Tibor Varga

Tibor Varga

Tibor Varga (* 4. Juli 1921 in Győr, Ungarn ; † 4. September 2003 in Grimisuat, Schweiz) war ein aus Ungarn stammender Violinist, Violinpädagoge und Dirigent.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ersten Violinunterricht erhielt Tibor Varga im Alter von zweieinhalb Jahren von seinem Vater Lajos, der seinerseits ein ausgezeichneter Geiger war. Infolge einer Kriegsverletzung musste Lajos Varga jedoch auf eine Konzertlaufbahn verzichten und etablierte sich daraufhin als Geigenbauer. Tibor Varga kehrte 1947 seiner Heimat Ungarn den Rücken. Als Lehrer schuf er sich in Deutschland, wo er zwischen 1949 und 1986 wirkte, einen Namen als Musikpädagoge. Seit 1966 lebte Varga im Wallis und war Ehrenbürger von Sitten und Grimisuat.

Studium

Auf Vargas Talent aufmerksam geworden, holte Jenö Hubay den erst Zehnjährigen an die Franz-Liszt-Musikakademie Budapest. Dort studierte er bei Franz Gábriel, Mitgliedern des Waldbauer-Quartetts, Zoltán Kodály und Leó Weiner. Nach Hubays Tod (1937) spielte Varga im Gedenkkonzert unter der Leitung von Ernö Dohnányi, der Hubay 1934 im Amt des Rektors der Liszt-Akademie gefolgt war, Hubays 3. Violinkonzert op. 99.

Nach Abschluss des Musikstudiums an der Budapester Musikakademie widmete Varga sich während der Kriegsjahre an der Universität Budapest einem mehrjährigen Philosophiestudium.

Konzertlaufbahn

Vargas erster öffentlicher Auftritt erfolgte im Alter von 6 Jahren, sein Orchesterdebüt gab er als Zehnjähriger mit Mendelssohns Violinkonzert op. 64. Seit seinem 14. Lebensjahr unternahm er Konzertreisen ins Ausland, bis seine steile Karriere als Violinsolist durch den 2. Weltkrieg jäh unterbrochen wurde. Unmittelbar nach Kriegsende nahm er die Konzerttätigkeit wieder auf und wurde zu einem der weltweit gefragten Solisten. Er trat unter den bedeutendsten Dirigenten seiner Zeit auf, denen er zum Teil auch freundschaftlich verbunden war. Neben einem ungewöhnlich breiten klassischen Repertoire, das alle großen Violinkonzerte sowie die bedeutenden Sonaten und Vortragsstücke umfasste, pflegte Varga von Anfang an die Musik zeitgenössischer Komponisten. Die Violinkonzerte und andere Werke von Béla Bartók, Alban Berg und Arnold Schönberg verdanken Varga ihren eigentlichen Durchbruch im internationalen Musikleben. Er präsentierte sie - zum Teil als Erstaufführungen - im In- und Ausland: Unter anderem gestaltete er die Erstaufführung von Alban Bergs Violinkonzert in Australien sowie 1949 die europäische Premiere von Schönbergs Violinkonzert, worüber der Komponist sich in einem begeisterten Dankesbrief äußerte (Schönberg, Briefe). Beide Konzerte wie zum Beispiel das Violinkonzert von Schostakowitsch interpretierte Varga neben anderen Werken im Rahmen der Promenade Concerts der BBC in der Londoner Royal Albert Hall. Darüber hinaus gab der Solist die österreichische Premiere von Strawinskis Violinkonzert, sowie die Welturaufführungen zahlreicher Kompositionen, die ihm teilweise gewidmet sind, darunter die Violinkonzerte von Boris Blacher, Ernst Krenek, Max Méreaux, Gösta Nyström, Almeida Prado, Mátyás Seiber und Winfried Zillig.

Seit den 1950er Jahren trat Varga auch als Dirigent hervor, so etwa mit den von ihm gegründeten Ensembles Kammerorchester Tibor Varga, Orchestre du Festival Tibor Varga und „Orchestre de l'Académie Tibor Varga“, denen er als Chefdirigent und künstlerischer Leiter vorstand. Von 1989 bis 1993 übernahm er die Künstlerische Leitung des „Orchestre des Pays de Savoie“. Darüber hinaus war Varga bis zuletzt Gastdirigent international renommierter Orchester.

Aufnahmen

Varga spielte als 13-Jähriger seine ersten Schallplatten ein und trat bereits während seiner Studienzeit an der Budapester Musikakademie regelmäßig im Rundfunk auf. Nach seiner Niederlassung in London Ende der 1940er Jahre realisierte er Aufnahmen für international bekannte Labels, u. a. mit dem Philharmonia Orchestra London, den Berliner Philharmonikern und weiteren bedeutenden Orchestern sowie mit namhaften Klavierpartnern, unter ihnen Gerald Moore. Die Aufnahmen des Violinkonzerts Nr. 2 von Bartók unter Ferenc Fricsay wie auch beispielsweise der Violinkonzerte von Beethoven, Bruch, Mozart, Nielsen, Paganini, Tschaikowski, gelten bis heute als Referenz. Führende internationale Rundfunkanstalten strahlten Vargas Auftritte in (Live-)Übertragungen aus und luden ihn darüber hinaus regelmäßig zu Studioproduktionen ein. Vargas Interpretationen als Solist, Dirigent und Interpret von Kammermusik sind zum Teil dokumentiert in der Tibor Varga CD Collection.

Pädagogische Tätigkeit

Unmittelbar nach Kriegsende war Varga Mitbegründer und erster Professor einer der Budapester Franz-Liszt-Musikakademie angegliederten Musikhochschule seiner Heimatstadt Györ. Von 1949 bis 1986 wirkte er als Professor für Violine und Kammermusik an der 1946 gegründeten Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold, deren Streicherabteilung unter seiner Leitung Weltruf erlangte. Seit Anfang der 1950er Jahre fungierte Varga in den weltweit führenden Violin- und Kammermusikwettbewerben als Jury-Mitglied bzw. -Präsident. Daneben gab er regelmäßig Meisterkurse bei den Darmstädter Ferienkurse, des Weiteren in London, Paris, Salzburg, Siena und anderen Städten Europas sowie in den USA und hielt wiederholt auch öffentliche Vorträge über musikalische Themen. Seit 1988 unterrichtete Varga an der von ihm gegründeten, auf die professionelle Streicherausbildung spezialisierten Ecole Supérieure de Musique, der er auch als Direktor diente. Darüber hinaus wirkte Varga im Auftrag der Kulturministerien Frankreichs und Portugals als künstlerischer und pädagogischer Berater. Ab Oktober 2002 bekleidete er eine Professur für Violine an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Graz. Große Bedeutung erlangte sein Name durch das 1964-2001 in Sion ansässige Festival Tibor Varga, wo auch seit 1967 jährlich der Internationale Violinwettbewerb Tibor Varga ausgetragen wurde, aus dem zahlreiche internationale Künstlerpersöhnlichkeiten hervorgingen. Zu seinen bekanntesten Schülern zählen Lukas David, Mirijam Contzen, Latica Honda-Rosenberg und Hans Maile.

Gründungen

  • 1954-1988: Kammerorchester Tibor Varga (Detmold) - 1989 gab Varga die Leitung an Christoph Poppen weiter, seither Detmolder Kammerorchester
  • 1963: Internationale Sommerakademie Tibor Varga (Sion)
  • 1964-2001: Festival Tibor Varga (Sion)
  • 1967: Internationaler Violinwettbewerb Tibor Varga (Martigny). Jährlich ausgetragen. Preisträger (Auswahl) : Mirijam Contzen, Latica Honda-Rosenberg, Jean-Jacques Kantorow, Nam-Yun Kim, Boris Kuschnir, Vadim Repin
  • 1974: Tibor Varga Stiftung
  • 1988: Ecole Supérieure de Musique, seit 2001 Conservatoire supérieur et Académie de musique Tibor Varga (Sion).
  • Mitbegründer der der Budapester Franz Liszt-Musikakademie angegliederten Musikhochschule in Györ sowie des Conservatoire national supérieur de musique Lyon.

Auszeichnungen

Tibor Varga war Ehrenbürger mehrerer Städte Frankreichs und der Schweiz. Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Ungarn ehrten ihn mit hohen Auszeichnungen, u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse, den Orden der Arts et Lettres und der Légion d'Honneur, dem Walliser Kulturpreis (1994) und dem Verdienstorden des Ungarischen Staates. Die Universität bzw. die Franz Liszt-Akademie Budapest verliehen ihm die Ehrenprofessorenwürde, mit der vor ihm u. a. Edward Elgar, Emil Gilels, Richard Strauss und Arturo Toscanini gewürdigt wurden.

Die von Varga anlässlich der Europäischen Rektorenkonferenz Graz 2003 komponierte Etude-Caprice für 4 Violinen wurde nach seinem Tode zur offiziellen Hymne der European University Association (EUA) erhoben.

Bedeutung

Tibor Varga, einer der bedeutenden Musiker seiner Zeit, prägte als Geiger und Dirigent entscheidend die Interpretationsgeschichte des 20. Jahrhunderts und gilt darüber hinaus als Begründer eines neuen Violinstils. Seine Interpretationen der Violinkonzerte von Beethoven, Brahms, Nielsen, Paganini, Tschaikowski, setzten Maßstäbe, seine Wiedergaben der Musik von Bach und Mozart, die er vor allem mit seinem Kammerorchester pflegte, wirkten stilprägend für seine Zeit. Obgleich Vargas Ruf auf seinen Aufsehen erregenden Darbietungen der klassisch-romantischen Violinliteratur gründete, galt er seit den 1940er Jahren auch als einer der führenden Interpreten zeitgenössischer Musik. Beachtenswert, seine Interpretationen der Violinkonzerte und anderer Kompositionen von Béla Bartók, Alban Berg und Arnold Schönberg, denen er im internationalen Musikleben durch zahlreiche (Erst-)Aufführungen zum Durchbruch verhalf.

Bibliographie

  • Ralf Noltensmeier: Geiger von Beruf. Gesprächsweise Einblicke in die Vielfalt geigerischer Profession Götzelmann, Kiel 1999, ISBN 3-9805016-7-1

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