Stimmbandbewegungsstörung

Stimmbandbewegungsstörung
Klassifikation nach ICD-10
J38 Krankheiten der Stimmlippen und des Kehlkopfes, anderenorts nicht klassifiziert
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Als Vocal Cord Dysfunction (VCD), von engl. vocal cord „Stimmband“ und dysfunction „Fehlfunktion“, wird eine Funktionsstörung der Stimmbänder bezeichnet, bei der sich diese von einem Moment zum nächsten verkrampfen und verschließen. Dieser plötzlich auftretende Verschluss führt zu einer anfallsartigen Atemnot. Dem geht oftmals ein Hustenanfall voraus.

Eine VCD tritt auch in Kombination mit Asthma bronchiale auf, was die Erkennung der Krankheit zusätzlich erschwert. Forschungen lassen den Schluss zu, dass 5 % der vermeintlichen Asthmatiker eine VCD haben. Zudem leiden 20 bis 40 % der schwer bis nicht behandelbaren Asthmatiker begleitend zu ihrem Asthma an einer VCD.

Der (englische) Ausdruck Vocal Cord Dysfunction tauchte in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in der pulmologischen Literatur als differentialdiagnostisch relevantes Krankheitsbild bei therapieresistentem Asthma auf. Dasselbe Krankheitsbild wird dort auch als paroxysmal (oder paradoxical) vocal cord movement/motion (PVCM), paroxysmal (oder paradoxical) vocal cord dysfunction (PVCD), episodic paroxysmal laryngospasm (EPL) und irritable larynx syndrome (ILS) bezeichnet.[1]

In der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde werden diese Krankheitsbilder seit dem 19. Jahrhundert unter – je nach Ausprägung der Symptomatik und auslösender Ursache – mehr oder weniger unterschiedlichen Namen beschrieben. Insbesondere das als „inspiratorischer Stimmritzenkrampf“ beschriebene Krankheitsbild ist wohl der Vocal Cord Dysfunction gleichzusetzen. Besonders krasse Fälle, bei denen die Atemnot zur Bewusstlosigkeit führt, werden als Ictus laryngis (Kehlkopfschlag, Kehlkopfohnmacht) bezeichnet.

Johann Schnitzler beschreibt den inspiratorischen Stimmritzenkrampf 1895: „Während beim phonischen Stimmritzenkrampf die Coordinationsstörung sich darin äussert, dass der Grad der motorischen Innervation viel intensiver als der Grad der intendirten Innervation ausfällt, also es sich nur um einen graduellen Unterschied handelt, haben wir es bei dem inspiratorischen Stimmritzenkrampf mit einer Coordinationsstörung qualitativer Art zu thun, indem statt der Abduction der Stimmbänder eine Annäherung derselben während der Inspiration erfolgt. Die Phonation geht normal von Statten, die Inspiration ist mit Dyspnoe verbunden, da während der Inspiration auch die Adductoren stärker innervirt werden. Im Schlafe verschwindet die Dyspnoe und der Stridor.“ [2]

Inhaltsverzeichnis

Auslöser von VCD

Die Auslöser bei VCD können ähnlich sein wie beim Asthma bronchiale, welches sich auch oft als anfallsartige Atemnot zeigt.

  • Stress, psychische Belastung
  • körperliche Belastung
  • kalte oder warme Luft
  • Düfte, Zigarettenrauch, Parfüms
  • allergene Einflüsse
  • reizende Speisen, wie z. B. Essig
  • Reflux von Magensäure

Anzeichen für VCD

Folgende Anzeichen erhärten den Verdacht auf VCD:

  • Plötzliches Auftreten heftiger, teils lebensbedrohlich erlebter Atemnot
  • Atemnot oft nach Hustenanfällen
  • spontanes Nachlassen der Atemnot
  • Kratzen im Hals, Kloßgefühl, Engegefühl im Hals, häufiges Räuspern, Heiserkeit
  • auffällig gute Lungenfunktionsbefunde
  • Asthmamedikamente helfen kaum oder gar nicht.

Medizinischer Hintergrund [3]

VCD ist eine überempfindliche Reaktion der Stimmbänder. Zunächst scheint es objektiv keinen Grund zu geben, warum diese sich verschließen. Eine VCD ist somit als paradoxer Schutzreflex zu deuten. Die Gründe können physischer und/oder psychischer Natur sein. Kommt es zu einer Atemnot durch eine VCD sind meist mehrere Faktoren auszumachen:

  • Organische Gründe: Der Rückfluss der Magenflüssigkeit (Reflux) oder eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis). Der Säurerückfluss aus dem Magen oder das Sekret aus der Nasennebenhöhle führen zu einer Reizung der Stimmbänder.
  • Neurologische Ursachen: Ein hypersensibler Kehlkopfbereich oder eine krankhafte Veränderung der Großhirnrinde (Cortex).
  • Psychische Ursachen: Emotionaler Stress ausgelöst durch Verlust, einschneidende Veränderung, verbale und körperliche Verletzungen und hohes Leistungs- und Anspruchsdenken sowie Krankheitsgewinn

Besonders in Lebensphasen, in denen sich die Stressfaktoren häufen, reagiert der Körper bzw. die Stimmbänder auf diese Anspannung. Andererseits macht die Tatsache an anfallsartiger, unklarer Atemnot zu leiden schon erheblichen Stress. Deshalb ist oft nicht auszumachen, ob der Körper auf seelische Befindlichkeiten reagiert oder die Psyche auf das Soma.

Die Atemnotanfälle können ohne erkennbaren Grund in unregelmäßigen Abständen auftreten.

Behandlung

Unter sorgfältiger medizinischer Diagnostik sollte gleichzeitig die Angst vor einem Anfall abgebaut werden. Das Bedrohungsgefühl ist weit größer als die wirkliche Bedrohung, da der typische VCD Anfall von selbst aufhört. Wenn die VCD ein Ausdruck dafür ist, dass der Mensch ein psychischen Problem (Somatisierung) hat, muss er selbst oder mit kompetenter Hilfe daran arbeiten. Sind die Gründe eingegrenzt oder erkannt, kann ein individuelles Therapiekonzept erstellt werden. In einigen Fällen können Protonenpumpenhemmer gut helfen.

Durch Sport und Bewegung kann das Vertrauen in den eigenen Körper und die eigene Leistungsfähigkeit wiedererlangt werden. Die Bearbeitung der seelischen Probleme und das Erlernen und Ausüben von Entspannungstechniken helfen, über die psychischen Ursachen und Folgen einer Stimmbandfehlfunktion hinweg zu kommen. Eine große Rolle spielt die richtige Atem- und Stimmtherapie und deren Umsetzung im Alltag.

Für viele Betroffene ist jedoch die Therapie schwierig, da ein somatische Ursache nicht zu finden ist, Begleiterkrankungen erschwerend dazu kommen und der Patient trotz Hilfe die Aufarbeitung der psychischen Faktoren nicht schafft.

Quellen

  1. Andrianopoulos MV, Gallivan GJ, Gallivan KH.PVCM, PVCD, EPL, and irritable larynx syndrome: what are we talking about and how do we treat it? J Voice. 2000 Dec;14(4):607-18
  2. Schnitzler, Joh.: Klinischer Atlas der Laryngologie W. Braumüller, Wien und Leipzig, 1895
  3. Kenn, Klaus: Differentialdiagnosen des therapieresistenten Asthma bronchiale. Internistische Praxis, 253-265 (2001). Hans Marseille Verlag GmbH München
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