Terentius Varro

Terentius Varro
Marcus Terentius Varro (links), Mittelalterliche Illustration

Marcus Terentius Varro (* 116 v. Chr. in Reate, heute Rieti im Sabinerland; † 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Polyhistor.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Varro entstammte einer Familie aus dem Stand des Eques. Er war eng mit Marcus Tullius Cicero befreundet und vermutlich auch ein Verwandter von dessen Frau Terentia.

Er wandte sich frühzeitig den Studien zu, ohne sich jedoch seinen bürgerlichen Pflichten zu entziehen. Er bekleidete das Tribunat, die kurulische Ädilität und die Praetur und war 67 v. Chr. Legat seines Freundes Pompeius im Seeräuberkrieg, wofür er mit der Corona Navalis ausgezeichnet wurde.[1] In derselben Stellung kommandierte er 49 v. Chr. in Spanien, musste sich aber nach der Kapitulation von Ilerda Gaius Iulius Caesar ergeben. Obwohl er sich hierauf aufs neue Pompeius anschloss, wurde er nach der Schlacht von Pharsalos von Caesar begnadigt und kehrte 46 v. Chr. nach Rom zurück, wo er Leiter der Bibliothek wurde. Nach Caesars Ermordung wurde er 43 v. Chr. wie sein Freund Cicero von Marcus Antonius geächtet und entging nur mit knapper Not dem Tod. Von Oktavian begnadigt, lebte er, bis an sein Ende literarisch tätig, bis 27 v. Chr. auf seinem Landgut in den sabinischen Bergen.

Werk

Varros Gelehrsamkeit umfasste das ganze Gebiet des damaligen Wissens, und seiner Produktivität kam kein Römer und nur wenige unter den Griechen gleich. Quintilian[2] nannte ihn den "Gelehrtesten aller Römer". Seine Studien umfassten das gesamte Wissen seiner Zeit. Die Gesamtzahl seiner teils prosaischen, teils poetischen Werke betrug über 70 in mehr als 600 Büchern, wie Friedrich Wilhelm Ritschl in seinen Opuscula philologica rekonstruierte.

Vollständig erhalten haben sich davon nur die im 80. Lebensjahr verfassten drei Bücher über die Landwirtschaft (Rerum Rusticarum de Agri Cultura). Dieses Werk sollte seiner Frau Fundania, die sich eine Villa rustica gekauft hatte, als Leitfaden dienen.[3] Doch im Gegensatz zu dem hundert Jahre älteren Cato behandelt er das Thema eher theoretisch: Der Gutsherr bewirtschaftet sein Land nicht mehr selbst, sondern kontrollierte eher seinen Verwalter. Unter anderem berechnet Varro genau die Arbeitskraft der notwendigen Sklaven.

Sehr lückenhaft überliefert sind sechs der 25 Büchern des Werkes „De lingua latina“ (Über die lateinische Sprache), das älteste erhaltene Werk über die lateinische Sprache. Varro behandelt darin einerseits den Unterschied zwischen Griechisch und Latein, wobei er annimmt, dass die lateinische Sprache von der griechischen abstammt wie die Römer von den Trojanern, andererseits verschiedene lateinische Dialekte.[4]

Ebenfalls nur in Fragmenten erhalten sind die Saturarum Menippearum libri CL oder 150 Bücher Menippischer Satiren. In letzten, nach dem Zyniker Menippos von Gadara benannten Satiren verspottete Varro die in seinen Augen übermäßig verfeinerte Kultur seiner Zeitgenossen.

Das restliche Werk ist nur aus Zitaten in den Werken anderer antiker Schriftsteller bekannt. Die bekanntesten Titel sind:

  • Antiquitates rerum humanarum et divinarum libri XLI, eine Darstellung des gesamten politischen und religiösen Lebens der Römer seit den ältesten Zeiten in 41 Büchern; dieses Werk widmete Varro 46 v. Chr. Caesar;
  • Logistoricon libri LXXVI;
  • Hebdomades vel de imaginibus in 15 Büchern, welche 100 Hebdomaden oder 700 gemalte Porträts berühmter Römer und Griechen mit epigrammatischen Unterschriften enthielten;[5]
  • Disciplinarum libri IX, eine Enzyklopädie der zur allgemeinen Bildung gehörigen Wissenschaften (Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik, Architektur[6], Medizin).

Alle diese Werke wurden von späteren Autoren wie z.B. Plinius viel benutzt und zitiert.

Varronische Zählung

Von Varro stammt die Angabe der (legendären) Gründung der Stadt Rom, auf die sich die im Altertum am häufigsten verwendete Zeitrechnung „ab urbe condita“ („varronische“ Zählung genannt) bezieht. Varro ging – wie viele seiner Zeitgenossen – davon aus, dass Troia im Jahr 1193 v. Chr. von den Griechen erobert wurde. Nach seinen eigenen Angaben gelangte er durch die Einführung einer symbolischen Zahl zum Jahr der Stadtgründung: 440 Jahre galten ihm als Zeitspanne für eine Wiedergeburt – den Abstand zwischen Inkarnation und Re-Inkarnation. Dies sei, so schrieb er, die schriftliche Lehre von Astrologen, die Geburtshoroskope stellten. Da er Rom als Wiedergeburt des heldenhaften Troia ansah, gelangte er so zum Jahr 753 vor Beginn der heute verwendeten Zeitrechnung. Darauf basiert die Liste der römischen Konsuln.

Spanien

Über Spanien berichtet Varro, es sei nacheinander von den Iberern, Persern, Phöniziern, Kelten und Karthagern besiedelt worden.[7]

Theologie

Der Kirchenvater Augustinus griff auf Varros Antiquitates rerum humanarum et divinarum in seinem Werk De civitate dei („Über den Gottesstaat“) so oft zurück, dass es aus den Zitaten bei Augustinus von der modernen Philologie teilweise rekonstruiert werden konnte. In diesen Zitaten aus Varros Werk findet sich auch der älteste überlieferte Beleg für den Begriff „Natürliche Theologie“. Ob er der erste war, der den Begriff theologia naturalis benutzt hat, lässt sich nicht sagen. Aber der Begriff ist dank der Überlieferung durch Augustinus geschichtsmächtig geworden.

Varro stützt sich auf stoische Quellen. Er unterscheidet zwischen den von Dichtern geschaffenen Mythen (genus mythicon), der Philosophie (genus physicon) und dem genus civile, der einfachen Religion für das Volk, derer sich die Regierenden zum Wohle des Staats bedienten. Denn obwohl Dichter und Philosophen die ursprüngliche römische Religion verdorben hätten, sollte doch dem Volk die zu komplizierten Überlegungen vorenthalten werden.[8]

Medizinische Kenntnisse

In seinem Werk über die Landwirtschaft empfiehlt Varro, Landhäuser entfernt von Sümpfen anzulegen, in denen animalia quaedam minuta, quae non possunt oculis consequi (= kleine Tierchen, die man nicht mit den Augen wahrnehmen kann) leben, die, durch Mund und Nase aufgenommen, schwere Krankheiten hervorrufen können.[9]

Einzelnachweise

  1. Plinius: Naturalis historia 16,3,7
  2. Quintilian: Institutio Oratoria X.1.95
  3. Varro: De Re Rustica I,1
  4. Geschichte der etymologischen Forschung - Römische Republik[1]
  5. Plinius: Naturalis historia 35,2,11
  6. Von dem Vitruv berichtet ((Marcus Vitruvius Pollio: de Architectura VII 14)).
  7. Plinius, Naturalis Historia III, I, 8
  8. Wolfgang Speyer: Das Verhältnis des Augustus zur Religion, in: ders.: Frühes Christentum im antiken Strahlungsfeld, 2001, S. 416-419
  9. Varro: De Re Rustica I 12

Literatur

Werke

  • Rerum Rusticarum de Agri Cultura - M. Terentius Varro / D. Flach (Übers.): Über die Landwirtschaft (Texte zur Forschung) Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006 ISBN 978-3534190690
  • De lingua latina Bd. 5–10 - Varro, De lingua Latina, Buch VIII / erkl. von Hellfried Dahlmann, 1940 (Neuauflage 2003) ISBN 3-615-15850-4
  • Saturarum Menippearum fragmenta - M. Terentius Varro. / Ed. Raymond Astbury, Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana 2002, ISBN 3-598-71236-7

Sekundärliteratur

  • Albrecht, Michael von: Geschichte der römischen Literatur. 2. Auflage, Bern u. a. 1994, S. 472–490
  • Wolfram Ax, Marcus Terentius Varro Reatinus (116–27 v.Chr.), in: Wolfram Ax (Hrsg.), Lateinische Lehrer Europas. Fünfzehn Portraits von Varro bis Erasmus von Rotterdam, Böhlau:Köln 2005, 1–21
  • Burkhart Cardauns: Marcus Terentius Varro. Einführung in sein Werk, 2001, ISBN 978-3825312695

Weblinks


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