Storytelling (Methode)

Storytelling (Methode)

Storytelling (deutsch: „Geschichten erzählen“) ist eine Erzählmethode, mit der explizites, aber vor allem implizites Wissen in Form einer Metapher weitergegeben und durch Zuhören aufgenommen wird. Die Zuhörer werden in die erzählte Geschichte eingebunden, damit sie den Gehalt der Geschichte leichter verstehen und eigenständig mitdenken. Das soll bewirken, dass das zu vermittelnde Wissen besser verstanden und angenommen wird. Heute wird Storytelling neben der Unterhaltung durch Erzähler unter anderem auch in der Bildung, im Wissensmanagement und als Methode zur Problemlösung eingesetzt.

Inhaltsverzeichnis

Grundlegendes über die Methode

Eine lebendig erzählte Geschichte gewinnt die Aufmerksamkeit und Konzentration anderer Menschen leichter als eine nüchterne Ansprache. Die Zuhörer versuchen, den Handlungsablauf, den Sinn (die Metapher) zu erfassen und die darin enthaltene Weisheit zu verstehen. Auch wenn die Zuhörer nicht jede Einzelheit konkret verstehen, werden sie dennoch den Kern der Geschichte begreifen. Beim Zuhören gelangen Menschen oft in einen entspannten Trancezustand, in dem sie Inhalte noch tiefer aufnehmen können. Meist wirkt die Geschichte im Unbewussten weiter, und Erkenntnisse reifen so noch lange weiter. Oft werden auch Fabeln und Anekdoten erzählt oder eine Weisheit in einer Pointe ausgedrückt. Zum Erzählen gehören neben der Sprache auch weitere persönliche Ausdrucksmittel wie Gestik, Mimik und die Stimme. Dabei muss das Grundmuster der Geschichte immer aus der Lebenswelt der Zuhörer stammen, also der Welt der Schüler, der Patienten, der Kundschaft oder des Betriebs.

Geschichten erzählen erfüllt viele Aufgaben: Lebenserfahrung vermitteln, Wissen weitergeben, Sachinformationen vermitteln, Problemlösungen aufzeigen, Denkprozesse einleiten, Rollenerwartungen definieren, Verhaltensänderung anregen, Repertoire an Verhaltensweisen erweitern, Unterhaltung, Normen und Werte vermitteln, Anschauungsvermögen fördern, zum Handeln motivieren, Hoffnung stiften und Sinn geben.

Storytelling als Kunstform

Das Geschichtenerzählen erlebt in Deutschland seit 2000 eine neue Popularität. Im Gegensatz zum Theater wird beim Storytelling frei erzählt. Dabei treten als Geschichtenerzähler neben Amateuren vermehrt auch Profis auf, die ihren Lebensunterhalt durch Geschichtenerzählen bestreiten. Geschichten werden für Kinder und Erwachsene erzählt. Es kann sich um traditionelle Geschichten, wie beispielsweise Märchen und Sagen, aber auch um moderne Geschichten handeln. Geschichtenerzähler bestehen nicht auf ein Urheberrecht an ihrer Geschichte, da dies nicht der Erzählertradition entspricht. International existieren mittlerweile viele Erzählfestivals.

Storytelling in der Psychotherapie

Storytelling wird in der „narrativen Psychologie“ als therapeutische Technik verwendet. Der therapeutische Dialog zwischen Therapeut und Klient wird dabei als gemeinsamer Erzählvorgang betrachtet. Geschichten sind Basiserfahrungen. Geschichten bestimmen, wie sich Menschen verhalten, wie sie fühlen und wie sie Sinn aus neuen Erfahrungen konstruieren. Geschichten organisieren die Informationen über das Leben einer Person. Geschichten formen die Perspektiven, die Menschen über ihr Leben, ihre Vergangenheit und Zukunft haben.

„Erzählen“ geschieht dabei auf drei Ebenen:

  • Der Klient erzählt seine Geschichte und wie er seine Lebensaufgaben löst.
  • Der Therapeut erzählt „Geschichten“, die Lösungsideen beinhalten.
  • Die Therapie selbst, die Beziehung zwischen Therapeut und Klient, gestaltet ihre eigene Geschichte.

Gemeinsam entwickeln Therapeut und Klient in diesem Dialog neue, alternative Erzählungen, die den Handlungsspielraum des Klienten erweitern und ihm somit helfen können, seine Probleme zu lösen.

Auch im NLP wird die Methode des „Geschichten-Erzählens“ genutzt. Dabei enthalten die Geschichten immer mehrere Bedeutungsebenen, die jede für sich eine eigene Wirkung entfalten. Ähnlich wie beim Märchen erkennt und versteht dabei der Zuhörer unbewusst den Sinn auf einer verschlüsselten hintergründlichen Ebene.

Storytelling in Unternehmen

In Unternehmen werden Geschichten strategisch dazu eingesetzt, um Traditionen, Werte und Unternehmenskultur zu vermitteln, um Ressourcen zu wecken, aber auch um Konflikte in einer Metapher bildhaft und „unter die Haut gehend“ erfahrbar zu machen und Lösungswege aufzuzeigen. Mitarbeiter-Erzählungen werden genutzt, um Auskunft über die Unternehmenskultur zu erhalten und um kostspielige Prozessschwächen aufzudecken.

Im Vergleich zu abstrakter Information haben Geschichten den Vorteil, verständlicher zu sein, stärker im Gedächtnis zu bleiben und Sinn und Identität stiften zu können.[1]

Eine der bekanntesten Storytelling-Methoden in diesem Zusammenhang ist der Mitte der 90er Jahre am MIT, USA, entwickelte „Learning-Histories-Ansatz“. Mit dieser Methode wird (Erfahrungs-)Wissen von Mitarbeitern über bestimmte Ereignisse im Unternehmen (wie zum Beispiel eine Reorganisation, eine Fusion, ein Pilotprojekt) aus unterschiedlichsten Perspektiven der Beteiligten mittels Interviews erfasst, ausgewertet und in Form einer gemeinsamen Erfahrungsgeschichte aufbereitet. Ziel ist, die gemachten Erfahrungen, Tipps und Tricks zu dokumentieren und damit für das gesamte Unternehmen übertragbar und nutzbar zu machen.[2]

Storytelling in der Schule

In deutschen Schulen wird die Methode des Storytellings meist nur im Fremdsprachenunterricht genutzt. Der Trend geht dahin, Storytelling auch in anderen Fächern und fächerübergreifend einzusetzen. Gründe, warum Storytelling im (Fremdsprachen-)Unterricht sinnvoll ist, sind folgende:

  • Kinder lieben Geschichten und haben Spaß beim Zuhören. Das schafft optimale Voraussetzungen, um Lerninhalte zu vermitteln und die Kinder zu motivieren.
  • Geschichten fördern die Kreativität und Vorstellungskraft der Kinder. Sie lernen, sich zu konzentrieren, aufmerksam zu sein. Zudem wird ihr Hörverstehen geschult, da sie erfahren, dass sie durch genaues Zuhören sowie Mit-, Vorausdenken und Vermuten den Geschichten folgen können. Im Gegensatz zu anderen Unterrichtsmethoden wird auch die emotionale Intelligenz angesprochen: Geschichten lösen Emotionen und Gefühle aus, die dazu führen, dass Fakten leichter behalten werden.
  • Aussprache, Sprachrhythmus und Intonation werden durch das Vorlesen vermittelt. Die Schüler erleben das „Gefühl“ der (fremden) Sprache.
  • Selbst wenn nicht alle Vokabeln bekannt sind, kann durch Mit- und Vorausdenken die Geschichte verstanden werden. Durch ein solches Erfolgserlebnis werden Schüler motiviert, auch in Zukunft weiter an der Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse zu arbeiten. Bilder oder die eingesetzte Mimik und Gestik der Lehrperson erleichtern zusätzlich das Verständnis.
  • Geschichten bieten die Möglichkeit, in realen Situationen neuen Wortschatz oder Satzstrukturen einzuführen, da sie in einem einprägsamen und familiären Kontext wiedergegeben werden. Das eher unbeliebte Auswendiglernen kann so vermieden werden. Insbesondere durch die Verwendung von Wiederholungen in den Geschichten fällt es Kindern leichter, Schlüsselvokabeln und Satzstrukturen zu lernen.
  • Kinder lernen auf kindgerechte Art Problemlösungsstrategien für ihren Alltag. Indem sie sich mit Personen identifizieren und in die Handlung hineinversetzen, entsteht eine Verbindung von Fiktion/Vorstellung und kindlicher Lebensumwelt.
  • Geschichten spiegeln fremde Kulturen wider. So können Kinder Informationen und Anschauungen über andere Länder sammeln und verschiedene Kulturen miteinander vergleichen. Durch dieses sprachliche und emotionale Eintauchen in die Erlebniswelt der Geschichte wird ein Beitrag zur Weltoffenheit der Kinder geleistet.
  • Beim Storytelling herrscht meist eine besondere und entspannte Unterrichtsatmosphäre: Das Erzählen von Geschichten ist ein soziales Erlebnis, das oft mit körperlicher Nähe (Stuhlkreis, Leseecke) und mit Anlässen zu gemeinsamen Reaktionen wie Lachen, Betroffenheit, Begeisterung und Erwartungen einhergeht. Der Zusammenhalt in der Klasse wird gestärkt und erleichtert den Unterricht.
  • Die Kinder fühlen sich in der Vorlese-Atmosphäre sicher und haben die Möglichkeit, sich nach individuellem Vermögen in die Geschichte einzubringen. Da kein Zwang besteht Sprache sofort zu reproduzieren, wird der individuellen „silent period“ in angemessener Form Rechnung getragen. Trotzdem wird ein rezeptiver Wortschatz aufgebaut, der später leicht in aktiven Wortschatz umgewandelt werden kann.
  • Storytelling in der Schule kann die Kinder dazu motivieren, auch in ihrer Freizeit zu lesen. Sie erkennen, dass Lesen kein Zwang ist, sondern Freude bereiten kann und Bücher eine Alternative zu elektronischen Medien sind.

Im Religionsunterricht

Religiöse Inhalte werden auf der ganzen Welt als Geschichten vermittelt. Am bekanntesten sind das Alte- und das Neue Testament, die Upanishaden und der Talmud. In Andachten erzählen Prediger oft metaphorische Geschichten, um den Gläubigen religiöse Botschaften nahe zu bringen.

Siehe auch

Literatur (alphabetisch)

  • G. Adam: Erzählen. In: Gottfried Adam, Rainer Lachmann (Hg.): Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht. 4. Auflage. Göttingen 2002, S. 137-16.
  • I. Baldermann: Erzählen als Unterrichtsform. In: I. Baldermann: Einführung in die biblische Didaktik. Darmstadt 1996, S. 91–117.
  • W. Bleyhl: Fremdsprachen in der Grundschule – Grundlagen und Praxisbeispiele. Schroedel Verlag, 2000.
  • S. Denning: The Leader's Guide to Storytelling. Jossey-Bass, San Francisco 2005.
  • Kieran Egan: Teaching as storytelling – An alternative approach to teaching and the curriculum. ISBN 0226190323.
  • G. Ellis, J. Brewster: Tell it again! – The new storytelling handbook for primary teachers. Penguin English, London 2002.
  • C. Erlach, Karin Thier: Mit Geschichten implizites Wissen in Organisationen heben. In: B. Wyssusek (Hrsg.): Wissensmanagement komplex: Perspektiven und soziale Praxis. Schmidt, Berlin 2004, S. 207–226, ISBN 9783503078226.
  • T. Faust: Storytelling – Mit Geschichten Abstraktes zum Leben erwecken. In: Bentele, Piwinger, Schönborn (Hrsg.): Handbuch Kommunikationsmanagement. Köln 2006.
  • K. Frenzel, Michael Müller, Hermann Sottong: Storytelling. Das Harun-al-Raschid-Prinzip. München, Wien 2004.
  • W.T. Fuchs: Warum das Gehirn Geschichten liebt. München 2009. ISBN 978-3448095920
  • P. Gardner, E. Gruegeon: The Art of Storytelling for teachers and pupils – Using stories to develop literacy in primary classrooms. Penguin English, London 2000.
  • K. P. Grossmann: Der Fluss des Erzählens. Narrative Formen der Therapie. 2003, ISBN 9783896701398.
  • A. Kleiner, G. Roth: Wie sich Erfahrungen in der Firma besser nutzen lassen. Harvard Business Manager, 5: 9–15, 1998.
  • F. Klippel: Englisch in der Grundschule. Cornelsen Scriptor, 2000.
  • W. Neidhart: Vom Erzählen biblischer Geschichten. In: Walter Neidhart, Hans Eggenberger (Hg.): Erzählbuch zur Bibel. 6. Auflage. Zürich 1990, S. 13–112.
  • H. Niemann: Mit Bilderbüchern Englisch lernen. Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung GmbH, 2002.
  • G. Schmid-Schönbein: Anglistik Amerikanistik studium kompakt – Didaktik: Grundschulenglisch. Cornelsen Verlag, Berlin 2001.
  • D. Stevenson: Die Storytheater-Methode. Strategisches Geschichtenerzählen im Business. Gabal Verlag, Offenbach 2008.
  • Karin Thier: Storytelling. Eine narrative Managementmenthode. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-540-23744-0
  • A. Wright: Storytelling with children. Oxford University Press, Oxford 1995.
  • S. Zulauf: Unternehmen und Mythos – Der unsichtbare Erfolgsfaktor. Wiesbaden 1994.
  • Albert Heiser: Bullshit Bingo, Storytelling für Werbetexte. Creative Game Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-9809718-0-5.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Storytelling: Geschichten, die das Unternehmen schreibt. In: managerSeminare, Heft 78, Juli/August 2004, S. 70-78. Abgerufen am 13. Februar 2010.
  2. Thier, 2005; Erlach & Thier, 2004; Kleiner & Roth, 1998.

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