion um Tierrechte versucht man zu begründen, warum Tiere mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind oder nicht.

Vertreter von unveräußerlichen und vergleichsweise weitgehenden Rechten werden als Tierrechtler bezeichnet. Diese leiten aus diesen Rechten weitreichende Forderungen an eine Gesellschaft bezüglich des Umgangs mit Tieren ab.

Inhaltsverzeichnis

Philosophische Standpunkte

Tierrechte werden für jene Tiere vorgeschlagen, die nach Ansicht der Vertreter der Tierrechte ein Bewusstsein besitzen. Grundlage hierfür sind häufig ethische Konzepte der Philosophie, die davon ausgehen, dass Tiere über eine Schmerz- und Leidensfähigkeit verfügen. Eine pathozentrische Ethik (von altgriechisch: pathein ~ deutsch: leiden) fordert auf dieser Grundlage, alle empfindungsfähigen Lebewesen moralisch zu berücksichtigen. Damit verwandt, aber noch darüber hinaus geht die Position, Tieren eine eigene Würde zuzusprechen, mithin ein Recht auf Selbstbestimmung (Autonomie). Freiheit oder Selbstbestimmung steht dabei teilweise als Wert im Zweifelsfall höher als Leidensvermeidung, bzw. Glücksförderung.

Solchen Tieren, meist werden dazu alle Wirbeltiere gezählt, sollen demzufolge das Verfügungsrecht am eigenen Leib sowie die Möglichkeit begrenzter Selbstbestimmung gegeben werden. Die gängige Praxis, Tiere als Eigentum oder Handelsgut zu behandeln, wird abgelehnt.

Die Vergabe von Rechten an bestimmte Tiere bedeutet nicht die rechtliche Gleichstellung von Mensch und Tier. Tierrechte sollen nach Ansicht ihrer Befürworter einer Tierart nach Komplexität des Gehirns und entsprechend vermuteter Unterschiede der Bewusstseinsfähigkeit angepasst sein. Unabhängig vom Nutzen, den ein Tier dem Menschen bietet, argumentieren Tierrechtler, soll dem Tier die Bestimmung über das eigene Schicksal soweit wie möglich gewährt werden; das Eigentum an Tieren und deren Nutzung soll also hinter das Selbstbestimmungsrecht des Tieres zurücktreten. Die meisten Tierrechtler sehen den Gebrauch von Tieren zum Gewinn von Nahrung oder Kleidung, zur Unterhaltung oder zu Forschungszwecken als unvereinbar mit den vorgeschlagenen Tierrechten an.

Ein bedeutender Teil der modernen Tierrechtstheorie geht auf eine Gruppe von Dozenten der University of Oxford zurück, die in den 70er Jahren anzuzweifeln begannen, ob der moralische Status von Tieren gegenüber dem von Menschen notwendigerweise minderwertig sein sollte. Unter ihnen befand sich auch der Psychologe Richard Ryder, der 1970 – analog zum Rassismus – den Begriff Speziesismus prägte. Ryder war Mitautor von Animals, Men and Morals: An Inquiry into the Maltreatment of Non-humans, das von Roslind und Stanley Godlovitch und John Harris herausgegeben und 1972 veröffentlicht wurde. Eine Rezension von Peter Singer für die The New York Review of Books legte wiederum die Grundlage für dessen 1975 erschienenen Buches Animal Liberation, welches als ein Klassiker der Tierrechtsbewegung gilt.

Als klassisch werden unter anderem The Case for Animal Rights von Tom Regan (erschienen 1983), Created from Animals: The Moral Implications of Darwinism von James Rachels (1990), Rattling the Cage: Toward Legal Rights for Animals von Steven M. Wise (2000) und Animal Rights and Moral Philosophy von Julian H. Franklin (2005) betrachtet. Neben diesen Büchern erschien auch eine Vielzahl wissenschaftlicher Aufsätze, zum Beispiel von Donald VanDeVeer und von Brent A. Singer u. a. (vgl. auch unten im Absatz zu Philosophie). In Deutschland setzen sich zum Beispiel Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e. V. seit mehreren Jahren für die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung elementarer Tierrechte und deren Umsetzung ein.

Gemein ist den meisten Argumenten ein naturalistisches Moment, das aus gewissen für einen Rechtsbegriff angeblich relevanten homologen, d. h. evolutionär kontinuierlichen, Eigenschaften eine Widerspiegelung im Moral- beziehungsweise Rechtsverständnis fordert. Oft konstituieren Tierrechtsargumente so auch gleichzeitig eine moralphilosophische Herleitung für Menschenrechte. Aufgrund der angeblich naturwissenschaftlichen Unschärfe des Artbegriffs auf der Subjektebene, könne allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Art niemandem ein subjektives Recht zugeschrieben oder aberkannt werden. Dieser angebliche Fehlschluss wird als speziesistisch bezeichnet.

Bisweilen werden Tierrechte auch auf der Grundlage der Kritischen Theorie[1] oder mit poststrukturalistischen Argumenten begründet.

Konsequentialistische Theorien

Utilitaristische Theorien

Peter Singer; sein Buch Animal Liberation wird von vielen als Keimzelle für die Entstehung der Tierrechtsbewegung betrachtet

Peter Singers Buch Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere[A 1] von 1975 wird als ein einflussreiches Werk in der Tierrechtsgeschichte angesehen, das wesentlich zur Begründung einer Tierrechtsbewegung beigetragen hat. Darin argumentiert Singer, es gebe keine moralische Rechtfertigung, das Leid eines Wesens, gleich welcher Natur es sei, nicht zu berücksichtigen. Die Verweigerung der Berücksichtigung von Interessen anderer Spezies bezeichnet er in Anlehnung an die Begriffe „Sexismus“ und „Rassismus“ als „Speziesismus“. Das Gleichheitsprinzip führt somit zur Einbeziehung der Präferenzen schmerzempfindlicher Tiere, insbesondere Säugetiere, Vögel und Fische, bei der utilitaristischen Abwägung.

Singer plädiert in seinem 1979 erschienenen Werk Praktische Ethik für eine Differenzierung zwischen bloß schmerzempfindlichen Wesen und solchen, die über ein Selbstbewusstsein und einen Sinn für die Zukunft verfügen (den Personen). Obwohl ihr Schmerz gleich zu gewichtet ist, wiegt die Tötung einer Person schwerer als die eines bloß bewussten Lebewesens. Denn nur bei der Tötung einer Person werden Präferenzen hinsichtlich der Zukunft durchkreuzt und die Autonomie des Wesens verletzt. Das Leben von Personen besitzt daher ein besonderer Wert.[A 2] Singer betont, dass es sowohl nichtmenschliche Wesen mit Personen-Eigenschaft gibt, als auch menschliche Wesen, die als bloß bewusst einzustufen sind.

Als Konsequenz seiner präferenzutilitaristischen Ethik fordert Singer die Abschaffung der industriellen Nutztierhaltung, bzw. eine vegetarische oder vegane Lebensweise. Tierversuche lehnt er zu großen Teilen, wenn auch nicht kategorisch, ab.[2] Im Rahmen des Great Ape Project fordert Singer, Menschenaffen fundamentale Rechte zuzusprechen.

Deontologische Theorien

Individualrechte

Als eine weitere qualitative Neuerung auf dem Gebiet wird der Ansatz von Tom Regan (The Case for Animal Rights) eingeschätzt. Im dessen Zentrum befinden sich Wesen, die sogenannte „Subjekte eines Lebens“ sind. Solche zeichnen sich durch Eigenschaften und Fähigkeiten wie Wahrnehmungen, Wünsche, Gedächtnis, Annahmen, Selbstbewusstsein, Zukunftsvorstellungen und Interessen aus. Subjekte eines Lebens sind normale erwachsene Menschen, normale Säugetiere, die ein Jahr alt oder älter sind, sowie jene Menschen, deren geistigen Fähigkeiten diesen Tieren entsprechen.

Subjekte eines Lebens haben ein individuelles Wohlergehen, das sich nicht prinzipiell vom Wohlergehen des Menschen unterscheidet: Sie haben biologische, psychologische und soziale Interessen, die im Laufe ihres Lebens mehr oder weniger realisiert bzw. erfüllt werden können. Es kann ihnen im Leben besser oder schlechter ergehen.

Zentral für das Verständnis des Wohlergehens ist die Autonomie: Subjekte eines Lebens haben Präferenzen, die sie selbst verfolgen können und selbst verfolgen wollen. Außerdem haben Subjekte eines Lebens einen inhärenten Wert. Wesen mit inhärentem Wert dürfen nie so behandelt werden, als hinge ihr Wert von ihrer Nützlichkeit für andere ab. In Anlehnung an Immanuel Kant könne man sagen: Wesen mit inhärentem Wert dürfen nie als bloßes Mittel zur Maximierung der Interessen aller betrachtet werden.

Ein weiterer Begriff, der auf Regan zurückgeführt wird ist, etwa in einem speziesismuskritischen Argument, oder auch als Erwiderung auf eine vertragstheoretische Kritik, die Unterscheidung zwischen sogenannten „Moral Agents“ (moralisch Handelnden) und „Moral Patients“ (moralisch Behandelten). Es sei innerhalb einer menschlichen Moral selbstverständlich, dass Individuen, die weder Moral begreifen, gestalten oder im Umgang mit anderen berücksichtigen können, dennoch einen zumindest elementaren Schutz durch ihre Regeln erfahren. Es sei für eine Verneinung von Tierrechten nicht hinreichend, tierliches Unvermögen der Teilhabe am ethischen Dialog zu konstatieren. Stattdessen müssten moralisch relevante Unterschiede hervorgebracht werden.

„Einfache Ethik“

Helmut F. Kaplan plädiert für eine möglichst einfache Ethik:[3] Einerseits sollten die vielen vorhandenen tierethischen Ansätze endlich einer breiteren Bevölkerungsschicht verständlich vermittelt werden. Andererseits sollten die Menschen „da abgeholt werden, wo sie sind“. Es müsse ihnen klar gemacht werden, dass ihre vorhandenen moralischen Überzeugungen, konsequent zu Ende gedacht und angewandt, den üblichen ausbeuterischen Umgang mit Tieren verbieten.

Kaplan will die „dritte Etappe der Tierethik“ einläuten, die Erkenntnis, dass komplexe moralische Überlegungen in Bezug auf Tiere ebenso überflüssig sind wie komplexe moralische Überlegungen in Bezug auf Menschen. („Wahre und wirksame Ethik ist einfach.“) Genauso wenig wie Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts diskriminiert werden dürften, dürften Tiere auch nicht aufgrund ihrer Spezies diskriminiert werden. Die Tierrechtsbewegung sei demnach die Fortsetzung anderer Befreiungsbewegungen wie die zur Befreiung von Sklaven oder der Emanzipation von Frauen. Eine der zentralen Aussagen Helmut Kaplans zum Themenfeld Tierrechte lautet:

Wir brauchen für den Umgang mit Tieren keine neue Moral. Wir müssen lediglich aufhören, Tiere willkürlich aus der vorhandenen Moral auszuschließen.

Helmut F. Kaplan

Seiner Meinung nach geht der Tierschutz oftmals nicht weit genug, da er sich größtenteils mit „Humanisierungen der Ausbeutung“ begnüge. Die Tierrechtsbewegung dagegen fordere ein „Ende der Ausbeutung“. Eine Humanisierung der Schlachtung zu fordern sei genauso wenig sinnvoll wie beispielsweise eine Humanisierung der Sklaverei oder die Zulassung einer „sanften Vergewaltigung“.[4]

Kaplan erläutert moralische Prinzipien für den richtigen Umgang mit Menschen und Tieren:[5]

  • Wenn wir etwas Schreckliches verhindern können, ohne dafür etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung opfern zu müssen, dann sollten wir es tun.
  • Wir sollen gleiche oder ähnliche Interessen moralisch gleich ernst nehmen.
  • Wir sollen andere so behandeln, wie wir selber behandelt werden möchten.

Letzteres Prinzip, die Goldene Regel, bezeichnet Kaplan als „Ethische Weltformel“.[6]

Praktische Autonomie

Steven Wise (Rattling the Cage, Drawing the Line) vertritt eine Verleihung von Tierrechten nach einem von ihm practical autonomy genannten Kriterium. Er sieht Tiere, die einen Sinn des „Ich“ besitzen, die intentionell handeln und Wünsche besitzen, als Kandidaten für bestimmte Grundrechte: Sie sollen nicht als Nahrung oder der medizinischen Forschung dienen dürfen. Auch im Hinblick auf die politische Durchsetzbarkeit schlägt er eine vorerst begrenzte Rechtsverleihung nur an wenige Tiere (Primaten, Delfine, Elefanten, Graupapageien) vor. Eine praktische Umsetzung findet sich beim in Seattle ansässigen Great Ape Project, welches sich bei den Vereinten Nationen für eine Erklärung für Menschenaffen einsetzt, die Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos einige Grundrechte gewähren soll. Dies bedeute neben dem Recht auf Leben den Schutz der individuellen Freiheit und des Folterverbots.

Bestehende Ungleichbehandlung

Francione bei einer Tagung an der Universidad de la Rioja, Spanien 2010

Gary Franciones Werk Introduction to Animal Rights basiert auf folgender Voraussetzung: Sofern Tiere als Eigentum betrachtet werden, werden alle Rechte, die als selbstverständlich betrachtet werden könnten, durch diesen Status direkt zunichte gemacht. Er weist darauf hin, dass ein Aufruf, die Interessen des Eigentums denen der eigenen als gleichwertig zu betrachten, absurd sei. Ohne das elementare Recht, nicht als Eigentum der Menschen behandelt zu werden, hätten Tiere überhaupt keine Rechte, so Francione. Er postuliert, dass die Empfindsamkeit die einzige berechtigte Grundlage für moralen Status sei. Dies steht im Gegensatz zu Regan, der qualitative Maße in den subjektiven Erfahrungen seines „Subjekt-des-Lebens“ sieht, die auf einer losen Bestimmung desjenigen basieren, der in diese Kategorie fällt. Francione behauptet, dass es in den USA tatsächlich keine Tierrechtsbewegung gäbe, sondern nur eine Tierschutzbewegung.

In Einklang mit seiner philosophischen Position und seiner Arbeit in Sachen Tierrechten für das Animal Rights Law Project der Rutgers University weist er darauf hin, dass jede Anstrengung, die nicht die Abschaffung des Eigentumsstatus der Tiere fokussiert, irregeleitet wird und daraus letztendlich unvermeidbar die Ausbeutung von Tieren resultiert. Er argumentiert, dass es logischerweise widersprüchlich und unmoralisch sei, wenn die festgelegten Ziele, die Bedingungen der Tiere zu verbessern, niemals erreicht würden.

In seinem Buch Animals, Property, and the Law behauptet er, dass der Haupthinderungsgrund zur Verleihung von Tierrechten der Status von Tieren als „Dinge“ sei. Der Tierschutz versuche zwar, die Bedingungen für Tiere, nicht aber ihren Status zu ändern. Er hält es für inkonsequent, Haustiere wie Hunde und Katzen wie Familienmitglieder zu behandeln, gleichzeitig aber Rinder, Schweine und Hühner für Nahrung zu schlachten.

Kritik

Fehlende Rechtsfähigkeit

Kritiker von Tierrechten argumentieren zudem, dass Tiere gar nicht die Fähigkeit dazu hätten, in eine Vertragstheorie mit einbezogen zu werden oder moralische Entscheidungen zu treffen. Dementsprechend seien sie auch nicht dazu in der Lage, die Rechte anderer zu respektieren oder Rechtskonzepte in irgendeiner Form zu verstehen. Dem wird entgegengehalten, dass das Verständnis von Rechtskonzepten keine Voraussetzung dafür sei, als Rechtsperson zu gelten. (Es gibt Menschen die kein Verständnis von Rechtskonzepten haben, aber dennoch als Rechtspersonen gelten.) Ohne ein Tier als Rechtsperson anzuerkennen, sei es aber möglich – und bereits auch juristische Praxis – Tieren Leidensfähigkeit, Schmerzempfinden und weitere Grundbedürfnisse zuzugestehen und deren Respektierung auch von Menschen einzufordern.

Einige Rechtsphilosophischen lehnen Tierrechte mit dem Argument ab, dass ein Recht immer aus einer Selbsterkenntnis abgeleitet werden müsse, die bei Tieren nicht anzutreffen sei. Auch sei ein Recht immer mit entsprechenden Pflichten verbunden.

Kritik von Norbert Brieskorn

Der Rechtsphilosoph und Jesuit Norbert Brieskorn hat festgehalten, wer höher entwickelten Tieren subjektive Rechte zugestehen will, müsse darauf antworten,

  1. ob Rechte Wesen zuerkannt werden sollen, die im Gegensatz zum Menschenkind nie von ihnen selbst Gebrauch machen können;
  2. worin das Plus der Zuerkennung von Rechten an Tiere gegenüber jenen ethischen Verpflichtungen läge, welche den Menschen gegenüber den Tieren ohnehin schon durch ethische Reflexion auferlegt sind;
  3. ob es sich um die Ausdehnung von Menschenrechten auf Tiere oder um spezifische Tierrechte handeln soll;
  4. wie der jeweilige Vorrang zwischen Menschen- und Tierrechten zu ermitteln ist;
  5. worauf die Legitimität jener beruht, welche die Tierrechte im Namen der Tiere geltend machen.

Kritik von John Touhey und Terence P. Ma

John Touhey und Terence P. Ma kritisieren hauptsächlich anhand von Peter Singers Position, ein Fehler in der Tierrechtsphilosophie sei es, diese anhand von angeblich moralisch relevanter Charakteristika vorzuschlagen. Weder Singers „Leidenskriterium“ noch etwa Regans „Bewusstseinskriterium“ könnten zu einem Moralbegriff hinreichen. Diese Begriffe seien unzureichend, die „Natur eines Wesens zu erfassen“. Auch wenn es sich etwa beim Leidbegriff bei Menschen und Nichtmenschen um dasselbe Charakteristikum handele, so gebe es doch phänomenologische Unterschiede, die sich aus der unterschiedlichen Natur der Wesen ergeben.

Sie greifen die empirische Grundlage von Singers Thesen an, indem sie anmerken, dass es nicht erwiesen sei, inwiefern ein Leidbegriff im Gegensatz etwa zum Begriff der Schmerzen, bei nichtmenschlichen Tieren Anwendung finden könnte. Zu dem Begriff des Leidens bedürfe es zwar einerseits der Schmerzen, andererseits sei aber auch das Verstehen eines kontextuellen Zusammenhangs, also einem Beimessen von Bedeutung oder Zweckmäßigkeit derselben notwendig.

Auf das Argument Singers, dass sich gewisse Praktiken an nichtmenschlichen Tieren aus ethischen Gründen verbieten, weil sie auch bei, so die Autoren „grundlegend zurückgebliebenen“ Menschen oder Kindern, falsch wären, antworten sie mit der scholastischen Unterscheidung zwischen Privation und Deprivation, einem Argument des patristischen Schriftstellers Basilius von Caesarea folgend: Auch wenn einige Menschen die Fähigkeit zum intelligenten Handeln nicht haben, seien trotzdem alle Menschen ob ihrer Natur eben dazu veranlagt. Diese Natur würden einerseits auch solche Menschen teilen, die diese Fähigkeiten nicht hätten und könnten andererseits auch solche nichtmenschlichen Tiere nicht aufweisen, die entsprechende Fähigkeiten hätten.[7]

Praxis

Tierrechte und Tierschutz[8]

Im eigentlichen Sinn kann sich der Begriff der „Tierrechte“ zunächst auf eine beliebige Menge von Rechten für (nichtmenschliche) Tiere beziehen. Als Begriff der Ethik wird darunter jedoch wenigstens die Forderung nach der Abschaffung jeglicher Benutzung nichtmenschlicher Tiere allein zu menschlichen Zwecken verstanden.

„Tierschutz“ meint dann in diesem Sinne die Forderung nach einem „humanen Umgang“ mit nichtmenschlichen Tieren oder einer „Vermeidung von unnötigem und erheblichem Leid“ (als ein Terminus Technicus vieler Tierschutzrechte). Darunter kann wiederum ein breites Spektrum an konkreteren Positionen eingenommen werden:

  1. Die Zusicherungen von tiernutzenden Unternehmern, dass sie nichtmenschliche Tiere in ihren Betrieben „gut behandeln“,
  2. Eine vage, allgemeine Verpflichtung von Einzelpersonen, „erhebliches Leid“ nichtmenschlicher Tiere zu vermeiden oder eventuell nichtmenschliche Tiere „gut zu behandeln“.
  3. Der „humanitäre Tierschutz“ (so benannt nach den verschiedenen Humane Societies) der sich auf konkrete ethische Werte beruft und daraus eine umfassendere Verantwortung für nichtmenschliche Tiere ableitet als in (2), jedoch die meisten Nutzungen nichtmenschlicher Tiere nicht konkret angreift. Ausgenommen davon sind teilweise die Jagd, sowie krasse Ausprägungen der Intensivtierhaltung oder Vivisektion).
  4. Der „tierbefreiende Tierschutz“ oder „emanzipatorische Tierschutz“, etwa nach Peter Singer der von einem Minimierungsgebot für Leid ausgeht und daraus weiterreichende Konsequenzen, in erster Linie Vegetarismus ableitet, jedoch keine absoluten Rechte für nichtmenschliche Tiere fordert und konkret beispielsweise einige Tierversuche nicht verurteilen würde. Einige, darunter Singer selbst, setzen diese Position (und die folgenden) bereits mit „Tierrechten“ gleich, was andere wiederum zurückweisen würden.
  5. New Welfarism, (etwa „Neuer Tierschutz“) nach Gary L. Francione.
  6. Eine Tierrechtsposition die zwischen Tierrechten und Tierschutz nicht unterscheidet oder eine solche Unterscheidung ablehnt. Darunter ordnet sich etwa die Position Richard Ryders ein.

Tierbefreiungsbewegung

Hauptartikel Tierbefreiungsbewegung

In der politischen Willensbildung treten einige Anhänger des Veganismus mit konfrontativen Kampagnen auf. Man will dabei theoretisch Kulturen, die Achtlosigkeit gegenüber nichtmenschlichen Tieren beinhalten, durch sukzessive Verschiebung in der Gesetzgebung oder wirtschaftlich-gesellschaftlichen Praxis abschaffen. In dem österreichischen Tierschutzgesetz (2005) der deutschen Grundgesetzänderung (2002) und in England im Abwerben mehrerer Geldinstitute von Huntingdon Life Sciences sieht man einige Erfolge. Zentrale Organisationen sind PETA (international), SHAC (England und Irland) und der österreichische Verein gegen Tierfabriken. Die Animal Liberation Front (international) wird teilweise als Fremdbezeichnung dazu gezählt; ihr Begriff als „Organisation“ ist aber umstritten.

Theoretisch schließen dabei alle Autoren Aktionen, die direkte Gefährdung von menschlichen und nicht-menschlichen Tieren beinhalten, aus. Im deutschsprachigen Raum ist auch kein Fall bekannt, der dieses Prinzip verletzt hätte. In den USA und England gab es Anschläge auf Personen, in Holland einen Mord, jeweils von Einzelpersonen, von denen sich die Verbände distanzierten.

Innerhalb dieses Spannungsfeldes gibt es viele Ansätze, die dem Veganismus Militanz und Radikalität unterstellen. Das FBI und das Department of Homeland Security sieht in der Tierrechtsbewegung eine Gefahr für die innere Sicherheit der Vereinigten Staaten, aufgrund von Eco-Terrorism.[9] Einige Autoren gehen davon aus, dass die Gesetzgebung zur inneren Sicherheit in vielen westlichen Staaten motiviert war, die Handlungsmöglichkeiten des Veganismus einzuschränken.[10]

Die Diskussion, inwiefern an eine vorgeblich speziesistische Gesellschaft pragmatische Zugeständnisse gemacht werden sollten, fasst man unter dem Begriff der Abolitionismusdebatte zusammen.

Einige argumentieren damit, dass Verbesserungen im Tierschutz und Vegetarismus nicht nur wesentlich leichter erreichbar wären als ein Verständnis für die Argumentation von Tierrechtlern, sondern dass das öffentliche Problembewusstsein gemeinsam mit Tierschutzbestimmungen wachse. Andere kritisieren hingegen, dass dadurch die Möglichkeit der Vermittlung eines als gerecht empfundenen Umgangs mit Tieren marginalisiert werde. Leid werde so eher von einer Ausprägung auf andere verlagert als abgeschafft. Das Paradigma der Fremdbestimmung tierlichen Lebens durch menschliche Interessen bliebe unberührt beziehungsweise würde sogar bestärkt.

Die Position eines Teils der Tierrechtsbewegung, generell jede Art der Tiernutzung abzulehnen, ist auch innerhalb der Tierrechtsbewegung umstritten. Während Einigkeit besteht, Tierversuche und Tierquälerei sowie die Jagd zum Vergnügen (im Gegensatz zum Nahrungserwerb) abzuschaffen, wird die Zurschaustellung von (Wild)Tieren (Zoo, Zirkus) unterschiedlich bewertet. Auch in der Frage der Haustierhaltung ist die Position nicht einheitlich: Während die Haltung erkenntnis- und leidensfähiger Tiere als Nahrung abgelehnt wird, sehen manche Tierrechtler keine Probleme in einer Nutzung von Tieren als Blindenhunde, Zug- und Reittiere oder zu therapeutischen Zwecken.

Holocaustvergleich

Einige Autoren und Gruppen stellen zwischen dem heutigen Umgang mit Tieren und dem Holocaust eine Analogie her, so tat dies etwa People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) im Jahr 2003 mit einem Vergleich von Massentierhaltung und Holocaust. In der umstrittenen Ausstellung „Holocaust On Your Plate“ (deutsch: „Holocaust auf Ihrem Teller“), die nach den USA auch 2004 in Deutschland gezeigt wurde, werden Bilder von Juden in Konzentrationslagern denen von getöteten und misshandelten Tieren gegenüber gestellt. Die vergleichende Darstellung wurde in der Öffentlichkeit sowie in der Tierrechtsbewegung sehr kontrovers aufgenommen, führte zu erheblichen Protesten und Unterlassungsklagen von Menschenrechtsorganisationen wie der Anti-Defamation League und Opfergruppen.

Literatur

Übersichten, Literaturverzeichnisse und Historische Ansätze

  • H. Kean: Animal rights: Political and social change in Britain since 1800. Reaktion Books 1998
  • C. R Magel: Keyguide to information sources in animal rights. Mansell 1989
  • D. DeGrazia: Animal Ethics Around the Turn of the Twenty-First Century. In: Journal of Agricultural and Environmental Ethics. 11, Nr. 2, 1998-05-01, S. 111-129. doi:10.1023/A:1009504617295. Abgerufen am 17. März 2010.
  • A. Taylor: Animals and ethics: an overview of the philosophical debate. broadview press 2003

Monographien

  • Peter Singer: Animal Liberation, Reprint, Ecco 2001, ISBN 0060011572
  • M. Rowlands: Animals like us. Verso Books 2002
  • M. Rowlands, J. Campling: Animal rights: a philosophical defence. Macmillan 1998
  • Tom Regan: The Case for Animal Rights, Reprint, University of California Press 1985, ISBN 0520054601
    • C. Cohen, T. Regan: The animal rights debate. Rowman & Littlefield 2001
  • Steven M. Wise, Jane Goodall: Rattling the cage. Perseus Books 10. Januar 2001, ISBN 0738204374
    • Steven M. Wise: Drawing the line. Basic Books 14. Mai 2003, ISBN 0738208108
  • G. L Francione: Rain without thunder: The ideology of the animal rights movement. Temple Univ Pr 1996, ISBN 1-56639-461-9
    • G. L Francione: Introduction to animal rights: your child or the dog?. Temple Univ Pr 2000, ISBN 1-56639-692-1
  • R. Garner: Animals, politics, and morality. Manchester Univ Pr 2004
  • R. Garner: The political theory of animal rights. Manchester Univ Pr 2005
  • D. Sztybel, E. English: Empathy and rationality in ethics. 2000.
  • David DeGrazia: Animal Rights: A Very Short Introduction, 1st, Oxford University Press, USA 16. Mai 2002, ISBN 0192853600
  • C. R Sunstein, M. C Nussbaum: Animal rights: current debates and new directions. Oxford University Press, USA 2005
  • J. H Franklin: Animal rights and moral philosophy. Columbia Univ Pr 2005
  • S. J Armstrong, R. G Botzler: The animal ethics reader. Routledge 2003

Zum kontraktualistischen Ansatz

Deutschsprachiges

Weblinks

  • Journal for Critical animal Studies, seit 2007 – vorher Animal Liberation Philosophy and Policy Journal. Redaktion bei Richard J. White
  • Umfangreiche Dokumentation (en) einer Vorlesungsreihe in Heidelberg.
  • Blog und Podcast von Garry L. Francione zu Tierrechten, insbesondere Abolitionismus und der „Tierbewegung“.

Fußnoten

Anmerkungen

  1. Eine Tierbefreiungsbewegung gab es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches praktisch nicht. Die Forderung nach der Befreiung der Tiere ist nach Singer als Metapher zu verstehen. Er fordert eine strikte Gewaltfreiheit (Vgl. Vorwort der 1990er Ausgabe und P. Singer: Democracy and Disobiedence, 1974, Oxford University Press)
  2. Den Begriff des Rechts (etwa: Recht auf Leben) vermeidet Singer, bzw. gebraucht ihn bloß als „Kürzel, um auf fundamentale moralische Erwägungen zu verweisen.“ (Praktische Ethik, 2. Auflage. Reclam, S. 130)

Einzelnachweise

  1. Etwa im von der Tierrechts-Aktion-Nord herausgegebenen Buch „Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen“
  2. Praktische Ethik, 2. Auflage. Reclam, S. 96f
  3. Einfache Ethik
  4. Helmut F. Kaplan – Tierrechte
  5. [1], Helmut F. Kaplan: „Ich esse meine Freunde nicht oder Warum unser Umgang mit Tieren falsch ist“, trafo Verlagsgruppe, Berlin 2009.
  6. fellbeisser.net
  7. John Tuohey, Terence P. Ma: Fifteen years after “Animal Liberation”: Has the animal rights movement achieved philosophical legitimacy?. In: Journal of Medical Humanities. 13, Nr. 2, 1992-06-01, S. 79-89. doi:10.1007/BF01149650.
  8. David Sztybel: Distinguishing Animal Rights from Animal Welfare erschienen in Marc Bekoff: Encyclopedia of Animal Rights and Animal Welfare, 1, Greenwood Press 30. Juni 1998, ISBN 0313299773
  9. FBI Bericht (Link nicht mehr abrufbar) von 2002
    [2] (Link nicht mehr abrufbar)
  10. B. Steven: Terrorists or Freedom Fighters?, 2004, Lantern Books. ISBN 1-59056-054-X

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