Talayotikum

Talayotikum
Sa Cova de sa Nineta bei Son Serra de Marina

Die Talayot-Kultur war eine prähistorische Kultur zwischen dem 13. und 2. Jahrhundert v. Chr. auf den Balearischen Inseln im westlichen Mittelmeer. Sie ist durch die zahlreichen Reste der namengebenden Turmbauten, der Talayots, vor allem auf Mallorca bekannt. Nach ihr wurde eine ganze Kultur-Epoche der Inseln benannt, das Talayotikum.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Name und Vorkommen

Megalithkulturen in Europa

Bei der Talayot-Kultur handelt es sich um eine Megalithkultur zwischen dem Ende der Bronze- und dem Beginn der Eisenzeit, gekennzeichnet durch Turm- und andere Bauten in Großstein-Bauweise. Der Name talaiot (katalanisch) sowie talayot (kastilisch) ist vom katalanischen Wort talaia für „Beobachtungs- und Wachturm“ abgeleitet, das seinen Ursprung im arabischen atalaji für „Wache“ hat.[1][2] Der Archäologe Joan Ramis aus Menorca prägte daraus den Begriff der „talayotischen Kultur“.

Auf Mallorca werden ihre vereinzelt anzutreffenden größeren Siedlungen auch Clapers de gegants (Steingelände der Riesen) genannt. Auf Menorca sind dagegen die klassischen Talayots, wie sie Mallorca kennt (rund bzw. quadratisch), relativ selten oder durch Abtragung der Steine bereits stark zerfallen (Torre d’en Galmés). Auf den Pityuseninseln Ibiza und Formentera wurden bisher keine Talayots gefunden.

Ähnliche Bauwerke entstanden im Zeitalter des Talayotikum auch auf Korsika, Sardinien und Pantelleria. Einige Forscher nehmen deshalb eine Verbindung zwischen den damaligen Kulturen des westlichen Mittelmeeres an. Die These, dass die Talayot-Kultur mit der Ankunft anderer Völker aus dem östlichen Mittelmeer auf Mallorca und Menorca entstand, die mit veränderten Bauformen und einem neuen Sozial- und Wirtschaftssystem den letzten Abschnitt der dortigen Vorgeschichte einleiteten, ist heute widerlegt. Bei der Kultur des Talayotikum handelt es sich um eine weitestgehend eigenständige, nachvollziehbare Entwicklung der Balearischen Inseln, wobei Verbindungen zu anderen Kulturen nicht ausgeschlossen sind.

Chronologie

Das Zeitalter der Talayot-Kultur wird in vier Abschnitte eingeteilt (Talayotikum I bis IV), die den Zeitraum von 1300 v. Chr. bis zur römischen Eroberung 123 v. Chr. umfassen, wobei die ersten beiden bzw. die letzten beiden dieser Zeitabschnitte zueinander geringere Unterschiede aufweisen. Die Talayot-Kultur ist jedoch keine plötzlich entstandene Kultur, sondern hatte ihre Vorläufer, die als Vor-Talayotikum bezeichnet werden. Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht der heute bekannten historischen Abschnitte der Kulturentwicklung der Inseln bis zur Romanisierung der Balearen.

Kulturabschnitt Handwerk und Bauten Zeit Synchronismus
Vorkeramische Zeit Bearbeitete Feuersteine und Knochen
4000 – 2000 v. Chr.
Sumerische Kultur,
Pyramidenbau in Ägypten
Archaisches
Vor-Talayotikum
Ungravierte- und Gravur-Keramik;
Wohn- und Grabstätten in natürlichen Höhlen
2000 – 1800 v. Chr.
Frühe Bronzezeit in Europa,
Altpalastzeit auf Kreta
Höhepunkt des
Vor-Talayotikum
Bronzewerkzeuge, Götzensteine; erste Hütten,
Grabstätten auch in künstlichen Höhlen (Cuevas)
1800 – 1500 v. Chr.
Hyksos in Ägypten,
Mykenische Kultur
Ende des
Vor-Talayotikum
Bronzene Pfeilspitzen, „Talischer Götze“;
Wohnstätten in megalithischen Navetas
1500 – 1300 v. Chr.
Iberische El-Argar-Kultur,
Mittlere Bronzezeit in Europa
Talayotikum I Bronzene Schwerter und andere Waffen;
Einzeln stehende Talayots, unterirdische Gräber
1300 – 1000 v. Chr.
Neues Reich in Ägypten,
Hethitisches Großreich
Talayotikum II Ummauerte Einfriedungen entstehen
1000 – 800 v. Chr.
Späte Bronzezeit in Europa,
Phönizische Expansion
Talayotikum III Stieranbetung, Feuerbestattung; Hypostylos-Säle,
angebaute Räume mit rechteckigem Grundriss
800 – 500 v. Chr.
Hallstatt-Kultur,
Archaisches Griechenland
Talayotikum IV Akkulturation, Nachbildung keramischer Formen,
Bestattung in Fötus-Position (in Kalk); Sanktuarien
500 – 123 v. Chr.
Handelsrepublik Karthago,
La-Tène-Kultur

Die Zeit des Talayotikum I, beginnend um 1300 v. Chr., ist gekennzeichnet durch das Aufkommen unterirdischer Grabstätten und einzelstehender Türme in besagter Megalith-Bauweise, der sogenannten Zyklopen-Technik. Im Talayotikum II, ab ca. 1000 v. Chr., kamen ummauerte Einfriedungen der Siedlungen hinzu. Aus diesen beiden Abschnitten der ersten Periode der Talayot-Kultur bis etwa 800 v. Chr. sind Fundstücke aus gewöhnlicher Keramik, Begräbnis-Keramik, Bronze-Waffen und -Werkzeuge und bearbeitete Knochen bekannt.

Talayotische Keramik

Im Abschnitt des Talayotikum III kam es bereits zu Kontakten mit seefahrenden Kulturen von außerhalb der Balearischen Inseln, so den Griechen und Phöniziern, danach den Karthagern. In den Bodenschichten, die den Jahren nach 800 v. Chr. zugerechnet werden, fand man zusätzlich zu Keramiken und Figuren aus Bronze auch Gegenstände aus Blei und Eisen. Verschiedene Fundstücke lassen auf einen beginnenden Handel mit den Karthagern schließen, die um 654 v. Chr. eine Handelsniederlassung auf Ibiza, Ebusim (Ibis), gründeten. Die Siedlungen erhielten in dieser Zeit Anbauten mit rechteckigem Grundriss sowie Hypostylos-Säle (Säulensäle) und durch Ausgrabungen kann auf einen Stierkult mit Feuerbestattung geschlossen werden.

Im Talayotikum IV ab etwa 500 v. Chr. ging man zur Bestattungsform in Fötusstellung (in Kalk) über. Baulich entstanden Heiligtümer (Sanktuarien) und bei den Keramiken kamen Nachbildungen karthagisch/phönizischer und römischer Formen auf, was als Akkulturation bezeichnet wird. Die offensive Bewaffnung (Schwerter, Messer, Lanzenspitzen) sowie die Vielfalt der Werkzeuge nahm an Bedeutung zu. Der Einfluss anderer mittelländischer Zivilisation führte zu einer allmählichen Veränderung der einheimischen Kultur, was nicht nur an den Fundstücken damaliger Haushaltsgeräte, sondern auch der spirituellen und künstlerischen Werke deutlich wird, wie zum Beispiel Helden- und Krieger-Ikonen (kleinen Statuen, bekannt unter dem Namen „Mars Balearicus“).[1]

Bauarten und Entwicklung

Das charakteristische Element des Zeitabschnitts des Talayotikum ist der Talayot, ein dickwandiger Turm mit zentraler Kammer. Auch hier, und dies widerspricht der Fremdbeeinflussung durch eine bronzezeitliche Hochkultur, wird mit der Zyklopen-Technik die archaischste aller Formen der Steinarchitektur benutzt. Der Vorläufer des Talayot ist die besonders auf Menorca gut erhaltene Naveta (navetes) mit der Bauform eines umgestülpten Schiffes. Ihr ging als Kultbau die Cueva voraus, eine aus dem Felsen gearbeitete künstliche Höhle.

Der Grundriss des mallorquinischen Talayot war zunächst rund und wurde in einer späteren Phase viereckig, hatte aber stets einen ebenerdigen Zugang. Innerhalb dieser baulichen Einheit gab es jedoch Varianten, die vor allem Menorca betreffen. Hier gibt es vielfach keine Räume in den Taloyots. Die Nutzung der oberen Plattform stellt den baulichen Zweck dar. Sicher ist auf Grund der Fundsachen und deren Analyse, dass die talayotischen Häuser mit runder Grundfläche besonders zwischen dem 4. und dem 2. Jahrhundert v. Chr. intensiv zum Wohnaufenthalt genutzt wurden.

Die einzige Kammer pro Etage wurde ansonsten mit Steinplatten bedeckt, die auf den Seitenwänden und einer aus Quadern gestapelten Mittelsäule ruhten. Die zweite Generation der Talayots mit viereckigem Grundriss hatte mehrere, inzwischen allerdings weitgehend abgetragene Etagen, so dass deren ursprüngliche Höhe unbekannt ist. Da Talayots oft hochgelegen platziert wurden, waren sie auch als Beobachtungstürme nutzbar.

Im ersten Jahrtausend v. Chr. kamen rundovale Einfriedungen aus Steinquadern auf, die manche Komplexe umschlossen. Dieser Wall wurde um vorhandene alte Talayots angelegt. Beispiele hierfür sind Capocorb Vell im Gebiet von Llucmajor, S’Illot bei Sant Llorenç des Cardassar, Ses Païsses bei Artà und Es Rossels im Gebiet von Felanitx. Daneben tauchen speziell auf Menorca neue Architekturelemente auf. Säulen und Pilaster fügen sich hier zu regelrechten Hypostyloi, die auf Menorca oft im Umfeld der Talayots eine eigene in die Erde gebaute Gattung darstellen und unter Umständen als Vorgänger der menorquinischen Taulen (Torralba d’en Salord) anzusehen sind. Die Menorquiner errichteten aber auch einige Steinkisten wie bei Alcaidús, Binidalinet, Montplè, Ses Roques Llises, Son Ferragut Nou und Son Ermità.

Die Bautechniken der Torre-Kultur auf Korsika, der Sesioten auf Pantelleria und der Nuragher auf Sardinien sind zum Teil älter, aber weitgehend vergleichbar mit der der Talayots.

Prähistorische Fundorte

von denen mehr als 1000 katalogisiert sind.

Mallorca (nach Regionen)

Talayot de na Pol
S'Hospitalet Vell
Poblat Talaiòtic de S’Illot

Palma

Cas Quitxero, Es Rafal, Son Sunyer

Es Plà

Campanari des Moros, Cas Canar, Es Baulenes, Es Figuera de Son Real, Es Pou Celat, Es Pujolet, Es Racons, Es Turassot, Es Velar de Maria, Necròpolis de Son Real, S’Illot des Porros, Son Bauló de Dalt, Son Coll Nou, Son Corró, Son Ferragut, Son Fornés, Son Fred, Son Homar, Son Marí, Son Perera Vell, Son Pou Vell, Son Serra de Marina, Son Vispó

Llevant

Belver Ric, Ca n’Amer, Can Blai, Canyamel, Es Boc Vell, Llucamar, Na Pol, Na Gatera, Poblat Talaiòtic de S’Illot, Pula, Sa Canova de Morell, Sa Gruta, Ses Païsses, S’Heretat, S’Hospitalet Vell, Son Peretó

Migjorn

Capocorb Vell (Capocorb d’en Jaquetó), Es Antigors, Es Pedregar, Es Rossells, Es Velar de Son Herevet, Sa Talaia Grossa, Ses Talaies de Can Jordi, Son Danús Vell, Son Noguera

Raiguer

Es Picó, Can Peladet, Fideïcomis, S’Alcadena, S’Ermita, Son Sastre, Son Simó

Serra de Tramuntana

Alemany, Almallutx, Can Daniel Gran, Coma-sema, Coves de Sant Vicenç, Es Pujol, Les Arenes de Formentor, Llenaire, Pedret, Sa Roca Roja, Ses Casotes, Son Ferrandell, Son Gallard, Son Mas, Son Oleza, Son Puig, Son Serralta

Menorca

Agusti Vell, Binicodrell, Naveta des Tudons, Rafal Rubi, Santa Mónica, Son Catlar, Talati de Dalt, Torre d’en Galmés, Torralba d’en Salord, Torretrecada, Torrellafuda.

Literatur

Zwischen 1869 und 1891 erschien in Leipzig ein neunbändiges Monumentalwerk des berühmten Reisenden Erzherzog Ludwig Salvator (span. Lluis Salvador). Es ist heute noch ein zuverlässiges und genaues Zeugnis jener Epoche.

  • Ludwig Salvator: Die Balearen. Geschildert in Wort und Bild. 9 Bde. F.A.Brockhaus, Leipzig 1869-1891, MacMedia, Palma di Mallorca 2002 (Repr.). ISBN 84-93246-91-3 (online bei EROMM)
  • J. Aramburu, C. Garrido, V. Sastre: Guia arqueologica de Mallorca. Palma di Mallorca 1995, 1998. ISBN 8476512279 (spanisch)

Belege

  1. a b Jaume Alzina Mestre, Miquel Pastor Tous, Jaume Sureda Negre: Die Talayot Siedlung Ses Païsses, Ajuntament d’Artà. ISBN 84-606-2221-5
  2. Heide Wetzel-Zollmann, Wolfgang Wetzel: Mallorca - Ein Streifzug durch die 6000jährige Geschichte der Mittelmeerinsel, Verlag Herder, Seite 14, ISBN 3-451-22311-2

Weblinks


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