Studentenrat

Studentenrat

Der Studentenrat – auch StudentInnenrat oder Studierendenrat; oft abgekürzt StuRa oder auch SR – ist eine Form der Studierendenvertretung an Hochschulen. Die Bezeichnung ist heute vor allem in Ostdeutschland und in der Schweiz verbreitet, kennzeichnet jedoch aufgrund lokal abweichender Wahl- und Repräsentationsmodelle zum Teil verschiedene Gremien. In der Mehrheit der Fälle entspricht er dem andernorts üblichen Studierendenparlament und wählt zum Beispiel den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA); zuweilen vereint er aber auch noch legislative und exekutive Funktionen auf sich (siehe Ostdeutschland heute).

Inhaltsverzeichnis

Studentenräte in der Geschichte

Der Begriff Studentenrat – im Unterschied zum älteren Studentenausschuss – taucht erstmals während der Novemberrevolution 1918 in Deutschland auf, als sich in Anlehnung an die revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte an mehreren Hochschulen, zum Beispiel in Berlin, Studentenräte bildeten. Diese wurden jedoch alsbald durch gewählte Vertretungen ersetzt, die – spätestens seit dem Würzburger Studententag 1919 – wieder die traditionelle Bezeichnung Allgemeiner Studentenausschuss annahmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Begriff Studentenrat vor allem an den Hochschulen der sowjetischen Besatzungszone wieder für einige Jahre gebräuchlich. Allerdings hatte der abweichende Name seinerzeit keinerlei tiefere Bedeutung, da sich die ostdeutschen Studentenräte ebenso wie die westdeutschen Studentenausschüsse aus direkt gewählten Fakultätsvertretern zusammensetzten. Im Zuge der „sozialistischen Umgestaltung“ des ostdeutschen Hochschulwesens wurden die Studentenräte jedoch Anfang der fünfziger Jahre aufgelöst und durch die Hochschulgruppenleitungen der DDR-Staatsjugend Freie Deutsche Jugend ersetzt.

In der Wendezeit (1989/1990) lebte der Begriff dann erneut auf, als die Studierenden vieler ostdeutscher Hochschulen in Urabstimmungen die Abdankung der FDJ-Leitungen erzwangen und an ihrer Stelle wieder Studentenräte als Interessenvertretung wählten. Diese bildeten zeitweilig eine DDR-weite Konferenz der Studentenschaften (KdS), die auch nach dem Beitritt zur Bundesrepublik noch weiterbestand und ihre Arbeit erst 1993 einstellte.

Ostdeutschland heute

Auch heute trägt an vielen ostdeutschen Hochschulen – in Sachsen und Sachsen-Anhalt sogar in den jeweiligen Hochschulgesetzen verankert – das zentrale Wahlgremium der Studentenschaft die Bezeichnung Studentenrat. Oft vereint er dort legislative und exekutive Funktionen auf sich, ist also Studierendenparlament und AStA zugleich. Wie letztere auch, bilden die meisten StuRä aus ihrer Mitte Referate für bestimmte Aufgabengebiete sowie einen geschäftsführenden Ausschuss, den SprecherInnenrat[1], der dann dem AStA an anderen Hochschulen entspricht.

Im „klassischen“ Modell ist der Studentenrat aus Vertretern der Fachschaften zusammengesetzt; dort gibt es also keine gesonderte (hochschulweite) StuRa-Wahl. In Sachsen ist dieser Aufbau sogar durch Landesgesetz (§ 26 SächsHSG, vor dem 1. Januar 2009 § 76 SächsHG) vorgesehen. In anderen Bundesländern (zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern) gibt es inzwischen aber auch Studentenräte, die analog zu den „westdeutschen“ Studentenparlamenten aus hochschulweiten Wahlen hervorgehen. Allerdings ist an vielen ostdeutschen Hochschulen bis heute das Mehrheitswahlsystem verbreitet, bei dem an Stelle konkurrierender Listen lediglich Einzelkandidaten zur Wahl stehen. Auch existieren häufig Wahlkreise und Mindestquoten für bestimmte Fächer oder Fakultäten.

Aufgrund ihrer Entstehung in Opposition zur „politischen“ FDJ betonten die StuRä besonders in der Anfangszeit ihren Charakter als „rein studentische“ Interessenvertretung. Als solche wollten sie sich vor allem hochschul- und studienbezogen äußern und die Studierenden gegenüber der Hochschule und dem Staat vertreten. Ein in diesem Zusammenhang bedeutsames, konstitutives Element der Studentenräte bildete das imperative Mandat, das aber durch die geltenden Landesgesetze inzwischen nicht mehr zulässig ist. Unter Berufung auf rätedemokratische Vorstellungen wird das StuRa-Modell von seinen Vertretern zum Teil bis heute auch als Alternativentwurf zum parlamentarischen System angesehen.

Vornehmlich westdeutsche Kritiker hielten dem StuRa-System lange Zeit entgegen, dass es politisches Denken und Handeln in effektiven Kategorien behindere und darüber hinaus seine Aufgaben unter einem verengten, interessenvertretungspolitischen oder ständischen Ansatz wahrnehme. Auch wird die fehlende Gewaltenteilung, d.h. die mangelnde Kontrollmöglichkeit durch ein zweites Gremium beklagt. Da jedoch auch die traditionell stärker politisierten Studentenparlamente in Westdeutschland ausweislich der Wahlbeteiligungen seit Jahren unter Akzeptanzproblemen leiden, nehmen neuere Überlegungen innerhalb der Studierendenschaft, zum Beispiel an den Universitäten Mainz und Hannover, Anregungen aus dem StuRa-System auf und entwickeln diese in Richtung eines Zweikammersystems weiter, in dem Fachschaftsinteressen und -kompetenzen stärker zur Geltung kommen sollen.

Studentenräte in Westdeutschland

Vereinzelt gab und gibt es auch an westdeutschen Hochschulen die Bezeichnung Studentenrat. So hieß zum Beispiel das Studentenparlament der Universität Göttingen mindestens bis in die sechziger Jahre hinein Studentenrat. In Bremen wird das legislative Wahlgremium der Studentenschaft auch heute noch im Hochschulgesetz als Studentenrat bezeichnet (§ 45 BremHG).

Studentenräte in der Schweiz

Auch in der Schweiz gibt es an den Universitäten Basel, Bern, Freiburg, Luzern und Zürich Studierenden- bzw. StudentInnenräte. Diese sind dort in der Regel das gewählte Legislativorgan der jeweiligen Studentenschaft und insofern grundsätzlich den deutschen Studentenparlamenten vergleichbar. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht lediglich der StuRa der Universität Zürich dar, weil hier seit 1978 keine öffentlich-rechtlich verfasste Studierendenschaft mit eigener Beitragshoheit mehr besteht. Zwar ist der StuRa weiterhin als offizielle Studierendenvertretung im Universitätsgesetz verankert und entsendet beispielsweise studentische Vertreter in gesamtuniversitäre Gremien, verfügt aber über kein eigenes Budget mehr.

Anmerkungen

  1. An der Humboldt-Universität zu Berlin nennt sich der SprecherInnenrat ReferentInnenrat (mit dem Zusatz gesetzl. AStA). Außerdem gibt es dort zwei Fachschafträte (ev. Theologie und Wirtschaftswissenschaften), die sich selbst als Studierendenrat (ebenfalls mit dem Zusatz gesetzl. Fachschaftrat) bezeichnen.

Literatur

  • Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZDDR 1945 bis 1961, Ch. Links Verlag Berlin 2003, ISBN 3-86153-296-4.
  • Peer Pasternack: Die StuRa-StoRy. Studentische Interessenvertretung in Ostdeutschland seit 1989, in: Peer Pasternack/Thomas Neie (Hg.), stud. ost 1989-1999. Wandel von Lebenswelt und Engagement der Studierenden in Ostdeutschland, Akademische Verlagsanstalt, Leipzig 2000, S. 28-53, ISBN 3-931982-21-1.
  • Uwe Rohwedder: Am Ende des Sonderwegs? Anmerkungen zu zehn Jahren Studierendenpolitik in Ostdeutschland, in: Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen (Hg.), Studierendenpolitik seit der Wiedervereinigung, Berlin 2000.
  • Malte Sieber/Ronald Freytag: Kinder des Systems. DDR-Studenten vor, im und nach dem Herbst '89, Morgenbuch Berlin 1993, ISBN 3-371-00363-9.

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