Synkope (Medizin)

Synkope (Medizin)
Klassifikation nach ICD-10
R55 Synkope und Kollaps

Blackout
Ohnmacht

ICD-10 online (WHO-Version 2011)

In der Medizin ist eine Synkope (umgangssprachlich auch als Kreislaufkollaps bezeichnet) eine plötzlich einsetzende, kurz andauernde Bewusstlosigkeit, die mit einem Verlust der Haltungskontrolle einhergeht und ohne besondere Behandlung spontan wieder aufhört.[1][2] Sie ist durch eine vorübergehende Minderdurchblutung des Gehirns charakterisiert und wird nach ihrer Ursache in neural vermittelte (vasovagal), kreislaufbedingte (orthostatische), vom Herzen ausgehende (kardiogene) oder durch Hirndurchblutungsstörungen bedingte (cerebro-vaskuläre) Synkopen eingeteilt.[3]

Die Synkope kann verwechselt werden mit Bewusstseinstörungen neurologischer (Krampfanfall) oder psychogener Ursache sowie Stoffwechselentgleisungen (z. B. Unterzuckerung (Hypoglykämie)). Die verschiedenen Ursachen machen meist eine breite Diagnostik nötig. Die Therapie richtet sich nach der Ursache.

Inhaltsverzeichnis

Physiologie

Die dauerhafte ausreichende Versorgung des Gehirns mit Blut in jeder Körperhaltung, auch bei plötzlichem Lagewechsel, wird durch mehrere Mechanismen gewährleistet. Zum einen passen sich die Gefäße, vor allem der Beine, dadurch an, dass sich ihre Muskulatur zusammenzieht und sich so ihr Fassungsvermögen vermindert. Hierdurch verhindert der Körper, dass das Blut in die Beine versackt, die sogenannte Vorlast des Herzens erhöht sich, wodurch es die Möglichkeit hat, den Blutdruck konstant zu halten bzw. leicht anzuheben und den veränderten Bedingungen anzupassen. Ein weiterer Regulationsmechanismus ist der Anstieg der Herzfrequenz, um über diese vermehrte Arbeit die Durchblutung aufrechtzuerhalten.

Einen wichtigen Steuerungspunkt stellt hier ein kleiner Bereich in der Halsschlagader, der Carotis-Sinus dar. Hier wird kontinuierlich der Blutdruck als Maß für die Hirndurchblutung gemessen. Über das vegetative Nervensystem regelt der Körper dann über den Gefäßwiderstand und die Herzfrequenz den Blutdruck.

Ursachen und Einteilung

Zirkulatorische Ursachen

Orthostatische Synkope

Im Rahmen des Wechsels von einer liegenden, sitzenden oder knienden in eine aufrechte Position (Orthostase) verlagert sich das Blut in die tieferen Körperpartien. Bei mangelhafter Gegenregulation des vegetativen Nervensystems versackt bis zu einem Viertel des Blutes in den Venen der unteren Körperhälfte (venöses Pooling).[1] Mitverantwortlich für eine nicht ausreichende Gegenregulation kann ein Flüssigkeitsmangel sein.[3] Häufig bestehen Krampfadern (Varikosis). Bei Diabetikern kann es im Rahmen der diabetischen Neuropathie zu einer Beeinflussung der autonomen Nerven und neben anderen Beschwerden auch zu einer Fehlregulation der Gefäße bei Orthostase-Belastung kommen.

Neural vermittelte Synkope

Anschauliche Darstellung einer vasovagalen Synkope: Durch Weitstellung der Blutgefäße sackt das Blut nach unten, der Kopf wird nicht ausreichend mit Blut versorgt (oben). Nach dem Umfallen liegt der Patient waagerecht und der Kopf wird wieder mit Blut versorgt (unten).

Bei der neurokardiogenen oder auch vasovagalen Synkope (von vasum = Gefäß und Nervus vagus) werden, durch einen Reflex vermittelt, die Blutgefäße erweitert (Vasodilatation) sowie die Herzfrequenz verringert (Bradykardie). Dabei ist der jeweilige Anteil dieser beiden Faktoren am daraus resultierenden Absinken des Blutdrucks und der verminderten Durchblutung des Gehirns von Patient zu Patient sehr unterschiedlich.[3] Als auslösende Faktoren kommen emotionaler oder kreislaufbedingter (orthostatischer) Stress (langes, unbewegtes Stehen) in Frage, im Weiteren aber auch Schreck, Schmerz, Lärm, Kälte, banale Blutung.

Eine Untergruppe sind Pressorische Synkopen bei Urin- oder Stuhlentleerung, Husten oder Valsalva-Versuch (insbesondere nach Hyperventilation).

Eine Sonderform ist ein übermäßig sensibler Carotis-Sinus im Rahmen eines Karotissinus-Syndroms. Hier kann ein mechanischer Druck oder auch nur eine Kopfwendung zum Absinken der Herzfrequenz und oder des Blutdrucks führen. Wird im Rahmen eines Karotis-Druck-Versuchs eine anhaltende Pause von mindestens drei Sekunden im EKG nachgewiesen, kann ein AAI-Herzschrittmacher implantiert werden.

Weitere zirkulatorische Ursachen

  • Medikamentös kann eine Synkope durch herzfrequenz- und blutdrucksenkende Medikamente ausgelöst werden.
  • Bei Schwangeren kann im Rahmen eines Vena-cava-Kompressionssyndroms im Liegen der Rückfluss von Blut zum Herzen vermindert sein. Durch mangelnde Füllung des Herzens kann dies mit Bewusstlosigkeit einhergehen.
  • Bei älteren Menschen kann ein venöses Pooling in den Darmgefäßen nach einem reichhaltigen Mahl zur postprandialen Synkope führen.

Kardiale Synkope

Schema des menschlichen Herzens

Bei den vom Herzen herrührenden Synkopen kann nochmals unterteilt werden. Hierunter fallen solche Anfälle, die durch einen gestörten Rhythmus des Herzschlages (Arrhythmie) verursacht werden. Dabei kann sowohl eine zu niedrige wie auch eine zu hohe Pumpfrequenz zu einer Verringerung des Auswurfvolumens des Herzen führen.

Der zweiten Untergruppe liegt die Unfähigkeit des Herzens zugrunde, ausreichend Blut auszuwerfen (Low-Output-Syndrom). Bei einer Einengung oder Verlegung der Lungenstrombahn (Lungenembolie, Pulmonalstenose) kann die rechte Herzkammer kein Blut in die Lunge pumpen und bei Einengung der linksventrikulären Ausflussbahn (Hypertrophe Kardiomyopathie, Aortenstenose) kann das linke Herz kein Blut in den Körper auswerfen. Beide Herzhälften können im Rahmen eines Herzinfarktes im Sinne eines Pumpversagens betroffen sein. Dies liegt auch vor, wenn das Herz sich im Herzbeutel wegen eines Ergusses (Perikardtamponade) nicht ausdehnen kann.[4]

Cerebrovaskuläre Synkope

In seltenen Fällen kann eine Minderdurchblutung des Gehirns auch durch ein sogenanntes Anzapfphänomen verursacht werden. Dabei kommt es insbesondere bei vermehrter Muskelarbeit zu einer Umverteilung von Blut aus dem Gehirn in einen Arm, wenn eine Verengung (Stenose) der Armarterie (Arteria subclavia) noch vor dem Abgang der Arteria vertebralis vorliegt (Subclavian-Steal-Syndrom).

Epidemiologie

Mit bis zu einem Fünftel betroffener Kinder und Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr stellt eine Synkope schon im Kindesalter ein sehr häufiges Symptom dar.[1] Jährlich erleiden immerhin 6 % aller älteren Menschen eine Synkope. Hierunter sind die neural vermittelten Synkopen mit etwa zwei Dritteln mit Abstand am häufigsten vertreten, gefolgt von den kreislaufbedingten (10 %) und durch Herzrhythmusstörungen (11 %) verursachte Ohnmachtsanfälle. Strukturelle Herzmuskelveränderungen sind demgegenüber mit etwa 5 % ungefähr genauso selten wie nicht-synkopale anfallsartige Bewusstseinsstörungen (6 %).[3]

Diagnose

Der Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) kommt in der Abklärung von Synkopen eine besondere Bedeutung zu. Der Untersucher muss die Begleitumstände der Ohnmacht (längeres Stehen, Lagewechsel), eventuelle Auslöser und mögliche Vorläufersymptome (Prodromi) wie Schwindel, Augenflimmern, Schweißausbruch oder Übelkeit erfragen. Weitere wichtige Informationen, wie die Dauer der Bewusstlosigkeit, mögliche Zuckungen des Patienten währenddessen oder gegebenenfalls eine längerdauernde Verwirrtheit nach Wiedererlangen des Bewusstseins kann er nur von Zeugen des Geschehens erhalten (Fremdanamnese). Ein vermehrter Harndrang nach dem Ereignis deutet auf ein rhythmogenes Ereignis hin (Ausschüttung von Atrialem natriuretischem Peptid (ANP) durch Vorhofdehnung).

Neben der körperlichen Untersuchung gehört zur grundlegenden technischen Diagnostik eine Blutdruckmessung im Liegen und Stehen, eine Langzeit-Blutdruckmessung sowie eine Kipptischuntersuchung wenn möglich, alternativ ein Schellong-Test. Zur Abklärung von Rhythmusstörungen gehört ein Ruhe- und Langzeit-EKG sowie evtl. auch ein Belastungs-EKG. Im Weiteren sollte ein Herzultraschall durchgeführt werden. Laboruntersuchungen dienen vor allem dem Nachweis von Stoffwechselentgleisungen oder auch einer Blutarmut (Anämie).[1]

Bei Verdacht auf ein Karotis-Sinus-Syndrom sollte eine Doppler-Ultraschalluntersuchung der Halsschlagader durchgeführt werden. Eine Herzkatheteruntersuchung ist nur bei Verdacht auf eine strukturelle Herzerkrankung in den vorangegangenen Untersuchungen notwendig. Mögliche nicht-synkopale Bewusstseinstörungen können gegebenenfalls durch die Ableitung eines Elektroenzephalogramms, und Schichtbilduntersuchungen des Gehirns mit Computertomografie oder Magnetresonanztomografie gefunden werden.[3]

Differenzialdiagnose

Von den eigentlichen Synkopen sind anfallsartige vorübergehende Bewusstseinstörungen, die nicht durch eine zeitweise Minderdurchblutung des Gehirns hervorgerufen werden, abzugrenzen. Dazu gehören unter den neurologischen Ursachen epileptische Anfälle, Hirnblutungen oder akute Gefäßverschlüsse im Zentralnervensystem (Schlaganfall). Bei den psychischen Ursachen zählen hierzu Hyperventilation zum Beispiel im Rahmen von Panikattacken oder Konversionssymptome. Stoffwechselentgleisungen sind beispielsweise Unterzuckerungen oder Entgleisungen der Salzkonzentrationen im Blut sowie Vergiftungen. Auch einfache Stürze oder eine Kataplexie, die gar nicht mit einem Bewusstseinsverlust einhergehen, können als Synkopen fehlgedeutet werden.[3]

Therapie und Prophylaxe

Schocklagerung

In der Akutsituation sollte der Patient mit dem Oberkörper tief gelagert und die Beine angehoben werden. Hierdurch wird der Blutrückfluss zum Gehirn erleichtert und der Patient sollte zügig wieder aufklaren. Eine weitere Behandlung erübrigt sich meist.

Als Prophylaxe für die häufigen vasovagalen Synkopen werden in erster Linie Allgemeinmaßnahmen wie Wechselduschen, regelmäßiger Ausdauersport und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr empfohlen.[1] Ebenfalls belegt ist die Wirksamkeit eines Stehtrainings, möglichst standardisiert als sogenanntes Kipptisch-Training. Hierbei ist allerdings auf längere Sicht die Mitarbeit der Patienten oft nicht ausreichend.

Falls der Patient Warnsymptome einer drohenden Synkope bemerkt, können auch verschiedene isometrische Übungen wie Ineinandergreifen der Hände und Auseinanderziehen der Arme oder Überkreuzen der Beine und Anspannen der Muskulatur eine Bewusstlosigkeit verhindern oder zumindest hinauszögern.[3] Notfalls soll der Patient sich an Ort und Stelle auf den Boden setzen. Das Tragen von Kompressionsstrümpfen ist sinnvoll, insbesondere bei gleichzeitig vorhandenen Krampfadern. Demgegenüber haben Medikamente ihre Wirksamkeit in Placebo-kontrollierten Studien nicht nachweisen können. Dies gilt sowohl für Betablocker wie auch für die häufig eingesetzten gefäßverengenden α-Agonisten.

Bei eher durch orthostatische Belastung verursachten Synkopen sollten zunächst andere Medikamente, die eine Verringerung des Blutdrucks bewirken, möglichst abgesetzt werden. Bei diesen Patienten kann neben einer Erhöhung des Füllungsvolumens der Blutgefäße durch eine erhöhte Salz- und Flüssigkeitszufuhr auch eine medikamentöse Behandlung mit dem Mineralokortikoid Fludrokortison erwogen werden. Zusätzlich reduzieren Kompressionsstrümpfe den Blutdruckabfall in der aufrechten Position.

Liegt schließlich als Ursache eine Störung der Herzfunktion vor, muss diese selbstverständlich behandelt werden. Je nach zugrundeliegender Rhythmusstörung kommen hierzu künstliche Herzschrittmacher, ein implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD) oder eine Katheterablation in Frage. Auch ist die Operation einer Aortenklappenstenose bei stattgehabter Synkope dringend angezeigt, ebenso wie die Katheterablation einer hypertrophischen obstruktiven Kardiomyopathie (HOCM).

Weblinks

 Commons: Ohnmacht – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary Wiktionary: Synkope – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b c d e R. Dalla Pozza: Synkope im Kindes- und Jugendalter. In: Monatsschrift Kinderheilkunde, 2006, 154, S. 583–593.
  2. F. Weissinger, T. Lempert: Ohnmacht. In: B. Schmitz, B. Tettenborn (Hrsg.): Paroxysmale Störungen in der Neurologie. Springer Verlag, Berlin 2005, S. 6.
  3. a b c d e f g M. Brignole: Diagnosis and treatment of syncope.“ In: Heart, 2007, S. 130–136, PMID 17170354.
  4. Herold (Hrsg.) Innere Medizin Köln, 1999.
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