Straßenbahn Nizza

Straßenbahn Nizza
Triebwagen der Straßenbahn Nizza auf Rasengleis.

Seit November 2007 besteht im südfranzösischen Nizza in Form einer zunächst 8,7 km langen Linie wieder eine Straßenbahn (franz. Tramway de Nice), nachdem der innerstädtische Nahverkehr seit der bis 1953 erfolgten Stilllegung des ersten Straßenbahnnetzes überwiegend mit Bussen abgewickelt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Tramway de Nice et du Littoral (1879–1953)

Die historische Straßenbahn in Nizza.

Die erste Straßenbahn in Nizza fuhr 1879 in Form einer Pferdestraßenbahn. 1900 begann die Elektrifizierung, welche 1910 abgeschlossen werden konnte. Bis 1906 entstand ein Netz, das sich weit über die Stadtgrenzen hinaus ins Umland erstreckte. 1921 waren 11 Linien mit einer Spurweite von 1000 Millimeter in Betrieb, von denen einige auch dem Güterverkehr dienten. So gab es beispielsweise die Küstenlinie, die Cagnes-sur-Mer über Nizza mit Monaco und Menton verband. In Cagnes-sur-Mer war ein Umsteigen zur Straßenbahn Cannes möglich.

1927 wurde mit 27 Millionen Fahrgästen die höchste Beförderungsleistung erreicht.[1] Zwei Jahre später wurden die ersten Linien aufgegeben, es blieb aber immer noch ein 150 Kilometer langes Streckennetz übrig. Die außerstädtischen Strecken wurden 1934 vollständig stillgelegt. 1939 waren noch vier innerstädtische Linien in Betrieb. Während des Zweiten Weltkrieges wurden wegen Busmangels zwei Teilstrecken reaktiviert. Die endgültige Außerbetriebsetzung erfolgte am 10. Januar 1953.

Die neue Straßenbahn (ab 2007)

Der Gemeinderat von Nizza legte im April 2000 die Linienführung der ersten neuen Straßenbahnlinie fest und entschied sich zugleich für ein konventionelles, auf Stahlrädern verkehrendes Straßenbahnsystem.[2] Als Alternative war eine Straßenbahn auf Gummirädern angedacht gewesen. Zwischen 1986 und 1996 wurde auch der Bau einer VAL-Metro untersucht; diese erwies sich allerdings als viermal so teuer wie eine Straßenbahn. Ziele bei der Wiedereinführung der Straßenbahn waren die Begrenzung des motorisierten Individualverkehrs, die Erhöhung der Lebensqualität, die Revitalisierung der Innenstadt sowie stadtgestalterische Gedanken, insbesondere die Bewahrung des architektonischen Erbes der Stadt. Bauvorbereitende Arbeiten begannen im Juli 2003, eigentlicher Baubeginn war im Januar 2005. Am 24. und 25. November 2007 wurde die erste Linie eröffnet, am 26. November 2007 der planmäßige Betrieb aufgenommen.

Bau und Betrieb der Straßenbahn erfolgen im Auftrag des 2002 gegründeten Gemeindeverbunds Communauté d’agglomération de Nice-Côte d’Azur (CANCA). Für die erste Baustufe der Tramway de Nice fielen Kosten von rund 560 Millionen Euro an, die zum Großteil durch die CANCA gedeckt wurden.[3] Triebwagen und Anlagen der Straßenbahn sind im Besitz der CANCA. Betriebsführende Gesellschaft ist mit der Société des Transports de Nice (ST2N) ein Tochterunternehmen des Veolia-Environnement-Konzerns, das auch den Großteil des Stadtbusverkehrs im CANCA-Raum erbringt.

Im Rahmen der Auftragsvergabe an Thales Engineering and Consulting (THEC) wurden Bestechungsvorwürfe laut, die den früheren Chef von THEC, Michel Josserand erst nach seinem Wechsel zum EADS Konzern einholten.[4].

Der Betrieb erfolgt elektrisch mit einer Fahrdrahtspannung von 750 Volt Gleichstrom. Im Gegensatz zum Meterspurnetz der „Tramway de Nice et du Littoral“ ist das neue Netz in Normalspur ausgeführt.

Die Linie 1

Straßenbahn Nizza: Streckenplan der Linie 1

Von der Endhaltestelle „Las Planas“ im Norden Nizzas führt die Linie 1 über das Stade du Ray, die zentrale Einfallstraße Avenue Jean-Médecin, den Hauptbahnhof, zentrale Punkte der Innenstadt wie die Place Masséna und die Place Garibaldi sowie den Campus Saint-Jean-d'Angely der Universität Nizza Sophia-Antipolis nach „Pont Michel“ im Nordosten der Stadt. Mehr als ein Drittel der Wohnungen und Arbeitsplätze der Stadt Nizza liegen im fußläufigen Einzugsgebiet der 21 Stationen der gewählten Route.[5] Die durchgehend zweigleisige Strecke ist insgesamt 8,7 km lang, weitgehend vom übrigen Verkehr getrennt und verwendet teilweise Rasengleis.

Kritisiert wird die fehlende direkte Anbindung des Hauptbahnhofs und des Endbahnhofs der schmalspurigen Chemins de Fer de Provence (CP), die im Interesse einer geradlinigen Linienführung unterblieben war. Zwischen den Bahnhöfen und den jeweiligen Haltestellen sind 200 Meter Fußweg zurückzulegen; teils wird der Bau einer kurzen Stichstrecke zum Bahnhofsvorplatz gefordert.[6]

Der Betriebshof schließt sich an die Endstation „Las Planas“ an. Die enge Bebauung und das topographisch bewegte Gelände erforderten eine ungewöhnliche Lösung, bei der die Zufahrt zum Betriebshof über eine Vollkehre erfolgt, die die Strecke zur Innenstadt überquert.[7] Der Betriebshof wurde mit einem dreigeschossigen Parkhaus überbaut, das − unmittelbar an der Autoroute A8 gelegen − 765 Park-and-ride-Plätze bietet. An zwei weitere Stationen bestehen Park-and-ride-Anlagen mit zusammen 410 Parkplätzen.

Die ursprünglichen Fahrgastschätzungen werden bereits bei der Betriebsaufnahme übertroffen. Im Mai 2008 nutzten täglich 65.000 bis 70.000 anstelle der prognostizierten 55.000 bis 60.000 Personen die werktags alle sechs, spätabends und am Wochenende alle acht bis 15 Minuten verkehrende Straßenbahn.[8]

Fuhrpark

Zwei Triebwagen der Straßenbahn Nizza an der Haltestelle Pont Michel.

Für den Verkehr auf der Linie 1 stehen 28 Gliedertriebzüge des Typs Citadis 302 des Herstellers Alstom zur Verfügung. Diese fünfteiligen, klimatisierten Straßenbahnen haben eine Länge von 33,02 m, eine Breite von 2,65 m und besitzen je 62 Sitz- und 243 Stehplätze (bei angenommenen sechs Personen je m²). Sie haben einen Niederfluranteil von 100%, sind also durchgehend niederflurig, an den Haltestellen ist der Einstieg niveaugleich. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h wird auf der Linie 1 eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 18 km/h erreicht.

Zur Inbetriebnahme der Linie 1 wurden 20 Stück bestellt. Aufgrund der unerwartet hohen Fahrgastzahlen wurden acht weitere Fahrzeuge bestellt, welche ab Juni 2010 ausgeliefert wurden und eine Intervallverdichtung auf der Linie 1 auf 4 Minuten ermöglichen.[9] Diese neueren Züge unterscheiden sich nur in Details von der ersten Serie.

Um die steigenden Fahrgastzahlen weiterhin fassen zu können, wurde beschlossen fünfzehn Fahrzeuge um zwei Module auf 44 m zu verlängern. Damit soll sich die Kapazität um 100 Personen erhöhen. Das erste verlängerte Fahrzeug soll im März 2012 wieder in Betrieb gehen.[10]

Städtebau und Gestaltung

Place Garibaldi – Straßenbahn im Batteriebetrieb.
Skulpturen von Jaume Plensa über der Place Masséna.

Der Bau der ersten Straßenbahnlinie wurde mit der Einführung von Fußgängerzonen verbunden, unter anderem im Bereich der Haltestelle Libération und im Bereich Place Masséna, der seine Funktion als große Verkehrskreuzung verlor.

Eine Besonderheit bietet die Stromversorgung: In den Bereichen Place Masséna und Place Garibaldi wurde auf Länge von 435 beziehungsweise 485 Meter auf die Oberleitung verzichtet, um das historische Stadtbild nicht zu beeinträchtigen und für die hochaufgebauten Wagen des Karnevalsumzugs von Nizza die Durchfahrtshöhe nicht einzuschränken.[11] Zur Überquerung dieser Plätze wird auf Batteriebetrieb umgeschaltet. Die Batterien befinden sich im Dach der Bahnen und werden auf den elektrifizierten Teilstrecken wieder aufgeladen. Die meterspurige Straßenbahn vor 1953 verfügte über Abschnitte mit einer unterirdischen Stromzuführung.[12]

Entlang der 2007 eröffneten Strecke finden sich 14 Kunstwerke von 15 Künstlern; insgesamt investierte die CANCA 3,3 Millionen Euro in die künstlerische Ausgestaltung.[13] Zu den Kunstwerken gehört eine Gruppe von sieben, nachts leuchtende Skulpturen von Jaume Plensa, die in neun Meter Höhe über der Place Masséna installiert wurden. Künstlerisch gestaltet sind auch die Namensschilder der Haltestellen. Diese wurden mit Sinnsprüchen ergänzt, die die Fahrgäste zum Innehalten inspirieren sollen. In den Straßenbahnen wird die Haltestellenansage mit Klangcollagen unterlegt, die je nach Tages- und Jahreszeit wechseln.

Geplante Streckenergänzungen

Weitere Ausbaupläne sehen eine Erweiterung des Netzes insbesondere im Westen und Nordwesten des Großraums Nizza vor:

  • Verlängerung der Linie 1 um 450 Meter bis zur Klinik Pasteur. Die weitere Verlängerung um etwa vier Kilometer bis in die Gemeinde La Trinité im Tal des Paillon-Flusses wurde zugunsten einer zweiten Linie zurückgestellt.[14]
  • Bau einer zweiten Linie mit einer Länge von 15 Kilometer, die den Hafen und die Innenstadt von Nizza über den Stadtteil Saint-Augustin mit Cagnes-sur-Mer verbindet. Zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse im Bereich der geplanten Linie 2 wurden bis Mitte 2006 zwischen Hafen und Saint-Augustin Busspuren mit einer Länge von knapp 10 Kilometer in Betrieb genommen.[15] Die Strecke würde auch über die Promenade des Anglais entlang der Mittelmeerküste führen. Eine von Oberbürgermeister Christian Estrosi eingesetzte Arbeitsgruppe empfahl 2009 den Bau eines 3,6 Kilometer langen Tunnels zwischen Boulevard François Grosso und Place Arson. Der Tunnel solle, so Estrosi, die Erschließung der Innenstadt und die Verknüpfung mit der Linie 2 verbessern.[16]
  • Bau einer dritten Linie, die als Abzweig der Linie 2 vom Stadtviertel Saint-Augustin entlang des östlichen Ufers des Var nach Norden führt. Diese soll zunächst den Bahnhof Nice-Lingostière der Chemins de Fer de Provence (CP) erreichen und perspektivisch als Ergänzung oder Ersatz des bestehenden CP-Vorortverkehrs Richtung Colomars verlängert werden.

Die Linie 2 soll 2016 in Betrieb gehen; als Kosten für die 8,6 Kilometer lange Strecke einschließlich des Tunnels in der Innenstadt werden 450 Millionen Euro genannt.[16] Bis 2020 soll das Straßenbahnnetz eine Länge von 35 Kilometer erreichen und vier Gemeinden miteinander verbinden.

Einzelnachweise

  1. Christoph Groneck: Neue Straßenbahnen in Frankreich. Die Wiederkehr eines urbanen Verkehrsmittels. EK-Verlag, Freiburg 2003, ISBN 3-88255-844-X, S. 159
  2. Zur Planungsgeschichte: Groneck, Neue Straßenbahnen in Frankreich, S. 159; Christoph Groneck: Straßenbahn Nizza in Betrieb. In: Stadtverkehr, 3/2008 (53), S. 11−15; hier S. 12.
  3. „Le Tramway en chiffres“: Darstellung der Finanzierung des Baus der Tramway de Nice auf der offiziellen Website
  4. Un ex-dirigeant dénonce un système de corruption chez Thales (Ein Exmanager deckt systematische Korruption bei Thales auf). In: Le Monde, 26. September 2005
  5. „Les caractéristiques“: Daten zur Linie 1 der Tramway de Nice auf der offiziellen Website
  6. Groneck, Straßenbahn Nizza in Betrieb, S. 14f.
  7. Groneck, Straßenbahn Nizza in Betrieb, S. 13f.
  8. „La ligne 2 du tram: tout de suite, plus tard, jamais ?“: Meldung der Zeitung „Nice Matin“ vom 30. Mai 2008
  9. Le tramway de Nice se dote de 8 nouvelles rames secteurpublic.fr. Aufgerufen am 6. November 2010.
  10. Nice Matin: Tram’: les rames vont être rallongées de 11 mètres. Aufgerufen am 20. November 2011.
  11. Groneck, Straßenbahn Nizza in Betrieb, S. 12f.
  12. Groneck, Neue Straßenbahnen in Frankreich, S. 8.
  13. Christoph Groneck: Nizza: Straßenbahn und moderne Kunst. In: Stadtverkehr, 3/2008 (53), S. 16.
  14. Stefan Göbel: Frankreich fördert Nahverkehrsprojekte. In: Stadtverkehr 6/2009 (54), S. 42−46.
  15. Groneck, Straßenbahn Nizza in Betrieb, S. 15.
  16. a b Kurzmeldung in Stadtverkehr 11/2009 (54), S. 49.

Literatur

Theo Stolz: Die Straßenbahn in Nizza fährt wieder. In: Eisenbahn-Revue International. Nr. 7/2008, Minirex, Luzern 2008, ISSN 1421-2811, S. 321–324.

Weblinks


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