Steuerbarkeit

Steuerbarkeit

Ein System ist vollständig steuerbar, wenn ein Zustand in endlicher Zeit durch geeignete Stellsignale zu jedem beliebigen neuen Zustand überführt werden kann. Steuerbar ist ein System, wenn es von ausgewählten Anfangszuständen in ausgewählte Endzustände überführt werden kann. Die Steuerbarkeit beschreibt somit den Einfluss äußerer Eingangsgrößen (in der Regel der Steuergrößen) auf den inneren Systemzustand. Dabei wird zwischen Ausgangssteuerbarkeit und Zustandssteuerbarkeit unterschieden.

Eine entsprechende Bedeutung für Zustandsbeobachter hat die Beobachtbarkeit, für die es entsprechende Kriterien gibt. Das Begriffspaar Steuerbarkeit und Beobachtbarkeit wurde nach [1] 1960 von Rudolf Kálmán eingeführt.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Steuerbarkeit eines linearen Systems ist die Zustandsraumdarstellung

\mathbf{\dot{x}}=\mathbf{A}\cdot\mathbf{x}+\mathbf{B}\cdot\mathbf{u}
\mathbf{y}=\mathbf{C}\cdot\mathbf{x}+\mathbf{D}\cdot\mathbf{u}

mit der Systemmatrix \mathbf{A}, der Steuermatrix \mathbf{B}, der Beobachtungsmatrix \mathbf{C}, der Durchgangsmatrix \mathbf{D}, dem Zustandsvektor \mathbf{x}, dem Ausgangsvektor \mathbf{y} und dem Steuervektor \mathbf{u}.

Zur Ermittlung der Steuerbarkeit gibt es verschiedene, von der Form der Zustandsraumdarstellung abhängige, Kriterien.

Vollständige Steuerbarkeit

Vollständig zustandssteuerbar (teilweise auch erreichbar genannt) heißt ein lineares System, wenn es für jeden Anfangszustand \mathbf{x}(t_0) eine Steuerfunktion \mathbf{u}(t) gibt, die das System innerhalb einer beliebigen endlichen Zeitspanne t_0\leq t \leq t_e in einen beliebigen Endzustand \mathbf{x}(t_e) überführt.

Strukturelle Steuerbarkeit

Eine Klasse von Systemen S\ ( S_A,\ S_B,\ S_C) heißt strukturell steuerbar, wenn es mindestens ein System (A, B, C) \in S gibt, das vollständig steuerbar ist.

Dabei sind S\ ( S_A,\ S_B,\ S_C) Matrizen, in denen alle Elemente ungleich 0 mit * markiert wurden, da alle Elemente gleich 0 über die strukturelle Beobachtbarkeit und strukturelle Steuerbarkeit entscheiden. D.h. die det S muss ungleich 0 sein.

Steuerbarkeitskriterien

Vollständige Ausgangssteuerbarkeit

Das System (\mathbf{A},\mathbf{B},\mathbf{C},\mathbf{D}) ist genau dann vollständig ausgangssteuerbar[2], wenn der Rang der Matrix

\mathbf{S}_{AS}=\begin{pmatrix} 
     \mathbf{CB} & \mathbf{CAB} & \mathbf{CA^2B} & \cdots & \mathbf{CA^{n-1}B} & \mathbf{D}
    \end{pmatrix}

mit der Zahl der Ausgangsgrößen übereinstimmt: Bedingung für Ausgangssteuerbarkeit ist also Rang \mathbf{S}_{AS}=r. Unter der Voraussetzung, dass Rang(C) = r gilt, ist jedes zustandssteuerbare System auch ausgangssteuerbar. Die Umkehrung gilt dabei nicht.

Vollständige Zustandssteuerbarkeit

Kriterium von Kalman

Das System (\mathbf{A},\mathbf{B}) ist genau dann nach Kalman vollständig steuerbar[3], wenn für die Steuerbarkeitsmatrix

\mathbf{S}_S=\begin{pmatrix}
     \mathbf{B} & \mathbf{AB} & \mathbf{A^2B} & \cdots & \mathbf{A^{n-1}B}
    \end{pmatrix}

gilt

\mathrm{Rang}\ \mathbf{S}_S{ }={ }n.

Im Spezialfall \mathbf{B}\in\mathbb{R}^{n\times 1} ist \mathbf{S}_S für steuerbare Systeme sogar invertierbar, was Voraussetzung für die Verwendung der Formel von Ackermann zur Polvorgabe für Eingrößensysteme ist. Die Zustandssteuerbarkeit nach Kalman ist ein Spezialfall der vollständigen Ausgangssteuerbarkeit für \mathbf{C}=\mathbf{I},\ \mathbf{D}=\mathbf{0}.

Kriterium von Gilbert

Das System ({\rm diag} \lambda_i, \tilde{\mathbf{B}}), dessen Zustandsraummodell in kanonischer Normalform vorliegt, ist genau dann nach Gilbert[4] vollständig steuerbar, wenn die Matrix \tilde{\mathbf{B}} keine Nullzeile besitzt und wenn die p Zeilen \tilde{\mathbf{b}}_i^T , der Matrix \tilde{\mathbf{B}}, die zu den kanonischen Zustandsvariablen eines p-fachen Eigenwerts gehören, linear unabhängig sind.

\frac{{\rm d} \tilde{\mathbf{x}}(t)}{{\rm d}t}={\rm diag} \lambda_i \cdot \tilde{\mathbf{x}}(t), \ \tilde{\mathbf{x}}(0)=\mathbf{V}^{-1}\mathbf{x}_0
 y(t)=\tilde B \tilde x(t) mit \tilde B = BV

V ist dabei die Matrix mit den Eigenvektoren.

Kriterium von Hautus

Das System (A,B) ist genau dann nach Hautus vollständig steuerbar[5], wenn die Bedingung

\mathrm{Rang}\begin{pmatrix} 
     \lambda_k I - \mathbf{A} & | &\mathbf{B}
    \end{pmatrix}=n

für alle Eigenwerte λk, k = 1,2,\ldots,n der Matrix A erfüllt ist.

Steuerbarkeit von Abtastsystemen

Die oben genannten Beziehungen gelten auch für Abtastsysteme, wenn \mathbf{A} durch die Transitionsmatrix und \mathbf{B} durch die diskrete Eingangsmatrix \mathbf{H} ersetzt wird. Nach [6] kann die Überprüfung vereinfacht werden, indem zunächst die Bedingungen für das kontinuierliche System geprüft werden und dann die Zusatzbedingung

e^{s_i T_{ab}} \ne e^{s_j T_{ab}} für  s_i \ne s_j

erfüllt ist.

Regelungsnormalform (Frobenius-Form)

Die Regelungsnormalform kann unter anderem aus der Übertragungsfunktion: 
G(s)=\frac{b_0+b_1s+...+b_{n-1}s^{n-1}+b_{n}s^{n}}{a_0+a_1s+\cdots+a_{n-1}s^{n-1}+a_{n}s^{n}} 
einfach bestimmt werden. Für an = 1 gilt:

Blockdiagramm Zustandsraumdarstellung
\begin{bmatrix}
\dot x_1\\
\dot x_2\\
...\\
\dot x_{n-1}\\
\dot x_n\\\end{bmatrix}
=\underbrace{\begin{pmatrix} 
     0&1 & 0 & ... & 0 \\
     0&0 & 1 & ... & 0 \\
     0&0 & 0 &... & 0  \\
    ...& ... &... &... &... \\
    0 & 0  & 0 & 0 & 1 \\
    -a_0 & -a_1 & -a_2  & ...  &-a_{n-1}\\
    \end{pmatrix}}_{A_R}
\begin{bmatrix} x_1\\
x_2\\
...\\
x_{n-1}\\
x_n\\\end{bmatrix}+
\underbrace{
\begin{bmatrix} 0\\
0\\
...\\
1\\\end{bmatrix}
}_{b_R}
u
y=
\underbrace{
\begin{bmatrix}
b_0 -b_n a_0 & b_1 -b_n a_1 & \cdots & b_{n-1} -b_n a_{n-1}\\
\end{bmatrix}}_{c'_R}
\begin{bmatrix} x_1\\
x_2\\
\vdots\\
x_{n-1}\\
x_n\\\end{bmatrix}+
\begin{matrix}
\underbrace{b_n}\\
\textrm{}^{\rm d_R}
\end{matrix}
 u

bzw. für Systeme ohne Ableitungen der Eingangsgröße

y=
\underbrace{
\begin{bmatrix}
b_0 & 0 &\cdots & 0\\
\end{bmatrix}}_{c'_R}
\begin{bmatrix} x_1\\
x_2\\
\vdots\\
x_{n-1}\\
x_n\\\end{bmatrix}+0 u

Die spezielle Form von AR und bR ist hilfreich für die Analyse und die Konstruktion von Zustandsreglern.

Nichtlineare Steuerbarkeit und Flachheit

Im Nichtlinearen kann man keine globale Aussagen zur Steuerbarkeit machen und muss diese immer an einem Gültigkeitsbereich koppeln. Besondere Rolle spielt hier der mathematische ad-Operator.

Deshalb erweitert die Systemeigenschaft der Flachheit die Steuerbarkeit auf den nichtlinearen Fall. Im linearen Fall sind steuerbare Systeme auch flach.

Vorsicht ist jedoch beim Schließen auf die Steuerbarkeit des nichtlinearen System aus der Linearisierung geboten. Ist die Linearisierung um einen Punkt Steuerbar, so ist das nicht lineare System lokal um diesen Punkt steuerbar. Ist jedoch die Linearisierung nicht steuerbar, kann das System trotzdem immer noch steuerbar sein.

Gründe für nicht vollständig steuerbare Systeme

Für die nicht vollständige Steuerbarkeit gibt es zwei wesentlich Gründe[7]:

  1. Eigenvorgänge, die nicht mit dem Eingang verbunden sind, sind nicht steuerbar.
  2. Zwei parallele Teilsysteme mit denselben dynamischen Eigenschaften sind nicht vollständig steuerbar.

Gründe für die Untersuchung

Das Steuerbarkeitskriterium kann auch genutzt werden um eine Regelungsaufgabe zu vereinfachen. Wird nicht die Stellgröße, sondern die Störgröße auf ihre Steuerbarkeit hinsichtlich der Regelgröße untersucht, so zeigt eine Nichtsteuerbarkeit, dass dieser Systemteil dem Störeinfluss nicht unterliegt und somit dieser Teil nicht geregelt werden muss, wenn nur die Störung unterdrückt werden soll. Andererseits kann eine Störgröße nicht kompensiert werden, wenn ein Systemteil durch die Störgröße aber nicht durch die Stellgröße steuerbar ist.

Die Eigenschaft der Nichtsteuerbarkeit der Störgröße wird für einige Regelungsverfahren genutzt. So wird bei der Störentkopplung der Regler so entwickelt, dass die Stellgröße nicht mehr von der Störgröße abhängt.

Quellen

  1. Otto Föllinger: Regelungstechnik, Einführung in die Methoden und ihre Anwendung. 8. Auflage. Hüthig Verlag, Heidelberg 1994, ISBN 3-7785-2336-8., Abschn. 12.3.1
  2. Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. S.84, 4. Aufl. Heidelberg : Springer, 2006. – ISBN 3-540-32335-X
  3. Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. S.64, 4. Aufl. Heidelberg : Springer, 2006. – ISBN 3-540-32335-X
  4. Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. S.73, 4. Aufl. Heidelberg : Springer, 2006. – ISBN 3-540-32335-X
  5. Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. S.75, 4. Aufl. Heidelberg : Springer, 2006. – ISBN 3-540-32335-X
  6. Jürgen Ackermann: Abtastregelung; 1. Analyse und Synthese. 2 Auflage. Springer, Heidelberg 1983.
  7. Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. S.76, 4. Aufl. Heidelberg : Springer, 2006. – ISBN 3-540-32335-X

Siehe auch


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