Themenzentrierte Interaktion

Themenzentrierte Interaktion

Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) ist ein Konzept und eine Methode zur Arbeit in Gruppen. Ziel ist soziales Lernen und persönliche Entwicklung. TZI wurde seit Mitte der 1950er Jahre in den USA von der Psychoanalytikerin und Psychologin Ruth Cohn, von den Therapeuten Norman Liberman, Yitzchak Zieman und von weiteren Vertreterinnen der Humanistischen Psychologie entwickelt und später in Europa und Indien weiterentwickelt. Die TZI entstand vor dem theoretischen Hintergrund der Psychoanalyse, der Gruppentherapien sowie der Humanistischen Psychologie und berücksichtigt Erfahrungen aus der Gestalttherapie und der Gruppendynamik. Das ursprüngliche Anliegen Ruth Cohns war, ein Konzept zu entwickeln, das »dem ursprünglich gesunden Menschen ein Leben ermöglicht, in dem er gesund bleiben kann«. Gesundheit bezieht sich hier nicht bloß auf das individuelle Wohlbefinden, sondern auch auf die politische Verantwortlichkeit in der Welt.

Inhaltsverzeichnis

Konzept der TZI

Grundlagen der TZI

Das Konzept der TZI entwickelt sich auf der Basis dreier Axiome, welche in dialektischer Form Problemstellungen umreissen. [1]

Autonomie
„Der Mensch ist eine psycho-biologische Einheit. Er ist auch Teil des Universums. Er ist darum autonom und interdependent. Autonomie (Eigenständigkeit) wächst mit dem Bewusstsein der Interdependenz (Allverbundenheit).“ [2]
Wertschätzung
„Ehrfurcht gebührt allem Lebendigem und seinem Wachstum. Respekt vor dem Wachstum bedingt bewertende Entscheidungen. Das Humane ist wertvoll, Inhumanes ist wertbedrohend.“ [2]
Grenzen erweitern
„Freie Entscheidung geschieht innerhalb bedingender innerer und äusserer Grenzen. Erweiterung dieser Grenzen ist möglich.“ [2]

Postulate der TZI

Die Axiome führen zu den Postulaten:

  • Sei deine eigene Chairperson, die Chairperson deiner selbst!
    Darin steckt die Aufforderung, sich selbst, andere und die Umwelt in den Möglichkeiten und Grenzen wahrzunehmen und jede Situation als ein Angebot für die eigene Entscheidung anzunehmen.
  • Störungen haben Vorrang!   (im Sinne von „nehmen sich Vorrang“)
    "Das Postulat, dass Störungen und leidenschaftliche Gefühle den Vorrang haben, bedeutet, dass wir die Wirklichkeit des Menschen anerkennen; und diese enthält die Tatsache, dass unsere lebendigen, gefühlsbewegten Körper und Seelen Träger unserer Gedanken und Handlungen sind." [3]
  • Günter Hoppe schlug 1994 als drittes Postulat vor: „Setze Dich mit Deiner äußeren Welt, Deinem Globe um Dich herum und seinem Abbild in Dir auseinander. Greife ein und verändere, was Du im Sinne der Humanisierung verändern kannst!“[4] . Cohn lehnte dieses Postulat ab, da es nicht allgemeingültig sei und formulierte ihrerseits als drittes Postulat: "Verantworte dein Tun und Lassen – persönlich und gesellschaftlich!"[5]

Die Postulate sind nicht als Regeln zu verstehen, sondern als Beschreibungen. Das bedeutet: Störungen nehmen sich de facto Vorrang – ob wir ihnen diesen einräumen oder nicht. (Liegt eine Tanne quer zur Straße, wird der Radfahrer ihr Vorrang lassen müssen, will er sich nicht verletzen.) Ähnlich beim Chairperson-Postulat: Der Mensch hat de facto Verantwortung für die Teilmacht, die ihm gegeben ist. Er ist de facto für sein Tun und Lassen verantwortlich. Wenn die Postulate nun als Imperativ formuliert sind, ist darin eine Aufforderung zu sehen, sich auch so zu verhalten.

Vierfaktorenmodell der TZI

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ICH die einzelnen Personen mit ihrer Biographie und ihrer Tagesform
WIR das sich entwickelnde Beziehungsgefüge der Gruppe (Interaktion)
ES der Inhalt, um den es geht oder die Aufgabe, zu deren Erledigung die Gruppe zusammenkommt
Globe   das organisatorische, physikalische, strukturelle, soziale, politische, ökologische, kulturelle engere und weitere Umfeld, das die Zusammenarbeit der Gruppe bedingt und beeinflusst und das umgekehrt von der Arbeit der Gruppe beeinflusst wird

Früher wurde das „ES“ als „Thema“ verstanden. In der aktuellen TZI-Literatur [1] wird differenziert: Das Thema, an welchem eine Gruppe arbeitet, ist von allen vier Faktoren beeinflusst und nicht bloß vom „ES“. Darin besteht das Spezifische der TZI.

Hilfsregeln der TZI

Die Hilfsregeln[6] können die Interaktion in einer Gruppe günstig beeinflussen. „Wichtig ist, dass Hilfsregeln taktvoll und nicht diktatorisch angewandt werden. Jede Regel kann ad absurdum geführt werden.“[6]

  1. Vertritt dich selbst in deinen Aussagen; sprich per „Ich“ und nicht per „Wir“ oder per „Man“. Diese Formen lassen auf ein „Verstecken“ hinter der Gruppe oder einer öffentlichen Meinung schließen. Hinzu kommt, dass es durch eine derartige Kommunikation leicht fällt, Hypothesen entgegen ihrer Natur als Tatsache darzustellen.
  2. Wenn du eine Frage stellst, sage, warum du fragst und was deine Frage für dich bedeutet. Sage dich selbst aus und vermeide das Interview.
    „Echte Fragen verlangen Informationen, die nötig sind, um etwas zu verstehen oder Prozesse weiterzuführen. Authentische Informationsfragen werden durch die Gründe für die Informationswünsche persönlicher und klarer.“[7]
  3. Sei authentisch und selektiv in deinen Kommunikationen. Mache dir bewusst, was du denkst und fühlst und wähle, was du sagst und tust.
  4. Halte dich mit Interpretationen von anderen so lange wie möglich zurück. Sprich stattdessen deine persönlichen Reaktionen aus.
  5. Sei zurückhaltend mit Verallgemeinerungen.
    Verallgemeinerungen unterbrechen den Gruppenprozess. Sie dienen dem Gesprächsverlauf nur, wenn sie einen Themenbereich zusammenfassend abschließen und zu einem neuen Thema überleiten.
  6. Wenn du etwas über das Benehmen oder die Charakteristik eines anderen Teilnehmers aussagst, sage auch, was es dir bedeutet, dass er so ist, wie er ist (d. h. wie du ihn siehst.)
  7. Seitengespräche haben Vorrang. Sie stören und sind meist wichtig. Sie würden nicht geschehen, wenn sie nicht wichtig wären.
    Auch wenn Seitengespräche vordergründig stören, sind sie meist wichtig für die tieferen Ebenen der Kommunikation. Sie können neue Anregungen bringen, Unklarheiten herausstellen, Missverständnisse verdeutlichen oder auf eine gestörte Interaktion (Beziehung) hinweisen.
  8. Nur einer spricht zur gleichen Zeit.
    Niemand kann mehr als einer Äußerung zur gleichen Zeit zuhören. Und einander Zuhören signalisiert das konzentrierte Interesse füreinander, das Gruppen zusammenhalten lässt.
  9. Wenn mehr als einer gleichzeitig sprechen will, verständigt euch in Stichworten, worüber ihr zu sprechen beabsichtigt.
    So werden alle Anliegen kurz beleuchtet, bevor die Gruppenaktion weitergeht.
  10. Beachte die Körpersignale!
    Beobachte eigene und fremde Körpersignale.

Anwendung

Die Themenzentrierte Interaktion findet in ganz unterschiedlichen Bereichen Anwendung: Im Management, in der Hochschule, in der psychologischen Beratung und Therapie, in der Supervision, in der Erziehung, Sozial- und Sonderpädagogik, in der Erwachsenenbildung, in der Seelsorge, in der Pflege, usw... ausdrückliches Ziel der TZI ist es, nicht nur der Leitung Werkzeuge in die Hand zu geben, sondern auch Gruppen zu ermöglichen, sich selbst zu steuern (Chairperson-Postulat).

Friedrich Ewert [8] hat in einer Dissertation den Einfluss einer TZI-Ausbildung auf das Berufsfeld von Lehrenden untersucht, die an Förder-, Grund-, Gesamt-, Berufsschulen, Gymnasien und in der Lehrerausbildung tätig sind. Er fand eine nachhaltige Wirkung dieser Ausbildung auf die Unterrichtspraxis der Lehrenden und Stärkung ihrer Persönlichkeit.

TZI lernen

TZI wird im Ruth-Cohn-Institut gelehrt. Ferner sind Universitäten und andere Bildungseinrichtungen bisweilen berechtigt, TZI-Ausbildungen anzubieten, etwa die FernUniversität in Hagen.

Die Ausbildung besteht aus einer Grundausbildung und einer Diplomausbildung. Die Grundausbildung umfasst Persönlichkeitsbildung und Methodik, dauert 6 1/2 Wochen und schließt mit einem Zertifikat ab. Die Diplomausbildung dauert etwa zehn Wochen und enthält Elemente wie Supervision, Arbeit in Peergruppen und weiterführende Workshops zur Persönlichkeitsentwicklung und Methodik. Die Grundausbildung und Aufbauausbildung erstrecken sich in der Regel über mehrere Jahre. Die Lehrberechtigung in TZI ist die dritte Ausbildungsstufe. Ihr Abschluss wird mit der Graduierung erreicht.

Das Ruth-Cohn-Institut-International gibt seit 1987 eine halbjährlich erscheinende Fachzeitschrift unter dem Titel Themenzentrierte Interaktion heraus.

Im Auftrag des RCI-International wird durch eine/mehrere Region/en, bzw. eine Fachgruppe im RCI alle 2 Jahre ein Internationaler Kongress und Austauschworkhop durchgeführt.

Der Verein für Weiterbildung in Supervision auf der Grundlage der Themenzentrierten Interaktion e. V. bietet – aufbauend auf dem TZI-Diplom – eine Supervisions-Ergänzungsausbildung nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Supervision an.

Literatur

  • Mina Schneider-Landolf, Jochen Spielmann, Walter Zitterbarth (Hrsg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Mit einem Vorwort von Friedemann Schulz von Thun. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-40152-1.
  • Cornelia Löhmer, Rüdiger Standhardt (Hrsg.): TZI Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn. Klett-Cotta, Stuttgart 1993, ISBN 3-608-95992-0.
  • Barbara Langmaack: Themenzentrierte Interaktion. Einführende Texte rund ums Dreieck. 4. Auflage, Beltz Psychologie-Verlags-Union, Weinheim 2000, ISBN 3-621-27233-X.
  • Cornelia Löhmer, Rüdiger Standhardt: TZI – Die Kunst, sich selbst und eine Gruppe zu leiten. Einführung in die Themenzentrierte Interaktion. Klett-Cotta, Stuttgart 2006, ISBN 3-608-94426-5.
  • Ruth C. Cohn: Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. Klett-Cotta, Stuttgart 1975, ISBN 3-608-95288-8.
  • Ruth C. Cohn: Verantworte Dein Tun und dein Lassen – persönlich und gesellschaftlich. Offener Brief an Günter Hoppe. In: Themenzentrierte Interaktion. Theme-centered Interaction. 8. Jahrgang, Heft 2, Herbst 1994.
  • Günther Hoppe: «Misch Dich ein! Greif ein!» Ein drittes Postulat für die TZI? In: Cornelia Löhmer, Rüdiger Standhardt (Hrsg.): Zur Tat befreien. Gesellschaftspolitische Perspektiven der TZI-Gruppenarbeit. Matthias Grünewald Verlag, Mainz 1994.
  • Helmut Quitmann: Humanistische Psychologie. 3. überarb. u. erw. Auflage, Göttingen, Bern u. a. 1996, ISBN 3-8017-0908-6.
  • Friedrich Ewert: Themenzentrierte Interaktion (TZI) und pädagogische Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern, Erfahrungen und Reflexionen. VS Research, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-8350-7010-3.
  • Die vom „Ruth-Cohn-Institute International“ herausgegebene Zeitschrift „Themenzentrierte Interaktion“ (1987ff.), Psychosozial-Verlag, Gießen, ISSN 0934-5272

Quellen

  1. a b Helmut Reiser, Walter Lotz: Themenzentrierte Interaktion als Pädagogik. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1995, ISBN 3-7867-1891-1.
  2. a b c Cohn: Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. 1975, S. 120.
  3. Cohn: Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. 1975, S. 122.
  4. Hoppe: «Misch Dich ein! Greif ein!» Ein drittes Postulat für die TZI? In: Cornelia Löhmer, Rüdiger Standhardt (Hrsg.): Zur Tat befreien. Gesellschaftspolitische Perspektiven der TZI-Gruppenarbeit. Matthias Grünewald Verlag, Mainz 1994, S. 65ff.
  5. Cohn: Verantworte Dein Tun und dein Lassen – persönlich und gesellschaftlich. In: Themenzentrierte Interaktion. 8. Jahrgang, Heft 2, Herbst 1994.
  6. a b Cohn: Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion 1975. S. 123ff.
  7. Cohn: Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. 1975, S. 124.
  8. Ewert: Themenzentrierte Interaktion (TZI) und pädagogische Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern, Erfahrungen und Reflexionen. VS Research, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-8350-7010-3.

Weblinks


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