Steuerrecht (Schweiz)

Steuerrecht (Schweiz)

Steuerrecht bezeichnet die Gesamtheit der in der Schweiz geltenden steuerlichen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Geprägt wird das schweizerische Steuerrecht durch eine föderalistische Staatsstruktur und das weitgehende Fehlen einer einheitlichen, für das ganze Staatsgebiet geltenden, gesetzlichen Regelung der direkten Steuern. Nach schweizerischem Staatsverständnis haben die Kantone die Steuerhoheit; dem Bund (Eidgenossenschaft) wurden seit Gründung des Bundesstaates 1848 erst nach und nach die Erhebung einiger Steuern zur Finanzierung seiner Aufgaben zugestanden.

Dies äußert sich vor allem darin, dass dem Bund die Erhebung sowohl der direkten Bundessteuer auf Einkommen als auch der Mehrwertsteuer nur bis 2020 befristet gestattet wurde. Diese Vorgabe ist in der Bundesverfassung[1] (Artikel 196, Absätze 13 und 14) festgeschrieben. Eine Verlängerung über das Jahr 2020 hinaus verlangt also nach einer Verfassungsänderung, der wiederum zwingend von Volk und Kantonen mehrheitlich zugestimmt werden muss.

Seit dem Jahr 2001 gilt das Steuerharmonisierungsgesetz (kurz StHG). Der Zweck des StHG ist es, eine formelle Steuerharmonisierung unter den 26 verschiedenen kantonalen Steuergesetzen zu erreichen. Dagegen ist die Ausgestaltung der Steuern im Hinblick auf Tarife und Sozialabzüge weiterhin nicht harmonisiert. Jeder Kanton hat ein eigenes Steuergesetz und belastet Einkommen und Vermögen. Zusätzlich gibt es auf Ebene der Gemeinden noch eine abgeleitete Steuerhoheit.

Inhaltsverzeichnis

Verfassungsmässige Grundsätze

Die Bundesverfassung (BV) statuiert in Art. 127 Grundsätze der Besteuerung, welche für Bund und Kantone gelten:

  • Legalitätsprinzip: Der Gegenstand einer Steuer, der Kreis der Steuerpflichtigen und die Steuerbemessung sind in einem Gesetz im formellen Sinn festzulegen.
  • Allgemeinheit der Besteuerung, Gleichmässigkeit der Besteuerung, Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit: Diese Grundsätze sind eine Konkretisierung der in Art. 8 BV verankerten Rechtsgleichheit.
  • Verbot interkantonaler Doppelbesteuerung

Steuern des Bundes

Die schweizerische Eidgenossenschaft erhebt sowohl direkte als auch indirekte Steuern.

Als direkte Steuern werden erhoben:

Steuerart
Einkommenssteuer der natürlichen Personen und als Gewinnsteuer bei den juristischen Personen
Verrechnungssteuer als Sicherungs- und Kapitalertragsteuer
Spielbankenabgabe
Militärpflichtersatz (eigentlich eine Abgabe, keine Steuer) als Ausgleichsleistung für die nicht erfüllte Wehrpflicht (nicht nur von Militärdienstuntauglichen)

Als indirekte Steuern werden erhoben:

Steuerart
Mehrwertsteuer als Mehrwertsteuer mit Normalsatz 8,0 %, reduziertem Satz 2,5 % und auf Beherbergungsleistungen 3,8 % (Stand: 2011)
Stempelabgaben als Rechtsverkehrssteuern (zum Beispiel Emissionsabgabe auf die Ausgabe von Aktien)
Tabaksteuer
Biersteuer
Gebrannte Wasser als Steuer auf Spirituosen
Mineralölsteuer
Automobilsteuer
Zölle

Steuern der Kantone

Die 26 Kantone der Schweiz erheben ebenfalls direkte und indirekte Steuern:

Als direkte Steuern werden erhoben:

  • Einkommensteuer und Vermögensteuer (natürliche Personen), mit wenigen Ausnahmen (kleine Kantone) mit progressivem Tarif
  • Gewinnsteuer und Kapitalsteuer (juristische Personen)
  • Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer
  • Liegenschaftssteuer (nur in einigen Kantonen)
  • Handänderungssteuer (entspricht der Grunderwerbsteuer in Deutschland und Österreich)
  • Grundstücksgewinnsteuer; besteuert wird die Differenz zwischen Anlagekosten und Verkaufspreis einer Liegenschaft, sie ist als Spekulationssteuer ausgelegt und „bestraft“ Spekulanten durch Zuschläge bzw. „belohnt“ Eigenheimbesitzer durch Rabatte bei langer Besitzdauer. Die Erträge werden in einigen Kantonen für ökologische Massnahmen verwendet.
  • Motorfahrzeugsteuer

Als indirekte Steuern werden erhoben:

Steuern der Gemeinden

Die rund 2600 Gemeinden in der Schweiz haben je nach kantonalem Recht eine abgeleitete Steuerhoheit. Sie erheben ebenfalls direkte und indirekte Steuern:

Als direkte Steuern werden erhoben:

  • Einkommen- und Vermögensteuer (natürliche Personen)
  • Gewinn- und Kapitalsteuer (juristische Personen)
  • Erbschaft- und Schenkungsteuern
  • Liegenschaftsteuer (nur in einigen Kantonen)
  • Handänderungssteuer
  • Grundstücksgewinnsteuer
  • Lotteriesteuer

Als indirekte Steuern werden erhoben:

Trotz der eigenen Steuerhoheit der Gemeinden findet das Anlageverfahren für kantonale und kommunale Steuern in der Regeln durch dieselbe Behörde statt.

Die obige Aufstellung soll und kann nicht abschliessend sein. Es bleibt zu erwähnen, dass manche oben genannte Steuern nicht in allen Kantonen erhoben werden. Als Beispiel sei hier die Erbschaft- und Schenkungsteuer genannt, die in manchen Kantonen exzessiv (zum Beispiel Genf) und in manchen Kantonen gar nicht (zum Beispiel Schwyz) erhoben werden.

Steuerdisparitäten in der Schweiz

Das föderalistische Steuersystem bewirkt einen enormen Steuerwettbewerb und daraus resultierend eine sehr unterschiedliche Steuerbelastung in den verschiedenen Kantonen, aber auch zwischen den Gemeinden. Die Kantone und Gemeinden unterscheiden sich in den Steuersätzen, aber auch in der Berechnung des steuerbaren Einkommens. Dazu kommen unterschiedliche indirekte Steuern und Gebühren.

Während in den Kantonen Uri[2], Zug, Nidwalden, Tessin und Schwyz wenig Steuern bezahlt werden müssen, liegen am anderen Ende der Skala die Kantone Jura und Wallis. Die Steuerbelastung im Kanton Obwalden hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Vom teuersten ist er durch eine massive Senkung der Steuersätze und die Einführung der Degressiven Besteuerung per 1. Januar 2006 zum tendenziell steuergünstigsten Kanton der Schweiz geworden, bevor das Bundesgericht die degressive Steuer am 7. Juni 2007 für verfassungswidrig erklärte, da sie dem in Art. 127 Abs. 2 BV verankerten Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit widerspreche.

Steuersystem und Steuerbelastung spielen entsprechend eine wichtige Rolle in der öffentlichen Diskussion, denn der Steuerwettbewerb wirkt – neben der Tatsache, dass in der Regel das Volk über die Höhe der Steuern befindet – als einnahmenseitiges Regulativ für die verschiedenen ausgabenseitigen Wettbewerbe (um das kulturelle Angebot, die Infrastruktur, den Verkehr, die Bildung, etc.), wie Steuersystematiker und Befürworter des Steuerwettbewerbs betonen. Kritiker wenden ein, dass der Druck zu niedrigeren Steuern irgendwann die wichtigen Aufgaben des Staates gefährde. Insbesondere Städte, die mit besonderen Kosten, sog. Zentrumslasten, Leistungen auch für das Umland erbringen, sehen im Steuerwettbewerb eine gefährliche Entwicklung.

Natürliche Personen

Natürliche Personen werden in den unterschiedlichen Gemeinden und Kantonen ungleich besteuert. Von 1997 bis 2007 haben von den 26 Kantonen insgesamt 18 Kantone die Belastungen für kleine Einkommen von ca. 45'000 Franken gesenkt. Die tiefste Rate aller Hauptorte kennt Genf mit einer Belastung von 1,7 %. Die höchste Rate kennt der Glarus mit 6,87 %. Der Unterschied innerhalb der Schweiz beträgt also 5,2 Prozentpunkte.

Für die mittleren Einkommen von ca. 90'000 Franken wurde im gleichen Zeitraum von 1997 bis 2007 die Steuerrate auch in 18 von 26 Kantonen gesenkt. Die größte Steuersenkung und somit mehr Netto vom Brutto gab es in der Stadt Genf mit einer Reduktion um 2,9 %. Am wenigsten bezahlt man in Schwyz mit 7,3 % oder 6'500 Franken, am meisten muss die natürliche Person in Delsberg abliefern mit 13,25 % und ca. 12'000 Franken und somit beinahe das Doppelte. Hier spielt der Wettbewerb schon eine stärkere Rolle mit einer Differenz von 8,7 Prozentpunkten.

Die grossen Einkommen von ca. 180'000 Franken werden minimal in Zug besteuert mit 8,17 % oder ca. 15'000 Franken. Im Vergleich dazu bezahlt man für das gleiche Einkommen in Neuenburg 35'000 Franken Kantons- und Gemeindesteuern. Dies entspricht einem Unterschied von 20'000 Franken oder 11,3 Prozentpunkten. Somit ist der Steuerwettbewerb um die grössten Einkommen am stärksten.[3]

Juristische Personen

Aktiengesellschaft

Die Reingewinn- und Kapitalbelastung durch Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern sowie direkte Bundessteuern insgesamt in Prozenten des Reingewinnes ist nicht überall gleich.

Für kleinere Aktiengesellschaften mit einem Kapital und Reserven von 100'000 Franken wird abhängig vom erzielten Gewinn zwischen 12,9 % und 34,3 % für die Steuern abgeführt.

Für grössere Aktiengesellschaften mit einem Kapital und Reserven von 2'000'000 Franken war im Jahre 2007 Sarnen im Durchschnitt der günstigste Standort mit einer Ersparnis von 6,9 Prozentpunkten im Vergleich zum Rest der Schweiz. Am anderen Ende der Skala findet sich Genf, welches 5,2 Prozentpunkte mehr und somit ca. 12 % mehr Steuern erhebt.[4]

Schweizer Holding

Steuerwettbewerb in der Schweiz: Holding – Kapitalbelastung durch Kantonssteuer in Prozenten 2007

Die Holding-Besteuerung ist eine Geldquelle für die Kantone mit ca. drei Milliarden Franken (1,84 Milliarden Euro) Steuereinnahmen pro Jahr.[5] Dank der Doppelbesteuerungsabkommen sind im Mutter-Tochterverhältnis Dividenden quellensteuerfrei, ausser es liegt ein Missbrauch vor. Beteiligungsgewinne aus der Holdingstruktur sind an verschiedenen Standorten in der Schweiz faktisch steuerfrei (siehe „Steuerwettbewerb in der Schweiz: Holding – Kapitalbelastung durch Kantonssteuer in Prozenten 2007“). Die Gewinnsteuerbelastung liegt bei 8,5 %, also dem Satz der Bundessteuern, da es keine Sonderbesteuerung für Holdinggesellschaften gibt.

Die Schweizer Holding wird, zum Beispiel um die Steuervorteile zu realisieren, als aktive Konzernleitungsgesellschaft gegründet und betrieben. Dies wird in Deutschland als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr gesehen und somit dürfen die Gewinne in der Schweiz versteuert werden. Gleichzeitig wird diese Aktivität nach Schweizer Recht nicht als aktive Geschäftstätigkeit interpretiert. Für die meisten Doppelbesteuerungsabkommen existieren solche Konstrukte, um die Holding als Steuersparvehikel zu verwenden.[6]


Literatur

  • Peter Mäusli-Allenspach, Mathias Oertli; Das schweizerische Steuerrecht
  • Ernst Höhn, Robert Waldburger; Steuerrecht
  • Francis Cagianut, Ernst Höhn; Unternehmungssteuerrecht
  • Daniel R. Gygax, Thomas L. Gerber; Die Steuergesetze des Bundes
  • Blumenstein/ Locher, System des Schweizerischen Steuerrechts

Referenzen

  1. http://www.admin.ch/ch/d/sr/101/a196.html
  2. Steuerverwaltung des Kantons Uri (19. Dezember 2007): Neues Steuertarifsystem für den Kanton Uri (Medienmitteilung)
  3. http://www.estv.admin.ch/d/dokumentation/zahlen_fakten/dok/steuerbelastung/2007/kh/ganz.pdf Steuerbelastung in der Schweiz, Kantonshauptorte – Kantonsziffern 2007
  4. [1]
  5. [2]
  6. Spezialstudie: Holdinggesellschaften in der Schweiz: Ist die Schweiz mit ihren Holdinggesellschaften ein Steuerparadies für Firmen?

Weblinks

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